Ein bisschen
Dramatisierung gehört zum Geschäft.
Auch bei Berichten über, sonst eher Langeweile
ausströmende,
Aktivitäten des bundespräsidialen
Grüßaugusts Joachim
Gauck darf mal ein bisschen Pfeffer zugegeben werden.
„Gaucks gefährlichste Reise“ titelte etwa
der SPIEGEL online am Donnerstag, den 11.
Februar 16 verwegen. Gar tollkühn ging es demnach bei
der bis dahin jüngsten Reise des Pastors zu, die einen
Tag darauf stattfand, am Freitag, den 12. Februar d.J.:
„Schnell
rein, schnell wieder raus: Der riskante Besuch von
Joachim Gauck im Krisenland Mali ist ein logistischer
Kraftakt.“ Die Zeitschrift verstieg sich gar zu
der Metapher: „Es wird ein fast überfallartiger
Besuch.“
Es gruselt einem/r geradezu
vor so viel Tollkühnheit. Früher einmal lautete
eine Werbeslogan: „Mach’ Station bei Texaco!“ Jetzt
ging es um „Station in Bamako“. Aber bitte nicht zu
lange!
Gar zu riskant wurde es dann doch
nicht. Der BuPrä hielt sich nur insgesamt sieben
Stunden – doch so wagemutig - in dem westafrikanischen
Land auf. Ausgesprochen kurz fiel der Aufenthalt in der
Hauptstadt Bamako aus, wo lediglich eine feierliche
Begrüßung
durch das regierende Staatsoberhaupt Ibrahim Boubacar
Keita („IBK“) auf dem Programm stand. Danach wurde
Gauck in einen Nationalpark geflogen, um dort Künstler
und die Kulturministerin, N’Diaye Ramatoulaye
Diallo, zu treffen. Zum Schluss gab
es noch eine Stippvisite beim Zentrum der EUTM
(European Union
Training Mission), an der 150
Angehörige der Bundeswehr beteiligt sind und die
malische Soldaten ausbildet. Diese befindet sich
allerdings nicht einem Gefahrengebiet, wie der Norden
Malis es nach wie vor darstellt, sondern in der
südlichen Mitte des Landes, sechzig Kilometer von
Bamako entfernt. Auf eine Übernachtung im Lande
verzichtete Gauck lieber. Vielleicht wäre es
ihm
doch zu heiß
gewesen?
Wesentlich
riskanter ist da die Situation in Nordmali, wo bis im
Juni dieses Jahres nun auch 650 andere
Bundeswehrsoldaten stationiert werden sollen, das
deutsche Kontingent in Mali wird damit auf insgesamt
800 hochgefahren. Diese Militärs sollen in der
Regionalhauptstadt Gao untergebracht werden.
Theoretisch sollen sie französische Truppen ablösen, im
Namen einer „Solidarität mit Frankreich“ nach den
Attentaten vom 13. November
15.
Der Norden Malis ist bislang
tatsächlich nicht zur Ruhe gekommen. Anfangserfolge für
die französische Streitmacht der Opération Serval,
die zu Beginn ihrer Intervention ab Januar 2013 dafür
sorgten, dass die dort aktiven Jihadisten in die
Nachbarländer flohen, vor allem aber in der Süden
Libyens auswichen, sind längst verpufft. Jihadistische
Aktivitäten zählen heute quasi zum Alltag. Allerdings
sind die Abgrenzungen respektive Übergänge zwischen
Tuareg-Seperatisten, Jihadisten und Banditentum oft
fließend, stärker denn
je.
Am 23. Januar
dieses Jahres versuchten Bewaffnete, den neuen
Staatsanwalt von Gao zu kidnappen, am 28. Januar
starben vier malische Soldaten in der Nähe von Gao
sowie in Timbuktu. Am
05.
Februar 16
attackierten
Jihadisten die Stadt Timbuktu.
