Bundesdeutschland, Frankreich und Mali
Berliner Grü
ßaugust macht Station in Bamako

von Bernard Schmid

03/2016

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onlinezeitung

Ein bisschen Dramatisierung gehört zum Geschäft. Auch bei Berichten über, sonst eher Langeweile ausströmende, Aktivitäten des bundespräsidialen Grüßaugusts Joachim Gauck darf mal ein bisschen Pfeffer zugegeben werden. „Gaucks gefährlichste Reise“ titelte etwa der SPIEGEL online am Donnerstag, den 11. Februar 16 verwegen. Gar tollkühn ging es demnach bei der bis dahin jüngsten Reise des Pastors zu, die einen Tag darauf stattfand, am Freitag, den 12. Februar d.J.: Schnell rein, schnell wieder raus: Der riskante Besuch von Joachim Gauck im Krisenland Mali ist ein logistischer Kraftakt.“ Die Zeitschrift verstieg sich gar zu der Metapher: „Es wird ein fast überfallartiger Besuch.“ Es gruselt einem/r geradezu vor so viel Tollkühnheit. Früher einmal lautete eine Werbeslogan: „Mach’ Station bei Texaco!“ Jetzt ging es um „Station in Bamako“. Aber bitte nicht zu lange!

Gar zu riskant wurde es dann doch nicht. Der BuPrä hielt sich nur insgesamt sieben Stunden – doch so wagemutig - in dem westafrikanischen Land auf. Ausgesprochen kurz fiel der Aufenthalt in der Hauptstadt Bamako aus, wo lediglich eine feierliche Begrüßung durch das regierende Staatsoberhaupt Ibrahim Boubacar Keita („IBK“) auf dem Programm stand. Danach wurde Gauck in einen Nationalpark geflogen, um dort Künstler und die Kulturministerin, N’Diaye Ramatoulaye Diallo, zu treffen. Zum Schluss gab es noch eine Stippvisite beim Zentrum der EUTM (European Union Training Mission), an der 150 Angehörige der Bundeswehr beteiligt sind und die malische Soldaten ausbildet. Diese befindet sich allerdings nicht einem Gefahrengebiet, wie der Norden Malis es nach wie vor darstellt, sondern in der südlichen Mitte des Landes, sechzig Kilometer von Bamako entfernt. Auf eine Übernachtung im Lande verzichtete Gauck lieber. Vielleicht wäre es ihm doch zu heiß gewesen?

Wesentlich riskanter ist da die Situation in Nordmali, wo bis im Juni dieses Jahres nun auch 650 andere Bundeswehrsoldaten stationiert werden sollen, das deutsche Kontingent in Mali wird damit auf insgesamt 800 hochgefahren. Diese Militärs sollen in der Regionalhauptstadt Gao untergebracht werden. Theoretisch sollen sie französische Truppen ablösen, im Namen einer „Solidarität mit Frankreich“ nach den Attentaten vom 13. November 15.

Der Norden Malis ist bislang tatsächlich nicht zur Ruhe gekommen. Anfangserfolge für die französische Streitmacht der Opération Serval, die zu Beginn ihrer Intervention ab Januar 2013 dafür sorgten, dass die dort aktiven Jihadisten in die Nachbarländer flohen, vor allem aber in der Süden Libyens auswichen, sind längst verpufft. Jihadistische Aktivitäten zählen heute quasi zum Alltag. Allerdings sind die Abgrenzungen respektive Übergänge zwischen Tuareg-Seperatisten, Jihadisten und Banditentum oft fließend, stärker denn je.

