Globalisierung und Nationalismus
Die Schizophrenie des Kapitalismus

Findet eine Globalisierung statt und was ist Gegenstand dieser Globalisierung?

von
Heribert Sommer

04/03
 
 
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Den ersten Teil der Frage müssen wir deutlich bejahen, allerdings ist das kein neuer Prozess, er dauert, in Gestalt der Ausdehnung des Weltmarktes schon zweihundert oder dreihundert Jahre an. Wenn wir den globalen Kapitalismus unserer Zeit betrachten, dann sehen wir, dass er weltweite Probleme hervorbringt, die er nicht zu meistern in der Lage ist. Diese Probleme sollten ebenso als Teil der Globalisierung begriffen werden, wie die weltweite Expansion und Einflussnahme des Nato-Imperiums. So erhält die bürgerliche Floskel von der „Globalisierung“ eine materielle Wahrheit. Der Begriff wird mit greifbaren Inhalten gefüllt, die ideologische Formel der Herrschenden wird entzaubert, um sie für die Unterdrückten nutzbar zu machen.

Es gibt einen Widerspruch zwischen der neuen Herrscher - Ideologie der Globalisierung und alten Herrschaftsideologie des Nationalismus. Es ist eine Schizophrenie des Kapitals, dass es weltweit agiert und sich international ausdehnt, während das politische Personal der Bourgeoisie weiterhin nationale Vorurteile, Rassismus und völkischen Dünkel, also Hochmut produziert. Als Beispiel sei hier an den Begriff von der „deutschen Leitkultur“ erinnert, der von den christlich-konservativen Leithammeln in Deutschland zur Abschreckung hochgehalten wird.

Eine materielle Betrachtung der Globalisierung verlangt aber nicht nur, wie es ein stalinistisch-verkürzter Marxismus tun würde, die ökonomischen Wurzeln der Entwicklung aufzudecken. Die sozialen Realitäten und die verschiedenen Erscheinungsformen der Unterdrückung und der leidvollen Existenz gilt es insgesamt zu erfassen. Es geht auch nicht darum den Globalisierungsbegriff als Totschlagargument zur Rechtfertigung kapitalistischer Sauereien zu akzeptieren. Der folgende Beitrag, der auf einem Referat beruht, kann nur Ansätze für eine materielle Bewertung bieten, doch die werden deutlich sein.

Die Linke ist von der bürgerlichen Schizophrenie zwischen Nationalismus und Internationalismus ebenso befallen, denn die Klassen sind, wie Lenin sagte, nicht durch eine chinesische Mauer voneinander getrennt. Dass soll heißen, das die „Linke“ hauptsächlich von bürgerlicher Ideologie zehrt und materielle Realitäten mit Vorliebe ignoriert oder missversteht. Da es also kaum eine eigenständige Denkweise, ein eigenes Bewusstsein der Unterdrückten gibt, ist die bürgerliche Denkweise auch in die Linke weit eingedrungen. So ist auch der Umgang mit Globalisierung und Nationalismus in der Linken von Schizophrenie – oder weniger pathologisch ausgedrückt - von doppeldeutiger Verwirrung gekennzeichnet.

Zuerst werde ich auf einige Erscheinungen des globalen Kapitalismus eingehen: globaler Interventionismus, globale ökologische Probleme, globale Wirtschaftskrisen und anschließend dann Belege für die Zuspitzung der Klassenwidersprüche nennen. Darunter verstehe ich die gewachsenen sozialen Unterschiede zwischen den arbeitenden Klassen und der Welt-Bourgeoisie an deren Spitze 475 Milliardäre stehen.

Es geht dann um die Funktion nationaler Kategorien für die Herrschenden, die Haltung die der frühe Marxismus zur Nation einnahm, sowie um eine weltweite sozialistische Perspektive.

Erscheinungen des globalen Kapitalismus
Globaler Interventionismus

Aus der Sicht der USA ist ihr weltweites militärisches Engagement, ihre Einmischung in die Angelegenheiten zahlreicher Staaten keine neue Erscheinung. Der US-Imperialismus definiert schon seit langem seine eigenen Interessen nicht nur bezogen auf die Dinge in seinen Landesgrenzen. Mittelamerika wurde und wird als Hinterhof angesehen, Südamerika ist Objekt ökonomischer Ausbeutung und politischer Gängelung. Die US-Interventionen in Honduras, El Salvador, Nicaragua, Grenada in der Schweinbucht von Cuba usw. sind bekannt. Die USA operieren mit ihrem Geheimdienst weltweit, haben in den Siebzigern und Achtzigern blutrünstige Militärregime u.a. in Südamerika und aller Welt gestützt und damit die Folterung und den Tod zahlloser Menschen verschuldet.