Am 11. Februar
folgte ein Angriff auf einen
Zollposten in der Stadt Hombori rund 1.000 Kilometer
nordöstlich von Mali, mit drei Toten. Am selben Tag
sprengte sich ein Minenleger an der Straße
von Gao nach Servé versehenlich selbst
in die Luft. Am 12. Februar d.J. (dem Tag des
Gauck-Besuchs, aber geographisch weit von ihm entfernt)
kam es zu einer Attacke mit Raketenwerfern auf ein Camp
der UN-Blauhelmtruppen MINUSMA in Kidal, bei der zwei
Insassen – guineischer
Nationalität -
getötet und mindestens dreißig
verletzt wurden. Die MINUSMA ist im Norden des Landes
parallel zu französischen
(und künftig auch
deutschen)
Truppen, die unter nationalem Oberbefehl bleiben,
aktiv.
Theoretisch ist die MINUSMA nicht
dafür geschaffen, die Jihadisten zu bekämpfen, sondern
dafür, das im Juni 2015 in
Bamako geschlossene Abkommen zwischen vormaligen
Tuareg-Separatisten rund um die CMA („Koordination der
Bewegungen von Azawad“) und der Zentralregierung zu
überwachen. Dessen Umsetzung kommt nicht so recht
voran, die vereinbarte Kasernierung der Angehörigen
bewaffneter Gruppen hat etwa erst Mitte Januar dieses
Jahres ansatzweise begonnen.
Auch wurden
deren Repräsentanten nicht in die neue Regierung
aufgenommen, während das Kabinett am 15. Januar
15
umgebildet
wurde. Stattdessen teilten Angehörige der alten,
oligarchischen politischen Klasse die Ämter unter sich
auf. Inzwischen kommt es vor diesem Hintergrund zu
seltsamen neuen Bündnissen. Am
07.
Februar einigten sich die CMA einerseits, und die
vormals bewaffnet gegen die Separatisten kämpfenden
„loyalistischen“ Milizen der „Republikanischen
Plattform“ andererseits auf einen gemeinsamen Protest
gegen die Zentralregierung. Ungefähr als, als würden
IRA und protestantische Ultras sich in Nordirland
plötzlich gemeinsam über die britische Regierung
beschweren.
Beide fordern,
bei der Zuteilung von Kabinettsposten und anderen
Stellen berücksichtigt zu werden. Zugleich verhinderten
Teile der Bevölkerung
in der ersten Februarwoche 2016
in Gao durch
Straßenproteste, dass
der CMA-Spitzenpolitiker Mahamadou Djeri Maiga dort
eine öffentliche Veranstaltung abhalten konnte, weil er
separatistischer Ziele beschuldigt wurde. Am vorigen
Freitag beschuldigte Maiga deswegen seinerseits die
„Plattform“, politisch „ein doppeltes Spiel zu
spielen“. Mit weiteren Bündniswechseln und
-verschiebungen und politischer Instabilität in der
Region ist zu rechnen.
Streit
und Versöhnung in Erwartung eines Geldsegens
Den globalen
Kontext, in dem sich dies abspielt, bildet
einerseits die Erwartung, dass der offizielle
Friedensschluss und die damit einhergehende
„Dezentralisierung“ des malischen Staats mit einem
Geldsegen für die neu geschaffenen regionalen Instanzen
(soeben wurden für den Norden zwei zusätzliche
Verwaltungsregionen eingerichtet), und damit ihre
künftigen Regionalfürsten & -barone einhergehen werden.
Denn Korruption gibt es beileibe nicht nur auf
zentralstaatlicher Ebene. Deswegen staut sich der
Andrang um die erwarteten Fleischtöpfe.
In den letzten Tagen vor
Redaktionsschluss dieses Artikels hat sich, Ende
Februar dieses Jahres, die Lage übrigens insofern
beruhigt, als die Spannungen zwischen den beteiligten
Akteuren vorläufig abgeklungen sind. Vertreter des
malischen Zentralstaats, der loyalistischen „Plattform“
sowie der vormals separatistischen Rebellen von
„Azawad“ (in Nordmali) haben sich getroffen und
verabschiedeten gemeinsame Erklärungen. Nun soll in
naher Zukunft zwischen ihnen ein „Friedensforum“
abgehalten werden. Vgl. dazu
Auf der anderen Seite steht
der radikale Vertrauensverlust der korrupten und an
ausländische, besonders französische Interessen
angebundenen politischen Klasse auf der Ebene des
Zentralstaats – der es
anderen Akteuren mitunter erlaubt, in ein politisches
Vakuum vorzustoßen.
