Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Libyen: Frankreich bereitet neuerliche militärische Intervention vor – würde sich aber gerne einladen lassen

03-2015

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In manchen Augenblicken glaubt man, Mu'ammar Al-Qadhafi (eingedeutscht: Gaddafi, unter Missachtung der Regeln für eine korrekte Transkription aus dem Arabischen) aus dem Grab heraus oder aus dem Jenseits zu hören; auch wenn die ideologischen Grundlagen nicht dieselben sind. In der vorletzten Februarwoche 2015 drohten die Jihadisten des „Islamischen Staates“ (IS), die sich in Ostlibyen im Küstenhinterland festgesetzt haben, den europäischen Ländern mit einem „Chaos im Mittelmeer“. Dieses würden sie herbeiführen, indem sie „Migranten auf Tausende von Booten“ setzen und gen Europa schicken würden. Ähnliches hatte auch bereits der im Oktober 2011 getötete, langjährige libysche Diktator im Frühjahr desselben Jahres verkündet. Seinerzeit drohte er auf diese Weise besonders Frankreich, das unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy zusammen mit dem britischen Premierminister David Cameron die Führung bei der militärischen Intervention gegen sein Regime seit März 2011 übernommen hatte.

Gleichzeitig scheint es, auf den ersten Blick zumindest, erhebliche Unterschiede im Umgang Frankreichs mit dem damaligen Gegner und den jetzigen Gegnern in Libyen zu gehen. Vor nunmehr vier Jahren zählte die damalige französische Führung zu den vorantreibenden Kräften bei der formal durch die NATO durchgeführten Intervention, bei der jedoch die USA im Hintergrund blieben und manche Mitgliedsländern des Militärbündnisses wie Norwegen sich explizit zurückzogen. Sarkozy lehnte sich damals politisch sehr weit aus dem Fenster.

Dafür gab es jedoch einen präzisen Grund: Aufgrund der engen Verstrickung der französischen Staatsmacht und Eliten mit dem frisch gestürzten Ancien Régime in Tunesien, und in geringerem Ausmaß auch dem in Ägypten, fürchtete man in Paris Enthüllungen auch über ihres Verbindungen zum Qadhafi-Regime (eingedeutscht: Gaddafi-Regime), sollte dieses stürzen. Der lautstarke Einsatz von Außenministerin Michèle Alliot-Marie im französischen Parlament für Lieferungen von Polizeimaterial nach Tunesien, am11. Januar 11, also drei Tage vor der Flucht von Präsident Zine el-Abidine Ben 'Ali, hatte Frankreich in der Region weithin diskreditiert. Die Serie von negativen Publikationen hätte munter weitergehen können. Alliot-Maries Lebensgefährte Patrick Ollier war nicht nur Minister unter Präsident Sarkozy, sondern auch selber führender Lobbyist des libyschen Regimes und Chef der parlamentarischen Freundschaftsgesellschaft für Libyen. Die französische Firma Qosmos hatte Qadhafi (Gaddafi) ausgereiftes Überwachungsmaterial verkauft, und bis heute hält sich die Mutmaßung, Nicolas Sarkozys Wahlkampf von 2007 sei durch Qadhafi (Gaddafi) in Höhe von bis zu siebzig Millionen Euro kofinanziert worden. Aus diesem Grund musste der damalige französische Staatspräsident weiteren Schlagzeilen unbedingt zuvorkommen, und das Heft der Initiative in die Hand nehmen.

Heute scheint die jetzige französische Regierung hingegen vergleichsweise zögerlich, um sich bei einer Intervention gegen die IS-Niederlassung in Libyen in die erste Reihe zu stellen. Auch wenn Frankreich zugleich seit dem Montag, den 23. Februar 15 seinen Flugzeugträger Charles de Gaulle im Arabisch-Persischen Golf erstmals zum Einsatz bringt, um gegen den IS im 'Iraq (eingedeutscht, unter Missachtung der Regeln für Transkription aus dem Arabischen: Irak) militärisch vorzugehen, und dadurch seine seit September 2014 dort begonnene Intervention ausweitete. Beim IS in Libyen, so hat es den Anschein, hat Frankreich nicht so eilig.

