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Erneuertes Dilemma

von Juliane und Frederik Haber

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Müller gegen Riester – darauf scheint sich der Streit um das Betriebsverfassungsgesetz in der Öffentlichkeit zu reduzieren. Die bürgerliche Presse nennt ihn peinlich für die ganze Regierung.

Weit peinlicher für die Arbeiterbewegung ist das Verhalten der Führungen von DGB und der Einzelgewerkschaften. Es gab lange Debatten und Konferenzen, die sich mit der Frage beschäftigt haben, welche Reformen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) denn eigentlich nötig wären.

Von den eigenen Vorstellungen reden die Gewerkschaftsführer nicht mehr, nur noch vom Riesterentwurf. Die Diskussion darüber wird aber inhaltlich vor allem von der Kapitalseite und ihren journalistischen Freunden bestimmt, die Schreckensszenarien des drohenden Gewerkschaftsstaates entwerfen.

Kein Wort der DGB-Helden zur Realität in den Betrieben: ständige Gesetzesbrüche seitens der Unternehmer, wenn es um Informationen und Beteiligungen geht. Schikanen für Betriebsräte, besonders, falls sie engagiert sind. Kündigung von Leuten, die Betriebsräte aufbauen möchten. Erpressung der Betriebsräte, Korruptionsversuche, künstliche Betriebsaufteilungen, um Betriebsräte zu zerschlagen oder zu verhindern ...

Statt diese Realität des Klassenkampfes darzustellen, preisen die Bürokraten das „deutsche Erfolgsmodell" und setzen ihre Hoffnung auf Riester und Schröder. Sie beweisen so trotz gegenteiliger Behauptungen, dass der Deal „Rente gegen BetrVG" ausgehandelt wurde.

Dieser Deal war schmutzig, weil er die beginnende Mobilisierung gegen die Rentenreform missbraucht und abgewürgt hat. Er war übel, weil praktisch die arbeitenden Massen bluten, um neue Funktionärsposten zu schaffen. Er war stümperhaft, weil erst bezahlt wurde und von der gelieferten Ware jetzt Scheibchen um Scheibchen wieder abgeschnitten wird.

Was steht im neuen Gesetz?

Betriebsräte haben einerseits eine Position in den Betrieben, die die totale Macht der Kapitalisten über die Arbeiter einschränkt, die diese sich mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages einhandeln. Aber sie sind auch ein Kontrollorgan des bürgerlichen Staates und die Betriebspolizei des Kapitals, die alle Konflikte kontrollieren und beherrschbar machen sollen.

Auf diese Rolle stellt Schröder ab, wenn er verkündet, dass die deutsche Betriebsverfassung auch Kosten spart, weil sie den technischen Strukturwandel ohne große Brüche regeln kann.

Die Betriebsräte haben auch die Funktion, die Gewerkschaften aus den Betrieben rauszuhalten, denn betriebliche Funktionäre sind leichter an die „Interessen des Betriebs" zu binden, während die Gewerkschaften die Klasse über die Betriebsgrenzen hinaus branchenweise organisieren und so selbst die Bürokratie ihre Politik viel schwerer einseitig auf einzelne Betriebe ausrichten kann. Darauf insistiert auch die grüne Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Wolf, die den Riesterentwurf kritisiert, weil es doch gerade um die „Stärkung der Betriebsräte gegen die Gewerkschaften" ginge.

Diese Stärkung der Betriebsräte zu Lasten der Gewerkschaften wollen die Unternehmer und ihre Parteien seit Jahren über eine Änderung des § 77 Abs. 3 BetrVG durchsetzen. Dieser Paragraph besagt, dass Regelungen, die üblicherweise Gegenstand von Tarifverträgen sind, nicht Gegenstand von Betriebsvereinbarungen zwischen Betriebsrat und Unternehmer sein dürfen.

Anders ausgedrückt: Löhne und Gehälter werden üblicherweise in Tarifverträgen geregelt. § 77 Abs. 3 BetrVG verhindert, dass Betriebsräte – womöglich unter dem Druck von geplanten Rationalisierungen – Lohnabschlüsse vereinbaren können, die unter den Tarifen einer Branche liegen. Damit soll die Tarifautonomie geschützt werden, d.h. die alleinige Regelungsberechtigung durch die Tarifparteien Gewerkschaften und Arbeitgeber/Arbeitgeberverbände. Es soll verhindert werden, dass Lohnverhandlungen zu „kollektivem Betteln" (dieser Begriff wurde vom Bundesarbeitsgericht verwendet!) verkommen, da Betriebsräte nicht zum Streik aufrufen dürfen.

Dieses kollektive Betteln verbunden mit der absoluten Friedenspflicht der Betriebsräte ist es, was Unternehmer, FDP und wichtige Teile der Grünen anstreben. Mit den Argumenten, dass einerseits Streiks ohnehin nicht mehr zeitgemäß seien und dass andererseits mehr Regelungskompetenzen auf der betrieblichen Ebene praxisgerechtere Lösungen garantieren würden, sollen die Gewerkschaften entmachtet und die Arbeiter ihres wichtigsten Kampfmittels, des Streiks, beraubt werden.

