Zur Schüler-Demonstration der Initiative "Jugend gegen den Krieg" am 24.3.2003 in Hamburg:
Demokratie-Praktikum mit Schlagstock und Wasserwerfer

04/03
 
 
trend
onlinezeitung

Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin
Die Bilanz: mehrere Verletzte, über hundert Festnahmen – und für alle Beteiligten eine praktische Klarstellung darüber, was das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und die im Sozialkundeunterricht vermittelte Tugend des politischen Engagements tatsächlich beinhalten.

Am vergangenen Montag führten mehrere Tausend teils noch sehr junge Schüler in Hamburg eine politische Aktion durch, die sich ihre längst zu reifen Staatsbürgern erzogenen Eltern wohl kaum noch trauen: Sie taten ihre Empörung über das Gemetzel im Irak mit einer Demonstration zum US-Konsulat kund.

Für zahlreiche Teilnehmer war diese Aktion mit der Abschlußkundgebung noch nicht zu Ende. Der Aufforderung der Polizei, nun einfach nach Hause zu gehen, glaubten sie offenbar nicht so recht. Daß einem Menschen per polizeilicher Anweisung das Recht auf Meinungsfreiheit einfach so versagt werden kann, kannten diese jungen Leuten wohl bislang nur aus Fernsehberichten über irgendwelche fremden, "diktatorisch" regierten Länder, aber doch nicht von "ihrer" Bundesrepublik.
Diese Illusion wurde den Schülern mit einer Lektion in Staatsbürgerkunde ausgetrieben, die ihnen kein Lehrer hätte vermitteln können. Die Polizei löste die Demonstration nach einigen Rangeleien mit Schlagstock – dem seit Kaisers Zeiten bewährten Mittel zur Schülererziehung! – und Wasserwerfern auf und muß – Presseberichten zufolge – auf die Schulkinder eine regelrechte Treibjagd veranstaltet haben. Zurufe einiger Anwohner, man möge doch die Kinder in Ruhe lassen, halfen diesen offenbar nicht. Die Bilanz: mehrere Verletzte, über hundert Festnahmen – und für alle Beteiligten eine praktische Klarstellung darüber, was das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und die im Sozialkundeunterricht vermittelte Tugend des politischen Engagements tatsächlich beinhalten.

Doch das war nur der erste Teil der Lektion. Nachdem so ein junger Mensch seine Lebenserfahrung um Tränengas und Gummiknüppel bereichert hat, soll er sich – so will es der Senat – daran auch noch schuldig fühlen: "Wer ernsthaft für den Frieden demonstrieren will", so lehrt der FDP-Abgeordnete Schrader (HA 25.3.2003), der "muss sicherstellen, dass jede Gewalt unterbleibt." Wer also in gutem Glauben an seine demokratischen Rechte bei einer Demo arglos mitlatscht, statt die Reihen seiner Mitdemonstranten mit Argusaugen nach potentiellen Gewalttätern zu durchforsten oder am besten gleich zu Hause zu bleiben, macht sich schon strafbar. Und für Schüler behält sich der Schill-Senat bekanntlich obendrein noch vor, das Schuleschwänzen künftig unter Strafe zu stellen. – Diese Drohungen des Senats beschränken sich übrigens keineswegs auf aktive Teilnehmer einer Demonstration. Auch wer als "Schaulustiger" der Aufforderung nicht nachkommt, einen Ort zu räumen, muss nach einer Stellungnahme der Polizei (HA 26.3.03) damit rechnen, dass gegen ihn vorgegangen wird.
Die Vorgänge vom vergangenen Montag haben also gezeigt, daß es heutzutage zumindest in Hamburg nicht ganz ungefährlich ist, sich für privat initiierte öffentliche Kundgebungen allzusehr zu interessieren oder gar an ihnen teilzunehmen. Daß die lokale Staatsmacht auf so einer Lektion besteht, kommt freilich nicht von Ungefähr. Sie ist gerade für junge Menschen außerordentlich wichtig. Die heutigen Schulabgänger hätten nämlich wirklich allen Grund, sich mal damit auseinanderzusetzen, was ihnen im Leben außer den in aller Welt geführten Kriegen noch so alles bevorsteht. Daß Schulbildung in keiner Weise einen Job sichert, dürfte sich längst herumgesprochen haben. Zu den "Bessergestellten" gehört heute bereits, wer nach der Schule nicht gleich zum Sozialamt muß – und was das für das Arbeitsleben heißt, wird heutzutage kaum noch beschönigt.

Sich mit alldem abzufinden, mag manchem angesichts der Lektion vom vergangenen Montag als bequemster Weg erscheinen. Die Frage ist nur, wohin ihn dieser Weg führt.
 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns von der Redaktion  AndersGesehen zur Veröffentlichung zugesandt.