Staatspräsident
„IBK“ genoss
bei seiner Wahl im August 2013 einen echten
Vertrauensvorschuss in weiten Teilen der Bevölkerung.
Diese erhofften sich von ihm, den Staat nach der tiefen
Krise der Jahre 2012/13 – damals hatte sich der Norden
zeitweilig vom Rest abgespalten, so lange das
inzwischen längst zerbrochene Bündnis von
Tuareg-Separatisten und Jihadisten hielt und bis zum
Eingreifen Frankreichs – zu stabilisieren und die
wuchernde Korruption einzudämmen.
Doch wurde
diese seitdem nur noch schlimmer. Im September
15
verkündete IBK
nach der parlamentarischen Sommerpause stolz, Mali
kaufe nun 1.000 Traktoren, um seine Landwirtschaft zu
modernisieren. Doch bald blamierte er sich um
gründlicher, als sich herausstellte, dass diese nicht
funktionierte. Korrupte Unterhändler hatten sich im
Ausland, das für die Exportmöglichkeit für seine
Überschüsse dankbar war, Schrott andrehen lassen. Den
jüngsten Skandal bildete der Entzug des Stimmrechts für
Mali bei den Vereinten Nationen, welcher Ende Januar
2016
erfolgte: Das Land hatte seinen Mitgliedsbeitrag nicht
bezahlt. Das dafür vorgesehene Geld wurde wohl
hinterzogen. Anfang
Februar 16
musste ein Abteilungsleiter im Haushaltsministerium
deswegen seinen Hut nehmen.
Vormarsch
der Imame
Während es im
Norden des Landes bewaffnete und teilweise mafiöse
Strukturen sind, die davon profitieren, sind es im
Süden derzeit vor allem politisch-religiöse Kreise.
Diejenigen Imame, die sich aktiv in die Politik
einmischen wollen – was beileibe nicht für alle gilt -,
sind vor allem seit dem Jahreswechsel
2015/16
stark in die
Offensive gegangen. Infolge des Attentats auf das Hotel
Radison Blu im November
15
hatte die Regierung den Ausnahmezustand verhängt, er
gilt vorläufig noch bis Ende März dieses Jahres.
Daraufhin wurden Feiern aus Anlass des Fests Maouloud –
des Geburtstag des islamischen Propheten -, das dieses
Mal auf den 24. Dezember fiel, unter freiem Himmel
abgesagt. Ein Teil der Imame spuckte Gift und Galle und
begann die Regierung unter Druck zu setzen.
Zugleich gehen
sie gegeneinander in Stellung. Das gilt insbesondere
für die eher traditionell-konservative malekitische
Glaubensrichtung einerseits, die aus den Golfstaaten
finanzierte und deswegen so bezeichnete Strömung der
Wahhabiten – die in Mali nicht identisch ist mit der
saudischen Staatsideologie – anderseits. Die wesentlich
tolerantere Richtung des Sufi-Islam hält sich hingegen
heraus.
Nachdem die
Malekiten den Kompromiss akzeptiert hatten, ihre
Maouloud-Feiern in geschlossenen Räumen abzuhalten,
wurden sie daraufhin durch Wahhabiten scharf
angegriffen. Im Januar
16
wurde daraufhin in einem seiner
Richtung zugehörigen Radiosender gefordert, wer es noch
wage, das malekitische Oberhaupt Ousmane Madani Haidara
öffentlich zu kritisieren, den müsse man
„zusammenschlagen“. Kurz darauf drohte Haidara damit,
bei der nächsten Wahl 2018 „einen Imam an die
Spitze des Landes“ zu befördern. Manche
Minister, darunter der Ressortleiter für
Hochschulpolitik Mountaga Tall, suchen unterdessen noch
nach Unterstützung in diesen Strömungen.
Sofern der absolute
Vertrauensverlust, der derzeit so gut wie allen anderen
politischen und sozialen Akteuren entgegen bracht wird
– von den Gewerkschaften einmal abgesehen, die in der
vergangenen Woche zu Streiks mobilisieren konnten, aber
vor allem im schmalen Sektor der Staatsbediensteten
vertreten sind – anhält, dürfte ihr Vormarsch
weitergehen.
Editorischer Hinweis
Den Artikel
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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