Es geht hier nur um Beispiele, denn der US-Interventionismus operiert seit der Monroe-Doktrin auf dem gesamten amerikanischen Kontinent und seit der Jahrhundertwende in Südostasien: 1898 wurden die Philippinnen von den USA besetzt. In den sechziger Jahren des 20.Jahrhunderts begannen die USA ihren blutigen Feldzug gegen den Kommunismus in Vietnam. Millionen Menschen wurden grausam massakriert, verstümmelt und mit Napalmbomben verbrannt und weite Landschaften mit „agent orange“-Gas vergiftet. Seit dem 2. Weltkrieg dominieren die USA auch in Europa, denn als Siegermacht definiert die USA den europäischen Kontinent als ihr Einflussgebiet. (Truman-Doktrin)

Im Nahen Osten verfolgen die USA spezielle Interessen, die mit „Erd“ anfangen und mit „öl“ aufhören. Der Krieg gegen den Irak wurde grausamst geführt. Die sich zurückziehenden irakischen Konvois wurden mit überlegener Kriegstechnik vernichtet. Die radioaktive Verseuchung der irakischen Soldaten und Bevölkerung durch Uranmunition war Teil einer Vernichtungsstrategie, zu der auch das Embargo gehört. Die Freiheit, die in Kuwait verteidigt wurde, war nur die Freiheit des Kapitals, die dortigen Ölreserven auszubeuten. Die Imperialisten besitzen die Frechheit, ihre eigene Freiheit ungestört und rücksichtslos Ausbeutungsgeschäfte zu betreiben als urdemokratisch und quasi gottgewollt hinzustellen.

Nicht erst seit der Nato-Aggression gegen Jugoslawien wird von Bourgeoisie-Wissenschaftlern die selektive Aufhebung staatlicher Souveränität diskutiert. Ein gefährliches Unterfangen, der sich die von den Imperialisten beherrschte UNO nicht entgegenstellt. Wie heißt doch die US-Doktrin, die unter dem liberalen Herrn Clinton schon 1992 aufgestellt wurde: „Wenn möglich mit der UNO, wenn nötig ohne sie.“

Auch Frankreich verfolgt – insbesondere in Afrika - weiterhin imperialistische Interessen, führte dort zahlreiche Kriege und Interventionen durch, doch die Intensität dieser Kriegspolitik hat stark nachgelassen. Britannien, dass nur noch dem alten Namen nach groß ist, steht ständig fest an der Seite der USA, bombt mit Vorliebe auf den Irak und die Briten stellen im Kosovo das größte Truppenkontingent.

Deutschland spielt auf dem Balkan eine verdeckt aggressive Rolle, setzt seine ökonomischen Interessen dort voll durch und zielt darauf ab, bei zukünftigen Interventionen militärisch mitzumischen. Die lange beschworene militärische Enthaltsamkeit wurde von der Kohlregierung aufgebrochen und bezeichnenderweise von der rot-grünen Regierung ad acta gelegt. Der Nato-Mobilisierung gegen Jugoslawien zuzustimmen war überhaupt der erste Beschluss der neuen Schröder-Administration. 7Insgesamt kann man sagen, dass auch für die BRD der Satz des Militär-theoretikers Clausewitz über die Bedeutung des Krieges wieder gilt: „Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik, nur mit anderen, kriegerischen Mitteln.“

Globale ökologische Probleme

Während global kriegerische Auseinandersetzungen im letzten Jahrhundert an der Tagesordnung waren, mit den beiden Weltkriege als schrecklichen Höhepunkten, tritt die weltweite ökologische Gefährdung erst seit den Achtziger Jahren ins Blickfeld.

Die Ausbreitung globaler ökologischer Probleme kann kaum mehr übersehen werden. Zwar gibt es immer noch wissenschaftliche Gesundbeter, die behaupten, es gäbe noch nicht genug Daten, um zu einem Urteil zu kommen. Doch ihre Auffassung liegt mehr im Sinne ihrer Geldgeber, als das sie der Wahrheit näher kommt.

