Fünf Jahre „Mall of Shame“
Ein beispielloser Kampf der Bauarbeiter gegen das Berliner Immobiliengeschäft.

von Tinet Ergazina

03/2020

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26. Februar 2020

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Oktober 2019 wies die Klage der zwei Bauarbeiter aus Rumänien, die auf der Baustelle der berüchtigten „Mall of Shame“ um ihre Löhne geprellt wurden, zurück. Weitere Schritte, wie etwa eine Verfassungsklage oder der Gang zum Europäischen Gerichtshof, werden sie nicht mehr verfolgen. Mit Unterstützung der FAU Berlin hatten sie und fünf andere Kollegen den „Goliath“ des Berliner Immobiliengeschäfts herausgefordert. Jeder von ihnen hatte mehrere tausend Euro ausstehenden Lohn, den sie bis heute nicht gesehen haben. Es ging ihnen aber nie nur um die Löhne. Ein Rückblick auf über fünf Jahre Kampf.

Das Luxus-Einkaufszentrum Mall of Berlin am Potsdamer Platz wurde Anfang 2015 fertiggestellt, mit reichlich Verspätung und erst nach der offiziellen Eröffnung im September 2014. Auf der Baustelle wurden Arbeiter_innen vorwiegend aus Osteuropa unter fragwürdigen Bedingungen beschäftigt. Wie einige von ihnen später berichteten, hatte openmallmaster GmbH – eins von bis zu 150(!) von der Generalunternehmerin Fettchenhauer Controlling & Logistic GmbH (FCL) beauftragten Subunternehmen auf der Baustelle – ihnen 5-6 € Stundenlohn versprochen, für 10 Stunden Arbeit pro Tag, sechs Tage die Woche. In ihrer Einschätzung kein schlechter Verdienst von um die 1.200-1.500 € pro Monat. Wie alle Arbeitsmigrant_innen kalkulierten sie sorgfältig den potenziellen Gewinn gegen die potenziellen Risiken – den versprochenen Verdienst, die Kosten für die Reise nach Deutschland und wieder zurück, die Kosten für den Lebensunterhalt und was sie bereits im Laufe des Jobs nach Hause schicken konnten. Da ebenso eine Unterkunft von dem Arbeitgeber gestellt werden sollte, klang es alles sehr gut.

Anfangs wurde gezahlt wie versprochen, aber im September fingen die Probleme an. „Morgen“, hieß es, als die Arbeiter nach den Löhnen fragten. Oder: „Die Buchhalterin ist gerade im Urlaub, komm nächste Woche wieder.“ Gleichzeitig wurden mehr Arbeiter herangeholt, um die Mall bis zur Eröffnung Ende des Monats fertigzustellen.

Auch den neuen Arbeitern wurden ordentliche schriftliche Verträge, feste Löhne und Unterkunft versprochen. Die Realität: Keine Verträge, keine Löhne, und für einige von ihnen auch keine Unterkunft. Die ersten paar Nächte schliefen sie im Auto und wurden von der Polizei belästigt. Dann doch eine Unterkunft: zwölf Männer sollten in einem Zimmer schlafen. Nach einer Woche wurden sie rausgeschmissen. Sie bekamen eine kleine Zweizimmerwohnung für insgesamt 1.800 € Miete pro Monat – auch für heutige Berliner Verhältnisse völlig überteuert – in der 14-16 Männer schlafen sollten. Das Warmwasser reichte nur für 20 Minuten am Tag. Sie teilten sich in Schichten ein, wer an welchen Tagen duschen durfte.

Keine Löhne, nur Ausreden

Alle zwei Wochen sollten sie ihre Löhne bekommen. Löhne gab es aber keine, nur Ausreden. Die Kollegen legten die Arbeit nieder und forderten ihr Gehalt. Ihnen wurde mit Kündigung und mit Gewalt gedroht – Leute von openmallmaster würden ihnen die Knochen brechen, wenn sie nicht aufhörten sich zu beschweren. Und zwischendurch wurden sie mal mit 50 € vertröstet, um sich Essen zu kaufen – den Rest würden sie angeblich später bekommen.

Sie fragten jeden Tag nach den versprochenen schriftlichen Verträgen. Weitere Ausreden, bis es eines Tages hieß, die Arbeiter sollen Gewerbe anmelden – erst dann könnten sie auch bezahlt werden. Für den notwendigen Papierkram sollten sie mehrere hundert Euro zahlen. Viele Arbeiter weigerten sich. Einige wechselten von openmallmaster zu einem anderen auf der Baustelle tätigen Subunternehmen, Metatec Fundus GmbH & Co. KG. Der Geschäftsführer versicherte ihnen, dass er ein ehrlicher Mann sei und seine Versprechen hielt. Jedoch prellte auch er unverhohlen die Arbeiter um ihre Löhne.

