Editorial
BewegungssozialistInnen

von Bruno Brinkmann
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Bizarre Bilder flimmerten über den Bildschirm als die Fernsehsender vom Castor-Transport live berichteten. Tausende - vornehmlich junge Leute - warfen sich im wahrsten Sinne des Wortes dem Atommüll entgegen. Am entschiedensten diesmal die Organisation Robin Wood. Doch was wäre sie ohne die vielen gesichtslosen Autonomen gewesen, die mit der ihnen eigentümlichen Militanz wieder zur Sache gingen - nicht nur in Gorleben, sondern auch anderswo.

Unterm Strich lautete das Ergebnis: Der Castor traf mit einem Tag Verspätung am Zielort ein.

Der schon etwas älter aussehende Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg verabschiedete noch am selben Abend  die Angereisten mit markigen Worten bis zum nächsten Mal. Nahezu zeitgleich dazu wurde der Nachrichtenticker auf der deutschsprachigen Indymediaseite angehalten. Dieses Webprojekt, welches zukünftig bei Kampagnen seine Technix für eine diesbezügliche Nachrichtenverbreitung zur Verfügung stellen will, hatte seinen Beta-Test beim Medien-Event im world-wide-wendland bestanden.

Das Ziel ist nichts die Bewegung alles, lautete die Kernaussage des bekannten sozialdemokratischen Revisionisten der vorletzten Jahrhundertwende "Ede" Bernstein. Revidierten er und seine Realo-Kumpane weiland die konkrete Utopie revolutionärer SozialistInnen, so kann davon bei der heutigen Kampagnenpolitik (Anti-Castor, Anti-WTO, Sans Papier etc.) nicht die Rede sein. Hier gibt es nichts zu revidieren. Denn hier ist die Bewegung das Ziel.

Doch solche Bewegungen wären nicht das, was sie sind, das wissen wir spätesten seit 68, wenn es nicht ihre mediale Vermittlung als sich selbst erfüllende Botschaft gäbe. Dafür sorgen schon jene Kräfte, die gleichsam wie Korsettstangen als Funktionäre wirken, deren Berufs- und Lebensziel es ist, jenen Bewegungen scheinbar selbstlos zu dienen. Dabei gelingt es ihnen immer wieder die in Bewegung Geratenen auf die engen Ziele der je spezifischen Kampagne zu fixieren und darüber hinausgehende Erkenntnisse und Zielvorstellungen, so sie denn in den Bewegungen entstehen oder von außen formuliert werden, abzuspalten. 

Besondere Spezialisten auf diesem Politik-Territorium finden wir im Dunstkreis der Schnittstellen zwischen PDS und DGB bzw. zwischen der PDS und ehemaligen bzw. Noch-K-Gruppen. Diese Kräfte sind wohl am ehestens mit Bernstein und Konsorten zu vergleichen, führen sie doch in ihren Zirkeln (und Organen) bzw. untereinander beständig die radikale Phrase im Munde und wursteln ansonsten in  Kampagnen rum bzw. initiieren selber welche.

Besonders fuchsig werden BewegungssozialistInnen, führt man ihnen auf ihrem eigenen Politik-Territorium ihre Theorielosigkeit vor. Dann ist ihnen jedes Mittel recht, sich dieses Alpdrucks zu entledigen. Bisweilen werden sogar Stasi-Verhöre nachgespielt, wenn schlichtes Mobbing als Gegenwehr nicht ausreicht. Kurzum: Wenn´s strategisch wird, ist man am liebsten unter sich. Ansonsten führt man Org-Sitzungen durch.

BewegungsozialistInnen sind nicht nur eine nostalgische Veranstaltung, die es auszuhalten gilt. In der Tat sind sie entscheidende Bremsklötze für soziale Bewegungen, von denen sie leben möchten und die sie verwalten wollen.

Der italienische Kommunist Gramsci schrieb sinngemäß in seiner "Philosophie der Praxis", dass ein jeder nicht nur Praktiker sondern immer auch Theoretiker ist. Bedauerlicherweise bediente er damals den Zeitgeist, indem er der Besonderung der revolutionären Kräfte in einer Partei das Wort redete. Ein modernisierter Marxismus bräuchte diese Kniefälle nicht zu wiederholen, sondern könnte die BewegungssozialistInnen und ihre Phrasen direkt angreifen. Doch dazu müßte sich der Marxismus in der Tat erst einmal modernisieren. Das dürfte nicht gelingen, wenn die Bedeutung des Subjekts für die Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft theoretisch nicht zureichend bestimmt wird und dadurch weiterhin theoretische Einfallstore für BewegungssozialistInnen  offengehalten werden.