Unheimlich ist es, was gerade in Deutschland, Europa und der Welt passiert. Im Schlepptau der Covid 19 Pandemie erleben wir Einschnitte in unser alltägliches Leben und alle bürgerlichen Freiheiten, die wir uns so bis vor kurzem nicht hätten ausmalen können. Noch vor wenigen Wochen überschlugen sich die Medien mit kritischen Tönen über die autoritären Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche in China. Heute schreiben die Medien eine Verschärfung nach der anderen herbei und spielen sich mit den bürgerlichen Parteien die Bälle hin und her. Wir stecken selbst mitten in Ausgangssperre und Kontaktverbot, tagtäglich gibt es neue staatliche Maßnahmen und überall wird das Durchgreifen des starken Staates gefeiert. Und natürlich muss die Ausbreitung des Virus bekämpft werden. Natürlich gilt es, Risikogruppen zu schützen und

sich selbst und andere einem möglichst geringen Risiko auszusetzen. Was der Staat aber heute macht, geht einerseits weit darüber hinaus – und vernachlässigt andererseits zahlreiche wirksame Instrumente, die nicht ins Konzept passen. Das allem übergeordnete Ziel ist nicht die Gesundheit der Menschen – sondern wie immer die Rettung der Wirtschaft und die Erhaltung ihrer Macht. 

Wir müssen uns alle sozial isolieren – arbeiten können und sollen wir aber trotzdem. Kindergärten und Schulen bleiben dicht – aber der alleinerziehenden Mutter können Dank der Aushebelung des Arbeitszeitgesetzes im Katastrophenfall 12 Stunden Schichten im Supermarkt angeordnet werden. Der Staat schickt uns alle ins Haus – die Haus und Pflegearbeit bleibt Frauensache und die für viele Frauen alltägliche häusliche Gewalt steigt extrem an. Banken und Konzernen wird ein Rettungsschirm von 600 Milliarden Euro alleine in Deutschland versprochen, Solo-Selbstständigen und prekär Beschäftigten die unbürokratische Beantragung von 432€ Hartz IV – also dem Existenzminimum. Wir dürfen uns einander nicht mehr als 1,5 Meter nähern – in Flüchtlingslagern und Obdachlosenheimen leben Menschen auf engstem Raum, unter miesesten hygienischen Bedingungen und ohne annähernd adäquate Gesundheitsversorgung. Genau diese Menschen geraten auch ins Visier für legale Zwangsarbeit – wie sie der Katastrophenfall vorsieht. Sozialverbände, Beratungsstellen und selbst die Tafeln machen faktisch dicht, Obdachlose bekommen Bußgelder für das Nicht-Einhalten der Ausgangs“beschränkungen“. Mieten dürfen zwar „gestundet“ werden, müssen aber später in vollem Umfang nachbezahlt werden. Wir werden in Kurzarbeit geschickt – mit Lohneinbußen bis zu 40%. Die Lohnnebenkosten, die die Unternehmen eigentlich in die Sozialkassen zahlen, übernimmt derweil die Bundesagentur für Arbeit. 27 Milliarden Euro Rücklagen wurden seit der Einführung von Hartz IV vom Leben der Arbeitslosen und AufstockerInnen abgespart und stehen dafür jetzt zur Verfügung.

Während das öffentliche Leben stillsteht und Solidarität mit sozialer Isolation gleichgesetzt wird, verbreitet sich das Virus über die Werkshallen, Amazon Versandcenter und Lieferdienste weiter – und werden Arbeits- und Sozialrechte geschliffen. Klar ginge es anders. Die nicht überlebensnotwendige Produktion bei voller Garantie für Lohnfortzahlungen einzustellen, wäre der richtige Schritt, ebenso der Ausbau von Frauenhausplätzen zur sicheren Unterbringung auch bei Quarantäne, die dezentrale Unterbringung der Geflüchteten und Wohnungslosen auch in Hotelzimmern. Aber mit dem bürgerlichen Staat ist nichts davon zu machen, vor allem nicht der Einschnitt in die wirtschaftliche Freiheit der Bosse und Bonzen! Dann wird lieber die Freiheit jedes Einzelnen von uns eingeschränkt.

