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Nr. 04-04
Notausgabe
3. April 2004

9. Jahrgang online

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EGB, DGB und Attac rufen auf zum „Europäischen Aktionstag gegen Sozialkahlschlag“ am 3. April:
Europaweiter Protest – für viel Vertrauen in Politik und Demokratie

Von Red. Landplage

Anlass gibt es wirklich genug, europaweit der Politik den Gehorsam zu kündigen und sich gegen die laufende Unterordnung der eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen unter den jeweiligen nationalen Geschäfterfolg zu wehren.

In allen Staaten Europas gilt fraglos ein und dasselbe Regierungsprogramm: Die Arbeiterklasse in allen ihren Lebenslagen kommt Nation und Wirtschaft zu teuer und muss als Beschäftigte, Arbeitslose, Kranke oder Alte grundlegend verbilligt werden. Der gemeinsame Auftrag von „Europa“ an seine Mitgliedsstaaten lautet: Der zu kostspielige Lebensunterhalt von Beschäftigten wie Unbeschäftigten ist das kapitalistische „Wachstumshindernis“ und gehört radikal zusammengestrichen. Das ist das Schlagwort unter dem die Staaten Europas ihre Standortkonkurrenz betreiben und die Regierungen Europas praktisch den Beweis treten, dass und wie sehr „Reichtum, Größe und Einfluss“ Europas unvereinbar sind mit dem „Wohlstand seiner Bürger“. Unter diesem Programm hat die normale Menschheit nur einen berechtigten Anspruch: den Anspruch auf den (Geschäfts)Erfolg des nationalen Standorts also darauf, von der nationalen Politik und den heimischen Betrieben zu dessen tauglichem Mittel hinreformiert und hinregiert zu werden. Gegen dieses Programm erhebt sich europaweit Protest. Nur, was für einer.

Der Europäische Gewerkschaftsbund

Unter dem Titel „Unser Europa – Europa sind wir“ mobilisiert der europäische Gewerkschaftsbund (EGB) für die Aktionstage und stellt mit seinem Motto gleich klar, dass ihn die banalen materiellen Nöte seiner Mitglieder wenig interessieren. Der EGB macht Politik für Europa, was scheren diesen Verein da Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerung und Massenentlassungen – kein Wort davon in seinem Aufruf. Der EGB agitiert nicht gegen die Zumutungen von Staat und Kapital, sondern macht Propaganda für das „neue, soziale Europa“ und sorgt sich um das richtige „Wir-Gefühl“ im neuen Staatswesen.

Also tritt der Gewerkschaftsbund für den Erhalt und die Verteidigung der sozialen Ader ein,

durch die sich das arbeitgeberische Geschäft im „alten“ Europa angeblich schon immer ausgezeichnet hat und die diesen Kontinent von anderen Zentren kapitalistischen Geschäfts schon immer so wohltuend unterschieden haben soll: Die hohe „soziale und politische Verantwortung als Zielsetzung unternehmerischen Handelns“, die der EGB europäischen Unternehmern, im Unterschied zu allen auswärtigen Profitgeiern, ausdrücklich bescheinigt haben will, sollte von diesen beibehalten und nicht dem typisch amerikanischen „Shareholdervalue“-Denken geopfert werden. Das passt doch gar nicht zu unserem heimeligen europäischen Kapitalismus. Diese gute Meinung über ihr arbeiterfreundliches Ausbeutungsgeschäft, die der EGB verbreitet und repräsentieren will, sollten europäische Arbeitgeber doch bitteschön nicht enttäuschen.

Als – sozusagen – Gegenleistung bietet dieser Repräsentant des einen,arbeitenden“ Europas an, dass „dann“ die betroffene lohnabhängige Menschheit das gewachsene Geschäftsfeld ihrer „verantwortungsvollen Unternehmer“ genauso fraglos als ihre proletarische Heimat akzeptieren und als „ihr Europa“ ins Herz schließen würde, wie bisher schon ihre nationalen Standorte. Dafür rät er seinen europäischen Oberen, es den kleinen Leuten wenigstens nicht gar zu schwer zu machen: „Den Menschen bei der Bewältigung des Wandels zu helfen“, den der „europäische Binnenmarkt mit seinen gewaltigen Veränderungen und seinem enormen Strukturwandel“ für die Betroffenen inner- und gesamteuropäischer Geschäfts- und Konkurrenzkalkulationen nun einmal so mit sich bringt, das sollte nach dem Dafürhalten des EGB schon „auch“ das Anliegen europäischer Politik sein.

