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Genervt von den Freunden: Der neue deutsche Anti-Amerikanismus  

Ein Kommentar von Oliver Tolmein
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Anfang der 90er Jahre blieb der linken und liberalen Öffentlichkeit mangels großer Einflussmöglichkeiten auf die Wiedervereinigung und ihre Folgen etwas Zeit zur Reflexion. Was denn wohl falsch gelaufen wäre, fragte man sich. eine Antwort lag nahe: Viel zu lange war die Verantwortung für alle Übel der Welt und gerade auch für alle Übel in Deutschland den USA zugeschoben worden. Die sich in der Wiedervereinigung erneut Bahn brechende Eigenmacht der Deutschen war dagegen vor lauter Anti-Amerikanismus chronisch unterschätzt worden.

Ein Jahrzehnt später ist manches anders: Mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen sind Modernisierer am Werke, die sich frei von jeder deutschnationalen Regung wähnen. Wen wundert es da, dass auch die USA ihren Weg als notorische Bösewichte in die deutsche öffentliche Debatte zurückgefunden haben? Schließlich vermarkten die USA in großem Umfang gentechnisch manipuliertes Soja. Schlimmer noch ist, dass auch die verheerende Entwicklung des Weltklimas auf ihr Konto geht - denn die USA haben das Scheitern des Klimagipfels in Den Haag bewirkt. Dass mit Bush junior ein christlicher Fundamentalist Präsident geworden ist und das neue Raketenabwehrprogramm als Schritt zur weiteren Militarisierung der Außenpolitik interpretiert wird, haben die Sympathien für die Großmacht auch nicht vergrößert.

Während deutschen Regierungen in früheren Zeiten von vielen Kritikern vorgehalten wurde, sie verhielten sich den USA gegenüber zu willfährig, müssen sie heute zugestehen, dass rot-grün sich gegen blau-weiss-rot zu behaupten vermag. Wenn dies mal nicht der Fall ist, folgt die Strafe auf dem Fuße: Als Gerhard Schröder die Raketenabwehrpläne der USA vorsichtig unterstützte und Joschka Fischer nicht deutlich gegen die neuerlichen Luftangriffe der USA auf den Irak Stellung bezog, kassierten sie dafür nachhaltige öffentliche Kritik. Ansonsten kann der Bundesregierung heute aber niemand nachsagen, dass sie sich unterwürfig gegenüber der einstigen Besatzungsmacht verhielte. Und dies mit wachsendem Erfolg: Vermochte ein hessischer Spitzen-Grüner in den 80ern nur ein paar lästige Blutspritzer auf eine US-Generalsuniform zu befördern, bringt heute der grüne Umweltminister in Den Haag die EU auf Linie und damit den zwischen dem britischen Vizepremier John Prescott und den USA ausgehandelten Kompromiss-Vorschlag zu Fall.

Deutschland muckt auf. Seit einigen Jahren schon und zwischendurch immer mal ein bisschen lauter. Das ist allerdings, anders als es der neuerliche Zeitgeist glauben machen will, keine ermutigende Nachricht, auch wenn die Mucker sich voll Elan als die Guten verkaufen und niemand sich besonders bemühen muss, den USA die Rolle der Bösen zuzuweisen. Denn so lang die Liste der Missetaten der USA auf internationaler Ebene auch ist - nichts spricht dafür, dass ein Deutschland, das von der Schwächung der westlichen Hegemonialmacht profitiert, die neu gewonnene Stärke zur Humanisierung der globalen Verhältnisse nutzen wird. Nicht nur die selbstverantworteten Verhältnisse im eigenen Land machen deutlich, dass es mit der zivilisierenden Gestaltungsmacht des Nachfolgestaates des Dritten Reiches nicht weit her ist. Insbesondere die Betrachtung der von merry old germany zielstrebig eskalierten Balkan-Krise zeigt, dass Politik aus Berlin, so naturliebend und gesundheitschützend sie derzeit auch daher kommen mag, schon auf mittlere Sicht den Menschen, denen sie angeblich zugute kommen soll, wenig nützen kann.

