Herrschaft und "Neger"witze
Pädagogik hilflos zum Faschismus der Mitte

von Günter Langer
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Anfang der 90iger Jahre blieb es Autonomen und Lichterketten von 350.000 Bürgern vorbehalten, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bspw. in Hoyerswerda oder in Rostock-Lichtenhagen vorzugehen. Inzwischen hat sich die Lage dermaßen zugespitzt, haben sich "national befreite Zonen" gebildet, sind ca. 100 Menschen ermordet worden und Überfälle alltäglich geworden, dass sich nunmehr die gesamte politische Klasse (inklusive CDU) an die Spitze des Widerstands gegen den Neo-Nazismus stellt: 200.000 Menschen reagierten und kamen zur Kundgebung am Brandenburger Tor.

Der "Aufstand der Anständigen" erfolgte "für Menschlichkeit und Toleranz". Gegen die Ziele dieses Appells ist nichts einzuwenden, gilt es doch in der Tat, die gesamte Gesellschaft auf eine humanistische Ethik und Moral zu verpflichten. Antifaschisten haben also allen Grund, der Aktion Erfolg zu wünschen. Leider wird sich aufgrund der mangelnden Reflexion der gesellschaftlichen Zusammenhänge der Erfolg dieses "Aufstands" vermutlich genauso wenig einstellen, wie beim Protest acht Jahre vorher.

Die Missachtung der Autonomenproteste, die unterbliebene Analyse von Seiten der "Lichterketten" und der "Anständigen" hat ein und denselben Grund: Der Faschismus entsteht in der Mitte der Gesellschaft und das darf nicht thematisiert werden. Paul Spiegel hat diesen Zusammenhang erkannt und bei seiner Rede am 9. November 2000 wenigstens gestreift. Deshalb die wütende Reaktion der Vertreter der "deutschen Leitkultur", die damit übrigens bestens den gegen sie erhobenen Vorwurf der Heuchelei bestätigten.

Eine Gesellschaft hat bekanntlich die Repräsentanten, die sie verdient. Es bringt daher nichts, nur auf die Verfehlungen der Politiker zu schauen und nachzuweisen, wie weit sie Schuld an der heutigen Misere sind. Natürlich machen sie sich mitschuldig, und das nicht zu knapp. Erinnert sei an die unsägliche Asyldebatte, die Doppelpass-Debatte, die "Kinder statt Inder"-Debatte, das laxe Vorgehen der Polizei und der Justiz gegen Neo-Nazis etc. Die Verantwortung kann aber nicht einfach nur an die Politiker abgeschoben werden. Die Bürger haben erstens diese Politiker gewählt und zweitens ideologisieren sie kräftig mit. Sie sind es, die die öffentliche Meinung bilden, nach der sich die Volksvertreter anschließend richten.

Laut wissenschaftlicher Erhebungen sind Gewerkschafter überproportional fremdenfeindlich bzw. rassistisch eingestellt. Von daher ist es notwendig zu schauen, was jedes einzelne Mitglied zu der heute beklagenswerten Entwicklung beiträgt und wie dem abgeholfen werden kann. Eine Tagung der Bildungsgewerkschaft GEW machte dies deutlich.

Auf ihrer letzten Berliner Delegiertenkonferenz wurden außerhalb des üblichen Rahmens Diskussionsforen eingerichtet, u.a. über "Rechtsextremismus" und "Fremdenfeindlichkeit". Erwartungsgemäß ging es dort recht lehrerhaft zu: Zwar wurde eingangs gesagt, man wolle sich selbst nicht als gut und die anderen als böse apostrophieren, aber genau das geschah. Lehrer und Erzieher sind eben von Hause aus gut und haben die anderen aufzuklären. Niemand hatte zwar eine Antwort, wie man der rechten Entwicklung beikommen könne, aber sich selbst zum Thema machen war unmöglich, ja, wurde sogar wütend abgelehnt. Während in dem einen Forum der Zusammenhang von Demokratie und Herrschaft nicht thematisiert werden durfte, der Moderator verbat sich vehement die Bemerkung, "wir" als GEW würden Herrschaft abbauen wollen, wurde es in dem anderen als "inquisitorisch" angesehen, den Ursachen für den Rechtsextremismus eines 20jährigen Sohnes einer Teilnehmerin nachzugehen.

