Quelle: Rote Fahne Nr.15/00 13.4.2000

Führungskrise in der PDS

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Auf dem PDS-Parteitag am letzten Wochenende in Münster brach in der PDS eine offene Führungskrise aus. Mit einer Mehrheit von fast zwei Drittel der Delegierten wurde ein Antrag der PDS-Führung zur Möglichkeit der fallweisen Unterstützung von militärischen UN-Einsätzen durch die Bundestagsfraktion abgelehnt. Die beiden Hauptrepräsentanten der PDS - ihr Vorsitzender Lothar Bisky und der Fraktionsvorsitzende im Bundestag Gregor Gysi - erklärten den Rückzug von ihren Ämtern.

Gregor Gysi stand 1989 an der Spitze der PDS-Gründung als Nachfolgerin der Honecker-SED. Nach dem Einzug der PDS in den Bundestag wechselte Gysi drei Jahre später in die PDS-Fraktionsführung. Lothar Bisky übernahm dafür den PDS-Vorsitz. Gemeinsam hatten sie die Schalthebel in der PDS in der Hand. Während Gysi das Bild der PDS in den Massenmedien bestimmte, wirkte Bisky vor allem in der PDS selbst. Ihr Kurs, die PDS auf die Regierungsfähigkeit in Berlin zu trimmen, erlitt eine herbe Niederlage. Mit den angesagten Rücktritten bestätigten beide PDS-Führer selbst ihr Scheitern, allen Gysi-Sprüchen von »die PDS hat Zukunft« zum Trotz.

Das Desaster des Parteitags vermasselte auch den PDS-Wahlkampfauftakt NRW. Dabei hatte die PDS den Parteitag extra ins nordrhein-westfälische Münster verlegt, um dem Wahlkampf in NRW Auftrieb zu geben und die Westausdehnung der PDS voranzubringen. Petra Pau von der PDS-Führung war schon kurz nach dem Parteitag am lamentieren, wie sehr dieses Ziel verfehlt wurde: »Der PDS in Nordrhein-Westfalen haben wir einen Bärendienst erwiesen.« (»WDR II«, 10.4.2000) Insgesamt ging von diesem Parteitag ein chaotischer Eindruck für die Massen aus, aber keine kämpferische Opposition gegen die Regierung und schon gar keine sozialistische Alternative.

Kaum war die Führungskrise ausgebrochen, schoben Gysi und Co. die Verantwortung dafür auf angeblich »linke Dogmatiker« ab. Jetzt bedroht die PDS-Führung jeden, den sie als solchen bezeichnet, mit dem Parteiausschluß. Angeblich hätte der böse »Dogmatismus« Gysis vernünftige »Realpolitik« zerstört und sei »politikunfähig«. Das ist in doppelter Hinsicht demagogisch:

Zum einen ist die Kritik, wie sie auf dem Parteitag deutlich wurde und an der PDS-Basis breit geübt wird, keine »ultralinke« Entgleisung einzelner Mitglieder, sondern Ausdruck einer noch viel größeren Unzufriedenheit außerhalb der Partei und unter den Massen mit der PDS-Politik, insbesondere in Ostdeutschland.

Zum anderen ist die Kritik an Gysis sogenannter »Realpolitik« völlig berechtigt und richtet sich gegen den Kurs der Unterordnung unter die Monopole und ihrer Schröder/Fischer-Regierung. Um diesen Pragmatismus zu rechtfertigen, versucht Gysi jeden Kritiker daran als »Dogmatiker« zu brandmarken, was jedoch eher an Hysterie erinnert als an »reale« Politik.

PDS-Politik stößt auf wachsende Ablehnung

  • Schon jetzt trägt die PDS in verschiedenen ostdeutschen Bundesländern die volksfeindliche Landespolitik direkt mit:

    In Mecklenburg-Vorpommern protestiert die ÖTV gegen Krankenhausprivatisierungen, die von der PDS mitvertreten werden. Tausende demonstrierten im Herbst letzten Jahres gegen diese Politik.

