Die Gewerkschaften in Frankreich
haben derzeit keine vielerorts besonders gute Presse.
Eine Umfrage des Instituts Odoxa, die am 28. Februar 16
durch die Sonntagszeitung Le Parisien dimanche
publiziert wurde, kam jedenfalls zu dem
Ergebnis – so besagte es die Überschrift, die daraus
gebastelt wurde -, 65 Prozent der Befragten hätten eine
negative Einstellung zu ihnen. Allerdings erklären
zugleich etwa 56 Prozent, sie hätten eine
„nützliche“ Aufgabe. Und eine Mehrheit
betrachtet die derzeit geplante Arbeitsrechts-„Reform“,
gegen die eine Mehrheit der französischen
Gewerkschaften gerade Sturm läuft, als
„fundamental negativ“ für die abhängig
Beschäftigten. Wahrscheinlich mischen sich einfach sehr
unterschiedliche Antwortmotive; und während manche
Befragte Gewerkschaften generell skeptisch sehen,
würden andere sich vielleicht eher andere und
durchsetzungsstärkere Gewerkschaften wünschen.
Die Umfrage
enthält jedoch noch ein anderes scheinbares Paradoxon.
Man hätte sicherlich vermutet, dass die Ergebnisse bei
SympathisantInnen der politischen Linken (im weiteren
Sinne) anders ausfallen als auf der Rechten. Dies ist
auch der Fall: 59 Prozent unter den Anhänger/inne/n der
Linksparteien, aber nur 19 Prozent von jenen der
konservativ-wirtschaftsliberalen Rechten haben demnach
ein positives Bild von den Gewerkschaften. Überraschend
wirkt jedoch, dass die Anhängerschaft des
rechtsextremen Front National dabei zwischen den beiden
Blöcken zu landen scheint. Dessen Wähler/innen sollen
demzufolge zu 30 Prozent eine positive und zu 69
Prozent eine negative Meinung zu den Gewerkschaften
haben – ein Ergebnis, das nuancierter ausfällt als bei
der bürgerlichen Rechten.
Doch es gibt
Erklärungen für diesen Befund – bei aller Vorsicht, die
man ansonsten generell gegenüber Umfragen und ihren
Ergebnissen walten lassen sollte. Tatsächlich weist die
extreme Rechte, zieht man etwa die Ergebnisse der
jüngsten Regionalparlamentswahlen vom Dezember 2015,
einen erheblichen „Unterklassenbauch“ in ihrer
Wählerschaft auf. Eine Ursache dafür liegt in dem
politischen Vakuum, das vor allem die französische
Sozialdemokratie in Teilen der Gesellschaft
hinterlassen hat, seitdem sie eine nach fast
allgemeinem Dafürhalten durch und durch
kapitalfreundliche Politik durchexerziert – wie es seit
ihrer Regierungsübernahme 2012 in der Grundtendenz,
verschärft jedoch seit dem „Pakt der Verantwortung“ von
Anfang 2014 der Fall ist.
Der zweite
Hauptgrund liegt darin, dass auch das Diskurs der
extremen Rechten in wirtschafts- und sozialpolitischen
Fragen sich verändert hat. In den 1980er Jahren war der
Front National noch eine agressiv neoliberale Partei,
die als ihre wirtschaftspolitischen Vorbilder explizit
Ronald Reagan und Margaret Thatcher bennante. Doch das
ist vorbei, denn in den frühen Neunziger Jahren
vollführte die Parteiführung einen radikalen
Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Ihr neuer
Diskurs kombinierte soziale Demagogie – Versprechen,
die allerdings nur an „die französischen Arbeiter“
unter Ausschluss der Migranten gerichtet wurden -,
Etatismus und die Behauptung, die zentrale Ursache
aller sozialen Probleme läge in der Globalisierung.
Letztere gehe zu Lasten der Nationen ebenso wie der
Arbeiter.
intergrund
für den scharfen Strategiewechsel und die Abkehr vom
Wirtschaftsliberalismus war die Erwartung
rechtsextremer Strategen, nach dem Fall der Berliner
Mauer und dem von ihnen behaupteten „Tod des Marxismus“
werde nunmehr der Platz der Systemopposition für die
extreme Rechte frei, da es links keinerlei echte
Alternative mehr gebe. Im Laufe der Jahre hat dieser
Diskurswechsel auch zu einem Austausch der
Wählerschichten geführt. Allerdings gerät diese
Orientierung derzeit innerhalb der extremen Rechten
wieder unter erheblichen Beschuss. Denn von Teilen des
FN wird heftig kritisiert, dass er etwa jeglichen
Brückenbau zu konservativen Bündnispartern verhindere,
die man jedoch benötige, um eines Tages mehrheitsfähig
zu werden. Vor allem seit einem „Strategieseminar“ der
Parteiführung vom ersten Februarwochenende werden
verstärkt wirtschaftsliberale Kurskorrekturen
eingefordert. Der Ausgang dieses Kräfteringens ist
derzeit noch unentschieden.
