Quelle: jw 14.4.2000

AHA-Erlebnis am 1. Mai
Berlin: Rock'n'Roll-Polizisten für erlebnisorientierte Jugendliche

04/00
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
info@trend.partisan.net
  
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Aufmerksamkeit, Hilfe, Appell - AHA! Unter dieser eher kryptischen Losung stehen die Vorbereitungen der Berliner Polizeiführung auf die traditionellen 1.-Mai-Festspiele in Kreuzberg, Prenzlauer Berg und anderswo. Angesichts unschöner und imageschädigender Bilder von verprügelten Journalisten, Demonstranten und Unbeteiligten am 1. Mai 1999 kündigte der Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert am Donnerstag eine Art Offensive der Sanftmütigkeit an. Die Polizei setzt dabei auf bis zu 140 professionelle Deeskalierer, die sich vorrangig um die Zielgruppe der »erlebnisorientierten Jugendlichen« der Stadt kümmern sollen. Sie sollen dabei auch die harten Jungs von den ebenfalls erlebnisorientierten geschlossenen Einheiten der Berliner Bereitschaftspolizei zu etwas dezenterem Einsatz von Schlag- und Reizgaswaffen motivieren.

 Die Polizei setzt dabei auf bisher nicht ausgeschöpfte Potentiale ihrer Mitarbeiter. So erhalten instrumentenkundige Ordnungshüter die Spezialaufgabe, sich am 30. April an einem Rockfestival im Prenzlauer Berg zu beteiligen. Die Azubis der Behörde trainieren bereits kräftig für ein Streetballturnier in Friedrichshain, während andere Kollegen die körperliche Leistungsfähigkeit von Beamten auf einer Sportmeile in der Kreuzberger Bergmannstraße demonstrieren wollen. Veranstalter ist jeweils die Polizei in Kooperation mit Kiezgruppen. 

Zum fröhlichen Teetrinken am 1. Mai mit den Autonomen wird es aber doch nicht kommen. »An den gewaltbereiten, kriminellen Kern kommen wir auch mit diesen Aktionen nicht heran«, umriß Piestert die analytische Basis des zweiten Teils des Polizeikonzepts. So werden auch diesmal mindestens 3 500 Polizisten und Bundgrenzschützer aus Berlin und anderen Bundesländern »Straftaten verhindern«. Bei allem bekundeten Willen zur Deeskalation: wat mut, det mut. Auch diesmal werde man - leider, leider, aber der pinglige Staatsanwalt will es so - gegen das Zurschaustellen von Symbolen verbotener Organisationen einschreiten. Deftige Prügeleien wegen der traditionellen Beschlagnahme von Öcalan-Fotos und PKK- Fähnchen sind also programmiert. Ebenfalls - leider, leider - müsse man auch die Demonstrationsfreiheit der NPD am 1. Mai in Hellersdorf garantieren. 

Abschließend postulierte Piestert auf der Pressekonferenz wieder demonstrative Milde gegenüber den neuen Lieblingen der Polizeiführung - der Presse. Sogar Shuttledienste zu allen Einsatzorten und nachts reflektierende und mit peppigem Logo versehene Presseschilder werden angeboten. Daß diese in den vergangenen Jahren eher als Zielscheibe denn als Schutz vor Knüppelschlägen dienten, mag Piestert nicht bestreiten. Doch dafür habe man schließlich die 140 Deeskalierer, die polizeiintern jedoch oftmals als »Warmduscher« und »Weicheier« verspottet werden. Und für alle seine Beamten mag Piestert »auch nicht die Hand ins Feuer legen«. So gab er den anwesenden Journalisten den pragmatischen Tip mit auf den Weg, bei unmittelbaren Einsätzen »das Berufsrisiko zu mindern und alles zu vermeiden, was die eigene körperliche Unversehrtheit gefährden könnte«. Echte Hoffnung auf einen friedlichen Verlauf der Veranstaltungen zur Walpurgisnacht am 30. April und zum 1. Mai wollte denn auch nicht aufkommen. Auch Antifa-Gruppen hegen ihre Zweifel an dem Polizeikonzept. Das Kürzel AHA steht bei ihnen anläßlich der Demonstration gegen den Naziaufmarsch in Hellersdorf am 1. Mai für die Losung »Antifa heißt Angriff«.