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Günter Reimann
Der rote Profiteur

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"Überall gab es eine doppelte Buchführung: Plan- und faktische Zahlen. Ohne den parallel existierenden Schwarzmarkt wäre das System nicht überlebensfähig gewesen."
Kurz bevor Hitler an die Macht kommt, kehrt er nach Deutschland zurück. Während der NS-Diktatur hält er noch einige Monate aus, leitet eine Widerstandsgruppe, die die Untergrundzeitschrift "Gegen den Terror" verbreitet. Im Herbst 1933 flüchtet Reimann über die grüne Grenze in die Tschechoslowakei. Wien, Paris, London sind die nächsten Stationen. Politisch ist er heimatlos. Mit dem "Staatskapitalismus" ˆ la Stalin ist er fertig. Er versucht Gleichgesinnte, darunter den alten Pressezar Münzenberg, zu überreden, eine Dissidentengruppe zu gründen - vergeblich. Reimann bleibt noch bis 1936 Mitglied der KPD, bevor er der Exilführung seinen Austritt erklärt. Der Empfänger des Schreibens ist Herbert Wehner (siehe Randspalte). In der Emigration schreibt Reimann Zeitungsartikel und Bücher. In "Germany - World Empire or World Revolution", das 1938 erscheint, prophezeit er den ökonomischen Kollaps
Hitlerdeutschlands, sollte es nicht zum Krieg kommen. Im selben Jahr geht Reimann nach New York. Es reizt ihn, Amerika, "die Hochburg des Kapitalismus", kennen zu lernen - "aber ich habe nie im Traum gedacht, mich dort niederzulassen". Als Publizist kommt er über die Runden. Er ist stolz, nach Kriegseintritt der USA nicht für den "staatlichen Propaganda-Apparat" arbeiten zu müssen wie andere Emigranten. Reimann glaubt immer noch und trotz allem an ein besseres Deutschland. Seine Schwester Margot, an der er sehr hängt, stirbt in Auschwitz.

Dialektik in der Praxis: Der Kommunist wird zum Berater der Kapitalisten

Nach der Kapitulation denkt er darüber nach, zurückzukehren. Sein ehemaliger Genosse Herbert Wehner, mit dem er zu dieser Zeit in engem Briefkontakt steht, rät ihm dazu. Doch Reimann bleibt in New York. Dass Deutschland zum "Spielball der Großmächte geworden ist", gefällt ihm nicht.

Er will sich nicht binden, an keine Partei, an keine Organisation, und beschließt, eine unabhängige Existenz aufzubauen.
Das Finanzsystem ist im Umbruch: Mit dem Internationalen Währungsfonds wird vergeblich versucht, den globalen Kapitalfluss zu kontrollieren. Hinter dem Rücken der neuen Institution bilden sich Währungswerte auf freien Märkten. Ein Mechanismus, der Reimann an das "Doppelsystem" der Sowjetunion erinnert. Darüber zu berichten, müsste interessant sein, denkt er. Und lukrativ. 1946 gründet er die Wochenschrift >>International Reports on Finance and Currencies<<.
Um fünf Uhr ist Cocktailstunde bei den Reimanns, der Hausherr trinkt Wodka. "Schmeckt scheußlich, aber die Wirkung ist gut." Er nimmt einen Schluck und schüttelt sich. "Sie müssen sich das so vorstellen: Es gab auf der Welt, sagen wir mal, 500 Monopolisten mit Spezialkenntnissen auf einem Teilgebiet des Finanzkapitalismus. Ich wollte dieses Wissen zusammenführen, um das gesamte System zu verstehen.

Und ich wollte mich an die Spitze des Kartells setzen."
Warum aber sollen die Insider ihre Geheimnisse preisgeben? Früher oder später werde ihr Monopol ohnehin fallen, erklärt ihnen Reimann. Außerdem seien die Leser seines Newsletters potenzielle Kunden. Sein Kalkül geht auf. Zunächst gewinnt er zwei Mitarbeiter, die sich mit Warentransaktionen und Verrechnungskonten zwischen Asien, Europa und den USA beschäftigen. Die wiederum haben Kontakte zu anderen Experten im "Niemandsland des internationalen Geldkapitals". So entsteht ein Netz von mehr als 100 Zuträgern aus den Finanzzentren der Welt. Die Fäden laufen in Reimanns Büro an der Park Avenue zusammen. Dort macht er mit einer Handvoll Helfer jede Woche sein Blatt.
Der Kommunist wird Herausgeber des Zentralorgans der internationalen Hochfinanz. Ist er zum Klassenfeind übergelaufen? Im Gegenteil, sagt Reimann: "Ich habe den Glauben der Kapitalisten an ihr System unterminiert - und dafür haben sie mir 2000 Dollar gezahlt."

