Hinweistext zur Online-Broschüre
Zu Methoden und Inhalten revolutionärer Konvergenz

Ein Briefwechsel zwischen der Revolutionären Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT
) und den BloggerInnen systemcrash und TaP

von systemcrash, 6.03.2016 (von TaP mit voller inhaltlicher Zustimmung gelesen)

03/2016

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onlinezeitung

Im Dezember 2015 lancierte die RCIT einen offenen Brief an alle „revolutionären Organisationen und Aktivisten“, der unter anderem auch die Möglichkeit der Bildung einer ‚Blockorganisation’ enthielt. Auf die­sen Brief haben wir (TaP und systemcrash) eine zustimmende „Offene Antwort“ ge­schrieben, die aber auch schon andeutete, dass es möglicherweise auch inhaltliche Differenzen geben könnte. Daraufhin gab es noch je zwei Briefe von Seiten der RCIT und von uns. Alle sechs Briefe werden in dieser Online-Broschüre vom pläne Blog original dokumentiert: http://plaene.blogsport.eu/

Im Wesentlichen konzentrieren sich die Briefe auf Fragen der programmatischen Positionierung (bei der RCIT hauptsächlich zu internationalen Fragen) und von unserer Seite auf methodische Fragen der Annähe­rung „revolutionärer Gruppen“ und zur Kon­kretisierung der „Essentialmethode“ (da vor allem das Verhältnis von „nationalen“ zu „in­ternationalen“ Positionierungen). Aber auch die Frage, ob es einen „gegebenen ortho­doxen Marxismus“ gibt, an dem man um­standslos anknüpfen kann, oder ob dieser erst (wieder) auf die Höhe der Zeit gebracht werden muss, wird in den Briefen behandelt (wenn auch sicher nicht abschließend be­antwortet).

In der Broschüre hat die RCIT das Schluss­wort. Von meiner Seite möchte ich noch Folgendes anmerken:

Die RCIT (in Österreich heißen sie RKOB) ist eine Abspaltung aus der L5I (in Deutsch­land durch die GAM vertreten), mit einem aus meiner Sicht stark ausgeprägten Hang zu einer Art „Pseudo-Massenarbeit“ (für die sie aber gar nicht die Kräfte haben), insbe­sondere in Fragen des „Antiimperialismus“ und nationaler Unterdrückung in halbkolo­nialen Ländern. Dabei wird auf folkloristi­sche Art gern insbesondere mit dem paläs­tinensischen Nationalismus kokettiert (das Pali-Tuch scheint obligatorisch zu sein). Die RCIT sieht zwar korrekt die zentristische Degeneration der Vierten internationale (und aller ihrer Splitter) nach dem Zweiten Weltkrieg, glaubt aber dennoch direkt an die Komintern-Tradition anknüpfen zu kön­nen. Dabei sieht sie die ‚Kontinuität’ gesi­chert durch die LRKI (die Vorläuferorgani­sation der L5I, zu der sie selbst gehörten) und durch sich selbst in der Form der RCIT. Über diese ‚Kontinuitätsvorstellung’ könnte man eine ganze Abhandlung schreiben, darum hier nur soviel: erstens sollte doch auffallen, dass allein schon von der quanti­tativen Größe her, ein geschichtlicher „Bruch“ stattgefunden hat. Während es in der Komintern echte revolutionäre „Mas­senparteien“ gegeben hat, konnte dies in der Entwicklung nach dem Zweiten Welt­krieg nie wieder erreicht werden (es gibt ein paar Ausnahmen wie Sri Lanka, Vietnam oder Bolivien, aber auch diese Beispiele ändern unseres Erachtens nichts an der Richtigkeit der „Bruch“-These). Aber selbst wenn man die „Kontinuität“ ‚nur’ an der „Programmatik“ festmacht, so muss man konstatieren, dass eben „neue Fragen“ entstanden sind, über die man nichts bei Marx, Engels, Lenin, Luxemburg, Trotzki und der Komintern nachlesen kann.

Hegel bemerkte:

Die „...Tradition ist aber nicht nur eine Haushälterin, die nur Empfangenes treu verwahrt und es so den Nachkommen unverändert überliefert. Sie ist nicht ein unbewegtes Steinbild, sondern lebendig und schwillt als ein mächtiger Strom, der sich vergrößert, je weiter er von seinem Ursprunge aus vorgedrungen ist. Der Inhalt dieser Tradition ist das, was die geistige Welt hervorgebracht hat, und der allgemeine Geist bleibt nicht stille stehen.“ http://www.zeno.org/