Die Zurechtrationalisierung ganzer nationaler Standorte mit seinen Opfern, die Arbeitslosenheere, die dieses „Fitmachen Europas für den Weltmarkt“ produziert, die Zurichtung von Land und Leuten in den alten wie neuen Mitgliedsstaaten zu einem einzigen attraktiven Ausnutzungsangebot an das internationalisierte Geschäft, die praktische Nötigung der „lohnabhängigen“ Leute, „flexibel“ und „mobil“ in ganz Europa einer Verdienstmöglichkeit hinterherlaufen zu müssen und zu dürfen, das alles fällt für den EGB unter „Wandel“, den er als alternativlos vorausgesetzt und den die Betroffenen selbstredend „zu bewältigen“ haben. Dafür haben sie – laut ihrer europäischen Repräsentanz – dann aber auch Anspruch auf „Hilfe“. Von Seiten derer natürlich, die ihnen ihren Schaden eingebrockt haben.

„Unser soziales Europa“ – ein durch und durch europäischer Kapitalismus als das weltweit unschlagbare Sozialmodell

Wenn dann noch europäische Politiker und Unternehmer aus dem Geiste „sozialer und politischer Verantwortung“ heraus ihre lohnarbeitende Manövriermasse dadurch ehren, dass sie ihr eine „kohärente Verfassung mit starker sozialer Dimension“ in die Hand hinein versprechen, dann ist mit so einem „sozialen“ Wertekatalog der „Sozialkahlschlag“ für einen EGB schon einmal grundsätzlich bekämpft, und wenigstens die Gewerkschaft mit diesem „sozialen Europa“ prinzipiell im Reinen.

Und wenn die europaweite große soziale Wegwerfaktion namens Agenda 2010 oder wie sie sonst in den anderen Ländern des „sozialen Europas“ heißen mag, nach Meinung des EGB auch noch einen „akzeptablen Sozialstaat“ hinterlässt, der wenigstens nicht „einseitig“ abgebaut ist, was immer das heißen mag, und die hohe Politik bei der notwendigen Verarmungsaktion den „sozialen Dialog“ mit den Gewerkschaften nicht aufkündigt, dann kriegt sie endgültig ihr Kompliment weg. Dann ist nicht nur die Unterwerfung der lohnabhängigen Menschheit unter die Fortschritte des vorwärtsstrebenden europäischen Kapitalismus geglückt, und der Arbeiter als Staatsbürger im neuen Europa angekommen. Dann bestätigt das soziale Gütesiegel auch die Notwendigkeit und die Berechtigung des europäischen Konkurrenzprojekts gegen die USA: endlich eine imperialistische Alternative, die die Welt nicht mit dem „American Way of Business“ heimsucht, der als „Raubtier“- oder „Shareholder Value“-Kapitalismus bei uns einen so schlechten Ruf genießt. Dann ist die europäische Sozialidylle – die vom EGB geschätzte Eintracht von Oben und Unten – als weltweites Konkurrenzmodell für Ausbeutung geschaffen.

Mitten im „Sozialkahlschlag“ warnt so der gewerkschaftliche europäische Werte- TÜV die „kleinen Leute“ Europas vor dem „American Way“ der proletarischen Verarmung, der Einzug halten könnte und organisiert öffentliche Solidaritätsadressen für den im Grunde so arbeiterfreundlichen europäischen Kapitalismus. Und für diesen schönen und womöglich noch in einer europäischen Verfassung niederzuschreibenden Schein sollen sich die Opfer der Rundumerneuerung des „Standorts Europa“ auch noch „mobilisieren“ lassen?