Beispiel Klimaerwärmung
Die jüngsten Überschwemmungen in Norditalien und England hatten katastrophale Ausmaße. Die superheißen Dürreperioden in Griechenland, die Waldbrände in USA, in Australien und die Superbrände in Indonesien, sind manchem noch kein Beweis. Die Superstürme, die Mittelamerika heimsuchten und u.a. in Nikaragua, Guatemala und auf Cuba schlimmste Schäden verursachten, treten inzwischen fast jährlich auf und treffen die ohnehin arme Region schwer.

Manche Häuser in Florida sind in den letzten Jahren schon zweimal weggeflogen, doch der Energie-Verschwendungssucht der US-Bourgeoisie und der Mittelklasse tut dies keinen Abbruch. Sie begreifen noch nicht einmal den Zusammenhang.

Überschwemmungen größten Ausmaßes waren aber auch in China und z.B. Bangladesh zu beobachten. Der Anteil der Industrie an den Ursachen der Veränderung ist auf höchster Ebene bekannt. Tony Blair sprach angesichts der jüngsten Überschwemmungen von Folgen der Klimaänderung, was meistens nicht ausgesprochen wird.

Noch zwei Beispiele dafür: Am Nordpol war im Sommer 2000 kein Eis anzutreffen, wie Touristen erstaunt feststellen mussten. Kilometerweit war das Eis geschmolzen. Am Südpol ist im März 2000 ein Stück so groß wie Mallorca vom Shelfeis abgebrochen. Die zunehmende Zerstörung der Ozonschicht, deren Ausdehnung wieder neue Rekorde erreicht, will ich hier nur erwähnen.

Die Klimakonferenz, die vor kurzem tagte, ist ein Beispiel für richtig verstandene Globalisierung und die Unfähigkeit globale Probleme durch global abgestimmte Maßnahmen zu bekämpfen. Die letzte Tagung endete in einem Desaster.

Die herrschende Bourgeoisie will ihre kapitalistische Logik möglichst allen Bereichen des Lebens und der Gesellschaft überstülpen. Die Spekulation ist außer dem Geldzählen zu einer Lieblingsbeschäftigung des Kapitals geworden. Jetzt verlangen die Spekulanten sogar mit Optionsscheinen auf CO2-Ausstoß zu handeln. Wenn sich die Regierungen auf diese von den USA betriebenen Machenschaften einlassen, dann wird in Kürze auch noch mit dem Verkauf von Rechten die Atemluft zu belasten und das Klima zu versauen, Gewinn gemacht werden.

Beispiel: Wasser

Ein weiteres großes ökologisches Problem ist die Versorgung mit Wasser. In vielen armen Regionen der Welt haben die Menschen nicht genügend oder gar kein sauberes Trinkwasser. Dies verstärkt die Ausbreitung von Krankheiten und beeinträchtigt die Lebensmöglichkeiten vieler Menschen, die in Afrika auf dem Lande leben. Millionen von Frauen müssen täglich viele Kilometer gehen, um ihre Familien mit Wasser zu versorgen. Die Versorgung mit Wasser ist in den nichtindustrialisierten Ländern des Südens schon immer eine bedeutende Frage gewesen. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich dieses Problem verschlimmert. Nicht nur wegen des Bevölkerungswachstums, auch wegen sich ausdehnender Wüsten und der Vertrocknung von Brunnen und Wasserstellen. In der nordafrikanischen Sahelzone dehnt sich die Wüste weiter aus. Der ehemals riesige Tschad-See zieht sich immer weiter zurück. Die Menschen und Tiere wandern ihm nach. Die Verwüstung ehemals fruchtbarer Gebiete verschärft die Situation in vielen Ländern Nordafrikas. Mit dem Einsatz entsprechender Technologie wäre es möglich, dieser Verwüstung entgegenzutreten und der Wüste wieder Land abzugewinnen. Doch den armen Ländern wird keine Gelegenheit gegeben sich selbst zu entwickeln. Ihre Ökonomien sind einseitig ausgerichtet, manche Länder werden mit EU-Agrarüberschüssen überflutet, was deren lokale Landwirtschaft, etwa die Viehzucht ruiniert, denn billiges EU-Fleisch überschwemmt den Markt. Oder es wird kostenlos Getreide verteilt, anstatt den Bauern Saatgut zum Eigenanbau und so zur Erlangung einer gewissen ökonomischen Eigenständigkeit zu geben.