Deutschland muckt auf - und es ist dabei nicht allein. Auf dem Klimagipfel hatte es, wie so oft, wenn es gegen die Supermacht jenseits des Atlantik geht, Frankreich auf seiner Seite - ein Frankreich, dessen konservativer Präsident Chirac sich in einer vielbeachteten Rede als Musterökologe präsentierte, ohne auch nur ein Wort über die Folgen der in seinem Lande viel genutzten Atomkraft zu verlieren (und wer mag sich noch an die französische Militäroperationen gegen das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior erinnern). Allerdings sind die EU-Koalitionen gegen die Übermacht des transatlantischen Partners wenig stabil, wie die offene Kontroverse um die Macht im Ministerrat im Vorfeld des EU-Gipfels in Nizza oder die Konflikte der EU-Staaten um das Vorgehen im Jugoslawien-Krieg zeigen. Und in der EU musste Deutschland bei seinem Bemühen, endlich eine hegemoniale Rolle einnehmen zu können, einige Schlappen einstecken. Dass die neuerlich aufflackernde deutsche Kritik an den USA, die in ihrer Ungebrochenheit und Pauschalität die Grenze zum Anti-Amerikanismus immer wieder überschreitet, sich ausweitet und Mittelmacht-Plänen neue Gestalt gibt, erscheint daher derzeit eher zweifelhaft.

Vor allem aber geht es Deutschland augenblicklich genausowenig wie Frankreich oder Großbritannien darum, einen nationalen Sonderweg zum Glück zu finden. Die Auseinandersetzungen darum, wer an wessen Seite und wer dann doch ein paar Schritte vorneweg schreiten darf, finden dort ihr Ende, wo es um die Behauptung der EU gegen den Rest der Welt geht. Ob es um den Welthandel oder um das Weltklima geht, ob die Einfluss-Sphären durch Menschenrechtspolitik oder durch Militärpräsenz gesichert werden sollen - die Auseinandersetzungen in der EU und zwischen der EU und den USA sind (noch) punktuell begrenzt, auch wenn die Punkte bisweilen einen beachtlichen Durchmesser haben.

Die großen internationalen Konflikte werden aber nach wie vor zwischen den westlichen Industrienationen und den sich entwickelnden Staaten des Südens (und manchen des Ostens) ausgetragen. Denn wenn sich in der Klimapolitik der Handel mit Emissionszertifikaten durchsetzen wird, werden auch die EU-Staaten und die von hier aus wirtschaftenden transnationalen Konzerne mit gemeinsamen Interessen auf diesem Markt agieren. Selbst in der Militärpolitik zeichnet sich mit dem Aufbau der schnellen Euro-Einsatztruppe, die von einem deutschen General kommandiert werden wird, eher eine weltpolitische Arbeitsteilung ab. Sie eröffnet den USA mehr Handlungsmöglichkeiten im pazifischen Raum und gibt kaum Anlass zu der Vermutung, dass die zunehmende Konkurrenz zwischen den Verbündeten zu einem Bruch führen würde.

Beruhigen kann das allerdings wenig - in jeder Hinsicht. Weil die Staaten des Südens sich um die dringend erforderliche Organisierung ihrer Interessen mühen, damit sie nicht dauerhaft zu Absatzmärkten und Ressourcenlieferanten degradiert werden, drohen hier neue Konflikte. Und auch die Industriestaaten untereinander konkurrieren um Macht und Einfluss. Deutschland ist dabei weitaus weniger als die USA um Stabilität bemüht. Die Stimmung gegen die USA, die zum Ausdruck bringt, dass man sich zu sehr eingeengt fühlt, ist dafür ein Indikator: Die zusehends genervte Kritik an der »Supermacht« ist in Deutschland stets auch Ausdruck davon, dass man sich selber auf den Sprung zu Größerem begeben will - in den 80er Jahren war das Ergebnis die Wiedervereinigung.

  • Von Oliver Tolmeins Artikel  erscheint im April 2001 in: »Besonders Kennzeichen: D - die Debatte um die deutsche Leitkultur« (Konkret-Texte).