Zentralafrikanische Republik (ZAR)
Zum vorläufigen Ausgang der Wahlen

von Bernard Schmid

03/2016

trend
onlinezeitung

Stand: 07. März 16 /  Seitdem wurden die Ergebnisse der PARLAMENTSwahl (nicht der Präsidentschaftswahl) erneut annulliert. Fortsetzung folgt

Ein in beträchtlichen Teilen kriegszerstörtes Land. Eine Republik, in der 72 Prozent der Krankenhäuser und Gesundheitszentren beschädigt oder zerstört wurden. Ein Land, in dem über zwanzig Prozent der Bevölkerung vertrieben wurden und als Binnenflüchtlinge im eigenen Land oder in den Nachbarländern Zuflucht fanden. Aber auch ein Staat, in dem die jüngsten Wahlen erstaunlich reibungslos abliefen und – nach Jahren der ethnisierten und konfessionalisierten Gewalt zwischen Bevölkerungsgruppen – zum Teil „sogar“ durch soziale Themen entschieden wurden.

Das wäre, in extrem vereinfachender Kurzfassung, ein Portrait der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) in der jüngsten Periode, nachdem vorige Woche die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vom 14. Februar offiziell bestätigt wurden. Zugleich befindet das Land sich derzeit zwischen den beiden Durchgängen der Parlamentswahlen, deren Stichwahlrunde noch aussteht. Wie prekär der augenblickliche Friedenszustand dort ist, zeigt jedoch das erneute Aufflammen von konfessionalisierter Gewalt seit dem Donnerstag voriger Woche in der Nähe von Bambari, im südlichen Zentrum des Landes. Es kostete mindestens 15 Menschen das Leben.

Das Land mit 4,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist potenziell reich, es weist Vorkommen von Uran, Gold und Diamanten auf. Doch die 1960 formal unabhängig gewordene Zentralafrikanische Republik wurde, wie andere frühere französische Kolonien der Region, Jahrzehnte hindurch von in erster Linie an Selbstbedienung orientierten Eliten regiert. Die Machtwechsel wurden oftmals von Paris aus kontrolliert oder gesteuert. 1965/66 kam der sich alsbald als größenwahnsinnig erweisende Präsident Jean-Bédel Bokassa mit französischer Hilfe an die Macht. Er krönte sich 1976 selbst zum Monarchen und rief das „Zentralafrikanische Kaiserreich“ aus. Bei einer französischen Militärintervention, der „Operation Barrakuda“, wurde er 1979 entmachtet, und die Interventionstruppen brachten seinen Nachfolger David Dacko (nein, nicht Dagobert Duck) gleich mit. In den folgenden Jahren kam es zu häufigeren Machtwechseln, die oft durch Putsche eingeleitet wurden.

Der letzte langjährige Präsident, François Bozizé, kam auf diese Weise 2003 an die Macht. Französische Kampfflugzeuge überflogen während seines Staatsstreichs die Hauptstadt Bangui und überwachten die Stellungen gegnerischer Verbände. Doch die bilateralen Beziehungen verschlechterten sich, nachdem 2007 Nicolas Sarkozy zum Amtsnachfolger Jacques Chiracs im Elysée-Palast gewählt worden war. Als im März 2013 eine bewaffnete Rebellion unter dem Namen Séléka den Präsidenten aus Bangui vertrieb – er flüchtete ins Nachbarland Kamerun -, ließ man diese in Paris gewähren. Die Séléka wurden unter anderem vom Regime im nördlichen Nachbarland Tschad protegiert, dessen Regime – seit 1990 wird das Land von Idriss Déby Itno auf autoritäre und mitunter blutige Weise geführt – besonders eng mit den französischen Interessen in der Region liiert ist. Doch die Séléka erwies sich alsbald als politisch wenig konsistente Organisation, die in plündernde und marodierende örtliche Gruppen zerfaserte.

Da jedoch der Tschad überwiegend muslimisch geprägt ist und da die Händler in Bangui, die die Séléka finanziell unterstützten, mehrheitlich aus dem muslimischen Norden und Nordwesten des Landes stammen, heizte sich der innenpolitische Konflikt ethnisch und konfessionell auf. Aus den mehrheitlich christlichen, zum Teil auch animistischen, Bevölkerungsgruppen heraus entstand eine Gegenmiliz unter dem Namen Anti-Balaka (ungefähr „Gegner mit der Machete“). Es kam zu eskalierenden Übergriffen auf Angehörige der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe, auf ethnischer und religiöser Basis.