Beispiel: Ozeane

Die Zerstörung der Ökologie betrifft auch die Meere, die den Großteil der Oberfläche unseres Planeten bedecken. Die Imperialisten zerstören mit ihren Industriefangschiffen die reichen Fischgründen. Sie fischen auch die Jungfische mit ab und gefährden so nicht nur die Fischgründe, sondern auch die Nahrungsgrundlage mancher Küstenregion. Als Beispiel nenne ich die nordafrikanische Atlantikküste, wo Industrieschiffe von Großkonzernen mit riesigen Netzen den örtlichen Fischern den Fang wegschnappen. Die Fische werden dann im Land zu Fischstäbchen verarbeitet. Eingefroren und nach Europa und USA gebracht.

Globale Auswirkung regionaler Wirtschaftskrisen?

Der Kapitalismus baut mehr auf Gläubigkeit, denn auf Erkenntnis und Erfahrung. Für die Bourgeoisie ist ihr eigenes Wohlergehen das Maß aller Dinge. Wohltätig sind sie mit Vorzug zu Weihnachten oder dann wenn sie sich damit öffentlichkeits-wirksam in Pose werfen können. Deshalb werden krisenhafte Erscheinungen, Elend, Krieg und Not nicht von den Ursachen her benannt, sondern als eine Art Schicksal hingestellt. Ebenso wird mit den periodischen Wirtschaftskrisen verfahren, die seit der Herausbildung innerer kapitalistischer Märkte in Europa, mit schöner Regelmäßigkeit zu beobachten sind.

Als Beispiel für ökonomische Krisen nenne ich die Krise in Südostasien, in den sog. Tigerstaaten, die vor zwei Jahren die internationalen Finanzmärkte erschütterte und die dortigen Schuldenblasen platzen ließ. Seitdem sind die Prognosen über die Wachstumszone Südostasien verstummt. Sie sind schön auf die Nase gefallen die Herren Wahrsager.

Ebenso erging es ihren Prognosen bezüglich der von den Kapitalistenmedien sogenannten „Reformstaaten“ Osteuropas. Die ökonomische Situation in Russland ist die reinste Katastrophe. Die Vorhersagen, die Einführung der kapitalistischen Marktwirtschaft würde für die Menschen der früheren Arbeiterstaaten Wohlstand und ein sicheres Leben bedeuten, haben sich reiner Zweckoptimismus bzw. bloße Lügen herausgestellt. Durch die Aneignung des Staats- oder Gemeineigentums ist eine kleine Bourgeoisie entstanden, die die Profite aus dem Land zieht. Dadurch sind die sozialen Unterschiede enorm gewachsen: es gibt viel mehr Arme, keine soziale Sicherheit, mehr Krankheiten, weniger Gesundheits-versorgung, geringere Lebenserwartung, zehntausende von Männern in Gefängnissen, oft Tbc-krank, zu dreißigst auf der Zelle stehen sie im Gang, weil es sonst keinen Platz gibt - und dafür einen Haufen religiöse Sprüche von den Popen, die die Bevölkerung trösten sollen und ihr die Religion wie Opium verabreichen.

Der Weltfinanzmarkt

Manfred Sohn hat vor kurzem in der jungen Welt vor einer neuen Wirtschaftskrise gewarnt, die er im Zusammenhang mit dem Einbruch am Neuen Aktienmarkt drohen sieht. Mit Krisen-prognosen ist das so eine Sache. Das anarchistische Chaos am kapitalistischen Finanzmarkt durchblickt ohne niemand. Es wird nicht allein von ökonomischen, sondern auch von irrationalen, psychologischen Faktoren gesteuert. Kapitalisten und Spekulanten, die Angst um ihre Profite haben reagieren plötzlich, verkaufen und reißen die Kurse plötzlich herunter. Die einzige Konstante am kapitalistischen Aktienmarkt und auf anderen Börsen ist die unbändige Profitgier und die Tendenz zur Zentralisation des Kapitals in den Händen weniger Konzerne.

Die rasante Entwicklung am Weltfinanzmarkt wird von den Kapitalisten und ihren Medien als ein Kern der Globalisierung verkauft. Als ob dies eine völlig neue Entwicklung wäre. Die Geschwindigkeit des Austausches hat sich zwar erhöht, doch die Abhängigkeit der weltweiten Börsen untereinander besteht schon seit 150 Jahren.

Die neue Qualität besteht vor allem darin, dass die Kapitalisten heute mit ungeheuer riesigen Mengen von Kapital spekulieren können, was sie beispielsweise in die Lage versetzt, Währungen zu zerstören. So ist es mit dem Rubel und der indonesischen Währung passiert und in den letzten Monaten wurde auf Kosten des Euro spekuliert.