Ohne Zweifel fand die Schwarzarbeit organisiert auf der Baustelle der Mall of Berlin statt. Denn die Arbeiter wurden immer vorher informiert, wenn der Zoll eine Razzia durchführen würde. Dann sollten sie sich in ein Zimmer einschließen und leise sein, bis sie wieder raus geholt wurden. Es gab also einen Kontakt beim Zoll, der über die Kontrollen informiert hat.

Resignation und Gewalt

Weil die versprochenen Löhne nicht gezahlt wurden, gab es immer wieder Proteste und Arbeitsniederlegungen auf der Baustelle. Viele reisten ab, wenn sie sich irgendwie noch die Heimreise bezahlen konnten. Manchmal gewinnst du, manchmal verlierst du. Beim nächsten Job würde es vielleicht besser gehen. Eine Gruppe von Arbeitern soll wiederum Bauleiter als Geisel genommen haben, bis sie ihre Löhne bekamen. Eine andere Gruppe soll in das Büro von openmallmaster eingedrungen sein und sich mit Gewalt ihre Löhne geholt haben. Denn Geld war genug da, direkt im Büro. Die Arbeitgeber hatten sie respektlos und gewalttätig behandelt. Die gleichen Mittel gegen die Arbeitgeber umzukehren hatte Erfolg.

Eine Gruppe von Arbeitern aus Rumänien lehnte aber die Gewalt ab. Sie hatten etwas anderes in Deutschland erwartet. Die Dinge sollten hier doch ordentlich und gerecht laufen. Und sie fanden, sich auf die gewalttätige und willkürliche Ebene der Arbeitgeber niederzulassen wäre unter ihrer eigenen Würde.

Mit dieser Entscheidung sollte das später als „Mall of Shame“ bekannte Bauvorhaben der Mall of Berlin weltweit bekannt werden, als Beispiel von der schamlosen Ausbeutung migrantischer Arbeiter_innen in Deutschland.

Proteste vor der Baustelle

Sie protestierten zunächst mit Transparenten und Plakaten vor der Baustelle und nahmen Kontakt mit den Medien auf. Sie wandten sich an das Büro für entsandte Beschäftigte im DGB-Haus, das aber lediglich rechtswidrige Verzichtserklärungen von den Subunternehmen und Abschlagszahlungen einiger hundert Euro bewirkte. Unzufrieden und verunsichert suchten sie nach anderen Wegen. Sie schliefen zu der Zeit zunächst auf der Straße, dann geduldet in einem Container auf der Baustelle. Kolleg_innen brachten ihnen Essen und Decken.

Junge Leute, mit denen sie auf der Straße ins Gespräch gekommen waren, machten sie auf eine kleine anarchosyndikalistische Basisgewerkschaft aufmerksam, zu deren Grundprinzipien gehört, dass die Arbeiter_innen selbst entscheiden, wie ihr Arbeitskampf geführt werden soll. Das war der Beginn einer über fünf Jahre andauernden Kampagne, die einen großen Scheinwerfer auf die systematische Ausbeutung von migrantischen Arbeiter_innen auf Baustellen in Deutschland geworfen hat.

In Deutschland werden systematisch Tausende von migrantischen Arbeiter_innen unter entwürdigenden Umständen ausgebeutet. Das rassistische System teilt Menschen in Klassen auf, die man mehr oder weniger ausbeuten kann. Menschen ohne Aufenthaltsstatus, ohne Sprachkenntnisse oder Kenntnisse über ihre Rechte in Deutschland, Menschen, die eine Familie zu ernähren haben, deren Lebensstituation so prekär ist, dass sie bereit sind, höhere Risiken und schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen, kann man in diesem System auch mal für einen miesen Fuffi einen Monat lang schuften lassen, weil sie sich wohl kaum zur Wehr setzen werden – so die Annahme der Profiteur_innen.