Der DGB

Der Deutsche Gewerkschaftsbund ruft auf zum „Aufstehen, damit es endlich besser wird!“ Wenn die Bürger für „ihre Gesundheit (immer) tiefer in die Tasche greifen müssen“, die „Arbeitgeber mit Lohn- und Gehaltskürzungen und Arbeitszeitverlängerungen drohen“ (bloß drohen?), „Arbeitslose zunehmend sozial deklassiert werden“, „statt(?) vermittelt“, wenn „in den Schulen der Unterricht ausfällt und Studienplätze ab- statt aufgebaut werden“ und sich die „lieben Mitbürger(innen)“ auf all dieses Ungemach ganz einfach keinen Reim machen können und sich verwundert fragen, in welchem Deutschland sie eigentlich leben, dann klärt sie der DGB auf: „Alles das ist kein Zufall!.“ Das hat zwar noch nicht einmal der dümmste aller „Mitbürgerinnen und Mitbürger“ je geglaubt, dass, wenn eine Reform die andere jagt, das ausgerechnet „Zufall“ sein könnte. Aber der DGB will ja auf etwas Anderes hinaus. Der will entdeckt haben, dass da glatt „System“, also „Interessen“ dahinterstecken! Sprich, dass ausgerechnet der von der Gewerkschaft so geschätzte politische Hüter des Allgemeinwohls sträflichst seine Aufgabe vernachlässigt hat, klassenübergreifend alle seine Bürger für die anerkannte Radikalreform am Gemeinwesen in die (Finanzierungs)Pflicht zu nehmen.

Die ultimative Gewerschaftsforderung:
Gerechte Opfer – Opfer für alle!

Zum Protest aufgerufen und berechtigt sieht sich der DGB nämlich als Stellvertreter und Repräsentant aller „Arbeiter und Angestellten“, in ihrer politischen Eigenschaft als „brave und anständige Staatsbürger“, die als solche an dem „Sozialkahlschlag“ immerzu nur ein und denselben „Skandal“ entdecken sollen: Dass „ihr“ Staat nämlich nicht immer und überall auch alle anderen gesellschaftlichen Interessen seinen Interessen gleichermaßen unterordnet, wie er das mit den proletarischen Interessen doch schon immer und überall macht.

Diesen erznationalen Standpunkt der Opfergemeinschaft, ruft der DGB zum „Aufstehen!“ auf, gegen alle, die diese brave Bescheidenheit nicht an den Tag legen und unser aller Gemeinwesen dadurch über Gebühr strapazieren. Gegen „die Unternehmer“, die im Unterschied zu ihren Angestellten nicht nur die Dreistheit besitzen, einzig in ihrem Eigennutz das ganze nationale Gemeinwohl auch schon aufgehoben zu sehen, sondern denen darin von der herrschenden Sozialdemokratie auch noch umstandslos recht gegeben wird; so als lebten „wir“ hier womöglich im finstersten Kapitalismus und nicht mehr im sozialen Modell Deutschland; gegen alle „marktradikalen Politiker und Unternehmer“, gegen all diejenigen also, mit nichts als „Markt“ im Hirn statt, wie der DGB es vorlebt, mit Staat im Schädel.

Alle, die die Berücksichtigung und Anerkennung ihres geleisteten Dienstes am großen Ganzen, am Fortschritt der Nation, in all den Reformen nicht mehr recht (wieder)erkennen können, sind vom DGB zum Protest aufgerufen. Und natürlich hat der DGB dafür gesorgt, dass diese braven Menschen beim „Aufstehen“ um ihre alternativlose Abhängigkeit von Staat und Kapital wissen, und was „die Verantwortung für Deutschlands Zukunft“ gebietet: „Niemand wird bestreiten, dass der Sozialstaat in Deutschland vor großen Herausforderungen steht“ ...aber... “zukunftsgerechte Reformen sind notwendig.“Herausgefordert“ ist der „Sozialstaat“ und seine politischen Sachwalter darin, die lohnabhängige Klientel in all ihren sozialstaatlich betreuten Abteilungen grundlegend zu verbilligen. Und der DGB ist doch der Erste, der „einsieht“ und seiner Anhängerschaft auch „vermittelt“, dass nur so sich die „sozialen Errungenschaften“ im Grunde „erhalten“ lassen, also die von ihm vertretene Mannschaft für die Zukunft des nationalen (Wachstum)Erfolgs „natürlich“ einen „Preis“ zu zahlen hat. Nur möchte er in dessen gerechter Ausgestaltung auch angemessen einbezogen sein. Nur dann hat der „Sozialkahlschlag“ das gewerkschaftliche Gütesiegel „zukunftsgerechte Reform“ verdient und stünde damit außer Frage.