Arm und Reich 
Weltweite Kapitalakkumulation und Klassenunterschiede

Von der Bourgeoisie und ihren Medien wird die Globalisierung als internationale Zusammenwirkung des Kapitals verstanden. Zweifellos kommt dem Internet als neuem, schnellen Informationsmedium dabei eine große Rolle zu. Doch ob das Internet der Handelsplatz der Zukunft sein wird, das darf bezweifelt werden. Es ist doch mehr eine Art Schaufenster zu Werbezwecken, z.T. mit der Möglichkeit zur online-Bestellung.

Globalisierung wird hier in einem viel weiteren Sinne verstanden, alle Aspekte können nicht behandelt werden. Auf den kulturellen wird hier leider nicht eingegangen.
Die Zentralisation des Kapitals durch Industrie- und Bankfusionen mit wirklichem oder nur scheinbar internationalem Charakter hat in den letzten Jahren deutlich sichtbar zugenommen. Doch die Hoffnung der Konzernchefs durch Anhäufung von Kapital eine höhere Profitrate zu erzielen, hat sich schon mehrfach als trügerisch erwiesen.

Einzige Quelle des Profits ist der durch die Arbeitskraft des Menschen produzierte Mehrwert. Nur die menschliche Arbeitskraft ist in der Lage den Dingen durch Arbeit eine Wertsteigerung zuzufügen. Bei maschineller Produktion ist diese Fähigkeit als Potenzial in der Maschine angehäuft enthalten, also gespeichert und muss durch Wartung und Reparatur wieder aufgefrischt werden.

Marx und Engels nennen als Beispiel für die Berechnung der Mehrwertschöpfung einen Arbeitstag. Arbeitet der Arbeiter acht Stunden und genügen etwa drei Stunden zur Abdeckung des Lohnes, dann sind die restlichen fünf Stunden Mehrarbeit und so Quelle des Mehrwerts, der zum Profit wird. Die bürgerliche Wirtschaftslehre sieht das natürlich ganz anders, ist aber unfähig eine eigenständige Erklärung für die Entstehung des Mehrwerts zu liefern.

Da Mehrwert nur durch menschliche Arbeitskraft entsteht, kann er also nicht durch finanzielle Transaktionen, durch Neubewertung von Kapital oder durch den Verkauf entstehen.

Die Aneignung des Mehrwerts geschieht weitgehend privat. Der Anteil der Kapitalisten an den Steuerzahlungen ist in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, immer weiter zurückgeführt worden. Die Bourgeoisie - in Gestalt der Kapitalistenverbände – schrie lange Zeit wöchentlich nach Steuererleichterungen und lügt uns die Hucke voll, wenn es ums Versprechen neuer Arbeitsplätze geht. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität durch die Verdichtung des Arbeitsprozesses, durch neue Maschinerie und verstärkte Arbeitshetze hat zusätzlich den Mehrwertanteil der Kapitalisten erhöht.

Das für Investitionen nicht gebrauchte Kapital fließt in andere Anlagen oder wird zur Spekulation eingesetzt.

475 Milliardäre weltweit

Wie krass die Klassenunterschiede geworden sind, darauf weist Nick Beams hin:

„In jüngster Zeit ist eine Menge an Informationen veröffent­licht worden, die das überwältigende Anwachsen der sozialen Gegensätze im Weltmaßstab zeigen. Beispielsweise entspricht der Reichtum der 475 Milliardäre weltweit dem addierten Ein­kommen von mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung, also etwa drei Milliarden Menschen. Und diese Aufhäufung von Reichtum beschleunigt sich. Die Anzahl der Milliardäre allein in den Vereinigten Staaten ist von 13 im Jahre 1982 auf 149 im Jahre 1996 gestiegen und seitdem weiter angewachsen.

Nach dem Weltentwicklungsbericht der Vereinten Nationen von 1998 übersteigt das Vermögen der drei reichsten Einzel­personen in der Welt das addierte Bruttoinlandsprodukt (BIP) der 48 am wenigsten entwickelten Länder. Die 15 reichsten Personen verfügen über ein Vermögen, das größer ist als das BIP sämtlicher afrikanischer Staaten südlich der Sahara, und das Vermögen der 32 Reichsten übertrifft das BIP von Südasi­en. Der Reichtum der 84 reichsten Individuen schließlich übersteigt das BIP von China mit seinen 1,2 Milliarden Ein­wohnern.

Und was ist mit der Mehrheit der Weltbevölkerung?

