Auf Eurer Revolution
will ich nicht tanzen


Wer sind hier eigentlich „die Autonomen"?
04/02
 
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Kleiner Autonomenführer

Hier melden sich einige Autonome zu Wort, die nach 1997 aus damals wie heute guten Gründen nicht mehr Teil der Vorbereitungen sogenannter revolutionärer Demonstrationen am 1. Mai in Berlin sind. Angesicht der inzwischen drei 1. Mai Demos und der Debatte um ihr Zustandekommen sowie des aktuellen Kampfes um Diskurshoheit wollen wir dennoch oder vielleicht gerade deshalb einige Einsprüche und Richtigstellungen vornehmen. Als „Autonome" zu sprechen erfreut sich zur Zeit wieder einiger Beliebtheit, denn mit dieser Selbstbezichtigung im Rücken läßt es sich offenbar ganz passabel Machtpolitik machen. In diese Richtung ist unsere Intervention zu verstehen.

Unsere Rolle in den letzten Jahren war - was die praktische Vorbereitung des 1. Mai angeht - eher gering. Wir haben sowohl die Trennung von den stalinistischen und maoistischen Sekten der RIM (RK und TKP/ML) ausdrücklich begrüßt, weil diese Gruppen mit unserem Verständnis von Emanzipation und Befreiung keine Gemeinsamkeiten haben, als auch zunehmend Kritik an der Politik der AAB entwickelt und artikuliert, deren 1. Mai-Konzept über Jahre hinweg immer mehr zu einem Pop-Event mit ritualhaftem Verlauf und einem unverantwortlichen Umgang mit Straßenmilitanz geworden ist. Den intellektuellen Leerstand von Gruppen wie den „Autonomen Kommunisten" oder dem unter „Gegeninformationsbüro" firmierenden Anti-Imps konnten wir ebenfalls seit Jahren hauptsächlich rund um den 1. Mai besichtigen. Soweit stimmt also die Feststellung, daß die maßgeblichen Gruppen der in diesem Jahr als „Gegenbündnis" angetretenen Fraktion schon immer am 1. Mai präsent waren. So schienen sie etwa von 1999-2001, also immerhin drei Jahre, zu den wenigen Bündnispartnern der AAB zu gehören, die an einem Revolutionsspektakel am 1. Mai noch ein organisatorisches Interesse hatten. Inhaltlich haben uns jedes Jahr die Klassenkampfparolen und die phrasenhaften Aufrufe gegen die Bonzen, Banken und Bosse aus dem Hause der Autokoms weiter vom 1. Mai entfernt, während die AAB - oh Wunder - über die Jahre gemäßigtere, weniger pathetische und politisch weiterrührende Töne anschlug.

Spätestens nach 1997 hatte sich für uns, und für viele andere als „undogmatische Autonome" firmierende Linksradikale, der 1. Mai in seiner bekannten Form überholt. Die Antifa-Mobilisierungen nach Leipzig und Bremen waren für viele aus diesem Spektrum wichtiger und sinnvoller, als in Berlin das übliche Spiel mitzumachen - auch wenn uns der Krawall der Abendstunden dann doch manches Mal ein bißchen gefallen hat. Politisch weitaus näher aber lagen uns inhaltliche Versuche wie z.B. das „Autonome Wochenende gegen die Leere" oder die Maulwurfstreifen, und auf der Aktionsskala dann die Grenzcamps und Interventionen wie die Flughafenblockade gegen den Abschiebeflughafen Schönefeld. Im letzten Jahr erlebte der 1. Mai fast nur durch das radikale Verbot ein^ Renaissance: Und so haben wir es zuin ersten Mal seit einigen Jahren wieder etwas sinnvoller gefunden, in Kreuzberg den Bullen eine denkwürdige Vorstellung zu bieten. Soviel nur zur Selbstverortung in einer Debatte, wo von allen Seiten das „Autonomenticket" gespielt wird. Das war also unseres.