Proletarischer Patriotismus contra vaterlandslose Profitgier:
Bitte mehr Geschäftspatriotismus – auch vom Kapital!

So leicht wäre das also. Aber was muss die Gewerkschaft bei der Bewältigung dieser gewaltigen „Herausforderung“ erschüttert feststellen? Auf Seiten der Unternehmer ist keine Spur von diesem Gemeinsinn auszumachen und das, obwohl doch „wir alle“ – und die Gewerkschaft an vorderster Stelle – „uns“ nichts als nur die allerschwersten Sorgen machen um den Gesundheitszustand des unternehmerischen Geschäfts! Da anerkennt und vertritt die deutsche Gewerkschaftsbewegung die Interessen der „kleinen Leute“ gemäß ihrer unumstößlichen Leitlinie, dass die Arbeits- und Lebensumstände ihrer Klientel ganz die abhängigen Variablen von einer gelungenen kapitalistischen Bereicherung sind – und wie wird ihr diese „soziale Verantwortung“ gedankt? Nicht einmal symbolisch wollen sich diejenigen mit den „breiteren Schultern“, also die anerkanntermaßen Nutznießer dieser Standortsanierung, an einer gesellschaftlichen „Lastenteilung“ irgendwie beteiligen! Im Gegenteil: „Wie Arbeitgeber den Beschäftigten drohen, so drohen sie auch der Politik.“

Was deutsche Politik von sich heraus, ihrem ausgleichenden und arbeiterfreundlichen Wesen nach, gar nicht wollen könnte, den „deklassierenden“ „Sozialkahlschlag“, das wird ihr – so das Weltbild des DGB – von vaterlandslosen Arbeitgebergesellen in bösartigster Weise „aufgezwungen“: „Wenn der Sozialstaat nicht billiger wird und Arbeitnehmerrechte nicht abgebaut werden, wollen sie unserem Land den Rücken kehren.“ Und was folgt für den DGB daraus? Wenn die Unternehmer wirklich nur mit Billiglohn und Spitzenleistungen in Sachen Ausbeutung „leben“ können, dann sollen sie sich eben mitsamt ihrem Scheiß System zum Teufel scheren? Von wegen.

Diese verantwortungslose Flucht aus deutscher Ausbeutung in ausländischen Billiglohn wollen die Arbeitervertreter der geschäftstüchtigen Spezies nicht durchgehen lassen oder wenigstens so schwer wie irgendwie nur möglich machen. Deshalb lässt eine deutsche Gewerkschaft sich auch nicht in proletarischer Bescheidenheit unterbieten, wenn es darum geht, gerade vaterlandslosen Profitgeiern weiterhin eine anspruchsvolle deutsche Gewinnheimstatt zu bieten. Sie betreibt sozusagen „Fluchtursachenbekämpfung“, indem sie dem von ihr gescholtenen Unternehmerstand eindringlich um das höchste Arbeiterglück bittet, das in der Optik des DGB für die auf Lohnarbeit Angewiesenen in einer „sozialen Marktwirtschaft“ nur zu haben ist: Nämlich von Arbeitgebern flächendeckend angewendet und ergiebig ausgenutzt zu werden, ohne dass eine Gewerkschaft noch groß danach fragen will, was solche Arbeit dem werten „Arbeitsplatzbesitzer“ eigentlich einbringt und was sie ihm auf der anderen Seite an Lebenskraft kostet: „Wir wollen Arbeit für alle von der man in Würde leben kann.“