Von den 4,4 Milliarden Menschen in sogenannten Entwicklungsländern leben beinahe drei Fünftel ohne sanitäre Einrich­tungen, ein Drittel hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und ein Viertel keine vernünftige Unterkunft. Ein Fünftel der Be­völkerung in diesen Ländern ist unterernährt und der gleiche Anteil hat keinen Zugang zu anständiger medizinischer Versorgung. Zwischen 1960 und 1994 hat sich die Kluft im Pro-Kopf-Einkommen zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünf­tel der Weltbevölkerung mehr als verdoppelt. Die entspre­chende Rate vergrößerte sich von 30:1 auf 78:1, und hatte im Jahre 1995 das Verhältnis 82:1 erreicht.

Im Jahr 1997 entfiel auf das reichste Fünftel der Weltbevöl­kerung 86 Prozent des Welteinkommens, während das ärmste Fünftel ganze 1,3 Prozent davon erhielt. Mehr als 1,3 Milliar­den Menschen sind gezwungen von weniger als einem Dollar am Tag zu existieren - eine lebensbedrohliche Situation. Nach Angaben der Vereinten Nationen erfuhren 100 der 147 Län­der, die als «Entwicklungsländer« eingestuft werden, in den vergangenen 30 Jahren einen „bedenklichen wirtschaftlichen Abstieg“.

Die Verarmung ganzer Bevölkerungen in großen Gebieten der Erde ist nicht die Folge von «Naturkatastrophen«, son­dern geht direkt auf das Wirken der Finanzmärkte und die «Strukturanpassungsprogramme« des Internationalen Währungsfonds (IWF) zurück. Diese werden im Auftrag und zugun­sten der Banken und großen internationalen Finanzinstitutionen durchgeführt mit dem Ziel, die besten Bedingungen für die Herrschaft des internationalen Kapitals zu schaffen.

Trotz eines massiven Schuldendienstes, der enorme soziale Kosten mit sich brachte steigt das Niveau der Verschuldung. 1990 lag die addierte Schuldenlast der Entwicklungsländer bei 1,4 Billionen Dollar, 1997 war sie auf 2,17 Billionen gestiegen. In Afrika betrug die Verschuldung 370 Dollar pro Bewohner des Kontinents. In einigen Ländern überstieg die Verschul­dung das Vierfache des Bruttoinlandsprodukts. 1998 bezahl­ten die Länder der Dritten Welt täglich 717 Millionen Dollar an die großen Banken und Finanzinstitutionen zurück.“ (Gleichheit, Nr. 7/8 2000 )

Das marxsche Verelendungsgesetz

Die Gesetzmäßigkeit der Verelendung im Kapitalismus, dass von Marx gefundene „Allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ (siehe Karl Marx, Das Kapital, Band I), auch bekannt als Verelendungstheorie, lässt sich in einzelnen Ländern eben so nachvollziehen, wie im Weltmaßstab. Es besagt, dass die Arbeiterklasse durch eine relative Übervölkerung ans Kapital geschmiedet wird. Diese relative Übervölkerung ist die Arbeitslosigkeit. Das Gesetz der Verarmung lautet:

„Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die indu­strielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massen­hafter die konsolidierte Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiter­klasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation.

Es wird gleich allen anderen Gesetzen in seiner Ver­wirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher gehörte."(80)

Der wesentliche Zusammenhang den Marx hier ausdrückt ist der zwischen dem Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums und der Höhe der Arbeitslosigkeit. Von der Größe der Arbeitslosigkeit wiederum schließt er auf die Größe der Armutsbevölkerung. Mit dem Reichtum wächst die Arbeitslosigkeit und mit der Arbeitslosig­keit wächst die Armut.

Diese globale Erscheinung wird von vielen Menschen in den Metropolen verdrängt. Doch es gibt auch schon Gegenbewegungen, die kontinental oder sogar weltweit zusammenwirken.

Ich erinnere an die Euromärsche gegen Erwerbslosigkeit und Sozialabbau, die nun schon seit einigen Jahren stattfinden und die im Dezember in Nizza stattfanden. Des weiteren gibt es mit einem Höhepunkt in Seattle eine Protestbewegung gegen IWF und Weltbank. Auch in Prag (und Davos) gab es massive Demonstrationen, die die hohen Herren des Weltkapitals in Prag zum frühzeitigen Abbruch ihrer Versammlung nötigten.