Der unklare Begriff von Demokratie, er wurde schlicht mit Egalität, Toleranz und Menschlichkeit gleichgesetzt, verhinderte den Blick auf die eigene Rolle als pädagogischer Staatsdiener im Klassenzimmer. Die Frage, wie die Institution Schule auf die Schulpflichtigen wirkt, wie weit sie zur Produktion von Angst, falschem Bewusstsein und Diskriminierung beiträgt, musste so außen vor bleiben. Weshalb aber identifizieren sich heutige Pädagogen mit ihrem Job in der Weise, dass die Institution, der man dient, als per se "gut" erscheint? Offensichtlich wird das rationale Argument in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über- und das irrationale Moment unterschätzt und niemand will selbst als mitverantwortlich für das "Böse" gelten, das vermeintlich ohne eigenes Zutun "draußen" geschieht.

Das Irrationale ist naturgemäß einem herkömmlich gebildeten Pädagogen schwer zugänglich. Es widerspricht seiner ihm beigebrachten akademischen Denkweise. Die Beschäftigung mit Psychologie im Rahmen des Studiums bleibt verkürzt auf Erlernen kognitiven Wissens. Im Referendariat geht es fast ausschließlich um die didaktische Umsetzung von konkreten Lernzielen. Das Erlernen von Empathie, Toleranz, Demokratie etc. lassen sich kaum in Vorführstunden pressen.

Die Mitverantwortung des Individuums für das gesellschaftliche Leben ist für viele Menschen schwer nachvollziehbar. Was haben Nachkriegsgeborene noch mit Hitler zu tun? Warum hört die Schulddebatte nicht endlich auf? Was hat Schule (oder auch die DDR) mit "national befreiten Zonen" zu tun? Weshalb wählt der eigene Sohn die "Reps"? Leider lässt sich Verantwortung und das historische Erbe nicht einfach ausschlagen wie das materielle Erbe eines verstorbenen Angehörigen. Menschen, die heute in Deutschland leben, in Ost oder West, seien sie hier geboren oder anderswo, werden beständig sowohl mit den positiven als auch mit den negativen Folgen der deutschen Geschichte konfrontiert. Die zeitweilige Trennung in zwei Teilstaaten führte bspw. zur Herausbildung unterschiedlicher Ideologien, Mentalitäten und Verhaltensweisen. All dies zu leugnen, wäre kontraproduktiv bei der Suche nach den Ursachen für die beklagten Übel und bei der Entwicklung adäquater Maßnahmen zu deren Überwindung.

Die GEW-Kollegin, deren Sohn (unbegreiflicherweise?) die Reps wählt, wird hoffentlich auch eines Tages begreifen, dass das Erzählen von "Neger"-witzen zu Hause oder anderswo Mitverantwortung für rassistische Denkmuster bedeutet.

Damit wären wir bei der eigentlichen Frage: Was tun? Wie können, wie müssen Pädagogen sich, wie müssen wir alle uns verändern, um glaubwürdig und effizient gegen die zunehmende Flucht vor der immer weiter fortschreitenden Unübersichtlichkeit der heutigen Welt, der Angst vor der voranschreitenden Globalisierung und Liberalisierung, gegen die Verführung zur Reduktion hin zu "einfachen Lösungen" angehen zu können? Schule und Gesellschaft verhalten sich interaktiv. Es bleibt nichts anderes übrig, als die zunehmende Komplexität positiv zu wenden und ihre Vorzüge bewusst zu machen.

Ein Beispiel: Im Kreuzberger OSZ-Handel hat man Sally Perel ("Ich war Hitlerjunge Salomon") bereits zum zweiten Mal eingeladen. Sein Film wurde allen interessierten Klassen gezeigt und einige Tage später mit ihm in der überfüllten Mensa diskutiert. Mehr als 2000 SchülerInnen haben daran teilnehmen können. Sally Perel erzeugte einen starken Eindruck, weil er glaubwürdig darstellen konnte, wie er trotz seiner jüdischen Herkunft durch die Erziehung in einer SS-Schule zum überzeugten Nazi wurde und warum er 40 Jahre darüber nicht sprechen konnte. Ihm gelang es, die Gefährlichkeit bestimmter Elemente der Nazi-Ideologie aufzuzeigen und klarzumachen, weshalb man empfänglich für sie sein kann.