Unterstützung von der FAU Berlin

So aber nicht in diesem Fall. Die FAU Berlin erklärte sich bereit, die Arbeiter zu unterstützen. Als erstes mit Unterkünften und Essen, im FAU-Büro und in befreundeten Hausprojekten. Eine Spendenkampagne sicherte den Kollegen den Lebensunterhalt. Es wurden massive Proteste hochgefahren. Im Winter 2014/2015, bei Regen, Schnee und Eis, standen wir schichtweise fünf Tage die Woche auf der Straße und verteilten über 40.000 Flugblätter, sammelten tausende Unterschriften, veranstalteten Konzerte und Gemeinschaftsessen und mobilisierten verstärkt die Presse und Politik.

Wir suchten parallel Verhandlungen mit den Subunternehmen und der Generalunternehmerin FCL. Auch für sie wäre es ja günstiger gewesen, einfach zu zahlen und das Problem aus der Welt zu schaffen. Die Unternehmen versuchten uns aber mit verschiedenen Taktiken hinzuhalten – sie versuchten uns zu ignorieren, schickten Handlanger mit Geldsummen, die die Arbeiter spalten sollten, wollten uns mit juristischen Mitteln mundtot machen, oder taten so, als ob sie ja ganz auf unserer Seite seien, aber schickten dann die Geltendmachung der Forderungen kommentarlos zurück. Die FCL erklärte sich bereit zu einem Gespräch, aber meldete wenige Tage später Insolvenz an.

Possenhafte Gerichtsverfahren

Sieben der Bauarbeiter, die auf der Baustelle der Mall of Berlin um ihre Löhne geprellt wurden, zogen daraufhin gegen die verantwortlichen Subunternehmen vor Gericht, in zehn separaten Fällen. Impressionen von den über Jahre andauernden Gerichtsverfahren: „Das Ganze stinkt zum Himmel!“, kommentierte eine Richterin – „Und das ist noch nett ausgedrückt.“ Der Anwalt von openmallmaster fiel mit immer cholerischeren Ausbrüchen auf, bis er eines Tages plötzlich starb. Die Geschäftsführer Metatecs konnten gar keinen Anwalt behalten – im Laufe eines halben Jahres hatten drei Anwälte ihr Mandat für Metatec niedergelegt, bis die Geschäftsführer am Ende sich selbst vertreten mussten, und vergebens behaupteten, dass die von ihnen geleisteten Abschlagszahlungen an die Kläger von je 600 € (deren Auszahlung von Reportern der B.Z. beobachtet wurde) rein humanitär motivierte Spenden gewesen seien.

Als die Bauarbeiter Recht bekamen, folgte Metatec der Generalunternehmerin FCL und meldete Insolvenz an, während openmallmaster einfach abtauchte. Gegen den Geschäftsführer von openmallmaster wurde sogar Haftbefehl erlassen, weil er – im Rahmen eines Versuchs der Vollstreckung der rechtskräftigen Titel unserer Mitglieder – die Vermögensauskunft nicht abgegeben hatte. Zur gleichen Zeit war er aber weiterhin tätig als Geschäftsführer von neuen Unternehmen in der Baubranche.

Nachdem bei den Subunternehmen und der Generalunternehmerin nichts zu holen war, gingen zwei der Bauarbeiter den juristischen Weg weiter und verklagten die Bauherrin und Investorin, die HGHI Leipziger Platz GmbH & Co. KG. Als größte Profiteurin und einziges solventes Glied in der Kette trägt sie die letztendliche Verantwortung für den Lohnraub auf der Baustelle. Die Kollegen klagten sich bis in die höchste Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt.

Strategische Insolvenzen

Neben der HGHI Holding GmbH gibt es unzählige weitere Firmen mit dem Akronym HGHI in ihrem Namen, die ab und zu den Namen, den Sitz oder die Unternehmensform wechseln. Nach der Insolvenz der FCL arbeitete ein anderes Unternehmen mit dem Namen FCL, die Fettchenhauer Construction GmbH, bei der Baustelle LIO Lichterfelde wieder mit der HGHI zusammen. Die Insolvenz einer Firma scheint also kein Hindernis für das geschäftliche Treiben der Inhaber zu sein. (Und laut Recherche der B.Z. soll sogar der HGHI-Geschäftsführer Harald Huth mehrheitlich an der insolventen FCL beteiligt gewesen sein.[1] )

Auch unter dem Label Metatec existierte mehr als ein Unternehmen. Während das eine Insolvenz anmeldete, um vor der Zahlung der Löhne der von ihnen beschäftigten Bauarbeiter zu entkommen, blieb das „Schwesterunternehmen“ METATEC Hoch + Tief GmbH weiterhin tätig, mit denselben Geschäftsführern und – wie Bewertungen bei Google und kununu bezeugen – bis heute derselben Praxis des Nicht-Zahlens von Löhnen.