Ab Anfang Dezember 2013 griff Frankreich mit der „Operation Sangaris“ offen militärisch ein. Laut den Worten von Außenminister Laurent Fabius ging es darum, „einen Genozid zu verhindern“. Dies dramatisierte das Geschehen, von Völkermord zu sprechen war jedoch falsch. Die Lage war dennoch dramatisch genug: Im Monat Dezember desselben Jahres starben 1.000 Menschen bei wechselseitiger Gewalt zwischen Bevölkerungsgruppen, und eine halbe Million waren im In- und Ausland auf der Flucht. Zum Teil verhinderte die Sangaris-Truppe – die damals bis zu 1.600 Soldaten umfasste, derzeit beträgt ihre Mannstärke noch 900, und durch eine UN-Truppe namens MINUSCA ergänzt wurde – Gewaltausbrüche als Puffertruppe. Auf der anderen Seite begünstigte ihre Präsenz wiederum an manchen Orten Gewaltexzesse, weil Mitglieder der „Anti-Balaka“ glaubten, das Eingreifen einer „christlichen Nation“ könne ja nur dazu dienen, sie selbst gegen „die Muslime“ zu stärken.

Im Laufe des Jahres 2014 klang die Gewalt in den meisten Zonen allmählich ab. Aber auch deswegen, weil Vertreibungen und faktische ethnisch-konfessionelle „Säuberungen“ in vielen Stadtteilen Fakten geschaffen haben und Einwohner der jeweils „falschen“ Zugehörigkeit massenhaft vertrieben wurden. Rund eine Million Menschen leben derzeit außerhalb ihrer Häuser; davon 460.000 in den Nachbarländern Kamerun, Tschad und Demokratische Republik Kongo. Im Juli 2015 waren 426.000 Menschen als Binnenflüchtlinge im eigenen Land registriert. In einem Text vom Donnerstag, den 03.03.2016 spricht die französische Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ jedoch von 450.0001. Seit dem 26. September 15 hatte eine neue Eskalation der Gewalt in der Hauptstadt Bangui stattgefunden. Was aber, wenn die Menschen eines Tages in ihre Wohnungen zurückkehren wollen?

In Bangui besteht derzeit nur noch ein von Muslimen bewohnter Stadtteil, „PK5“, der zugleich als Glücksspiel- und Amüsierviertel gilt. Dies deutet bereits darauf hin, dass die religiöse Dimension des Konflikts in Wirklichkeit eher eine imaginäre ist. Mitglieder des katholischen wie des muslimischen Klerus hatten in den letzten Jahren wiederholt, und oft gemeinsam, Aufrufe gegen die vordergründig „interkonfessionelle“ Gewalt veröffentlicht. Seit einem Abkommen vom 10. Mai 2015 hat wenigstens ein Entwaffnungs- und Kasernierungsprogramm für die bewaffneten Milizen der früheren Verbände Séléka und „Anti-Balaka“ begonnen, das jedoch nur stockend vorankommt. Von der Séléka spaltete sich vor anderthalb Jahren ferner die UPC („Union für Zentralafrika“) ab, die eher als politische Partei auftritt, örtlich – etwa in der in zwei Hälften gespalteten Stadt Bambari – aber auch in Gewalttaten verwickelt zu sein scheint.

Vor diesem Hintergrund schien es gewagt, Wahlen zu organisieren – ein Ziel, das durch die westlichen Großmächte bei Konflikten in Afrika oftmals als Allheilmittel dargestellt wird. Schon am 07. Dezember 2013, also zwei Tage nach dem Beginn der Sangaris-Intervention, hatte Frankreichs Präsident François Hollande die Abhaltung von Wahlen als kurz- bis mittelfristiges Ziel eingefordert. Doch wenn Länder aufgeteilt und zonenweise von bewaffneten Gruppen kontrolliert sind, wie im Winter 2010/11 in der Côte d’Ivoire, kann von echten Wahlen ebenso wenig die Rede sein, wie diese zur Deeskalation beitrügen, eher im Gegenteil.

Vor diesem Hintergrund verlief die Sache jedoch im Endeffekt erstaunlich gut. Am 30. Dezember 15 fand zunächst die erste Runde von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Letztere wurden annulliert, da manifeste Unregelmäßigkeiten festzustellen waren. Die Organisationsbedingungen waren oft katastrophal, aber dennoch zeigten sich die Einwohner teilnahmewillig, und vielerorts bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Jedes Anzeichen von „Normalisierung“ schien einem Großteil der Menschen recht zu kommen, die Wahlen zählen dazu.

