Offene Repression wütet erneut in Marokko
Mit manifester Billigung des französischen Staatsapparats

von Bernard Schmid

03-2015

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Frankreich ist ein Land, das die Pressefreiheit und jene der Meinungsäußerung hochhält – wie vor wenigen Wochen die diversen Demonstrationen unter dem Motto „Ich bin Charlie“ bewiesen haben. Und Frankreich ist ferner zutiefst um Demokratie und Menschenrechte auf dem afrikanischen Kontinent und in seiner dortigen, postkolonialen Einflusssphäre besorgt. Seine Regierungen und Behörden proklamieren es schließlich immer wieder. So weit zur Theorie. Nun ein paar Worte zur Praxis. Diese fällt allerdings ziemlich abweichend von den offiziellen Darstellungen aus.

Am 15. Februar dieses Jahres nehmen vierzig Polizisten in Zivil in Marokkos Hauptstadt Rabat den Sitz der „Marokkanischen Menschenrechtsvereinigung“ AMDH auseinander. Zwei französische Journalisten, die sich zu dem Zeitpunkt dort aufhalten und die einen Film über Wirtschaft und Korruption in Marokko drehen wollten, Jean-Louis Perez und Pierre Chautard, werden festgenommen, rüde behandelt und umgehend abgeschoben. Ihr Film- und Fotomaterial sowie Mobiltelefone bleibt beschlagnahmt. Der offizielle Vorwand lautet, sie hätten keine Drehgenehmigung besessen. Eine solche ist jedoch für einen privaten Ort wie den Sitz der AMDH nicht erforderlich, und französische Staatsbürger können visafrei nach Marokko einreisen. Wenn sie nicht stören...

Das französische Außenministerium – der Quai d’Orsay – erklärt dazu kurz darauf ausdrücklich, dass man nicht etwa vorhabe, zu protestieren. „Die Dinge (mit Marokko) sind gerade dabei, wieder ins Lot zu kommen, wir sind nunmehr der Zukunft zugewandt“, habe dessen Sprecher Roman Nadal ihm gegenüber verlautbart, erklärt der für die beiden Journalisten zuständige Chefredakteur der Agentur Premières Lignes, Benoît Bringer, dazu. Anders als das Ministerium sehen es die wichtigsten französischen JournalistInnengewerkschaften: jene des Dachverbands CGT, jene des Gewerkschaftsverbands CFDT und die dachverbandslose Gewerkschaft SNJ. In einer gemeinsamen Erklärung vom 16. Februar 15 sprechen sie von einem „gravierenden Angriff auf das Grundrecht der Informationsfreiheit“. Und erinnern daran, dass das Königreich bereits im Januar eine Reportage des französischen Auslandssenders France 24 über die Sichtweise der MarokkanerInnen auf die Vorfälle rund um Charlie Hebdo verhindert habe.

Mit den Worten, dass die Beziehungen mit Marokko soeben „wieder ins Lot kommen“, meinte das Außenministerium die erneute Annäherung der Repressionsapparat beider Länder. Die justizpolitische Kooperation der beiden Staaten war ein knappes Jahr lang auf Eis gelegt – die Reaktion der marokkanischen Behörden seit April 14 darauf, dass gegen den Chef des marokkanischen Nachrichtendiensts DST, Abdellatif Hammouchi, strafrechtliche Ermittlungen in Frankreich wegen Foltervorwürfen aufgenommen wurden. Die Behörden mussten diese prüfen, weil sich unter den klagenden Opfern auch französisch-marokkanische Doppelstaatsbürger befinden; Hammouchi musste einen Aufenthalt auf französischem Boden deswegen abkürzen, um keine richterlichen Fragen beantworten zu müssen.

Doch von der Staatsspitze her wurden diese hässlichen Vorfälle, die den zwischenstaatlichen reibungslosen Betrieb so sehr stören, inzwischen einfach abgebügelt. Am 14. Februar 15 verkündete der französische Innenminister Bernard Cazeneuve, dass ebendiesem Abdellatif Hammouchi in Bälde in Paris die Légion d'Honneur verliehen werde, eine begehrte Verdienstmedaille der französischen Republik. Just am folgenden Tag erfolgte der polizeiliche Zugriff am Sitz der AMDH. Allzu offensichtlich fühlt der marokkanische Repressionsapparat sich nun zu allem ermutigt, was er nur wünschen kann. Am 27. Februar d.J. wurde publik, dass der marokkanische Staat den Profiboxer und Doppelstaatsangehörigen Zakaria Moumni in Paris gerichtlich verfolgt, wegen „übler Nachrede“. Moumni zählt zu den Klägern wegen schwerer Misshandlungen in Marokko, er beschuldigte Hammouchi einer unmittelbaren Teilnahme daran. Er war infolge eines Konflikts mit marokkanischen Sponsoren, die dem Thron nahe stehen, festgenommen worden. Der Prozess in Paris ist nun auf den 20. März 2015 anberaumt.

Nicht alle AkteurInnen in Frankreich sehen die Umtriebe des marokkanischen Repressionsapparats so „großzügig“ wie führende Vertreter der Republik. Die Jury, die seit 1933 jährlich den begehrten Journalistenpreis „Prix Albert Londres“ für die beste Reportage verleiht, wollte den Preis in diesem Jahr im marokkanischen Tanger übergeben. Ende Februar annullierte sie ihren geplanten Abstecher nach Marokko: Ein Aufenthalt in dem Staat, dem (laut einem Kommuniqué) eine „systematische Verhinderung der Untersuchungsarbeit couragierter und integrer Journalisten“ und eine „totale Respektlosigkeit gegenüber unserem Beruf und unseren Werten“ vorgeworfen werden, komme nun nicht mehr in Frage.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.