In dem Streit um das Wahlverfahren in den Kleinbetrieben favorisieren DGB wie der Riesterentwurf ein neues Modell. In Betrieben bis zu 50 wahlberechtigten Beschäftigten (DGB-Entwurf: bis zu 100 Wahlberechtigten) soll der Betriebsrat auf einer Betriebsversammlung gewählt werden können. Außerdem werden die Fristen verkürzt und damit die Dauer des Wahlverfahrens halbiert.

Bisher haben die Unternehmer stets die lange Dauer des Wahlverfahrens genutzt, um Druck auf Kandidaten auszuüben oder BR-Wahlen wegen formaler Fehler bei dem komplizierten Wahlverfahren vor Gericht angefochten. Viele Firmen fechten grundsätzlich jede Wahl eines Betriebsrats im Vertrauen darauf an, irgend einen kleinen formalen Fehler zu finden.

Zu begrüßen ist es, dass der Beginn des Kündigungsschutzes vorverlegt und auf die Einlader zur Betriebsversammlung ausgedehnt wurde. Dennoch ist das neue vereinfachte Wahlverfahren nicht unproblematisch, da durch die Anwesenheit leitender Angestellter und des Unternehmers bei der Wahlversammlung der Wahlbeeinflussung Tür und Tor geöffnet wäre.

Deshalb fordern wir, leitenden Angestellten und dem Unternehmer kein Teilnahmerecht an der Betriebsversammlung zu gewähren. Das beste Mittel gegen Schikanen und Erpressungen der Belegschaft durch den Unternehmer, um die Belegschaft an der Wahl eines Betriebsrates zu hindern, wäre es, die Rechte der Betriebsräte auf gewählte gewerkschaftliche Vertrauensleute zu übertragen, bis ein Betriebsrat gewählt ist.

Korrekt hatte der DGB gefordert, Leiharbeiter und Scheinselbständige mit in die BR-Vertretung einzubeziehen. Bei Riester bleiben davon nur die Leiharbeiter übrig. Diese können aber schon heute durch einen Betriebsrat bei ihrer Entleihfirma vertreten werden, wenn dies auch in der Praxis sehr schlecht funktioniert.

Die Scheinselbständigen, die mit Dienst- oder Werkvertrag arbeiten, sind aber rechtlich praktisch ohne Schutz. Die Integration der prekär Beschäftigten soll aber nicht nur dadurch stattfinden, dass sie vertreten werden dürfen oder wählen. Sie müssen im Betriebsrat vertreten sein, indem sie eigene Vertreter wählen und die Wahlperioden drastisch verkürzt werden. Damit würden auch automatisch mehr Frauen, die im Betrieb viel stärker fluktuieren, Zugang zum Betriebsrat haben.

Beseitigen wollen DGB und Riester den Minderheitenschutz im Betriebsrat, der bei konkurrierenden Listen auch die Freistellungen proportionell zur Listenstärke verteilt (während bis dahin die Mehrheitsliste alle freigestellten Betriebsräte stellen konnte). Dies war von Blüm eingeführt worden, um unternehmertreue Listen zu stärken. Das ist nicht eingetreten. Der Minderheitenschutz ist im Gegenteil ein Mittel geworden, um z.B. in IT-Betrieben die Möglichkeiten und Rechte der IGM-BR gegen eine Mehrheit gewerkschaftlich nicht Organisierter zu schützen. Doch ganz abgesehen davon, geht es darum, dass konkurrierende Listen im Betriebsrat die gleichen Rechte – also auch auf Freistellung gemäß ihrer Stärke - haben sollen. Was heute zum Nachteil einer unternehmertreuen Liste gereichen mag, kann morgen gegen eine oppositionelle, klassenkämpferische Basisliste ebenso gewandt werden. Für den DBG und Riester geht es an diese Stelle freilich darum, mit administrativen Mitteln möglichst viel Macht für "ihre" Leute zu sichern.

Fazit

Die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes – sicher nicht die letzte – stellt weder Arbeiter noch Unternehmer zufrieden. Erstere, weil sie außer einigen kleineren Zugeständnissen nicht gewonnen und die gewerkschaftlichen Stellungen tendenziell weiter zugunsten der Betriebsräte gestärkt wurden. Letztere, weil ihr die Verschlechterungen nicht weit genug gehen. Am ehesten kann noch die Gewerkschaftsbürokratie zufrieden sein, die sich einen vorgeblichen "Reformerfolge" ans Revers heften möchte.

Bei aller Reformiererei bleibt außen vor, eine welche stumpfe „Waffe" die Betriebsräte sind, wenn es um die Verteidigung der Arbeiterklasse geht. Wichtig ist dabei weniger, was geändert, sondern was beibehalten wurde: die Bindung der Betriebsräte an die Schweigepflicht und das Unternehmenswohl. Der Kampf gegen diese reaktionäre Fessel muss in den Vordergrund einer wirklichen "Reform" gestellt werden. Ein solcher Kampf wird sich jedoch nicht durch das Ausarbeiten "alternativer" Vorschläge und abgehobene "Reformdebatten" entwickeln. Die Betriebsräte werden nur dann aus der Umklammerung der Klassenkollaboration gerissen werden können, wenn der Kampf um eine allen Beschäftigten verantwortliche, gewählte, rechenschaftspflichtige und jederzeit abwählbare Vertretung mit dem Kampf gegen die Angriffe von Kapital und Staat verbunden werden.

Kontakt-Email an: gam@arcormail.de