Die HGHI Leipziger Platz hielt es jedoch bisher nicht für nötig, Insolvenz anzumelden. Vielleicht weil sie sich schon sicher war, dass nach der Gesetzeslage eine Bauherrin nicht dafür haftet, dass auf ihrer Baustelle die Gesetze eingehalten werden und die Arbeiter bezahlt werden. Die Generalunternehmerin schon – daher wohl die strategische Insolvenz der FCL bereits im Winter 2014. Diese Vermutung hat das letztendliche Urteil des BAG bestätigt.

In der Verhandlung vor dem BAG wurde über die bisherige Rechtsprechung gesprochen. Hätten die Gesetzesgeber eine Ausweitung der Haftung vorgesehen, als das Arbeitnehmer-Entsendegesetz mit der Einführung des Mindestlohngesetzes 2014 geändert wurde? Gäbe es relevante, zuverlässige Kriterien nach denen Bauherren, die haften, abgegrenzt werden können von Bauherren, die nicht haften? Die Realität der Arbeiter_innen inklusive der dahinter stehenden individuellen Schicksale, sowie die Frage, wie Arbeitnehmer_innenrechte geschützt werden können, blieben außen vor.

Der Anwalt der HGHI Leipziger Platz fand bei der Verhandlung überraschend offene Worte: er merkte an, dass eine Rechtsprechung zugunsten der nicht entlohnten Arbeiter „preispolitische Auswirkungen“ haben würde. Der Lohnraub an hunderten von Arbeitern ist also Teil der Kostenkalkulation bei Bauvorhaben wie der Mall of Berlin. Die Immobilienpreise könnten ohne Ausbeutung nicht so „günstig“ sein. Und Immobilienpreise gehen offenbar vor Arbeitnehmer_innenrechten.

Ins System eingebaute Fehler

Der neuen Europäischen Arbeitsagentur (ELA) liegen mehrere ähnliche Fälle vor, in denen offene Lohnforderungen migrantischer Arbeiter_innen ins Leere gelaufen sind. Wie bei den vier Bauarbeitern aus Bosnien und Mazedonien, die 2017 von einer Briefkastenfirma für zwei Monate Arbeit in Müllheim angeheuert wurden, und nur ein Viertel der versprochenen Löhne erhielten. Die Briefkastenfirma meldete sich bankrott und das Bauunternehmen „weigert sich“ zu zahlen. Oder der Installateur aus Serbien, der seit über drei Jahren auf ca. 8.000 € Lohn wartet, während auch sein Arbeitgeber Konkurs angemeldet hat, und das Bauunternehmen „sich weigert“ zu zahlen.

Die ELA selbst ist übrigens – keine Überraschung – eine zahnlose Bürokratieinstanz, die in erster Hand als Informationsstelle für europäische Arbeitsmigrant_innen dienen soll. Sie soll zwar auch den zuständigen nationalen Behörden dabei helfen, die EU-Regeln zur Entsendung von Arbeiter_innen besser zu kontrollieren. Eigene Kontrollen von Mindestlöhnen und Sozialstandards, oder etwa Sanktionsmöglichkeiten, sind aber nicht vorgesehen – bestenfalls soll die ELA Kontrollen der nationalen Behörden „anregen“.

Es überrascht generell nicht wenn die Verantwortlichen im Rechtssystem davonkommen. Im Wesentlichen schützt und vertritt es die Interessen der besitzenden Klasse. Einige der ins System eingebauten „Fehler“, die sklavereiähnliche Ausbeutung auf Baustellen in Deutschland ermöglichen:

