Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Neues von den hauptberuflichen Antisemiten Alain Soral und Dieudonné M’bala M’bala

03/2016

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Aus den Worten des Mannes trieft Bitterkeit. Er beschwert sich darüber, in einem Land zu leben, das in seinen Augen kollektiv „verrückt“ geworden ist. „Noch nie bin ich jemandem begegnet, der Weisheit und Vernunft ausstrahlte, noch nie“ (schnief schnief), beklagt er sich in einem Telefongespräch, das kurz vor Weihnachten 2015 dank einer Indiskretion und durch die Webseite Quartiers Libres publik wurde. Er werde noch ein Stück zur Aufführung auf die Bühne bringen „und es noch zwei oder drei Jahre machen“, kündigt er an, und sich dann zurückziehen, wohl in ein Dorf in Afrika.

So klingt es aus dem Munde von Dieudonné M’bala M’bala, eines unter seinem Vornamen (welcher ihm zugleich als Künstlernamen dient) bekannt gewordenen Comedian mit kamerunischem Vater und französischer Mutter. Er ist in den letzten Jahren in Frankreich zu dem antisemitischen Agitator mit der mutmaßlich größten Breitenwirksamkeit geworden. Oft verschanzte er sich dabei hinter den Behauptungen, es ginge ihm nur um doppelsinnigen Humor, er nehme doch „auch andere Bevölkerungsgruppen auf die Schippe“ und beanspruche nur künstlerische Freiheit für sich. Dabei betrieb er in Wirklichkeit offen und bewusst Politik mit dem Appell an Wut, Hass und ans, insbesondere antisemitische, Ressentiment.

Dies tat er jahrelang in Zusammenarbeit mit - wenn nicht im Schlepptau von - Alain Soral. Der Schriftsteller und Boxer, der von sich behauptet, ursprünglich aus der Linken gekommen zu sein – seine angebliche KP-Mitgliedschaft in den frühen 1990er Jahren wurde jedoch nie nachgewiesen -, arbeitete mit Dieudonné erstmals 2004 auf nachgewiesene Weise zusammen.

Damals unterstützten beide die Liste EuroPalestine, die in Frankreich im Juni 2004 zur Europaparlamentswahl antrat. Deren Führungsleute kamen aus der radikalen Linken, zum Gutteil auch aus der jüdischen Linken. Doch unter anderem Alain Soral betätigte sich am Rande bereits als antisemitischer Giftmischer. Als er zur selben Zeit in einem Fernsehinterview ausrief: „Die Juden brauchen sich doch nicht zu wundern, wenn niemand sie ausstehen kann, wo sie seit 2.500 Jahren auch hinkommen. Vielleicht liegt es auch an ihnen!“, distanzierte die Liste sich deutlich von ihm. Dieudonné arbeitete jedoch weiterhin mit ihm zusammen. Seit dem Beginn der 2000er Jahre hatte dieser sich in einen antisemitischen Hassdiskurs hineinzusteigern begonnen.

Ursprünglich motivierte ihn dabei eine Art Opferkonkurrenz: Er warf jüdischen Stimmen vor allem im Kino vor, für eine Überpräsenz der Shoah zu sorgen, weshalb andere Verbrechen gegen die Menschheit unterbewertet würden. Aus diesem Grunde, behauptete er, habe er 2001/02 ein Filmprojekt über den Sklavenhandel nicht verwirklichen können. In den folgenden Jahren entdeckte er Hasspropaganda zur Relativierung der Shoah und gegen eine angebliche vollständige Unterwerfung Frankreichs unter „zionistische Interessen“ als Geschäftsquelle. Seit Dezember 2006, als erstmals Führungspersonal des Front National (FN) in einer seiner Aufführungen auftauchte, wurde auch die extreme Rechte dabei nunmehr offen einbezogen. Von 2007 bis 2009 bekleidete sein Weggefährte Soral zugleich eine Führungsposition beim FN, wo er dann jedoch auf wachsende Widerstände stieß. Marine Le Pen, die sich damals im Aufstieg befand, betrachtete Soral zunächst als jemanden, der zur Modernisierung der Partei betrage, weil er explizit auch an Franzosen mit Migrationshintergrund appelliere. Als ihr klar wurde, dass er dabei Antisemitismus als ideologischen Kitt zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen betrachtete und diesen sehr umgeschminkt einsetzte, begann sie ihn eher als „Ballast“ anzusehen. Soral wirkte fortan vor allem mit seiner 2007 gegründeten Vereinigung Egalité & réconciliation („E&R“), für „Gleichheit und Versöhnung“, gemeint war die nationale Aussöhnung.

