Der Fisch kann nur im Wasser kämpfen
4 Thesen zum "islamischen Fundamentalismus"

von
Herbert Steeg
04/02
 
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Vorbemerkung

Nach dem Trauma des 11.09.2001 bekämpft die US-Regierung, und mit ihr die NATO, den „Terror“ außenpolitisch durch Krieg gegen islamische Länder, innenpolitisch durch verstärkte polizeistaatlicher Überwachung. Das ähnelt dem Mann, der nach Hause kommt, sieht das eingebrochen wurde, schreit: „Rache!“, verriegelt alle Fenster und erschießt Nachbars Hund. Gesellschaftliche Phänomene wie „der Terror“ können nicht mit den Skalpell aus ihren politischen und sozialen Zusammenhängen geschnitten und ausgelöscht werden.

Die Linke reagierte in dieser Situation mit sehr richtigen und notwendigen Friedensaufrufen. Das ist um so gerechtfertigter, als der Krieg die Probleme, die er angeblich bekämpfen soll, am Ende wieder neu und größer hervorbringen wird. Dennoch ist der „islamische Fundamentalismus“ kein halluzinierter Feind und die Linke hat es bisher leider versäumt, sich grundsätzlicher mit ihm auseinanderzusetzen.

1. Der „islamische Fundamentalismus“ ist kein religiös oder theoretisch entstandenes Problem.

Die mir bekannten Versuche den „islamischen Fundamentalismus“ zu beleuchten, kranken daran ihn einfach mit anderen religiös-fundamentalistische Bewegungen zu vergleichen. Der „islamische Fundamentalismus“ ist keine theoretische oder religiöse Bewegung, er hat nicht einmal bedeutende, allgemein anerkannte Theoretiker hervorgebracht. Anders als andere fundamentalistische Bewegungen hat er es jedoch geschafft zu einem Teile der Welt beherrschenden Gesellschaftssystem zu werden. Weshalb?

Wieso begann die Linke nicht nachzudenken, als der iranischen Revolution, entgegen allem was erwartet wurde, ein „religiöses“ Terrorregime folgte? Wieso reagierte sie nicht wenigsten, als die Taliban-Tyrannei Afghanistan beherrschte? Und auch als „islamische Fundamentalisten“ den Sudan regierten und in Algerien, Ägypten, Palästina und weiteren Ländern zu bedeutenden Bewegungen wurden, führte das zumindest in der europäischen Linken nicht zu wichtigen theoretischen Analysen. Die erreichte politische Macht der „islamischen Fundamentalisten“ zeigt jedoch bereits deutlich, daß dies keine zufällige religiöse Entwicklung ist, sondern das wichtige gesellschaftliche Ursachen hier wirken müssen.

2. Der „islamische Fundamentalismus“ schöpft seine Kraft aus dem Widerspruch zwischen Sippengesellschaft und Kapitalismus.

Friedrich Engels beschreibt in seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ (wie zuvor bereits Morgan) die Trägheit der Verwandtschaftssysteme gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung. „Und“, setzt Marx hinzu, „ebenso verhält es sich mit politischen, juristischen, religiösen, philosophischen Systemen überhaupt.“

Gibt es diese Trägheit, so muß im Nahen Osten, der in den Kapitalismus getrieben wurde, als die Sippengesellschaft noch keineswegs gesellschaftlich überlebt war, dies zu besonderen Widersprüchen führen. „Da die Grundlage der Zivilisation die Ausbeutung einer Klasse durch eine andere Klasse ist, so bewegt sich ihre ganze Entwicklung in einem fortdauernden Widerspruch. Jeder Fortschritt der Produktion ist gleichzeitig ein Rückschritt in der Lage der unterdrückten Klasse, d.h. der großen Mehrzahl“, schrieb Engels. Im Nahen Osten wirkte dieser Rückschritt besonders scharf und brutal in Staaten, die nichts von dem kennen, was bei uns als „soziales Netz“ die Lebenssituation erträglich macht. Der einzige Schutz und die letzte Hilfe bietet da nur noch die überkommene Sippenstruktur, mag sie auch sonst noch so vorgestrig sein. Diese Sippenstruktur widerspiegelt der „islamische Fundamentalismus“ politisch, so wie z.B. auch der katholische Klerus die Familienstruktur des Spätfeudalismus zu bewahren sucht. Mit der islamischen Religion hat das soviel zu tun, wie die bayrische Dorffrömmigkeit mit dem Christentum. Der „islamische Fundamentalismus“ wirkt so wie eine rückwärtige, in die Vergangenheit gerichtete Utopie, die etwas wiederaufrichten will, was es nie wieder geben kann, da die moderne Warenproduktion die Sippengesellschaft unwiederbringlich zersetzt. Und die bis in die letzten Wüstenwadis des Planeten wirkende Globalisierung (wie der heutige Imperialismus genannt wird) beschleunigt das noch.