  • Undurchsichtige Unternehmensgeflechte: Auf einer Baustelle wie die der Mall of Berlin sind dutzende oder hunderte Subunternehmen und Sub-Subunternehmen in verschiedenen Bereichen mit verschiedenen Aufgaben tätig. Auch mit untereinander wechselnden Bereichen und Aufgaben. Sogar auf der Bauherrinnen-Ebene waren an der Mall of Berlin zwei verschiedene HGHI-Unternehmen für jeweils einen Teil des Gebäudes zuständig. Für die Arbeiter_innen ist es schwierig durchzublicken, und erst recht vor Gericht zu beweisen, bei welchem Unternehmen sie wirklich beschäftigt waren, und welches Unternehmen in der Kette darüber stand.
  • So genannte Briefkastenfirmen: Auf der Baustelle sind Subunternehmen tätig, die kein Büro und keine öffentlichen Kontaktinformationen haben, die offiziell auf dem Papier vielleicht nur einen Angestellten und Tausend Euro Umsatz haben, und deren Geschäftsführer_innen reine Strohmänner sind. Die eigentlich Verantwortlichen handeln im Verborgenen und hinterlassen keine Datenspuren. So sind sie nicht greifbar und können kaum für ihre Untaten verantwortlich gemacht werden.
  • Strategische Insolvenzen: Bauunternehmer_innen führen nicht nur ein einziges Unternehmen, sondern einen ganzen Stall von Unternehmen, mit wechselnden Namen, Rechtsformen und Geschäftsführungen, zwischen denen Geld hin- und hergeschoben werden kann, und die im Zweifelsfall insolvent gehen, ohne dass es den Geschäftsbetrieb insgesamt beeinträchtigt.
  • Lücken im Gesetz für die Haftung der Bauherrin: Wenn ein Unternehmen ein Gebäude errichtet, um es zu verkaufen, haftet es dafür, dass die auf der Baustelle tätigen Unternehmen den Mindestlohn zahlen. Wenn das Unternehmen aber das Gebäude nur vermietet, haftet es (laut dem vorliegenden Urteil des BAG) nicht, weil es rein technisch gesehen das Gebäude ja für den „Eigenbedarf“ errichtet hat. So kann ein skrupelloses Geschäftsmodell ungehindert laufen: Einkaufszentren bauen, egal wie aber möglichst billig (Sklaverei OK!), und die Flächen vermieten. Von oben den Geldfluss drosseln um den eigenen Profit zu erhöhen – die Subunternehmen werden es zur Not von den Löhnen der Arbeiter_innen kürzen und vielleicht auch bankrott gehen müssen. Aber selbst musst du nie für eventuelle ausstehende Löhne haften.

Die Antwort heißt Widerstand

Im Fall „Mall of Shame“ wird der Klassenkonflikt sehr deutlich. Die Ausbeutungsverhältnisse werden sehr deutlich. Der Fall hat anschaulich gezeigt, wie die Wirtschaft in Deutschland und in der EU funktioniert, und wie die Hierarchien innerhalb der EU mit der vom Zentrum ausgebeuteten Peripherie in der Praxis aussehen und funktionieren. Wie uninteressant die tatsächliche Lebenssituation der Arbeiter_innen (beziehungsweise die Frage, ob sie überhaupt überleben können) ist, im Vergleich zu dem Profit, den die Akteur_innen auf der Unternehmensseite aus ihrer völlig gewissenlosen Ausbeutung schlagen können.

Wir erinnern nochmal: Unseren Kollegen wurden 5-6 € pro Stunde versprochen (weit unter dem ihnen eigentlich zustehenden tariflichen Mindestlohn von 11,10 €), aber selbst von diesem niedrigen Lohn haben sie am Ende nur Krümel erhalten.

Es ging ihnen aber auch nie nur um das Geld. Es ging um die Würde – dass die Verantwortlichen mit diesem System auf der Baustelle nicht einfach so davonkommen sollten.

Durch ihren Widerstand haben die rumänischen Kollegen auf die perfiden Ausbeutungssysteme deutscher Baustellen aufmerksam gemacht und dabei viel Zuspruch, aber auch praktische Unterstützung erfahren.

Der Kapitalismus ist deprimierend. Er will uns überzeugen, dass wir keine Chance haben, dass wir zu klein und zu unbedeutend sind, um irgendwas zu verändern. Das ist allerdings eine Lüge. Wenn wir etwas dagegen machen, wenn wir auch nur ein bisschen Widerstand leisten, fühlen wir uns besser. Es wird für uns erträglicher. Wenn wir es nicht einfach so mit uns machen lassen. Die Erniedrigung ablehnen. Mit der Würde als treibende Kraft.

So haben die Kollegen von der „Mall of Shame“ gezeigt, dass es nicht unmöglich ist, sich zu wehren. In der Kampagne kamen Kolleg_innen, FAU-Mitglieder und Sympathisant_innen aus verschiedenen Branchen, von verschiedenem Alter und verschiedener Herkunft zusammen. Wir haben uns miteinander solidarisiert und den Kampf gemeinsam geführt. Sehr viele von uns hatten davor keine Erfahrung mit Arbeitskämpfen oder Gerichtsverfahren. Wir haben es in der Praxis gelernt. Und das können alle, wenn wir uns zusammenschließen. Tausende von Arbeiter_innen, die Widerstand leisten, und Tausende von kleinen und großen Aktionen des Widerstands haben große Auswirkungen.

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