Am 23. Januar dieses Jahres versuchten Bewaffnete, den neuen Staatsanwalt von Gao zu kidnappen, am 28. Januar starben vier malische Soldaten in der Nähe von Gao sowie in Timbuktu. Am 05. Februar 16 attackierten Jihadisten die Stadt Timbuktu. Am 11. Februar folgte ein Angriff auf einen Zollposten in der Stadt Hombori rund 1.000 Kilometer nordöstlich von Mali, mit drei Toten. Am selben Tag sprengte sich ein Minenleger an der Straße von Gao nach Servé versehenlich selbst in die Luft. Am 12. Februar d.J. (dem Tag des Gauck-Besuchs, aber geographisch weit von ihm entfernt) kam es zu einer Attacke mit Raketenwerfern auf ein Camp der UN-Blauhelmtruppen MINUSMA in Kidal, bei der zwei Insassen – guineischer Nationalität - getötet und mindestens dreißig verletzt wurden. Die MINUSMA ist im Norden des Landes parallel zu französischen (und künftig auch deutschen) Truppen, die unter nationalem Oberbefehl bleiben, aktiv.

Theoretisch ist die MINUSMA nicht dafür geschaffen, die Jihadisten zu bekämpfen, sondern dafür, das im Juni 2015 in Bamako geschlossene Abkommen zwischen vormaligen Tuareg-Separatisten rund um die CMA („Koordination der Bewegungen von Azawad“) und der Zentralregierung zu überwachen. Dessen Umsetzung kommt nicht so recht voran, die vereinbarte Kasernierung der Angehörigen bewaffneter Gruppen hat etwa erst Mitte Januar dieses Jahres ansatzweise begonnen.

Auch wurden deren Repräsentanten nicht in die neue Regierung aufgenommen, während das Kabinett am 15. Januar 15 umgebildet wurde. Stattdessen teilten Angehörige der alten, oligarchischen politischen Klasse die Ämter unter sich auf. Inzwischen kommt es vor diesem Hintergrund zu seltsamen neuen Bündnissen. Am 07. Februar einigten sich die CMA einerseits, und die vormals bewaffnet gegen die Separatisten kämpfenden „loyalistischen“ Milizen der „Republikanischen Plattform“ andererseits auf einen gemeinsamen Protest gegen die Zentralregierung. Ungefähr als, als würden IRA und protestantische Ultras sich in Nordirland plötzlich gemeinsam über die britische Regierung beschweren.

Beide fordern, bei der Zuteilung von Kabinettsposten und anderen Stellen berücksichtigt zu werden. Zugleich verhinderten Teile der Bevölkerung in der ersten Februarwoche 2016 in Gao durch Straßenproteste, dass der CMA-Spitzenpolitiker Mahamadou Djeri Maiga dort eine öffentliche Veranstaltung abhalten konnte, weil er separatistischer Ziele beschuldigt wurde. Am vorigen Freitag beschuldigte Maiga deswegen seinerseits die „Plattform“, politisch „ein doppeltes Spiel zu spielen“. Mit weiteren Bündniswechseln und -verschiebungen und politischer Instabilität in der Region ist zu rechnen.

Streit und Versöhnung in Erwartung eines Geldsegens

Den globalen Kontext, in dem sich dies abspielt, bildet einerseits die Erwartung, dass der offizielle Friedensschluss und die damit einhergehende „Dezentralisierung“ des malischen Staats mit einem Geldsegen für die neu geschaffenen regionalen Instanzen (soeben wurden für den Norden zwei zusätzliche Verwaltungsregionen eingerichtet), und damit ihre künftigen Regionalfürsten & -barone einhergehen werden. Denn Korruption gibt es beileibe nicht nur auf zentralstaatlicher Ebene. Deswegen staut sich der Andrang um die erwarteten Fleischtöpfe.

In den letzten Tagen vor Redaktionsschluss dieses Artikels hat sich, Ende Februar dieses Jahres, die Lage übrigens insofern beruhigt, als die Spannungen zwischen den beteiligten Akteuren vorläufig abgeklungen sind. Vertreter des malischen Zentralstaats, der loyalistischen „Plattform“ sowie der vormals separatistischen Rebellen von „Azawad“ (in Nordmali) haben sich getroffen und verabschiedeten gemeinsame Erklärungen. Nun soll in naher Zukunft zwischen ihnen ein „Friedensforum“ abgehalten werden.  Vgl. dazu

