Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

François Fillon mobilisiert die Radaukonservativen

03/2017

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Erst fällt Eisregen, dann hagelt es auch noch. Doch die versammelten Radaukonservativen, deren Altersdurchschnitt eher im höheren Bereich liegt, harren eisern aus. Viele von ihnen sind von außerhalb angereist, aus allen Ecken Frankreichs; in den Métrozügen sah man sie an den Bahnhöfen Gare du Nord, Gare de l'Est oder Gare Saint-Lazare zusteigen, bewaffnet mit ihren blau-weiß-roten Fähnchen. Weitere Winkelemente in den Nationalfarben der Trikolore werden auf dem Platz verteilt, wo Ordnerinnen und Ordner sie in Hunderterbündeln bereit halten.

Am vergangenen Sonntag (den 05. März 17) in Paris ist eine Schaubühne auf dem Trocadéro-Platz aufgebaut, mit Blick auf den Eiffelturm, den jedoch dunkle Wolken verhängen. 35.000 bis maximal 40.000 Menschen fasst der Platz, der tatsächlich voll wird, laut polizeilichen Angaben. Die Organisatoren werden jedoch hinterher von angeblichen 200.000 Teilnehmenden sprechen. Heute sind sie gekommen, um dem zuzujubeln, der trotz Justizermittlungen in Sachen Korruption und Unterschlagung öffentlicher Gelder in Höhe einer knappen Million Euro ihr Idol bleibt: François Fillon, im November nominierter Präsidentschaftskandidat der französischen Konservativen. Die Vorredner machen es kurz, danach wird Fillon eine gute halbe Stunde zu seinen Fans sprechen. Kaum hat er seine Ansprache beendet, reißt für kurze Zeit der Himmel auf und lässt die Sonne durch, auch wenn es nicht lange vorhält. Ein Symbol für manche der Anwesenden.

Einige von ihnen sind demofest und waren, ausweilich ihrer Aufkleber und Buttons, in mehr oder weniger massiver Zahl an der Straßenmobilisierung gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare in den Jahren 2012 bis 2014 beteiligt. François Fillon spricht den "identitären Konservativen" - ein Ausdruck, den die bürgerliche Presse in Frankreich in den letzten Monaten verstärkt aufgreift - aus der Saal. Er sagt seinem Publikum: "Ihr seid das Frankreich der Bauern, das Frankreich der Kathedralen, das Frankreich der Schlösser, das Frankreich der Sansculotten. Das Frankreich der zwanzigjähren Helden der Résistance." Das kommt gut an, auch wenn Fillon sich dabei - dem von ihm geprägten Ausdruck vom roman national als dem Geschichtsbild, das gefälligst künftig vom Schulunterricht vermittelt werden solle, treu bleibend - auf widersprüchlich und oft gegeneinander agierende gesellschaftliche Kräfte gleichzeitig bezieht. Darauf kommt erst bei ihm nicht an, soll das Ganze doch wie ein Abziehbild einer ebenso glorreichen wie vermeintlich weitgehend widerspruchsfreien Nationalgeschichte wirken.

Ex-Präsident Nicolas Sarkozy hatte es vorgemacht, doch ihm nehmen viele Konservative es längst nicht mehr ab, dass er es mit seinen Überzeugungen auch erst meinte. Fillon, der fünf Jahre lang Sarkozys Premierminister war, wirkte weniger bling-bling, also weniger als neureicher Angeber und dafür seriöser. Dies begründete seinen Erfolg bei der konservativen Basis. Nun wird er vor allem durch die aus der Bewegung gegen die Homosexuellenehe hervor gegangene Gruppierung Sens commun (ungefähr: "Gemeinsinn"), die der stärksten konservativen Partei Les Républicains (LR) als Mitgliedsorganisation angegliedert ist, unterstützt. Nachdem Fillons Basis zusammenschnurrte, weil dummerweise herauskam, dass er durch die formale Einstellung von Familienmitgliedern als parlamentarische Mitarbeiter mehrere Hunderttausend Euro für mutmaßlich nicht existierende Arbeitstätigkeiten zweckentfremdete, bleibt er auf diese Basis angewiesen. Manche sehen ihn inzwischen sogar als ihre politische Geisel.

Sens commun, die zwischen 6.000 und 9.000 Aktive auf die Beine bringen dürfte, stellt inzwischen jedenfalls das organisatorische Rückgrat der Pro-Fillon-Kampagne dar. Und ihr Gewicht wird inzwischen wiederum als drohendes Argument eingesetzt: "Wo würden ihre Anhänger denn hingehen, falls François Fillon nicht mehr Kandidat der bürgerlichen Rechten wäre? Alain Juppé würden sie jedenfalls nicht wählen, vielmehr würden sie in Scharen zum Front National überlaufen." So lautet die Argumentation, die durch Fillons Berater nun auf und ab quer durch die Presse wiederholt wird. Juppé, früher einmal Premierminister in den Jahren 1995 bis 1997 und zuletzt Außenminister unter Sarkozy, wurde am 27. November vorigen Jahres durch Fillon bei den Vorwahlen im konservativen Lager mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit geschlagen. Infolge der Betrugsvorwürfe gegen Fillon wurde er wieder als potenzieller Ersatzkandidat ins Gespräch gebracht. Am Montag dieser Woche verzichtete Juppé endgültig auf das Angebot, das von verschiedener Seite an ihn herangetragen wurde. Zur Begründung führte er bei einer Pressekonferenz unter anderem an, aufgrund seines Alters stehe er nicht für eine glaubwürdige Erneuerung - "Es ist zu spät" -, fügte aber auch kritisch hinzu: "Der harte Kern der LR-Aktiven hat sich radikalisiert."