So viel kostet ein Jahresabonnement der "International Reports" bereits in den sechziger Jahren. "Aus meiner politischen Haltung habe ich nie einen Hehl gemacht", sagt Reimann. Seine Leser, "an sich intelligente Leute", habe das nicht gestört - solange die Informationen stimmten.
An einer Wand in Reimanns Villa hängt der gerahmte Dankesbrief des Vizepräsidenten der American Motors Corporation (AMC) "Your reports saved AMC", heißt es dort. Reimann sagte 1968 eine massive Abwertung des Pfunds voraus, was von der Bank of England und an der Wall Street dementiert wurde. AMC verkaufte einen Tag vor der Abwertung britische Devisen im Wert von zwei Millionen Dollar.
Zu diesem Zeitpunkt ist Reimanns Blatt eine Institution. Etwa 4000 Abonnenten, Großunternehmen, Geldinstitute, Spekulanten, rund 70 Zentralbanken und Regierungen leisten sich den Dienst. Auch in der Sowjetunion wird das Blatt eifrig gelesen, illegal, was Reimann heute noch ärgert: "In Moskau wurden alle Ausgaben eines Einzelabonnements kopiert und im ganzen Land verschickt."

Mehrfach sei ihm angetragen worden, den Markt zu manipulieren, sagt Reimann. "Ich habe das immer strikt abgelehnt." Weil das seinen Ruf ruiniert hätte. Und weil er, anders als viele seiner Leser, Spekulation für unmoralisch hält.
Reimann sitzt ganz bequem zwischen allen Stühlen. Ein Marxist, der Kapitalisten hilft, ihr Geld zu vermehren, ein deutscher Patriot in New York, ein Kämpfer für die klassenlose Gesellschaft mit Jaguar vor der Tür. Als geschulter Dialektiker ist er es gewohnt, mit Widersprüchen zu leben. Und vor allem ist er stolz darauf, ein radikaler Außenseiter und trotzdem erfolgreich zu sein. Er berät Regierungen von Entwicklungsländern, reist viel, auch im Ostblock. 1968 erscheint seine Analyse des "realsozialistischen" Wirtschaftssystems "Der rote Profit". Darin skizziert Reimann die Schwächen eines "Staatskapitalismus ohne Marktkonkurrenz und Marktpreise" und prophezeit die Implosion des Systems. Das Buch passt nicht zum Zeitgeist, es wird kaum beachtet. 

Der Börsen-Boom oder: Wenn der Kapitalismus aufhört, Kapitalismus zu sein

"Erstaunlich, wie auch der Westen den Ostblock überschätzt hat." Reimann nimmt einen Schluck Wodka. Die großen Weltläufe sind seine wahre Leidenschaft. So kommt ihm 1983 das Angebot der >>Financial Times<<, seinen Wirtschaftsdienst zu kaufen, gerade recht. "Es wurde nicht verhandelt", sagt Reimann. "Ich habe eine Summe genannt und sie haben akzeptiert." Seitdem kann er sich in Manhasset, einem teuren Vorort New Yorks, wo er mit seiner zweiten Frau lebt, ganz auf seine Studien konzentrieren. Über die deutsche Vereinigung hat er sich gefreut. Nach der Wende hat er in Dresden ein Haus direkt an der Elbe gekauft, in dem eine seiner Töchter lebt. Nie nach 1989 ist er auf die Idee gekommen, dem Marxismus abzuschwören wie so viele Linke. Er nennt sie abfällig "Doktrinäre, für die der Kommunismus wohl ein Glaubensbekenntnis war".

Für Günter Reimann ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende. Im Untergang des Ostblocks sieht er das Vorspiel für die große Krise des Kapitalismus, die er 1993 in seinem Buch "Die Ohnmacht der Mächtigen" beschwört. Die herrschende Ordnung sei fragil, habe quasireligiöse Züge angenommen, sagt er und verweist auf den irrationalen Börsen-Boom. In immer stärkerem Maße würden "Erwartungen künftiger Profite kapitalisiert". Diese Erwartungen aber seien letztlich nur gerechtfertigt, wenn das Marktrisiko ausgeschaltet werde. Dann aber, so Reimann, "hört der Kapitalismus auf, Kapitalismus zu sein".
Wann wird es so weit sein? Er lacht. Mit Prognosen ist er vorsichtig geworden. "Mich", sagt Günter Reimann und leert sein Glas, "wird der Kapitalismus wohl noch überleben."