    In Sachsen entschied sich die PDS-Spitze, das Krisenprogramm der CDU mitzutragen, einschließlich umfangreicher Stellenstreichungen bei der Landesverwaltung.

    In Magdeburg stimmte die PDS-Fraktion im Landtag im Sommer '99 Kürzungen der Kinderbetreuung zu, obwohl dagegen bereits 300000 Menschen unterschrieben hatten.

    In Sachsen-Anhalt erklärte die PDS ihre Bereitschaft, ein neues Polizeigesetz der SPD mitzutragen, das einen weitgehenden Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten vorsieht. Gegen die geplanten Videoüberwachungen auf öffentlichen Plätzen, umfassende Demonstrationsverbote und Platzverweise hat es zuvor massive Widersprüche an der PDS-Basis gegeben.

  • Auf bundesweite Empörung stieß das Zusammenwirken der PDS-Führung - insbesondere von Gregor Gysi, Lothar Bisky und Petra Pau - mit der Polizei beim Verbot der Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Aktivitäten am 9. Januar 2000 in Berlin (die RF berichtete). Damals hieß es, daß ein Attentäter diese bedrohte, der fieberhaft gesucht und bis heute nicht gefunden wurde. Ein nicht verabschiedeter Antrag an den PDS-Parteitag griff diese Empörung auf und forderte von den PDS-Verantwortlichen eine Entschuldigung »bei allen Demokraten«, kritisierte die »Kollaboration mit dem CDU-Polizeipräsidenten« und forderte notfalls, die Verantwortlichen »von ihren Funktionen zu entbinden«.

  • Ein besonderer Kritikpunkt war die vorauseilende Unterwürfigkeit gegenüber der SPD mit dem Blick auf die Bundestagswahl im Jahr 2002. Gysi bezeichnete im Vorfeld des Parteitags das »prinzipielle Bestreben der PDS nach einer Beteiligung an der Regierung als legitim« und wollte, daß auf dem Parteitag dazu entsprechende Weichen gestellt werden.

  • Nicht zuletzt stieß der Versuch, die CDU in der Anfang des Jahres offen ausgebrochenen politischen Krise zu verschonen und mit Samthandschuhen anzupacken, innerhalb und außerhalb der PDS auf Unverständnis und Ablehnung. Während sich unter den Menschen im Lande helle Empörung über die kriminellen Machenschaften der CDU regte, meinte der parlamentarische Geschäftsführer der PDS, Claus, »Häme« sei nicht angebracht, und forderte allen Ernstes, »gemeinsam mit der CDU den Schaden zu begrenzen«. Und es war ausgerechnet Gysi, der Kohl bei seinem ersten Erscheinen im Bundestag nach Monaten des Skandals am meisten lobte für seine »Verdienste« bei der Wiedervereinigung.

  • Zum Bumerang wurde für die PDS-Führung ihr Antrag zu künftigen UN-Kriegseinsätzen. Sie wollte einen Parteitagsbeschluß, der es der Fraktion in Zukunft selbst überläßt, ob sie solchen Einsätzen zustimmt, oder nicht. Nach all den Erfahrungen mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien bestehen gegen solcherart Freibriefe allergrößte Bedenken nicht nur in der Friedensbewegung. Immer mehr NATO-Lügen werden dazu bekannt, die vor einem Jahr Vorwände für den angeblich »humanitären« Einsatz lieferten. Kein grundlegendes Problem im Kosovo wurde gelöst - er ist im Gegenteil immer noch von der NATO besetzt. Selbst der PDS-Jugendverband solid wandte sich gegen die Unterstützung von UN-Kriegseinsätzen. Gysi hatte in gewohnter Selbstherrlichkeit jedoch schon vor dem Parteitag schriftlich erklärt, daß er eine »Kontrolle« der Partei über die Parlamentarier ablehne.