Die Revolution findet nicht statt

Der diesjährige 1. Mai machte medial vor allem durch das Grottian-Bündnis frühzeitig von sich reden, und das auf nicht schlechte Weise. Denn eine im linksliberalen Restmilieu erhobene Forderung nach einem polizeifreien S036 haben wir sehr charmant gefunden. Gerade die Erfahrungen mit dem Verbot, die ja nur durch ein Bündnis mit eben diesen Linksliberalen überhaupt abgefedert werden konnten (mensch denke an die Empörung über Narrs Festnahme in der Presse und die Negativschlagzeilen, die die Bullen u.a. damit gemacht haben), haben uns vor Augen gerührt, daß uns eine Isolierung und kategorische Abgrenzung von diesem Spektrum nur werter weg führt von einer Idee des Zusammenkommens mit vielen Menschen, die Widersprüche in diesen Verhältnissen und bei sich entdecken und sich in einem politischen Sinne emanzipieren wollen. Deshalb haben wir das Personenbündnis mit einer gewissen Sympathie beobachtet und die Daumen gedrückt, daß durch deren Forderungen am 1. Mai eine Situation entstehen mag, die dem Projekt einer Verbreiterung undogmatischer, linksradikaler Ansätze neue Spielräume öffnet. Gleichzeitig haben wir den Befriedungscharakter dieses Unternehmens gering eingeschätzt. Das Bündnis mit seinen geplanten Veranstaltungen hat in unseren Augen gar nicht die Reichweite, tatsächliche Auseinandersetzungen mit den Bullen zu verhindern. Es mit diesem Potential auszustatten, wird vor allem von selbst ernannten „Revolutionären" unternommen, die die Abendrandale als Ausdruck von Klassenkämpfen mißinterpretieren und zur Untermalung ihrer antikapitalistischen Phraseologie sehnlichst gebrauchen können. Nur in diesem Schema werden das Grottian-Bündnis und mit ihm auch diejenigen linksradikalen Gruppen, die mit ihrer Mitarbeit eine politische Einflußnahme zugunsten von mehr Freiheitsrechten und Antirepressionsforderungen versuchen, zu Feinden eines angeblichen Aufstands der Unterdrückten. Obwohl es Jahr um Jahr wieder hautnah zu erleben ist, daß die Straßenriots am 1. Mai eben gerade nicht in eine Umwälzung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse münden (sondern sie etwa in Form der schlecht gezielten Männergewalt auch ein Stück weit fortschreiben), halluzinieren Autokoms und Co. weiter „die Kämpfe der Unterprivilegierten, der Arbeiterklasse und der Armen", die „ihre eigenen Melodien" haben, und die „wieder durch Kreuzbergs Straßen hallen" werden (aus dem Aufruf der 16:00 Uhr-Demo ab Bolleplatz). Analog dazu ist die Feinderklärung rudimentär schlicht: „die kapitalistische Herrschaftsciique und ihre Kriegstreiber jeglicher Couleur" sind es, denen es mal wieder gezeigt werden soll.

Wir möchten uns zu derartigen Politik-Konzepten aus der Mottenkiste der autoritären und kommunistischen Linken nicht weiter äußern, denn sie sind meilenweit von dem entfernt, was andere Linke seit vielen vielen versuchen: eine komplexere und den gesellschaftlichen Widersprüchen und auch den eigenen Verstricktheiten in Herrschaftsverhältnisse gerecht werdenden Praxis zu entwickeln, deren Stationen wie der etwa Autonomie-Kongreß oder die schon erwähnten Grenzcamps auf einen anderen Emanzipations-Horizont deuten als das ewiggleiche Gerede von Revolution und Klassenkampf Die Lektüre eines x-beliebigen Textes aus dem Kontext der 16 Uhr-Demo führt die Leserinnen direkt in die argumentative Steinzeit: es gibt die Guten und die Bösen, den Kapitalismus als übergeordneten Hauptfeind und reichlich Revolutionsgepose. Mit anderen Worten: die sich hier artikulierende Gruppen sind nicht auf der inhaltlichen Flughöhe auch nur irgendeiner innerlinken Debatte zu Herrschaftsverhältnissen und Befreiungsszenarien Sie sind schlicht stehengeblieben.