Unter den radikalisierten Konservativen, die am Sonntag auf dem Trocadéro-Platz für ihren starken Mann demonstrieren, besteht bei Vielen jedenfalls kein Hauch eines Zweifels: Alain Juppé ist kein Parteifreund, sondern ein ideologischer Gegner. "Soll Juppé doch den Abgang machen und zu Macron gehen!", also zu dem linksliberal auftretenden Ex-Wirtschaftsminister François Hollandes, ist aus der Menge zu tören. Beifall ist in ihren Reihen am stärksten und lautesten zu hören, als Fillon auf die staatspolitischen Anforderungen der kommenden Präsidentschaft zu sprechen kommt: Die Armee gilt es zu stärken. Er fügt hinzu, den islamistischen Terrorismus gelte es zu bekämpfen. "Einwanderung auf Null reduzieren!" ertönt an mehreren Stellen dazu aus der Menge. Die Botschaft wurde verstanden: Es handelt sich vermeintlich um ein Ausländerproblem.

Seit der Sarkozy-Ära, zu deren Anfang 2007 ein "Ministerium für Einwanderung und nationale Identität" eingerichtet wurde - es ist seit 2011 wieder abgeschafft - und in deren Verlauf eine staatsoffizielle "Debatte über nationale Identität" mit Veranstaltungen in 350 Städten organisiert wurde, haben sich Teile der französischen Konservativen beträchtlich ideologisch radikalisiert. Dies lässt eventuelle künftige Bündnisse möglich erscheinen. Allerdings steht dabei vor allem die Ausrichtung des jeweiligen Diskurses in Sachen Sozial- und Wirtschaftspolitik im Wege: Die Mehrheit im konservativen Lager steht für eine Option des brutalen wirtschaftsliberalen "Durchreformierens", Fillon bezieht sich gar explizit positiv auf Margaret Thatcher.

Dagegen wendet der FN sich eher an die sozial Enttäuschten, Deklassierten und Frustrierten und attackiert verbal die Folgen neoliberaler Politik. Als Rezept hat er die Idee anzubieten, dass das Ausland und die Ausländer schon bezahlen würden. So soll ein EU-Austritt Frankreich, das angeblich in die Union mehr einzahlt als herausbekommt, sanieren. Diesbezüglich hat Marine Le Pen, die im vergangenen Jahren in Sachen Propagierung eines Euro-Austritts zu zögern schien, ihre Positionen vereindeutigt. Es gelte, "mit der EU Schluss zu machen", rief sie bei einer Konferenz zu ihrer außenpolitischen Orientierung am 23. Februar auf. Bei der Vorstellung ihrer Konzeptionen zur internationalen Politik saßen laut Angaben ihrer Berater Diplomaten aus 42 Ländern im Saal, darunter Vertreter aus den USA und China. Die Botschafter Kubas, Saudi-Arabiens, Kambodschas, Vietnams und Taiwan waren selber gekommen. Bei einigen dieser Staaten gilt möglicherweise, das der Feind des langjährigen Feindes USA zumindest interessant sein muss - sicherlich nicht in den Fällen Saudi-Arabiens und Taiwans, wo eher der historisch tief verwurzelte Antikommunismus den FN als nicht so schlimm erscheinen lässt.

Auch der FN hat Justizermittlungen am Hals. Dabei geht es insbesondere um den anhaltenden Betrugsvorwurf betreffend die Beschäftigung von "parlamentarischen Beratern" im Europaparlament, die in Wirklichkeit ausschließlich inländische FUnktionen für die rechtsextreme Partei ausübten - praktisch für die ermittelnden Behörden ist dabei, dass am Parteisitz des FN in Nanterre bei Paris die Arfbeitszeit der Angestellten elektronisch genau erfasst wurde. So war erkennbar, wer wirklich in Brüssel oder Strasbourg gewesen sein könnte, und wer dagegen nachweisbar nur in Nanterre tätig war. 340.000 Euro an sofortigen Rückzahlungen fordert die EU-Parlamentsverwaltung vom Front National, und die französische Justiz lud Marine Le Pen mehrfach vor, um sie zur Sache zu vernehmen. Vergeblich, denn die FN-Chefin verweigerte sich dem offensiv. Bis nach den Wahlen, erklärte sie, werde sie keinerlei Vorladung Folge leisten.

Bei einer Großveranstaltung am 26. Februar 17 im westfranzösischen Nantes - die von militanten antifaschistischen Aktionen begleitet war - schlug sie schärfere Töne an. Sie warnte "Beamte", gemeint waren Justizbedienstete und Richter, davor, angeblich "illegalen Anordnungen" der Regierenden gegen ihre heutigen Opponenten - welche miundtot gemacht werden sollten - Folge zu leisten. Ansonsten drohten sie, unter einer künftigen "nationalen" Regierung, selbst mit Strafverfolgungen belegt zu werden. Anfang dieser Woche kündigte Marine Le Pen ferner an, antifaschistische Gruppierungen zu "verbieten".

Auch François Fillons Kundgebung sollte sich ursprünglich klar gegen die Justiz richten. Eine Demo "gegen den Staatsstreich der Richter" hatte das zwischen Konservativen und Rechtsextremen angesiedelte Magazin Valeurs Actuelles - das Fillon unterstützt, aber auch dem FN stets ein Forum bietet - angekündigt. Das ging einigen bürgerlichen Rechten zu weit, die einen Angriff auf die Institutionen des bürgerlichen Staates fürchteten. Der Negativbezug auf die Richter wurde kurzfristig aus den Aufrufen entfernt. Doch das gemeinsam empfundene Leid könnte radikalisierte Konservative und radikale Rechte aneinander annähern.

 

Editorische Hinweise

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