Doch der Schein trügt: Die französische Regierung setzt dabei in Wirklichkeit lediglich darauf, nicht als Initiator einer möglicherweise bevorstehenden militärischen Intervention in Libyen zu sehr im Vordergrund zu stehen. Ein Grund dafür ist, dass vermutet wird, das Anschlagsrisiko in Frankreich steige erheblich, wenn es so aussehe, als sei das Land an vielen Fronten zugleich im Einsatz und dadurch besonders profiliert und exponiert. Neben dem derzeit ablaufenden Iraq-Einsatz dürfte noch ein weiterer in Vorbereitung befindlich sein, gegen Boko Haram in der Region, die den Norden Nigerias, den Tschad und Kamerun umfasst. Paris hat den dortigen Staaten, besonders denen der französischen Einflusssphäre, wie Kamerun bereits Unterstützung zugesagt, und ein Anruf aus Yaoundé ist wahrscheinlich. Auf ähnliche Weise möchte Frankreich auch bei einem eventuellen militärischen Einsatz in Libyen gern von regionalen Verbündeten zu Hilfe gerufen werden, und wenn möglich hinter ihnen verdeckt agieren.

Am 05. Februar 2014 hatte der Innenminister von Niger, Massoudou Hassoumi, im französischen Auslandsradiosender RFI eine Intervention auswärtiger Mächte in Südlibyen, das er als „Brutstätte für terroristische Gruppen“ bezeichnete, gefordert. Niger ist ein Stationierungsland für französische Truppen, für die erst kürzlich – im November 14 - eine neue Militärbasis in Madama eingeweiht wurde. Diese liegt im Nordosten des Landes, nur 100 Kilometer von der libyschen Grenze entfernt. Niger, unter dessen Boden zwischen 35 und 40 Prozent des in französischen Atomkraftwerken verheizten Urans geschürft werden, ist zudem ökonomisch und politisch eng von Frankreich abhängig.

Auch der Präsident des Nachbarstaats Tschad, Idriss Déby Itno, forderte unter anderem Frankreich und die USA wiederholt dazu auf, in Libyen zu intervenieren. Zum Abschluss des sicherheitspolitischen „Forums von Dakar“ in der senegalesischen Hauptstadt, das vom französischen Verteidigungsministerium mit organisiert worden war, rief Idriss Déby am 16. Dezember 2014 mit Nachdruck aus: „Die NATO hat ihr Ziel erreicht, nämlich Gaddafi zu ermorden, aber sie hat den Kundendienst nach Verkauf vergessen.“ Die NATO – und im Falle Libyens im Jahr 2011 wurde sie vor allem durch Frankreichs repräsentiert – habe nämlich das jetzige Chaos in Libyen verursacht. Aber nur habe sie die Mittel, das jetzt wieder zu reparieren, was sie Idriss Déby zufolge durch ihre Mitschuld oder Mitwirkung am Tod Qadhafis (Gaddafis) angerichtet habe. Qadhqfi (Gaddafi) war in Syrte durch Rebellen gelyncht worden; zu seinen Lebzeiten hatte Idriss Déby enge Verbindungen zu ihm gehalten und ihn politisch sowie zum Schluss auch militärisch unterstützt.

Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian, der seine zurückliegende Sylvesterfeier am 31. Dezember 14 und die ersten Tage des neuen Jahres 2015 im Tschad verbrachte – beim Feiern mit dort stationierten französischen Soldaten, aber auch zu Konsultationen mit den örtlichen Regierungsvertretern – gilt seit längerem als Anhänger einer Intervention in Libyen. In einem ausführlichen Interview mit Le Figaro vom 05. September 2014 hatte er die Frage angesprochen und erklärt, Südlibyen sowie der Raum Derna im Osten des Landes drohten zur „Plattform“ für terroristische Aktivitäten zu werden. Staatspräsident François Hollande bremste dagegen bislang, aus Rücksicht auf die Interessen von Regionalmächten, deren Regierungen ungern ein Ausweitung von militärischen Aktivitäten Frankreichs oder der USA in ihren Einflusszonen sähen.

