Einige Anmerkungen zur „Strategiedebatte“ der LINKEN und was wir von La France Insoumise nicht lernen sollten

von Manfred Müller

03/2018

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Angesichts des anstehenden Parteitags der LINKEN im Juni des Jahres und der doch bemerkenswerten Vorgänge um eine Regierungsbildung in einem der führenden Länder Europas machen der Ruf nach einer Strategiedebatte und hierbei besonders um dem Begriff der „Sammlungsbewegungen“ die Runde innerhalb von Teilen der LINKEN. Für die mehrheitlich parlaments-orientierte Linke macht das auch Sinn, denn ihre „Machtoption“ einer rot-rot-grünen Bundesregierung schwand mit den neusten Entwicklungen dahin. Ein Verbleib im 10 % Ghetto auf unbestimmte Zeit kann nicht hingenommen werden.

Andere - scheinbar Gleichgesinnte in Europa- gingen neue Wege.Weg von den tradierten Parteistrukturen,hin zur „Sammlungsbewegung“. Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, Corbyn in Großbritannien, Bernie Sanders in den USA und nicht zuletzt Jean Luc Mélenchon aus Frankreich, weisen in diese Richtung.Den ideologichen Hintergrund bilden dabei die „postmarxistischen“ Überlegungen von Ernest Laclau und Chantal Mouffe in Zusammenhang mit einer vermeintlich zeitgemäßen Interpretation von Gramcis „ kultureller Hegemonietheorie“. Als „Linkspopulismus“ wird im Allgemeinen die daraus erwachsene politische Praxis genannt. Verkürzt dargestellt wird dabei aus der Arbeiterklasse „die da unten“, „das Volk“, „die Massen“ und aus der Bourgeoisie, „die da oben“ ,“die Oligarchie“, „das Finanzkapital“ also der „Feind“, der jeglichem gesellschaftlichen Fortschritt im Wege steht.

Betrachtet man sich nun die Wahlsysteme Griechenlands, Spaniens,Großbritanniens den USA und Frankreichs fällt auf, dass sie alle sehr“besonders“ sind und in den meisten Fällen auf dem Prinzip der „Mehrheitswahl“ basieren. Was die europäischen Länder angeht, sind sie zudem Ausdruck des Stands der Klassenkämpfe nach dem 2.Weltkrieg und folgenden kalten Kriegszeit bzw. der Nach.-Diktaturzeit in Griechenland und in Spanien.In allen Fällen wurden sie jedoch so ausgestaltet, dass es kommunistischen Parteien verunmöglicht werden sollte, parlamentarische Mehrheiten zu erringen.Wenn nun aber die Anwesenheit linker bzw. kommunistischer Parteien ein wichtiger, wenn nicht entscheidender Punkt in der Umsetzung von „ Machtoptionen“ für deren Mitglieder und Anhängerschaft bedeutet, ist man gezwungen Umwege zu gehen oder Kompromisse einzugehen.

Für kleine Gruppen konnte dies der Eintritt in eine sozialistische Partei (sog.Entrismus) sein; für größere Parteien, wie die beispielsweisedie französische KP, bedeutete dies Absprachen der gegenseitigen Unterstützung - vorwiegend mit der SP - auf Wahlkreisebene. Verhältnisse also, die sich mit denen in Deutschland nicht vergleichen lassen.

19,6%!

oder 7.059.951 Stimmen erzielte Jean Luc Mélenchon von La Franche Insoumise (das unbeugsame Frankreich; im folgenden LFI) im ersten Wahlgang bei den französischen Präsidentschaftswahlen

2017. Ein solches Ergebnis in einem weiteren Kernland Europas lässt nicht nur aufhorchen, sondern veranlasst auch, genauer hinzuschauen. Diesem Ergebnis voran ging selbstverständlich ein längerer Formierungsprozess der von der Gründung der Parti de Gauche über das Bündnis mit der KPF und anderen in der Front de Gauche, schließlich zum Projekt LFI führte.Nach einigem Hin und Her und einer knapp ausgegangenen Abstimmung unter Mitgliedschaft, unterstützte auch die KPF die Kandidatur Mélenchons.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich eine Präsidentschaftswahl um die Person der Kandidatin oder Kandidaten zentriert. Mélenchon füllte tatsächlich die Säle und Plätze. LFI legte ein Sofortprogramm vor , dessen erste und zentrale Forderung die Gründung der 6. französischen Republik war. Damit trafen sie wohl den Nerv breiter Schichten der Bevölkerung, die die „Präsidaldemokratie“ der 5.Republik für undemokratisch hielten. In diesem Sinne legte LFI einen detaillierten Plan zur Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung vor, in der alle Schichten der Bevölkerung vertreten sein sollten, aber keinesfalls die Abgeordneten der derzeitigen Nationalversammlung.