E&R ist aber auch ein mehr oder minder florierendes Wirtschaftsunternehmen. Antifaschistische Gruppen deckten erstmals im Frühjahr 2015 erhellende – wenngleich illegal ans Tageslicht gedrungene - Finanzdokumente der Gruppierung auf, aus denen hervorging, dass sie erhebliche Umsätze macht, die vor den Finanzämtern verborgen wurden, und also Steuerhinterziehung beging. Gehandelt wird von E&R vor allem im Internet. Und zwar mit Büchern, wobei ihr 2013/14 die Neuherausgabe von fünf antisemitischen Klassikern aus dem späten 19. Jahrhundert wie La France juive von Edouard Drumont gerichtlich untersagt wurde, aber auch mit CDs, mit Wein und anderen Produkten. Mit einem Appell an Survival-Ideologien, denen zufolge bei der herannahenden Superkrise nur die Fittesten oder Bestausgestatteten überleben werden, verkauft sie zudem angeblich das Überleben fördernde Zelte, Küchenmaterial und anderes.

Weitere Veröffentlichungen über das Finanzgebaren wie über die Ideologie der Gruppierung erfolgten im Spätsommer 2015 mit der Buchveröffentlichung Le système Soral und im Januar dieses Jahres mit einem Artikel zu Soral Leaks – was bedeutete, dass die Autoren pikante Informationen und Dokumente aus dem Internet fischen konnten. Beide wurden durch die Internetzeitschrift StreetPress, die mit dem Buchtitel zum ersten Mal auch auf den Büchermarkt ging, veröffentlicht. In Kreisen der extremen Rechten wurde dies sehr wohl wahrgenommen. Den Verleger des Buches beim Verlag Calmann-Lévy, Marc Grinsztajin, griff in der Nacht zum 12. September 2015 ein Mann namens Frédéric P. körperlich an. Le système moral war damals erst seit zehn Tagen im Verkauf. Das Opfer musste am Kopf genäht werden, den Aggressor verurteilte ein Pariser Gericht im November 15 zu sechs Monaten Haft auf Bewährung.

Der Artikel vom Januar 16 bildet eine Ergänzung zu den im Buch enthaltenen Informationen. Der monatliche Umsatz der Soral-Fans betrug demnach in 2014/15 rund 160.000 Euro. Die Autoren konnten auch Unterlagen über die Mitgliedschaft von E&R finden. In den beiden zurückliegenden Jahren zählte die Gruppierung demnach jährlich rund 4.200 Beitragszahler im Internet. Hinzu dürften noch einige bar zahlende Anhänger kommen, doch tatsächlich wickelt E&R einen großen Teil ihrer Aktivitäten über Server im Netz ab. Dort können, auch über einen Kanal bei Youtube, zudem Stunden dauerende Videokonferenzen von Alain Soral abgerufen werden, in denen er die Welt erklärt. Seit Sommer 2014 sind sie allerdings erstmals kostenpflichtig, der Agitator will zwei Euro pro Video kassieren. Öffentliche Aufmerksamkeit erzeugte er zuletzt im November 2015 mit Verschwörungstheorien über die Pariser Attentate (die jüdische Gemeinschaft sei vorgewarnt gewesen usw.usf.), unter Verweis auf angebliche jüdische Eigentümer des angegriffenen Bataclan – die den Konzertsaal allerdings bereits im September 15 verkauft hatten.