Nationale Reflexe

Die nationale Argumentation mit der sich manche Gegner des Weltkapitals zu Wort melden führt uns zum letzten Abschnitt des Artikels.

Michel Chossudovsky, ein Professor aus Kanada, der interessante Analysen zur Rekolonialisierung des Balkan anstellte, vertritt eine Richtung, die eine Stärkung des Nationalstaates als Gegenpol zur Internationalisierung des Kapitals fordert. Die einen wollen eine Reformierung, die Revolutionäre eine Zerschlagung und Beseitigung von IWF und Weltbank. Ins Gespräch kommt nun immer mehr die nationale Abschottung und die Stärkung des nationalen kapitalistischen Marktes. Solche Forderungen, da stimme ich Nick Beams voll zu sind rückschrittlich, im wahrsten Sinne reaktionär. Es gibt keine nationalen Lösungen mehr, wirkliche Lösungen können nur internationalen Charakter haben. Das Problem des Kapitalismus ist nur weltweit zu lösen, da gilt es die weltweite Sicht und sozialistische Perspektive der Oktoberrevolution wieder aufzunehmen.

Die Funktion nationaler Kategorien

Die nationale Denkweise hat als materiellen Kern den bürgerlichen Staat, seine bewaffneten und unbewaffneten Organe und das Territorium. Da heute in Europa internationale Gesetze und Regelungen gelten, ist der Nationalstaat nicht mehr alleiniger Gesetzgeber. Die Kontinentalisierung der Ökonomie und Politik hat aber viele Köpfe noch nicht erreicht, auch viele Linke hinken, was mit der Geschichte des Stalinismus zu tun hat, der Zeit hinterher oder sie ziehen sich in nationalen Gefühlbastionen zurück.

Kaiser-Wilhelm-Bewusstsein

Ich zitiere aus meinem Artikel zu Nationalismus und Religion: „Der nationale Gedanke soll als Überbau über der Klassengesellschaft eine Einheit suggerieren, die es so in der sozialen Realität nicht gibt. Er ist ein Ideal, dass gerade noch zum gemeinsamen Jubel für die Fußballnationalmannschaft taugt, deren Leistung, das aber oft auch wieder nicht zulässt.

Der nationale Gedanke ist eben ein Gefühl, dass von der sozialen Wirklichkeit konterkariert wird. Denn während die reiche Kapitalistenklasse und ihre intellektuellen und staatlichen Zuarbeiter materiell sehr gut bis super luxuriös dastehen, gibt es in den kapitalistischen Ländern millionenfache Arbeitslosigkeit und Millionen Menschen die unter Armutsbedingungen leben müssen oder wenig zum Leben haben.“

Die Nation unterdrückt das Selbstbewusstsein der unterdrückten Klasse. Der Staat ist ein Klassenstaat, der von der Bourgeoisie beherrscht wird. Jede Identifikation mit der Nation bedeutet eine mit der herrschenden Klasse und ihrer Nationalpropaganda.

Die von der rechten Bourgeoisie vorgegebene „deutsche Leitkultur“ ist Ausdruck einer gewollten Zwangsverdeutschung aller Einwanderer. Die Faschisten bezeichnen diejenigen als „undeutsch“, die ihren Nationalwahn nicht teilen. Das wollte die PDS-Führung nicht auf sich sitzen lassen, sie hüllt sich in nationale Floskeln, Bilder und Töne und die neue Vorsitzende bekundete ihre patriotische Liebe. Solches Kaiser Wilhelm-Bewusstsein versucht der PDS-Autor Höpcke theoretisch zu untermauern, wenn er seiner Parteifreundin Zimmer mit einem pseudomarxistischen Konstrukt beispringt. (abgedruckt in junge Welt)

Marx und die Nation

Höpcke glaubt, die Leser und Leserinnen wären durch patriotische Zitate von August Bebel von vor hundert Jahren einzulullen. Dann wird von Fritz Teppich und ihm so getan, als sei aus marxistischer Sicht der Boden des Klassenkampfes national zu verorten. Eine ähnliche Position wird auch in der Kommunistischen Plattform München vertreten, wie ich in einem Briefwechsel mit Nick Brauns feststellen musste.