Redeschlacht gegen Positionen der MLPD

In all diesen Auseinandersetzungen kam die grundsätzliche Kritik von einem sozialistischen Standpunkt aus von der MLPD. Sie verbreitete sich mehr und mehr und die sozialistische Alternative gewann an Einfluß. Deshalb war es Gysis Absicht, die MLPD vor dem PDS-Parteitag zu diffamieren. Auf dem Parteitag selbst führte er eine indirekte Redeschlacht mit Positionen der MLPD, zum Teil mit fast wörtlichem Bezug auf Dokumente, Veröffentlichungen oder Reden, allerdings ohne die Partei offen zu nennen.

Vor allem die Auseinandersetzung um die LLL-Aktivitäten scheinen ihm in schlechter Erinnerung geblieben zu sein. Denn während Gysi das Verbot mittrug, führte der Vorsitzende der MLPD, Stefan Engel, in Berlin eine spontane Protestdemonstration gegen das Verbot der LLL-Aktivitäten an. Die MLPD machte diese Vorgänge auch bundesweit bekannt und klagt heute gegen das Verbot des Berliner Polizeipräsidenten beim Verwaltungsgericht in Berlin. Und während sich Gysi und Co. danach im Februar vor allem um die CDU sorgten, trat die MLPD für eine Vertiefung der offenen politische Krise ein. Sie beschloß die Kandidatur zu den Landtagswahlen in NRW als Alternative zu den Filz- und Patenparteien mit der Losung »Neue Politiker braucht das Land!«

Die Vorgänge auf dem PDS-Parteitag in Münster haben die inzwischen erreichte Popularität dieses Mottos noch einmal kräftig gefördert.

Völlig zu Recht in der Krise!

Der PDS-Vorstand und sein Führungs-Duo scheiterte nicht an ein paar »unverbesserlichen Dogmatikern«, wie sie es gern darstellen wollen. Vielmehr gerät die Politik der PDS in wachsenden Widerspruch zum erwachenden Klassenbewußtsein auf breiter Front. Der Übergang zu einer staatstragenden Monopolpartei wird von der PDS-Führung in einer Zeit forciert, in der sich der Loslösungsprozeß von den bürgerlichen Parteien, dem bürgerlichen Parlamentarismus und seinen Institutionen entwickelt.

Das bleibt nicht ohne Folgen, und selbst der Kommentator der »Frankfurter Rundschau« macht sich lustig über die PDS, die sich nach seiner Ansicht von den Grünen nur in einem unterscheiden: daß sie nämlich ihre Opposition nicht erst nach, sondern schon vor einer Regierungsbeteiligung über Bord kippt:

»Dass die PDS-Spitze in vorauseilendem Gehorsam bereits vor einer Regierungsbeteiligung im Bund bereit ist, immanente Grundsätze zur Disposition zu stellen, ist eine besondere Spezialität. Die Begründung, schon zu Oppositionszeiten, man könne nicht ewig Anti sein, dürfte dazu führen, dass von den etablierten Parteien - wozu auch die Grünen zu zählen sind - Enttäuschte erst gar nicht zu den SED-Erben überlaufen.« (»Frankfurter Rundschau« vom 10.4.2000)

Wohin aber wenden sie sich dann? Die MLPD kämpft um jeden, der eine grundsätzliche Alternative sucht. Die Führungskrise der PDS ist bereits Ausdruck davon, daß sich im Kräfteverhältnis zwischen PDS und MLPD etwas zu verändern beginnt. Das muß insbesondere im Landtagswahlkampf in NRW weiter vorangebracht werden.

Die MLPD hat jederzeit deutlich gemacht, daß sie zur Zusammenarbeit mit der PDS in tagespolitischen Fragen und auf der Grundlage des Kampfes bereit ist. Das hat aber nichts mit Sozialismus zu tun. Die MLPD hat in ihrem Landtagswahlprogramm offen erklärt, daß sie nicht damit einverstanden ist, daß sich die PDS sozialistisch nennt.

Wer den Sozialismus will, muß MLPD wählen!

Peter Weispfenning