Unter den Namen der Beitragzahler fanden die StreetPress-Journalisten auch das nur für E&R benutzte Pseudonym eines ihrer Mitarbeiter, was als Beleg für die Authentizität der Listen gewertet wird. Auch der 28 Jahre junge FN-Bürgermeister von Fréjus an der Côte d’Azur, David Rachline, und andere Mitglieder der Partei Le Pens (Jean-Marie / Marine) befinden sich damals unter den Beitragszahler. Inzwischen kehrten diese E&R jedoch aufgrund innerparteilichen Drucks, sofern bekannt, alle den Rücken.

Aber auch zwischen Dieudonné und Alain Soral laufen die Dinge längst nicht mehr so gut, wie es einmal der Fall war. Der extrem zugespitzte Egozentrismus Sorals, über den Dieudonné sich auch in dem seit anderthalb Monaten im Umlauf befindlichen Video mit dem Telefongespräch beklagt, spielt dabei sicherlich eine Rolle. Und auch seine notorische Geldgier. Dieudonné führt dazu aus: „Wir stehen einander nicht so nahe, wie es aussieht. Wir machen keine Geschäfte miteinander.“ Der Comedian fühlt sich allem Anschein nach ausgenutzt. In früheren Jahren, bevor Dieudonné und Soral 2004 zusammenzuarbeiten begannen, hatte der Letztgenannte den Ersteren noch mit tendenziell rassistischen Aussagen beleidigt. Auch heute kommt in Interviews Soral mitunter gar zu deutlich zum Vorschein, dass er sich für den Überlegenen von beiden hält. Allerdings führt Dieudonné, neben seinen Klagen über den unlauteren Partner, auch die im Mai 2013 eingeführte Homosexuellen-Ehe als Grund dafür an, warum es seinen Aussagen nach mit Frankreich generell bergab gehe.

Auch die im November 2014 von Dieudonné und Alain Soral angekündigte, gemeinsame Parteigründung (vgl. etwa http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50874.html ) hat sich als echter Rohrkrepierer erwiesen. In denselben Wochen war damals ein Skandal ausgebrochen, der für beide zum Verlust eines Großteils ihres organisatorischen Netzwerks in den Banlieues, d.h. in den französischen Trabantenstädten und Unterklassenbezirken führte.

Beide hatten damals unter jüngeren Rappern und anderen Musikern mit dem Argument für sich geworben, die Musikindustrie sei „moralisch verkommen“, und es sei deswegen besser, „für die Dissidenz“ – so bezeichnen Soral und Dieudonné selbst ihre Strömung – „Musik zu machen“. Doch Alain Soral benutzte das Casting vor allem mit jungen Frauen dazu, sich von seinen Gehilfen „Frischfleisch“ in Gestalt von jungen Frauen zutreiben zu lassen. Im Herbst 2014 brach die „Bintu-Affäre“ aus, benannt nach dem Vornamen einer schwarzen französischen Sängerin, die später in Los Angeles lebte. Soral hatte erheblichen psychischen Druck auf sie ausgeübt und sogar versuchte Erpressung gegen sie eingesetzt, um sexuelle Beziehungen durchzusetzen. „Bintu“ drohte jedoch mit der Veröffentlichung von Fotos seines erigierten Geschlechtsteils, die Soral ihr zugeschickt hatte. Diese Affäre, aber auch der Skandal um junge Männer, die jahrelang kostenlos für die Anführer der „Dissidenz“ gearbeitet hatten und nun endlich eine Bezahlung einfordern wollten, erschütterte das Vertrauen der organisierten Basis gegenüber den beiden. Um die Parteigründung ist es seitdem sehr still geworden. Über Internet und soziale Medien übt Soral jedoch nach wie vor einen gewissen Einfluss aus.

Latest News: Am 10. Februar 2016 wurde Alain Soral, mal wieder wegen antisemitischer Aussprüche (dieses Mal über einen Journalisten, Frédéric Haziza), gerichtlich verurteilt. Im konkreten Fall zu einer Geldstrafe in Höhe v. 10.000 Euros. // Vgl. http://www.liberation.frund http://www.lemonde.fr/ // Ungenügend, absolut ungenügend, aber immer macht es einmal mehr in aller Öffentlichkeit deutlich, wes Geistes Kind er ist.

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.