Wenn es um die Frage der Verfassung geht, könnte man in Frankreich als Linker auf die naheliegende Idee kommen, das basisdemokratischen Experiment, die Rätedemokratie, der Pariser Kommune neu zu thematisieren. Doch im dialektischem Widerspiel mutieren „Postmarxisten“ zu Prämarxisten und beziehen sich stattdessen auf die bürgerliche Revolution von 1789.

In der Symbolik, der „Corporate Identity“, sowie in der Choreographie der Massenversammlungen, wurde jeder Bezug zur Arbeiter*innenbewegung vermieden. Aus Hammer und Sichel oder der roten Nelke wurde das PHI in verwaschenem Magenta, das lautspielerisch an die Abkürzung FI erinnern sollte, rote Fahnen oder die von unterstützenden Organisationen waren verpönt, stattdessen sollte die französische Flagge gezeigt werden, statt der „Internationale“ schmetterte man die Marseillaise, Honoratioren, die stolz ihre weiß-blau-roten Schärpen trugen und die rote phrygische Mütze mit Kokarde der Jakobiner rundeten das Bild ab. Einen Eindruck vermittelt folgender Youtube-Schnipsel: https://www.youtube.com/watch?v=JeXZwEIxMus

Ja, er zeigt viele hoffnungsvolle Menschen auf der Demonstration der 130.000 in Paris. Aber er zeigt auch die Miene eines „Bonaparte“, der unter Präsident,Präsident-Rufen von der Bühne abtritt.

Mit den erzielten 19,6 % erreichte er Platz 4 der Kandidat*innenliste und schied damit für den endgültigen show down aus.

In Zusammenhang mit Form und Inhalt der Kampagne lassen sich für Deutschland, abgesehen von einigen Details in der Nutzung sozialer Medien, keine Lehren ziehen. Die Deutschen wählen ihre Präsidenten nicht direkt und sie haben es versäumt, ihre Fürsten zu köpfen. Was ihren “Patriotismus“ angeht sollten sie ihre Fähnchen, angesichts der damit verbundenen unsäglichen Geschichte, mal schön in der Schublade lassen.

Programmatische Irrwege: “verkürzte Kapitalismuskritik“ gepaart mit „La France first“

Aber es ging ja nicht nur um die Päsidentschaftswahl, sondern auch um die 4 Wochen später stattfindenden Wahlen zur Nationalversammlung. Diesmal marschierten LFI und KPF getrennt.

Das Brüsseler Büro der Rosa Luxemburgstiftung veröffentlichte gerade eine recht umfangreiche Zusammenschau zum „außerordentlichen Erfolg der Linken“ in Frankreich von Peter Wahl. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studie_Wahl_LFI-DE.pdf

Wenn Peter Wahl zum Programm von LFI dort schreibt:

Das Programm von LFI unterscheidet sich über weite Passagen wenig von dem anderer linker Organisationen, wie sie z.B. im Zusammenschluss der europäischen Linksparteien zusammenarbeiten. Vor allem in den Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber auch in der Kritik am Finanzkapitalismus und dem Widerstand gegen Privatisierungen und Freihandelsabkommen konvergiert das Programm mit dem, was dort im Großen und Ganzen Konsens ist."

so ist dem zu widersprechen.

(In Folgendem beziehe ich mich auf den Text: „programm3minutes“ - Zitate beruhen auf eigenen Übersetzungen)

Es würde den Rahmen des Artikels sprengen nun alle Kapitel des Programms einer kritischen Würdigung zu unterziehen und natürlich finden sich hier viele Sofortforderungen,die richtig, beachtenswert und für die ein oder andere Anregung dienen können.