So zu tun,
als ob das Anwachsen der Stimmenanteile der extremen
Rechten – auf nunmehr 28,4 % im nationalen Durchschnitt
bei der Wahl im Dezember vorigen Jahres – sie nichts
angehe, kann sich unterdessen keine französische
Gewerkschaft erlauben. Denn längst ist ein solches
Stimmverhalten tatsächlich auch in ihrem eigenen
sozialen Umfeld angekommen. Wie bei jeder landesweit
stattfindenden Wahl in Frankreich, wurde auch bei der
im Dezember 2015 eine Umfrage über den Zusammenhang von
gewerkschaftlicher Orientierung und Stimmverhalten
durchgeführt. Wie immer gelten dabei die üblichen
Vorbehalte: Die erhobenen Daten über „Nähe zu einer
Gewerkschaft“ beruhen auf einer nicht näher
überprüfbaren Selbsterklärung der Befragung, d.h. auf
subjektiven Sympathieerklärungen und nicht auf einer
Messung objektiver Faktoren wie etwa einer
Mitgliedschaft. Dennoch besteht ein inhaltliches
Interesse an den Ergebnissen solcher Befragungen, da
diese sich im langjährigen Trend von den 1990er Jahren
bis heute untereinander vergleichen lassen, wobei sich
durchaus Tendenzen herausschälen.
Die Haupterkenntnis dabei lautet:
Schon seit zwanzig Jahren ist auch das Umfeld
französischer Gewerkschaften nicht vom Rechtswählen
verschont. Und eine fest Konstante dabei bleibt, dass
der politisch schillernd auftretende (drittstärkste)
Dachverband Force Ouvrière – FO, ungefähr
„Arbeiterkraft“-, dabei noch bei jeder Wahl deutlich in
Führung liegt. Das hat mit seiner Geschichte zu tun:
Als 1947/48 im Kalten Krieg entstandene Abspaltung von
der CGT wurde diese Organisation lange Zeit vor allem
mit dem, inhaltlich grob vereinfachenden, Adjektiv
„antikommunistisch“ identifiziert. Da die mit FO
ausgetretenen Strömungen aus der alten CGT aber
politisch unterschiedlich ausgerichtet waren, wahrt die
Organsation bis heute offiziell ein Prinzip
vordergründiger „politischer Neutralität“, was FO bis
heute davon abhält, Erklärungen gegen die extreme
Rechte wie die oben zitierte mitzutragen.
(ANMERKUNG: Der Name FO wird ohne Artikel benutzt.)
Schon 1995 lagen die FO-Sympathisant-inn-en unter
allen, die sich subjektiv „gewerkschaftsnah“ erklärten,
in Sachen Stimmangabe für den FN deutlich vorne, mit
damals 19 Prozent. Zwanzig Jahre später ist dieser Wert
nunmehr gar bei 34 Prozent angelangt.
Das wirklich
Neue dabei aber ist, dass seit den
Europaparlamentswahlen 2014 in Frankreich – und nunmehr
erneut auch bei den jüngsten Regionalwahlen – die
Stimmabgabe für die extreme Rechte auch bei erklärten
SympathisantInnen anderer Gewerkschaften sprunghaft
angewachsen ist. Bei denen, die von sich selbst angeben
oder behaupten, der CGT nahe zu stehen, sind es im
Dezember 2015 etwa 29 Prozent. Bei den abhängig
Beschäftigten, die sich „mit keiner Gewerkschaft“ auch
nur vage identifizieren möchten, sind es derselben
Umfrage zufolge übrigens 33 Prozent.
Die Gewerkschaften versuchen
gegenzusteuern. Etwa durch massive Bildungsarbeit zu
den mit der extremen Rechten. Oder durch eine
Anti-Rechts-Kampagne, die am 29. Januar 2014 mit einer
Großveranstaltung
im Pariser Gewerkschaftshaus begann. Seitdem wird sie
auf regionaler Ebene fortgeführt, auch mit
Veranstaltung in rechtsextrem regierten Städten, wie im
Mai vorigen Jahres in Béziers und im Oktober im
lothringischen Hayange. Die Mehrzahl der französischen
Gewerkschaften – nicht jedoch FO – schließt
Mitglieder aus, wenn sie sich erkennbar beim FN
betätigen. Gegen das ideologische Gift des Rassismus,
das die Partei verbreitet – das wissen die
Gewerkschaften – sind nicht alle ihrer Mitglieder
immun. Umso wichtiger bleibt die offensive
Auseinandersetzung mit ihr.
Editorischer Hinweis
Den Artikel
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Es handelt
sich um eine Langfassung, dessen gekürzte Fassung am
Freitag, den 11. März 16 redaktionell bearbeitet in
der Tageszeitung ,Neues Deutschland’ erschien.
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