Kropfiges zur deutschen Novemberrevolution 1918/19
Kurzkritik einer Buchneuerscheinung

von Richard Albrecht

03/2019

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Im Zusammenhang mit der Publikationswelle hundert Jahre später erschien auch im Neue Impulse Verlag ein 295-Seiten-Band zur deutschen Novemberrevolution 1918/19 mit dem im Untertitel ausgedrückten Anspruch: Ereignis – Deutung – Bedeutung.

Formal liegt der Sammelband mit seinen neun Beiträgen von neun Autoren gut in der Hand: Der Verlagsdanksagung und dem Hg.-Vorwort folgen neun Beiträge von neun Autoren, darunter einem zur "österreichischen Revolution" (2008). Angehängt sind Abkürzungen, Autoren, Register. Zwei Aufsätze von Studies zu "Novemberrevolution und Räterepublik in Bremen" (Gerrit Brüning) und zur "Hamburger Arbeiterjugendbewegung in Weltkrieg und Revolution" (Kurt Baumann) beschäftigen sich mit regional relevanten Realereignissen und bringen auch teilweise neue Materialien. Die anderen Aufsätze sind wie Heinz Karls Erinnerung an die "Gründung der KPD und ihre Wirkung" dem Aftermath genannten breiten Nachher-Feld der (Be) Deutung zuzuordnen

Dort liegen auch Krux und Begründung, weshalb ich diese Buchveröffentlichung für mehr als flüssig oder überflüssig (akademisch hyperliquide) halte: Denn wenn die dominante "Erinnerungskultur" an die deutsche Novemberrevolution 1918 vor allem zur Begündung der ersten bürgerlich-demokratischen "Weimarer" Republik, herhielt und unterschwellig zugleich alle bisher vergeblichen revolutionären Bestrebungen weitergehender gesellschaftlicher Veränderungen als antidemokratisch denunziert werden, dann geht es marxistisch nicht um Reproduktion des Doppelanliegens dieser so wohlfeilen wie ideologischen Geschichtsdeutungen. Sondern vielmehr um ihre grundlegende Kritik.

Diese vermisse ich in dieser Marxistische-Blätter-Edition. Und weiters kritisiere ich kritiklose Übernahmen von mainstream-Deutungen in beiden Leitbeiträgen des Sammelbands zum "Platz der Revolution 1918/19 in der deutschen Geschichte und im Geschichtsbild der Deutschen" (Gerhard Engel) und zur "Novemberrevolution im Urteil bürgerlicher und sozialdemokratischer Politik- und Geschichtswissenschaftler" (Ludwig Elm). Das beginnt mit dem Anfangskotau vor einem (von Atatürk [1881-1938] bereits 1931[1] propagierten) Dogma: "Wer über historische Deutungsmacht verfügt, übt mittelbar auch politischen Einfluß aus", formuliert/e der als "Historiker" geltende sozialdemokratische Kernideologe H. August Winkler, dessen dreibändige Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik (1984-1987) sich vor allem durch nachhaltige Quellenfremdheit auszeichnet/e. Und das endet mit dem Schlußkotau vor dessen (im Band selbst als "renommierter Historiker" ausgelobten) Parteigenossen Hans Mommsen[2] mit dem zynischen Spruch vom "starren Ordnungsdenken der Mehrheitssozialdemokratie" als Kommentar zu den tausenden konterrevolutionären Mordaktionen in Deutschland 1918/19.

Über die Ursachen der auch editorischen Wirrniß dieses Sammelbands – Winkler beispielsweise wird auch auf dem Schutzumschlag bemüht und im Personenregister, in dem zwischen historischen Akteuren und ihren Deutern nicht unterschieden wird, ein halbes Dutzend Mal erwähnt, Mommsen gar nicht – mag spekulieren wer will. Mir reichten zum Eindruck, unter ideologische Zeiträuber gefallen zu sein, schon die beiden zitierten Aufsätze zweier ehemaliger, im Autorenverzeichnis als "Historiker" ausgewiesener, machtnaher DDR-Professoren.
 

[1] «Tarih yazmak, tarih yapmak kadar önemlidir», Deutsch etwa: Geschichte schreiben ist ebenso wichtig wie Geschichte machen.

[2] Hans Mommsen (1930-2015) wurde publizistisch ausgelobt als „grand old historian“ (Süddeutsche Zeitung: 24.1.1995), “weltweit führender NS-Experte” (Die Welt: 8.2.2006), "einer der profiliertesten Experten des Natioalsozialismus" (Frankfurter Rundschau: 16.8.2006) und als "Doyen der deutschen Geschichtswissenschaft" (“Informationen zur deutschen Außenpolitik”: 6.4.2005). Er mag in die Realgeschichte der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts als der (bundes)deutsche "Historiker" eingehen, der 1969 dieselbe Studie zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie desselben Autors zugleich als kommunistisch und als nichtkommunistisch präsentierte; vgl. mit Nachweisen Richard Albrecht, „...denkt immer an den ´mittleren Funktionär´“: Wolfgang Abendroth (2. Mai 1906 bis 15. September 1985); in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 40 (2004) 4: 465-487, hier Anmerkumg 32; kritisch zu sonstigen Umtrieben dieses deutschen Lehrstuhlprofessors vgl. weiters ders., “Realizing Utopia” – Really Not. But Murder(ing) Jews – secondly, academically, coldly … On the false world of a prominent German tenure-historian; in: Kultursoziologie, 17 (2008) I: 127-143.

 

Marx-Engels-Stiftung / Gerrit Brüning / Kurt Baumann, Hg.
Novemberrevolution 1918/19.

Ereignis – Deutung – Bedeutung.

Essen 2018
Neue Impulse Verlag

295 p., Edition Marxistische Blätter 114; ISBN 978-3-96170-016-5;

19.80 €.


Quelle: Zusendung durch den Autor am 22.2.2019