Selbstverständlich finden Linke aus Deutschland die Forderung nach dem Ausstieg Frankreichs aus der Kernkrafttechnologie, einschließlich der sofortigen Schließung des maroden Reaktors Fessenheim gut. Verständlich, dass nicht nur das attac-Mitglied Peter Wahl die Einführung einer Transaktionssteuer begrüßt, interessant sind die Vorschläge zur Wende in der Agrarpolitik z.B. die Forderung nach dem Verbot von Massentierhaltung. Aber mir ist kein Programm einer Partei links von der Sozialdemokratie bekannt, dass so konsequent die Methodik verkürzter Kapitalismuskritik bis in die letzte Zeile ihrer Programmatik umsetzt wie LFI.

Neben die schon beschriebene besondere Symbolik und Methoden des „linkspopulistisch ausgerichteten Kampfes um die „kulturelle Hegemonie“, tritt programmatisch der Kampf gegen das „Finanzkapital“

So heißt es unter Punkt 5 des Programms:

Für eine Wirtschaft,befreit vom Finanzkapital !
Anstatt das Finanzkapital zu bekämpfen halfen Hollande und Valls ihm, die Realwirtschaft zu plündern.Das Aktionärseinkommen in Frankreich ist das höchste in Europa. Finanzblasen bedrohen unsere Jobs. Wir müssen die Realwirtschaft vor dem Finanzkapital schützen!“

Desweiteren wird ausgeführt, dass Spekulationen gestoppt werden sollen.

Dazu gehören eine Neuordnung des Bankenwesens, in welchem spekulierende Investmentbanken von kreditgebenden Banken, die der Privatwirtschaft helfen, getrennt werden sollen. Flankiert wird dies durch Forderungen, wie einer Transaktionssteuer der Senkung von Bankgebühren, der Kontrolle der Finanzströme mit dem Ziel Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu verhindern.

Die Einkünfte der Manager sollen auf das 20fache des Durchschnittseinkommens der Arbeitnehmer*innen begrenzt, die „exorbitanten Einkünfte“ der Großaktionäre überwacht werden.

Schlussendlich soll den Beschäftigten einer Firma, die verkauft werden soll, ein Vorkaufsrecht eingeräumt werden.

Frankreich ist nicht unbedingt als Land der „Sozialpartnerschaft“, "Mitbestimmung“, "Betriebsverfassung“ oder „Einheitsgewerkschaft“ bekannt. Dies erklärt einerseits die Radikalität von Arbeitskämpfen, wenn sie denn einmal stattfinden und die Tatsache, dass vieles, was in Deutschland im Rahmen der Tarifautonomie von den „Sozialpartnern“ ausgehandelt wird, in Frankreich durch Gesetz geregelt werden muss. Nun sollte man annehmen, dass eine linke Sammlungsbewegung die Gelegenheit nutzt, Forderungen zu entwickeln, die die Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen innerbetrieblich stärken. Hier bleibt LFI merkwürdig zurückhaltend.

Unter dem Punkt 2 des Kurzprogramms lesen wir:

Für neue Rechte in den Unternehmen!“

Dort wird pflichtgemäß gefordert, die Macht des Finanzkapitals zu brechen und den Einfluss der Aktionäre zu begrenzen. Alsdann soll die „Staatsbürgerlichkeit“ Einzug in die Unternehmen halten, was auf die gesetzliche Regelung innerbetrieblicher Demokratie hinweist, die in Frankreich weitgehend unbekannt ist.Näher ausgeführt wird dies jedoch nicht.

Die folgende Forderungsstruktur fällt dann rein defensiv aus.

Entlassungen die erfolgen ,um den Börsenwert eines Unternehmens zu steigern sollen „gestoppt“ werden.

Belegschaften von Unternehmen, die pleite gegangen sind, soll ein „Vorkaufsrecht“ zum Erwerb des Unternehmens eingeräumt werden, um es dann auf Basis einer Genossenschaft weiterzuführen.

Die Zahlung von Dividenden von Firmen, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind sollen verboten werden.

Bei Plänen des Managements, besonders bei Entlassungen soll den Mitarbeiter ein aufschiebendes Vetorecht eingeräumt werden.
 

10% Arbeitslosigkeit! 6 Millionen arbeitslose Arbeitnehmer.“

Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit tritt neben das -allerdings wohlbekannte- Bündel von Arbeitsplatz schaffenden Maßnahmen ( Investitionsprogramm von 100 Mrd. Euro zur Schaffung von Arbeitsplätzen in „Aktivitäten von nationalem Interesse“, Energiewende, Verkürzung der Arbeitszeit, Entwicklung einer ökologischen Landwirtschaft) ein neuer Begriff, nämlich der des

solidarischen Protektionismus“.