Beim zweiten Wahlgang der Präsidentschaftwahl standen sich der unabhängige Kandidat Faustin-Archange Touadéra und der sich auf eine eigene Partei – die 2013 gegründete „Union für zentralafrikanische Erneuerung“ (URCA) – stützende Anicet-Georges Dologuélé gegenüber. Toudéra war von 2008 bis 13 der letzte Premierminister unter Präsident Bozizé gewesen und wurde unter der Hand durch einen Teil von dessen Partei, KNK (Kwa Na Kwa – „Arbeit, nichts als Arbeit“) unterstützt. Andere Teile der Formation verweigerten ihm jedoch die Unterstützung und insistieren vor allem auf die Rückkehr ihres Chefs, Bozizé, aus dem kamerunischen Exil. Dologuélé war seinerseits von 1999 bis 2001 Premierminister unter Präsident Ange-Félix Patassé gewesen.

Zwar hinterließ das Bozizé-Regime insgesamt bei Vielen eine negative Erinnerung. Doch Touadéra als Person wird zugleich in breiten Kreisen zugute gehalten, dass er im Gegensatz zu vielen seiner Regierungskollegen persönlich nicht korrupt gewesen sei. Auch in seinen hohen Staatsfunktionen fuhr er fort, Mathematik zu unterrichten - weil ein so gravierender Mangel an qualifiziertem Lehrpersonal herrsche, begründet er. Und er blieb im allgemeinen Gedächtnis als derjenige Regierungschef, unter dem die, oft geringen, Gehälter der Staatsbediensteten stets pünktlich bezahlt wurden. Er richtete regelmäßige Überweisungen dafür ein, deren Termine auch eingehalten wurden, währende andere Minister oder Regierungschef die Gehälter aus dem Staatsbudget oft hinterzogen und/oder mit mehrmonatigen Verspätungen auszahlen ließen.

Vor diesem Hintergrund präsentierte Touadéra, der anfänglich eher als Außenseiter der Wahl galt, sich als „Kandidat der Armen“ und prangerte die Korruption an. Dies funktioniert auch deswegen gut, weil sein Herausforderer Dologuélé vor allem als jemand in Erinnerung bleibt, in dessen Regierungszeit sich die Privatisierungspolitik zugunsten von einheimischen Reichen und ausländischen Investoren radikal verschärfte. Touadéra wurde zwar nicht nur durch die Armen unterstützt: Die französische Politik, die über einige Netzwerke im Land verfügt, schwenkte schließlich auf eine Unterstützung für ihn um, da man ihm eine relative Stabilisierung des Landes zutraute.

Der drittstärkste Kandidat im Dezember 2015 mit 12 Prozent, Désiré Nzdanga-Kolingba, Geschäftsmann und Sohn des früheren Präsidenten André Kolingba, unterstützte dagegen Dologuélé. Er hatte in der erste Runde mit 23,75 Prozent der Stimmen in Führung gelegen, Touadéra lag hinter ihm mit 19 Prozent. Am 14. Februar 16 siegte dann jedoch Touadéra in der Stichwahl mit offiziell 62,7 Prozent. Dologuélé sprach zunächst von Wahlbetrug zugunsten seines Gegenkandidaten, erkannte das Ergebnis dann jedoch an. Was die Parlamentswahlen betrifft, die Mitte Februar 2016 – nach ihrer anfänglichen Annullierung – erneut abgehalten wurden, so wurden bislang erst 45 von insgesamt 140 Sitzen verteilt. Eine offizielle Bestätigung der Resultate steht auch noch aus. Bislang zeigt sich eine zersplitterte Parteienlandschaft, doch die zweite Runde wird entscheidend sein.

Die Zukunft wirft weitere Fragen auf, denn Frankreich will die Sangaris-Truppe in diesem Jahr abziehen. Die UN-Truppe MINUSCA beträgt derzeit 10.000 Soldaten, doch nach wiederholten Fällen von Kindesvergewaltigungen durch Blauhelm-Soldaten – in der ZAR und im Nachbarland Demokratische Republik Kongo – ist ihre Präsenz sehr umstritten geworden. Es bleibt also abzuwarten, ob die Stabilisierung von Dauer sein wird.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten diesen Artikel für diese Ausgabe vom Autor.