3. Die „Zivilgesellschaft“ kann für die islamische Welt keinen Fortschritt bringen.

Es ist zynisch, wenn etwa von Schröder erklärt wird, es müsse die „zivilisierte Welt“ gegen den Islamismus verteidigt werden. Denn damit wird der Nahe Osten als unzivilisiert gescholten. Er ist lediglich unentwickelt. Wichtige Teile unserer Kultur stammen aus der arabischen Welt, z.B. unsere Schrift

Die Übertragung des europäischen Konzepts der „Zivilgesellschaft“ ist kein Heilmittel gegen den „islamischen Fundamentalismus“. „Die platte Habgier war die treibende Seele der Zivilisation von ihrem ersten Tag bis heute, Reichtum und abermals Reichtum und zum drittenmal Reichtum, Reichtum nicht der Gesellschaft, sondern dieses einzelnen lumpigen Individuums, ist ihr entscheidendes Ziel. Wenn ihr dabei die steigende Entwicklung der Wissenschaft und zu wiederholten Perioden die höchste Blüte der Kunst in den Schoß gefallen ist, so doch nur, weil ohne diese die volle Reichtumserrungenschaft unserer Zeit nicht möglich gewesen wäre.“ (Friedrich Engels)

Es ist gerade die „islamische Zivilgesellschaft“, die mit der alten Sippengesellschaft verwobenen Gemeinschaften, die den Menschen dort ein Gefühl der Hilfe und Nähe bieten und die so die Massenbasis des „Fundamentalismus“ herstellen. Die europäisch/nordamerikanischen, kapitalistischen Lebens- und Moralvorstellungen bieten keine Perspektive. Sie reduzieren das menschliche Leben auf kaufen und verkaufen, machen aus allem eine Ware (selbst die Liebe wird per Schnulze oder Sexshop vermarktet) und sind damit nur ein Spiegelbild der imperialistischen Zentrenwirklichkeit. „Das industriell entwickeltere Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft.“ (Karl Marx)

Nur ein sozialistischer, in die Zukunft zeigender Lebens- und Moralentwurf könnte dem „Fundamentalismus“ etwas entgegensetzen.

4. Das Klassenfundament des „islamischen Fundamentalismus“ ähnelt dem des Faschismus.

Manche haben die „fundamentalistischen“ Regime in Afghanistan oder dem Iran anhand ihrer Herrschaftsmethoden mit dem Faschismus verglichen. Das reicht für eine gefestigte Analyse nicht aus.

Motive und Handlungen von Einzelnen, sollen sie zu Motiven und Handlungen von Vielen werden, müssen gegründet sein auf eine soziale Situation, eine Klassensituation. In den sich industrialisierenden, aber noch stark feudalistischen Staaten des Nahen Ostens existiert eine bedeutende Mittelschicht aus Händler, Handwerkern u.ä. Die Industrialisierung, beschleunigt durch die Globalisierung, läßt diese Mittelschicht verarmen und verfallen. Aber das, was im „normalen Kapitalismus“ die Folge wäre, ihr Herabfallen in die Arbeiterklasse, ihre Proletarisierung, ist hier nicht möglich. Denn wie soll ein verlumpter Handwerker zum Arbeiter werden, wo schon Hunderttausende und Millionen Arbeiter als chronisch Erwerbslose auf der Straße stehen? Was kann der von seiner Sippe mühsam unterstützte Händlersohn, der im Norden studierte und dann zurückkehrt in ein Land, wo seine Arbeitskraft nicht zu verkaufen ist, dort noch werden? Kurz: das Ergebnis dieser sozialen Prozesse ist ein Verfaulen dieser Mittelschicht. Und dieses klägliche Kleinbürgertum, verbittert angesichts seiner ausweglosen Lage, erzeugt in sich einen grenzenlosen, stumpfen Haß auf alles Neue und Moderne. Es ist nicht in der Lage eine Zukunft zu erkennen, wo es doch auch als Klasse keine Zukunft hat. Dem verarmten Kleinbürger ist jeder Entwicklungsgedanke feind, da die Entwicklung stets gegen ihn ging - jeder Fortschritt brachte ihm nur Mühsal und Schulden. So ist diese verfaulende Mittelschicht, und mit ihr die verelendeten nordafrikanischen Kleinbauern und Nomaden, der Nährboden für den „Fundamentalismus“, für eine die eigene Vergangenheit scheinbar wiederaufrichtende Bewegung. Der faulende Kapitalismus zeugt so seine Kampfratten. (Sollte das Wort Lenins, daß der Imperialismus faulender Kapitalismus ist, noch eine Illustration brauchen, die heutige „dritte Welt“ ist sie.)

Die soziale Basis des „Fundamentalismus“ ähnelt der des europäischen Faschismus in der ersten Hälfte des 20ten Jahrhunderts. Damals war es die große Wirtschaftskrise, die die Mittelschicht verfaulen ließ und dadurch den Faschismen Zulauf brachte. Deshalb ist zu erwarten, daß der „Fundamentalismus“ ebenso wie der Faschismus zu einem lang andauernden, ernsten Problem wird. Ich halte es für nötig, daß die kommunistische Bewegung eine klare und unzweideutige Haltung zum „islamischen Fundamentalismus“ einnimmt. Der „Fundamentalismus“ darf nicht, wie bei einigen ML-Gruppen, als Teil der „kämpfenden Völker“ gesehen und beurteilt werden. Es kann und darf mit ihm auch keine taktischen Bündnisse geben.
 

Editorische Anmerkungen:

Dieser Artikel ist ein Disko-Beitrag für die DKP Krefeld/Viersen und eine Spiegelung von
http://home.t-online.de/home/02151547928-0001/i-fundis.htm