Das Erhard Märchen
Uwe Fuhrmann: Die Entstehung der sozialen Marktwirtschaft 1948/49

rezenziert von Max Brym

03/2019

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Der UVK Verlag Konstanz und München brachte letztes Jahr ein Buch von Uwe Fuhrmann unter dem Titel „ Die Entstehung der sozialen Marktwirtschaft 1948/49“ heraus. Der Buchtitel könnte suggerieren, dass es sich um einen neuerlichen Lobgesang auf Ludwig Erhard und die Schule der Ordoliberalen handeln könnte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Genau und Faktenreich stellt der Autor die Klassenkämpfe in den westlichen Besatzungszonen dar. Im Rahmen einer Dispositivanalyse wird festgehalten, wie sich erst unter dem Widerstand der Arbeiterklasse, der Begriff von der sozialen Marktwirtschaft entwickelte. Ludwig Erhard sprach erst nach dem letzten deutschen Generalstreik am 12. November 1948 von der sozialen Marktwirtschaft.

Lehrreich ist das Buch bezüglich der breiten Darstellung der antikapitalistischen Grundstimmung nach der Niederlage des deutschen Faschismus. Selbst die CDU sprach in ihrem Ahlener Programm davon, „dass der Kapitalismus überwunden werden müsste“. In vielen Landesverfassungen ist von Enteignungen und Mitbestimmung die Rede. Gerade die Arbeiter verlangten die Beseitigung der „ Nazikapitalisten“. Die Gewerkschaftsführung hingegen sprach nur von „ Mitbestimmung“ und „ Wirtschaftsdemokratie“. Der nachgezeichnete Widerstand der Arbeiter und Arbeiterinnen gegen die Weiterführung des Kapitalismus, widerlegt das Märchen von der Kollektivschuld der Deutschen. Der Autor stellt immer wieder die Klassenfrage.

Der Wirtschaftsdirektor in der Bizone Ludwig Erhard und seine großkapitalistischen Hintermänner führten am 20 Juni 1948 die Währungsreform durch. Die Preise wurden freigegeben aber am geltenden Lohnstopp festgehalten. Sparguthaben wurden mit 1:10 enteignet. Angeblich hatte jeder Deutsche nur 40 Mark erhalten. Der Autor widerlegt diese Lüge aus dem bundesdeutschen Sozialkundeunterricht. Aktien wurden mit 1:1 umgetauscht. Das fixe Anlagevermögen der Kapitalisten lag rund 6 mal so hoch wie im Jahr 1936. Die alliierten Bomben im zweiten Weltkrieg hatten in den westlichen Zonen im wesentlichen Wohngebiete und Straßenverkehrsverbindungen getroffen. Das deutsche Kapital hat mit der Währungsreform ökonomisch doch noch den Krieg gewonnen. Nach der Währungsreform waren plötzlich die Schaufenster mit Waren gefüllt. Die Preise vor allem für Güter des täglichen Bedarfs explodierten. Fast überall in Deutschland kam es zu spontanen und wütenden Protesten. Diese beschreibt der Autor von Berchtesgaden bis Flensburg. Besonders die explodierenden Eierpreise erregten die Gemüter. Erhard und sein Stab lehnten jede Form von Preisregulierung ab. Sie wollten nicht zurück zur sogenannten „ Zwangsbewirtschaftung“. Die Proteste wurden jedoch immer stärker. Vor allem in Stuttgart kam es am 28. Oktober 1948 nach einer Kundgebung der Gewerkschaft zu wilden Ausschreitungen. Geschäfte wurden geplündert, es kam zu Strassenschlachten mit der Polizei. Die Gewerkschaften beschlossen daraufhin am 12. November einen Generalstreik in der Bizone durchzuführen. Der eintägige Streik wurde massiv befolgt. Jedoch war es kein politischer Angriffsstreik wie Lucy Redler in ihrer Arbeit dazu schreibt. Der Autor Uwe Fuhrmann weißt nach, dass es sich um eine Art von „Kooperationsangebot der Gewerkschaften“ an die Bourgeoisie handelte. An diesem Tag fanden keine gewerkschaftlichen Kundgebungen statt. Es gab keine Streikposten sowie keinerlei Urabstimmung. Der Autor weißt daraufhin, dass eine Urabstimmung dazu hätte führen können den Streik weiterzuführen und ihn zu politisieren. Nach den Unruhen und dem Generalstreik musste Erhard jedoch Zugeständnisse machen. Es wurde u.a. das „ Jedermann Programm“ aufgelegt. Das Programm setzte wieder Preise staatlich fest und regelte die Rohstoffzufuhr für die Teile des Kapitals welche eine Zeitlang mit festen Preisen speziell im Ernährungswesen und bei der Herstellung von Textilien leben konnten. Erst nach dem Generalstreik setzte sich der Begriff der „ Sozialen Marktwirtschaft“ erfunden von dem Sozialdemokraten Leonhard Miksch gegen Erhard durch. Die Zugeständnisse des Kapitals waren Ausdruck der Kampfbereitschaft der Arbeiterschaft. Erhard war also nicht der Erfinder des sozialen Kompromisses. Die Systemkonkurrenz, die Gegenmacht zur Herrschaft des Kapitals brachten dies zuwege. Das Buch ist sehr zu empfehlen, es ist voll mit Fakten bietet viele wertvolle Erkenntnisse obwohl es nicht immer leicht zu lesen ist.
 



Uwe Fuhrmann
Die Entstehung der »Sozialen Marktwirtschaft« 1948/49
Eine historische Dispositivanalyse

 

eBook
Narr Francke Attempto Verlag

364 Seiten

35,99 € inkl. Steuer


Quelle: Zusendung durch den Autor am 2.3.2019