Als Grundlage für eine derartige nationale, sozialistische Politik wird das Kommunistische Manifest herangezogen, was natürlich nur möglich ist, wenn man die Zitate wohl auswählt und ihres Zusammenhangs entreißt. Im Manifest wird die heute festgestellte Globalisierung schon angekündigt. Zurecht prangert das Manifest die „nationale Einseitigkeit und Beschränktheit“ und „Borniertheit“ an und wendet sich von „nationaler Selbstgenügsamkeit“ ab. Im Punkt 29 meines Beitrags zum „völkischen Wahn“ (siehe Mak, Nr.10) habe ich darauf hingewiesen, dass nationale Sozialismuskonzeptionen im Widerspruch zum Manifest stehen.

Den Klassenkampf allein auf nationalem Boden zu verlangen ist dummer Anachronismus. Schon im Manifest hieß es, der Kampf sei zunächst ein nationaler und das der Form nach. Patriotische Zielstellungen und Liebesbekundungen sind aber Inhalt und nicht Form. Die Arbeiter haben kein Vaterland, erst die unmarxistische Konzeption vom sog.- „Sozialismus in einem Land“ unter Stalin hat den Arbeitern ein Vaterland beschert. Die Stagnation und die schließliche Niederlage des Stalinismus hatte mit dieser nationalen Begrenztheit zu tun, die nicht aufgebrochen, sondern durch den deformierten Sowjetstaat und seine Außenpolitik zementiert wurde.

Heute kämpfen Arbeiter und ArbeiterInnen gemeinsam und grenzüberschreitend gegen Arbeitsplatzvernichtung. Bleibt der Klassenkampf heute national borniert, verbindet er sich nicht international, dann werden Belegschaften gegeneinander ausgespielt. Es heißt ja im Manifest auch nicht „Arbeiter eines Landes vereinigt euch“, sondern „Proletarier aller Länder vereinigt euch“.

Die später gemachten Zusätze, die auch die „Völker“ und „Nationen“ mitvereinigen wollten waren nach meiner Meinung unmarxistische Verfälschungen, die das weltweite Klassendenken schwächten und zerstörten. Das Proletariat geht mit seines Gleichen Bündnisse ein. Wird es ins Bündnis mit Teilen der Bourgeoisie gedrängt, dann wird sein Befreiungsziel verraten. Die Unterdrückten können nur als Klassen ihr gemeinsames Interesse an der Überwindung des Kapitalismus ausdrücken und erstreiten. Völkische oder nationale Bestimmungen des Kampfes sind radikal zu verwerfen. Warum? Das „Volk“ besteht immer, solange es Klassengesellschaften gibt, aus Gruppen, deren Interessen sich unversöhnlich widersprechen. Während die bürgerliche Klasse (seien es Fabrik–, Grundbesitzer oder Großaktionäre) kein Interesse an der Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln hat, sind die Lohnabhängigen und Arbeitslosen zu ihrer Befreiung daran interessiert das Privateigentum zu überwinden und eine Gesellschaft des gemeinschaftlichen Eigentums zu bilden. Dies ist ein objektives Interesse, dass von der Arbeiterklasse aber heute noch nicht so gesehen wird. Der wesentliche Grund dafür ist, dass es keine politische Kraft gibt, die diese Erkenntnis verbreitet und den Arbeitern vermittelt.

Das Befreiungsziel ist nicht national, sondern weltweit. Es ist dem Inhalt nach die Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Schaffung einer weltweiten demokratischen Planwirtschaft, die es allen Menschen auf dem Planeten ermöglichen soll, gut und in Frieden zu leben.

Um dies zu erreichen brauchen die Unterdrückten eine kosmopolitische, humanistische Herangehensweise. Begrenzende Ideologien, die den Menschen zum Sklaven seiner Einbildung machen, sind der Spiegel der realen Versklavung im kapitalistischen Arbeitsprozess. Die Versklavung zu überwinden heißt eben zuerst das Sklavendenken zu überwinden.

Die Gottheiten und die zur Anbetung erhoben Nationalvorstellungen sind endlich – wenn die Unterdrückten sich darüber klar werden, dass sie ihre selbst produzierten Vorstellungen überwinden können. Wenn sie der Entfremdung von sich selbst gewahr werden, die Menschen sich selbst genügen und nicht ihre Identität in Vorstellungswelten (z.B. Göttern und Vaterländern) suchen, dann werden die Unterdrückten alle Repressionsverhältnisse zerschlagen und die Menschheit kann sich selbst im Kampf für eine kommunistische Gesellschaft wiedergewinnen und ihre eigentliche Geschichte beginnen.

Editorische Anmerkung

Der Text ist eine Spiegelung von
http://www.okf-sued.org/sites/globalis/global.html
Als Printversion erschien er in Marxistische Kritik  Nr. 13 März 2001