Auf der anderen Seite steht der radikale Vertrauensverlust der korrupten und an ausländische, besonders französische Interessen angebundenen politischen Klasse auf der Ebene des Zentralstaats – der es anderen Akteuren mitunter erlaubt, in ein politisches Vakuum vorzustoßen. Staatspräsident „IBK“ genoss bei seiner Wahl im August 2013 einen echten Vertrauensvorschuss in weiten Teilen der Bevölkerung. Diese erhofften sich von ihm, den Staat nach der tiefen Krise der Jahre 2012/13 – damals hatte sich der Norden zeitweilig vom Rest abgespalten, so lange das inzwischen längst zerbrochene Bündnis von Tuareg-Separatisten und Jihadisten hielt und bis zum Eingreifen Frankreichs – zu stabilisieren und die wuchernde Korruption einzudämmen.

Doch wurde diese seitdem nur noch schlimmer. Im September 15 verkündete IBK nach der parlamentarischen Sommerpause stolz, Mali kaufe nun 1.000 Traktoren, um seine Landwirtschaft zu modernisieren. Doch bald blamierte er sich um gründlicher, als sich herausstellte, dass diese nicht funktionierte. Korrupte Unterhändler hatten sich im Ausland, das für die Exportmöglichkeit für seine Überschüsse dankbar war, Schrott andrehen lassen. Den jüngsten Skandal bildete der Entzug des Stimmrechts für Mali bei den Vereinten Nationen, welcher Ende Januar 2016 erfolgte: Das Land hatte seinen Mitgliedsbeitrag nicht bezahlt. Das dafür vorgesehene Geld wurde wohl hinterzogen. Anfang Februar 16 musste ein Abteilungsleiter im Haushaltsministerium deswegen seinen Hut nehmen.

Vormarsch der Imame

Während es im Norden des Landes bewaffnete und teilweise mafiöse Strukturen sind, die davon profitieren, sind es im Süden derzeit vor allem politisch-religiöse Kreise. Diejenigen Imame, die sich aktiv in die Politik einmischen wollen – was beileibe nicht für alle gilt -, sind vor allem seit dem Jahreswechsel 2015/16 stark in die Offensive gegangen. Infolge des Attentats auf das Hotel Radison Blu im November 15 hatte die Regierung den Ausnahmezustand verhängt, er gilt vorläufig noch bis Ende März dieses Jahres. Daraufhin wurden Feiern aus Anlass des Fests Maouloud – des Geburtstag des islamischen Propheten -, das dieses Mal auf den 24. Dezember fiel, unter freiem Himmel abgesagt. Ein Teil der Imame spuckte Gift und Galle und begann die Regierung unter Druck zu setzen.

Zugleich gehen sie gegeneinander in Stellung. Das gilt insbesondere für die eher traditionell-konservative malekitische Glaubensrichtung einerseits, die aus den Golfstaaten finanzierte und deswegen so bezeichnete Strömung der Wahhabiten – die in Mali nicht identisch ist mit der saudischen Staatsideologie – anderseits. Die wesentlich tolerantere Richtung des Sufi-Islam hält sich hingegen heraus.

Nachdem die Malekiten den Kompromiss akzeptiert hatten, ihre Maouloud-Feiern in geschlossenen Räumen abzuhalten, wurden sie daraufhin durch Wahhabiten scharf angegriffen. Im Januar 16 wurde daraufhin in einem seiner Richtung zugehörigen Radiosender gefordert, wer es noch wage, das malekitische Oberhaupt Ousmane Madani Haidara öffentlich zu kritisieren, den müsse man „zusammenschlagen“. Kurz darauf drohte Haidara damit, bei der nächsten Wahl 2018 „einen Imam an die Spitze des Landes“ zu befördern. Manche Minister, darunter der Ressortleiter für Hochschulpolitik Mountaga Tall, suchen unterdessen noch nach Unterstützung in diesen Strömungen.

Sofern der absolute Vertrauensverlust, der derzeit so gut wie allen anderen politischen und sozialen Akteuren entgegen bracht wird – von den Gewerkschaften einmal abgesehen, die in der vergangenen Woche zu Streiks mobilisieren konnten, aber vor allem im schmalen Sektor der Staatsbediensteten vertreten sind – anhält, dürfte ihr Vormarsch weitergehen.

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.