Neben der
notwendigen politischen Kritik an staatlichen Maßnahmen
wie der Verhängung des Notstands wird, im
Zusammenhang mit den Pariser Attentaten von vor drei
Monaten, nun auch sehr konkrete Kritik an den
französischen Behörden und ihren Versäumnissen laut.
Hätte man die Pariser Attentate
verhindern, oder jedenfalls besser vorhersehen können?
Wurde alles getan, um solche Taten zu vermeiden, oder
gab es doch Mankos und Verfehlungen? Diese Fragen
werden in den letzten Tagen mit neuer Intensität
aufgeworfen, nachdem neue Erkenntnisse über
Hintergründe der Mordanschläge vom 13. November 15
auftauchten.
Eine derzeit
viel diskutierte Spur betrifft etwa eine Verbindung
nach Ägypten. Dort wurde im Februar 2009 eine
französische Oberschülerin, Cécile Vannier, bei einem
Attentat in Kairo getötet. Als ein der Tatbeteiligung
Verdächtiger wurde anderthalb Monate später der Belgier
Farouk ben Abbès durch dieägyptischen Behörden
festgenommen. Er hatte sich bereits 2007 in Kairo mit
den französischen Jihadisten Fabien Clain – der
Konvertit hält sich derzeit in Syrien auf und ist der
Sprecher im ersten französischsprachigen Bekennervideo
zu den Pariser Attentaten – und Farid Benladghem
getroffen. Zwischendurch weilte er ein Jahr bei einer
jihadistischen Splittergruppe, der „Armee des Islam“
mit Kontakt zu Al-Qaida, im Gazastreifen. Seine
Festnahme erfolgte bei seiner Rückeinreise nach
Ägypten.
In dieser
Akte ist bereits 2009 erstmals konkret die Rede von
Anschlägsplänen unter anderem gegen den Konzertsaal Le
Bataclan in Paris. Rockkonzerte, aus ihrer Sicht
satanistische Orgien, beflügelten immer wieder
Anschlagsfantasien und –planungen jihadistischer
Gruppen. Ben Abbès wurde auch in einem entschlüsselten
Telefonat zwischen Anführern der „Armee des Islam“ und
algerischen Islamisten von Al-Qaida im Land des
islamischen Maghreb (AQMI) erwähnt, wo die Rede war von
Aktionen auf französischem Boden. Ben Abbès wurde
später nach Frankreich ausgeliefert, doch das
Ermittlungsverfahren betreffend das Bataclan wurde 2012
eingestellt, „mangels konkreter Elemente“. Vielleicht
hätte es sich doch angeboten, an dem Ort zumindest
erhöhte Sicherheitsvorkehrungen (defensiver Art) zu
treffen.
Andere
internationale Verbindungen sind bislang unklar. So
wurde in der dritten Februarwoche 2016 bekannt, dass
der letzte noch flüchtige, mögliche Tatbeteiligte bei
den Pariser Attentaten - Salah Abdeslam - Ende Juli
2015 im französisch-deutsch-schweizerischen
Dreiländereck bei Saint-Louis (in der Nähe von Basel)
kontrolliert wurde. Am 04. August 15 segelte er auf
einem Boot, zusammen mit dem derzeit in der Türkei
inhaftierten Ahmed Dahmani, von der italienischen Küste
nach Patras in Griechenland und drei Tage später in
umgekehrter Richtung. Die genauen Hintergründe sind
ungeklärt. Wahrscheinlich ging es darum, wie
französische oder belgische Jihadisten sich unter
Syrienflüchtlinge mischen könnten – auch, um die
Fliehenden zu diskreditieren.
Nicht alles, was in jüngerer Zeit
über Anschlagsplanungen bekannt wurde, hat sich auch
bestätigt. So wurde im November 15 der junge Halim A.
unter Hausarrest gestellt. Ihm wurde vorgeworfen,
einige Zeit zuvor sein Handy in der Nähe des Wohnsitzes
eines Redakteurs von Charlie Hebdo
benutzt zu haben, um den Eingang zu photographieren.
Doch er konnte dank seiner Kommunikationsdaten
nachweisen, dass er zum fraglichen Zeitpunkt in einem
längeren Gespräch mit seiner Ehefrau war und das Handy
zum Telefonieren, nicht zum Aufnehmen von Bildern
benutzte. Ende Januar 16 wurde sein Hausarretst nach
neun Wochen – in denen eine regelmäig endlich
aufgehoben. Nun will er um Schadensersatz prozessieren.
Aber wenn die
jüngst publik gewordenen Nachrichten zutreffen, wonach
den Pariser Attentäter nahe stehende Individuen einen
Nuklearingenieur aus dem belgischen
Atomforschungszentrum (CEN) von Mol ausspähten, dann
deutet dies auf wahrscheinlich brisante Planungen hin.
Er wurde an seinem Wohnsitz gefilmt, und Videomaterial
mit einer Dauer von rund zehn Stunden dazu wurde am 30.
November 15 bei dem 26jährigen Mohamed Bakkali – er
hatte Verbindungen zu Salah Abdeslam – aufgefunden.
Möglicherweise war eine Entführung des
Nuklearingenieurs geplant, zu einer näheren Ausführung
kam es jedoch nicht. Die belgische Staatsanwaltschaft
bestätigte am 18. Februar 16, dass sie ermittele.
Eine fundamentalere politische
Kritik am staatlichen „Antiterror“-Gehabe wurde
ebenfalls laut. Überlebende Opfer und Angehörige von
Ermordeten bei den Pariser Attentaten wurden am 15.
Februar 15 in den Räumen der Nationalversammlung
angehört. Einige von ihnen sparten nicht mit Kritik an
den Behörden und auch der Regierung. Aufgrund der
Unterschätzung konkreter Risiken in der Vergangenheit,
aber auch wegen der derzeitigen, ideologisch
unterfütterten Schaupolitik der Regierung. „Warum
höre ich ständig von Ausbürgerungsplänen reden, wenn
ich das Radio einschalte?“ fragte Grégory
Reibenberg, der Chef eines der Restaurants, die am 13.
November 15 beschossen wurden. Ihm und anderen zufolge
ist dies wenig hilfreich, konkrete statt ideologischer
Maßnahmen
und bessere psychologische Hilfe für die Opfer wären
ihnen lieber. Georges Salines, dessen Tochter zu den
Opfern zählt, empörte sich wiederum über einen
Ausspruch von Premierminister Manuel Valls. Der
„Macher“-Politiker hatte über – ihm zufolge -
„soziologische Erklärungen“ der Hintergründe
beteiligter Terroristen Hohn & Spott ausgeschüttet und
hinzugefügt: „Erklären bedeutet Entschuldigen“.
Dem steht die Sichtweise mehrerer Opfer(familien)
entgegen: „Ich bin der Letzte, der denjenigen
entschuldigen würde, der meine Tochter tötete“,
erwiderte Salines. Aber die Ursachen dafür, warum
apokalyptisch orientierte Jihad-Sekten überhaupt
rekrutieren können, seien durchaus von Interesse.
„Kinder der Republik haben andere Kinder der
Republik ermordet. Ich möchte verstehen, wann wir sie
verloren haben“ erklärte die
Bataclan-Überlebende Aurélia Gilbert. Auch wenn dies
etwas pathetisch formuliert und mit viel Glauben an die
Republik unterfüttert ist – in der Sache hat sie
absolut Recht, wo Manuel Valls, der Idiot auf dem Stuhl
des Premierminister, absolut Unrecht behält.
Editorischer Hinweis
Den Artikel
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
|