So heißt es unter Punkt 6 des Kurzprogramms:

Eine Politik der Schaffung neuer Arbeitsplätze, Schutz der Arbeitnehmer durch Förderung der Produktion in Frankreich.“

Um dies zu erreichen, sollen alle einschlägigen Freihandelsabkommen (mit den USA und Kanada) und Einschränkungen durch die EU(Dienstleistungen) gekündigt oder missachtet werden.

Gefordert werden auch Maßnahmen zur Rettung strategischer Industrien wie Stahl und Photovoltaik.

An anderer Stelle finden wir die einzige Forderung nach einer„ Nationalisierung“ im Programm, nämlich der von dem US-Konzern General Electric übernommene Sparte „maritime Energiegewinnung“ des französischen Alstom-Konzerns.

Neben die „verkürzte Kapitalismuskritik, tritt die „globalisierungskritische“ Betonung des Nationalstaats, an dessen Grenzen wieder die Warenströme, die Finanzströme und auch die Migration kontrolliert werden sollen. Nationalstaaten schließen Verträge mit anderen Nationalstaaten und wenn diese der nationalstaatlich verfassten Wirtschaft nicht förderlich sind, sollen sie auch gekündigt werden. Neben den bereits erwähnten Freihandelsabkommen, gehören dazu die EU, die neu begründet werden soll, der Austritt aus der NATO, Beitritt zu der BRICS-Gruppe und so weiter und so fort.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Sammlungsbewegung dem französischen Kapital jedenfalls mit ihren programmatische Forderungen nicht weh tun wird.

Was von den Sammlungsbewegungsbeeindruckten geflissentlich übersehen wird, ist das Wahlergebnis der Nationalratswahlen bei der die LFI im ersten Wahlgang am 11.06.2017 bis auf einige Ausnahmen flächendeckend antrat.

Wahlberechtigte: 47.571.492
abgegebene Stimmen:
23.171.052 = 48,71 %
LFI:
2.497.636 = 11,02 %

Eine Stabilisierung des Ergebnisses aus der Präsidentschaftswahl lässt sich jedenfalls hier noch nicht ablesen.

Wenig später erzielte die LINKE bei den Bundestagswahlen vom 24.09.2017 folgendes Ergebnis

Wahlberechtigte: 61.688.485
abgegebene Stimmen: 46.976.341 = 76,2 %

Die LINKE : 4.297.270
oder 9,2 % der Zweitstimmen

Angesichts dieser Ergebnisse stellt sich die Frage, ob die LINKE in Form und Inhalt nun viel von LFI zu lernen oder zu ändern hätte.

Der anfangs zitierte Text von Peter Wahl behandelt diese Frage auch nur sehr kurz und endet mit den Sätzen:

Man kann es nur noch einmal unterstreichen: Politischer Erfolg ist das Resultat einer komplexen Dialektik zwischen „objektiven“ Rahmenbedingungen und der „subjektiven“ Fähigkeit, darauf adäquat reagieren zu können. Trotz Globalisierung und trotz des Integrationsprozesses in der EU gilt für beides, dass sie in Deutschland und Frankreich viel zu verschieden sind, als dass sie zu mehr als zur „Inspirationsquelle“ taugten. Um die Entwicklung einer eigenen, auf die deutsche Situation zugeschnittenen Strategie kommt die deutsche Linke nicht herum. Freilich muss man das erst einmal wollen und in Angriff nehmen. In diesem Punkt zumindest kann man dann doch etwas von La France Insoumise lernen.“

Die große strategische Leerstelle der LINKEN stellt ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften im Allgemeinen und insbesondere zur sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie dar. Solange es der LINKEN nicht gelingt, in den Betrieben und den Gewerkschaften als identifizierbare gesellschaftliche Opposition sichtbar zu werden und entsprechend in die betrieblichen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen einzugreifen, endet jede Debatte um „Sammlungsbewegungen“ oder „Machtoptionen“ zwangsläufig in der nächsten Sackgasse oder Spaltung.

Köln, 26.02.2018

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.