Der Feind steht links

Verschenkt wurde in diesem Jahr bereits einiges. So steht das Personenbündnis inzwischen vor dem Aus, nachdem Innensenator und Bullenrührung deutlich gemacht haben, daß sie auf eine Polizeipräsent am l Mai im Kerngebiet von 36 nicht verzichten wollen. Am Abgrund stand das Bündnis aber schon lange vor dieser Absage, die immerhin einen halbwegs eleganten Abgang noch offen läßt, denn nach dem Rückzug des Personenbündnis jetzt liegt der schwarze Peter wieder dort, wo er hingehört: bei der Polizei und den politisch Verantwortlichen Schon vorher ist es im Trommelfeuer der Denunziationen und Anfeindungen mehr als einmal ins Trudeln geraten und sah sich mit dem (wenngleich reichlich falschen) Eindruck konfrontiert, die „Kreuzberger Bevölkerung" lehne das Bündnis als Befrieder bzw. Besatzer ab. Nicht nur die RKs der 13 Uhr-Demo ließen keine Gelegenheit zur Verbreitung ihrer Lügen von einem durch das Grottian-Bündnis ausgelösten Verbots ihres Aufmarsches aus, auch die Autokoms und das Gegeninformationsbüro legten sich mächtig ins Zeug, das Bündnis und seine Absichten als neues Feindbild aufzubauen Der Rausschmiß der AAB aus dem ursprünglich gemeinsamen Treffen für eine linksradikale l Mai-Demo ohne überhaupt eine Begründung der AAB anzuhören wurde mit der Mitarbeit der AAB im Personenbündnis begründet - damit war der Startschuß für den Feldzug des sogenannten „Gegenbündnis" gegen die AAB und alle anderen „Kollaborateure" abgegeben In der Folgezeit organisierten Autokoms und Gegeninformationsbüro eine geschickt inszenierte Hetzkampagne gegen das Personenbündnis und die AAB, der durch den Rauswurf gar nicht anderes übrig blieb, als eine eigene Demovorbereitung vorzuschlagen So kam es wie es kommen mußte: Neben der traditionellen Sektendemo um 13 Uhr ab 0-Platz legte sich die AAB im Bündnis mit anderen linksradikalen, antifaschistischen und undogmatisch-autonomen Gruppen auf eine 18 Uhr-Demo an 0-Platz fest, die nach Mitte gen Außenministenum ziehen soll Gerade diese noch im letzten Jahr von den Autokoms lauthals geforderte Route in die architektonische alte und neue Mitte wurde der AAB nun zum Vorwurf gemacht: Die AAB würde ganz auf der Linie der „Kiez-Befrieder" die protestierenden Massen aus dem schützenden Kreuzberg in die gefährliche Mitte führen, wo die Bullen nur auf ihre Gelegenheit warteten. Derlei Schnapsideen konnten Autokoms und Gegeninformationsbüro noch durch die Anmeldung einer eigenen Demo toppen: Ab 16 Uhr Bolleplatz demonstriert nach bisherigen Planung nun das „Gegenbündnis", und zwar in konzentrischen Kreisen durch den „befriedeten" Bezirk. Doch nicht nur eine eigene Demo wurde gegen die AAB in Stellung gebracht, auch auf diversen Veranstaltungen mußten sich Grottians Bündnispartner niederbrüllen und als „Verräter" bezeichnen lassen. Dieser massive Einsatz wird vor allem über die Behauptung legitimiert, die Kreuzberger Bevölkerung, und allen voran ihre politische Vertretung, die Autonomen, würden den Befriedungsversuch und das Bündnis rundheraus ablehnen. In einer maßlosen Selbstermächtigung schreiben sich Autokoms und Gegeninformationsbüro den Vertretungsanspruch für die Kreuzberger Szene zu - obwohl beide Gruppen mit dem Label autonom in etwa genau so viel zu tun haben wie das Grottian-Bündnis. Während die Autokoms in einer Zeitschleife des Schwarz-Weiß-Denkens der 80er Jahre rotieren und immer neue Parolen aus der Vergangenheit recyclen, hat sich im Gegeninformationsbüro ein altgedienter Anti-Imp-Klüngel festgesetzt, dessen politischer Horizont zur Zeit von einer Neuauflage antiimperialistischer Verschwörungstheorien über die Ausrufung von Amerika zum Hauptfeind Nr. l bis zur bedingungslosen Palästina-Solidarität reicht.

Auf dem traurigen Höhepunkt der Kampagne gegen AAB und Gegenbündnis fackelten Unbekannte Grottians Auto ab, während er um die Zukunft des Personenbündnis stritt. Es hat seit Jahren keine schwachsinnigere Aktion von Leuten aus dem Berliner linksradikalen Spektrum gegeben, als diesen Brandanschlag auf das Auto einen Linksliberalen, dessen Arbeit im Antirepressionsbereich für die radikale Linke seit Jahren bekannt ist. Wir haben zwar mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, daß weite Teile der Szene diese Aktion verurteilt und sich jedweder Begeisterung enthalten haben, aber der politische Flurschaden solcher Anschläge ist damit vermutlich nicht wirklich zu begrenzen.

Antisemitismus am 1. Mai 2002

Die „Melodien", die am kommenden 1. Mai „durch die Straßen hallen werden", sind spätestens seit dem 16.03.2002 um -einige Parolen reicher geworden. Unter dem Motto „Solidarität mit Palästina" bzw. „Palästina muß leben" fand eine Demonstration in der Westberliner Innenstadt statt, die in ihrer Gesamtwirkung für uns eindeutig antisemitischen Charakter hatte Sowohl die Mehrzahl der Parolen („Stoppt den Krieg, Intifada bis zum Sieg") als auch eine ganze Reihe von Beiträgen haben das in unseren Augen unmißverständlich deutlich gemacht. (nachzulesen auf Indymedia und in verschiedenen Flugblättern zum Thema). Wir wissen, das der Vorwurf des Antisemitismus schwer wiegt und das andere Gruppen und Fraktionen der radikalen Linken damit oft schnell und undifferenziert bei der Hand sind. Wir wollen hier nicht in deren Fußstapfen treten, aber für uns stellt diese Demo einen neuen Höhepunkt der Artikulation von antisemitischen Parolen von links dar.