Auch wenn Hegel hier eine Art ‚historisches lineares Wachstum’ („sich vergrößert, je weiter“) postuliert und auch den Aspekt nicht berücksichtigt, dass überholte und/oder irrtümliche Elemente aus der „Tradition“ auch aussortiert werden können, so kann man das Zitat trotzdem unseres Erachtens auch anwenden für die revolutionäre Bewegung und die re­volutionäre(n) Theorie(n). Man kann nicht einfach an eine nicht mehr bestehende „Tradition“ anknüpfen, sondern man muss einen „Neubeginn“ wagen. Dabei kann man natürlich auf historische Erfahrungen und Vorbilder zurückgreifen (das Rad muss nicht neu erfunden werden), aber der ent­scheidende Ansatz ist die Positionierung zu aktuellen Fragen. Das „Historische“ spielt da nur soweit rein, wie es eben für die pro­grammatische Positionierung notwendig ist. Und diese ‚Aktualität’ lässt sich eher reali­sieren, wenn man sich erst mal mit den zentralen Fragen im ‚eigenen’ Land be­schäftigt als von Deutschland aus mit dem Bürgerkrieg in Mali oder einem Amtsenthe­bungsverfahren in irgendeinem Staat in La­teinamerika (und entsprechend von Mali aus z. B. mit dem Neupack-Streik oder se­xueller/sexualisierter Gewalt in der Kölner Silvesternacht).

Und das aus zwei Gründen: erstens ist die Informationslage bei internationalen The­men (viel) schwieriger und zweitens hat man auf Entwicklungen in Mali oder Süd­amerika null Einfluss. Nun haben (radikale) Linke in der BRD auch kaum Einfluss auf einen Streik oder irgendeine andere politi­sche Entwicklung, die breit diskutiert wird. Aber zumindest kann man seinen Senf da­zugeben und hoffen, dass zumindest etwas Resonanz zurückkommt. Daß aus Mali oder Südamerika was zurückkommt, dürfte – aus verständlichen Gründen – eher dem Warten auf Godot gleichen. (Was wir aber langfristig auch nicht ausschließen wollen; so wie wir überhaupt auch keinen Gegensatz zwischen nationalen und inter­nationalen Positionierungen sehen, son­dern nur eine Reihenfolge von Wichtigkei­ten/Prioritäten). Allerdings hat die RCIT auch internationale Kontakte z. B. nach Südamerika, so dass für sie diese stärkere Focussierung auf internationale Fragen auch mehr Sinn macht. Wenn die RKOB aber z. B. in einem Kommunalwahlkampf in einem Wiener Bezirk das „Selbstbestim­mungsrecht der Palästinenser“ thematisiert, dann fragt man schon unwillkürlich nach dem Zusammenhang, auch wenn man nicht unbedingt ‚nationalborniert’ ist.

All diese Überlegungen erklären auch, warum die RCIT kein Interesse an einem Umgruppierungskonzept mit von ihnen als „kleinbürgerlich“ charakterisierten linken (Klein)Gruppen hat. Sie setzen auf ihr eige­nes ‚lineares Wachstum’, weil sie über das „orthodoxe Programm“ zu verfügen glau­ben. An sich würde schon der Hinweis auf den Zustand all jener Gruppen genügen, die dieses Konzept auch vertreten, um auf­zuzeigen, daß dieses Konzept hoffnungslos ist. Es hat aber auch schwere inhaltliche Fehler:

1. glauben wir nicht, dass EINE strömung DAS programm haben kann. Falls so eine Eindeutigkeit überhaupt möglich ist, was wir bezweifeln. (Roter Stein der Weisen).

2. glauben wir nicht, dass eine kleine politi­sche Formation aus eigener Kraft ihre Marginalisierung überwinden kann (zumin­dest halten wir das für [sehr] unwahrscheinlich).

3. scheint uns eine reine Orientierung auf die „ArbeiterInnenbewegung“ zu kurz ge­sprungen zu sein.

4. müsste untersucht werden, ob durch die Umstrukturierungen innerhalb der Lohnab­hängigen-Klasse und durch den Einfluss des Neoliberalismus und der Globalisierung nicht eine „Neuverortung“ der ArbeiterIn­nenbewegung und ihres gesellschaftlich-historischen ‚Platzes’ notwendig ist.

Das alleine sind schon sehr anspruchsvolle Aufgaben. Zu glauben, dass dies eine ein­zelne (kleine) Strömung bewältigen kann, ist eigentlich schon Hybris. Wir sind da auf der einen Seite bescheidener, aber auf der anderen Seite gleichzeitig auch ambitionier­ter, zumindest in langfristiger Perspektive. Wir wollen zunächst mal einen Block (oder Bündnis) revolutionärer Gruppen, die sich auf programmatisch-methodologische Min­deststandards einigen (können). Aber lang­fristig halten wir es für notwendig, eine re­volutionäre Theorie zu entwickeln, die so­wohl den Klassenverhältnissen als auch dem/n Geschlechterverhätnis(sen) und dem Antirassismus (nicht zu vergessen die Öko­frage!) (zumindest annähernd) gerecht wird.

Im Moment ist ‚nur’ noch unklar, ob das drei (oder gar vier) Theorien werden oder ob es auch so etwas wie einen „integralen historischen Materialismus“ (der alles unter einen Hut bringt) geben könnte. Wir sind aber an diesem kleinen Problemchen schon dran ;)

Per Email am 6.3. durch den Autor.