Algerien gilt als eher skeptisch und hatte sich auch der Intervention gegen Gaddafi von 2011 energisch widersetzte. Allerdings hielt der französische Generalstabschef Pierre de Villiers sich vom 13. bis 15. September 14 zu Konsultationen in Algier auf, dabei konnten Einwände der dortigen Regierungen gegen ein Eingreifen in Libyen möglicherweise abgebügelt werden. Auch Tunesiens Regierung spricht sich bislang gegen eine auswärtige militärische Intervention in der Region aus. Auch aus Rücksicht auf die Tatsache, dass sich eine Million Libyer als Flüchtlinge, Grenzgänger oder formal als „Touristen“ auf seinem Boden aufhalten.(Durch die Massenflucht von ägyptischen Arbeitsmigranten aus Libyen seit der jüngst erfolgten Enthauptung von 21 christlichen Ägyptern durch den IS – innerhalb von anderthalb Wochen flohen 25.000 von ihnen, und oftmals über Tunesien, vgl. http://www.lefigaro.fr - kommen nun neue Flüchtlinge hinzu; zumindest vorübergehend.)

Nicht zuletzt widersetzte sich auch Ägypten zunächst einer westlichen Militärintervention in Libyen und sprach sich für eine „arabische Lösung“ aus. Inzwischen ist in Kairo auch von einer „durch die UN an-/ausgeführten Intervention“ die Rede. Die Beziehungen des repressiven Regimes unter 'Abdelfattah Al-Sissi in Kairo zu Frankreich haben sich jedoch in jüngster Zeit stark aufgewärmt. Ganz besonders, seitdem am Montag, den 16. Februar d.J; in Kairo der Vertrag über die Lieferung von 24 französischen Kampfflugzeugen vom Typ Rafale unterzeichnet wurde. Es handelt sich um den ersten internationalen Liefervertrag überhaupt für das bislang eher schwer verkäufliche, weil technisch zu ausgereifte und ziemlich anspruchsvolle, Kampfflugzeug. Finanziert wird es allerdings, angesichts defizitärer ägyptischer Staatskassen, durch Saudi-Arabien. (Wodurch die beiden Haupt-Erscheinungsformen der Reaktion in der Region – da wären die islamistisch verfasste Reaktion, deren „Herz der Finsternis“ in Saudi-Arabien pocht, und die militärisch/autokratisch/staatsbürokratisch getragene Reaktion – traulich vereint zusammenarbeiten... Ein Monster mit doppeltem Antlitz.)

Frankreichs Kriegsminister Le Drian begab sich zur Vertragsunterzeichnung persönlich nach Kairo. Dies dürfte entweder einen Kompromiss zwischen Paris und Kairo auch über die Libyenfrage, oder aber ein verstärktes militärisches Eigenengagement Ägyptens dort (das bereits im Juni 2014 begonnen hat) ankündigen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.


Eine gekürzte Fassung erschien am Donnerstag, den 26. Februar 15 in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World'. Dort wurde er unter der Überschrift „Bloß nicht vordrängeln: Frankreich will nicht in Libyen intervenieren“ publiziert.

Dieser Titel fasst den Inhalt des Artikels nicht korrekt zusammen und gibt nicht die These des Verfassers wieder, welcher im Gegenteil davon ausgeht, dass Frankreich ein neuerliches militärisches Eingreifen in Libyen durchaus vorbereitet – sich aber gerne von regionalen Mächten dazu auffordern und einladen lassen möchte. Ähnlich hielt die französische Regierung es ja auch 2012/13 in Mali, und andernorts...