Aufgerufen zu der Demo haben neben palästinensischen Gruppen auch Teile des „Gegenbündnisses", darunter allen voran das Gegeninformationsbüro. Schon der Aufruftext ist ein Musterbeispiel eines sich unter dem Vorwand, solidarisch mit den von Israel Unterdrückten zu sein, tarnenden linken Antisemitismus. Hinter den Schlußforderungen nach „Freilassung der politischen Gefangenen" und dem „Ende der .Liquidierungen"' von Palästinensern schimmert eine völkische Bezugnahme und eine Unterstützung für die mörderischen Terroranschläge gegen Jüdinnen und Juden auf, die den Solidaritätsbekundungen der NPD wenig nachsteht. Antisemitismus in der Linken ist in unseren Augen ein von vielen Linken trotz der Bekenntnisse, nicht antisemitisch zu sein, immer wieder erfolgreich verdrängtes Thema. Auch bei uns gibt es dort Leerstellen und Nachholbedarf. Spätestens das Stattfinden und der Ablauf dieser Demonstration aber ist uns Anlaß, eine eindeutige Abgrenzung zu den Positionen und ihren Protagonisten vorzunehmen und von anderen Linken einzufordern. Zu befurchten ist indes das Gegentei1. Nicht nur die teilweisen Überschneidungen zwischen den AufruferInnen zur Palästina-Demo und zur 16 Uhr-Demo des „1. Mai-Gegenbündnis" lassen vermuten, daß die antisemitischen Parolen und Forderungen auch am 1. Mai durch Kreuzberg hallen sollen Das „Solidaritätsbündnis für Palästina" kündigt die Teilnahme an 1. Mai-Demos auf ihrer Homepage (übrigens auf den Internet-Seiten des Gegeninformationsbüros angesiedelt) bereits als eine Station einer breiteren Kampagne an (die über die Ostermärsche sowie eine Großdemo am 13 April, dem palästinensischen „Tag des Bodens", rühren soll).

Wir nehmen diese Ankündigung eines „Palästinablocks" sehr ernst und würden uns schon im Vorfeld ein klares Nein vieler gegen ein 1. Mai-Bündnis wünschen, in dem Gruppen, die antisemitische Aufzüge organisieren, eine Führungsrolle einnehmen Manche werden sagen, wir vertieften damit die Spaltung. Uns geht es mit dieser Forderung aber nicht um die weitere Schwächung der Linken durch Trennungen oder Ausschlüsse, sondern um eine Qualifizierung linker Politik und um ein radikales Infragestellen des emanzipatorischen Anliegens derjenigen Gruppierungen, die gegen jede Kritik an ihrer unheilvollen Palästina-Solipolitik festhalten. Dazu gehört für uns, am 1. Mai in Kreuzberg sichtbar zu machen, daß ein Umzug, der antisemitische Parolen unter seinen Teilnehmerinnen für opportun oder politisch tragfähig hält, auf scharfe Gegnerschaft stößt.

Der 1. Mai kommt ganz bestimmt

Wenn eine der Demos am 1. Mai unsere Sympathie benötigt, so ist das zum gegenwärtigen Zeitpunkt ganz sicher das Bündnis aus AAB, fels, Antifa-Gruppen und undogmatischen Autonomen für 18 Uhr. Wenn wir uns also zukunftsweisende Impulse vom 1. Mai und der Begegnung von vielen versprechen, dann von hier aus. Wenn wir aber an die übrigen Demonstrationen denken, so haben wir unsere Zweifel an der Ausdruckskraft dieses Tages.
Das Bündnis für die 16:00 Uhr-Demo schreibt am Ende ihres Aufrufs: „Wir werden am 1. Mai nicht nach der Pfeife der Regierenden und ihrer Wasserträger tanzen. Nicht mit ihnen und nicht nach ihren Rattenfängermelodien " Dem können wir nur entgegenhalten: Auf Eurer Revolution wollen wir nicht tanzen, denn die autoritäre und antiemanzipatorische Verdichtung Eurer Aufrufe und Störaktionen richtet sich nicht gegen Herrschaft und Unterdrückung, sondern reproduziert beides in Gestalt einer selbstghettoisierenden Hausmacht. Nicht mit Euch, sondern schlimmstenfalls dagegen, werden wir ein Tänzchen wagen.

Einige Autonome aus Kreuzberg
 

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel erschien am 4.4.2002 in der Interim 547. OCR-Scan by Red. trend. Dem Originaltext wurden die Hyperlinks von Red. trend eingefügt.