Und das dicke Ende kommt erst noch. Die Krise wird erst nach dem Virus wirklich durchschlagen – und hat schon lange vor Corona angefangen. Die Krise der Wirtschaft wurde schon lange vorhergesagt – inklusive massiver Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Einschnitten in ArbeiterInnenrechte. Die Krise der Demokratie und der Abbau unserer sozialen Rechte läuft seit Jahren im Eiltempo – zuletzt vorangebracht durch die Novelle der Polizeiaufgabengesetze der Länder. Überdeutlich sichtbar wird die Krise der parlamentarischen Demokratie auch in der Verstrickung von FaschistInnen und Sicherheitsbehörden – und in den Terrorakten von rechten Netzwerken der letzten Wochen und Monate. Die Krise des Gesundheits- und Sozialsystems wurde von genau denjenigen vorangetrieben, die sich heute als Lebensretter aufspielen. Noch im letzten Jahr hat die Bertelsmann-Stiftung, eine der einflussreichsten Lobbyorganisation der deutschen Wirtschaft, gefordert, 50% der Krankenhäuser in Deutschland zu schließen, um das Gesundheitssystem profitabler zu machen. Und das nachdem die Privatisierungswellen der letzten Jahrzehnte und die zur Vergütung eingeführten „Fallpauschalen“ das Gesundheitssystem ohnehin längst ausgetrocknet haben. Zehntausende Betten und Stellen wurden abgeschafft, die verbliebenen PflegearbeiterInnen arbeiten seit Jahren dauerhaft in der Überlastung zu beschissenen Löhnen. Die Bertelsmann Stiftung war es auch, die 2003 entscheidend an der von SPD und Grünen eingeführten Agenda 2010 mitgeschrieben hatte – durch die Hartz IV, Kurzarbeit, Solo-Selbstständigkeit und der ganze antisoziale Scheiß erst eingeführt wurden.

Die Krise, die heute von Politik, Medien und Wirtschaft in jedem Bereich auf den Virus zurückgeführt wird, ist vor allem eine Krise des Kapitalismus – und der ist für uns als Lohnabhängige sowieso eine alltägliche Krise. Das Virus beschleunigt die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung nur und funktioniert als Katalysator – sowohl was den wirtschaftlichen Zusammenbruch angeht, als auch den Ausbau eines autoritären Staates, der in Zeiten massiver Krisen durchsetzungsfähig ist. Die reaktionäre Offensive der letzten Jahre erlebt einen gewaltigen Schub – vor allem auch in ihrer Akzeptanz. Das Virus wird zum „Charaktertest“ für das „deutsche Volk“ hochstilisiert – so Söder bei der Verkündung der Ausgangsbeschränkungen. Die Ideologie, die hinter dem „alle gegen das Virus – alle für uns“ Wahnsinn steht, schaltet die Menschen weitestgehend gleich – wenn sie das nicht in voreiligem Gehorsam bereits vorher gemacht haben. Mit einem Handstreich fallen Streik- und Versammlungsrecht; Solidarität soll in Vereinzelung umgedeutet werden; wer nicht mitmacht und Hurra schreit, soll denunziert und diszipliniert werden. Auf den Punkt: Regierung und Wirtschaft nutzen Corona, um sich auf die ohnehin kommende Krise vorzubereiten, die Gesellschaft zu formieren und den Widerstand gegen Verarmung und Angriffe auf unsere Rechte im Zweifel problemlos brechen zu können.

Was tun? Solidarität und Widerstand organisieren!

Auch in Zeiten von Ausgangssperre und Isolierung können wir etwas tun – auf den Staat jedenfalls verlassen wir uns nicht – und schon gar nicht auf unsere ChefInnen! Schließt euch jetzt zusammen und beratet und unterstützt euch gegenseitig – und glaubt nicht die Lügen, die während der Corona Panik verbreitet werden! Unterschreibt keine Kündigungsvereinbarungen, verzichtet weder auf Lohn, noch auf die Anhörung des Betriebsrates oder die Einhaltung des Kündigungsschutzes! Lasst euch nicht gegeneinander ausspielen und denunziert niemanden! Lasst euch nicht in eurer Bewegungsfreiheit einschränken, wo es nicht sein muss! Achtet auf euch und andere – aber lasst euch nichts diktieren! Haltet zusammen und lebt Solidarität!

Jetzt und heute organisieren wir uns in solidarischen Nachbarschaftsinitiativen und unterstützen uns gegenseitig – gegen Corona genauso wie gegen die Angriffe der herrschenden Klasse auf unser aller Zukunft. Beteiligt euch an diesen Initiativen! Wir nehmen Solidarität selbst in die Hand, anstatt daran zu glauben, dass wir von denen Hilfe bekommen, die uns in die Krise geführt haben. Jetzt heißt es zusammenrücken – und das geht auch mit zwei Meter Abstand. Heute versorgen wir uns gegenseitig mit Nahrungsmitteln oder dem was wir alltäglich brauchen – morgen verteidigen wir gemeinsam unseren Arbeitsplatz, blockieren die Abschiebung unserer NachbarInnen und verhindern Zwangsräumungen. Die Krise wird Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut stürzen. Die herrschende Klasse nutzt die Krise als Chance – um Lasten umzuverteilen, die Produktion fit für die Zukunft zu machen und ihre Profite zu sichern. Nutzen wir sie auch – um Strukturen aufzubauen, an Alternativen zu arbeiten und letztlich – die soziale Revolution zu machen. Nicht irgendwann – sondern genau hier und jetzt.

Beteiligt euch an den Aktionen zum ersten Mai!

Beteiligt euch am Nachbarschaftsnetzwerk „Solidarische Nachbarschaft“!

Achtet auf weitere Ankündigungen zu Aktionen und Aktivitäten auf www.redside.tk