Sally Perels Geschichte beweist, wie nah jeder Person, egal wo sie herkommt, die Gefahr zur totalitären Verführung ist. Der Journalist Burkhard Schröder beschreibt das anschaulich in seinem neuesten Buch "Nazi ist Pop". Er zeigt, dass die Nazis nicht nur einfach die Bösen am Rande der Gesellschaft sind, sondern aus unserer Mitte kommen. Wenn das wirklich so ist, Paul Spiegel hatte das ja auch betont und die bisherige Wirkungslosigkeit aller Demos und Appelle unterstreicht das, sind wir am Kernpunkt unserer Überlegungen angelangt. Wir müssen dort hinschauen, wo es am unangenehmsten ist, in uns selbst, in unsere Familien, in unsere gesellschaftlichen Zusammenhänge. Kinder dürfen eben nicht nur in "Einrichtungen" abgeschoben werden und abends vor den Fernseher oder, ganz modern, vor den Computer. Die Erwachsenen, die Eltern müssen sich ihren Sprösslingen wieder vermehrt zuwenden, mit ihnen spielen, Hausarbeiten machen, sie müssen rassistische Termini ("Fidschis") aus ihrer eigenen Sprache verbannen, sie müssen wieder disponible Zeit für sich und ihre Kinder gewinnen, sie müssen womöglich ihre eigenen Rollen und Funktionen als Mann und Frau, als Familie überdenken und verändern. Männlicher Chauvinismus mag sich seit 68 insgesamt gemildert haben, drückt sich dafür aber in der Gewaltverherrlichung um so heftiger aus. Die Familie, nach Meinung der Frankfurter Schule ohnehin autoritätsverdächtig, funktioniert immer weniger: ein Drittel aller Ehen werden geschieden. Folge: Weitere Verwahrlosung der Kinder. LehrerInnen müssen diese Probleme aufgreifen, kritisch beleuchten, Alternativen zur Diskussion stellen, als übergeordnete Lernziele permanent in ihren Unterricht einbeziehen.

Wer glaubt, mit einigen aufklärerischen Stunden über die Missetaten Adolf Hitlers und seiner Gefolgsleute wäre es getan, irrt gewaltig. Nazi-Ideologie ist antiaufklärerisch und bezieht gerade daher ihre Anziehungskraft. "Blood & Honour" nennt sich die (inzwischen verbotene) Distributionsfirma für's rechte Gefühl und bringt es bereits in ihrem Namen auf den Nenner. Es geht nicht um Erkenntnis, es geht um Emotionen. Schule kann dazu einen Beitrag leisten. Sie muss sich selbst infrage stellen, sie muss den SchülerInnen Ängste nehmen, ihnen das Gefühl vermitteln, ernst genommen zu werden, ihnen bei der Entwicklung von mehr Selbstbewusstsein helfen, einen "heimlichen" Lehrplan erfüllen. Das ist ein schwieriger Job, aber nicht zu umgehen, wenn wir die Bedrohung ernst nehmen. Auch in diesem Punkt hat Sally Perel bereits einen Beitrag im OSZ Handel geleistet. Eine Klasse, die ihm schon letztes Jahr begegnet ist, erarbeitete für seinen diesjährigen Auftritt eigens eine Ausstellung. Thema: "Wer waren die ca. 100 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990?" Konkrete Lebensschicksale werden dargestellt und eine Antwort wird implizit gegeben: Leute wie du und ich.

Linkempfehlungen:

Frankfurter Rundschau Spezial: Rechte Gewalt - Chronik der Übergriffe
http://www.fr-aktuell.de/fr/spezial/rechts/index.htm

Anlaufstelle für Aussteiger aus der Nazi-Szene
http://www.exit-deutschland.de/

Informationsdienst gegen Rechtsextremismus:
http://www.idgr.de/

Burkhard Schröder: www.burks.de

Zum Thema Auschwitz und Holocaust:
www.fasena.de 
www.erziehung-nach-auschwitz.de
www.center-for-holocaust-education.de

Weitere nützliche Linksammlung:
www.fairlink.de/links.html