Das ist doch wahrlich nicht zuviel verlangt, damit diese Herrn „unserem Land“ nicht „den Rücken kehren“ und zudem so billig zu haben. Wenn dann, die Unternehmer neben ihrer sowieso anerkannt gemeinwohldienlichen Gewinnmacherei bloß noch ein bisschen „Steuern für Leistungen zahlen“, so wie jeder brave und anständige Arbeiterbürger auch, Steuern, von denen, im Unterschied zu jedem Arbeiterbürgern, doch „gerade sie profitieren“, dann wäre ihr guter sozialer Ruf auch schon gerettet. Dann wäre für den DGB zum Protest nicht mehr groß Anlass. So aber muss er sein, damit alle Welt mitkriegt, dass auf Seiten der Gebeutelten garantiert die treuesten Anhänger des kapitalistischen Allgemeinwohls sitzen. Und für diese von oben so wenig gewürdigte proletarische Opfer„Würde“ soll man als „unten“ dann am 3. April demonstrieren gehen?

Die „sozialen Bewegungen“

stellvertretend hier Attac, rufen an der Seite des DGB, mit ihrem Schlachtruf: „Genug für alle!“ zu den „europaweiten Aktionstagen gegen Sozialkahlschlag“ auf.

Von der „rot-schwarz-grün-gelben Neoliberalen Einheitspartei Deutschlands“, mit ihrem Verarmungsprogramm für die arbeitende Bevölkerung ist da die Rede und von „gigantischem Reichtum“ und „extremer Ausbeutung“. Man fragt sich schon, was die radikalen Kritiker von „gnadenloser Konkurrenz und wachsendem Profit“ in das Bündnis mit sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionären treibt.

Freilich dienen die reichlich zitierten Bausteine kapitalistischen Wirtschaftens gar nicht dazu, die Funktionsweise dieses Ladens zu erklären und daraus seine Kritik zu begründen. Was Attac entdeckt, ist eine seit „gut zwanzig Jahren beschleunigte Dynamik“ die unsere vormals so vorbildliche „soziale Marktwirtschaft“ ruiniert und gegen die Folgen dieser „neoliberalen Politik“ soll man antreten:

Wachsende Erwerbslosigkeit und Lohnsenkungen führen aber direkt zum Abbau lohnfinanzierter Sozialsysteme.“

Es ist schon eigenartig: da wird kein Superlativ ausgelassen, um „Arbeitszwang, Lohndumping und Massenentlassungen“ zu geißeln. Der Einwand gilt aber nicht diesen staatlich geschützten Verfahren, die durch Senkung der Lohnkost das Wachstum des Kapitals befördern, und damit die von Attac beklagte „wachsende Kluft zwischen Arm und Reich“ beständig produzieren und reproduzieren. Stattdessen wird der Abbau der sozialen Auffangsysteme beklagt. An der „milliardenfachen Ausbeutung“ stört Attac vor allem, dass damit die „Lohnfinanzierung“ der „Sozialsysteme“ schwer in Mitleidenschaft gezogen wird. Und wenn die Opfer überfordert sind, das nötige Geld für die sozialstaatliche Bewirtschaftung der Folgen ihrer „extremen Ausbeutung“ aufzubringen, da gehört es sich für Menschen mit sozialem Herz, nach ein wenig Fremdfinanzierung für den Sozialstaat zu rufen, damit wieder „für alle genug“ Reichtum da ist.

„Genug für alle!“

ist also ein sozialer Spendenaufruf; der Adressat ist der große staatliche Umverteiler, an den im Namen der wachsenden Bedürftigkeit die untertänige Bitte ergeht, sich doch um zusätzliche Finanzquellen für die „sozialstaatliche Fürsorge“ zu kümmern.

Vater Staat könnte es doch so einfach wieder richten. Wenn sich „demokratische Staaten“, die doch letztlich uns allen verpflichtet sind, den „gigantischen Reichtum“ nur ein klein wenig unterordnen würden, statt sich selbst „ganz dem Profit“ auszuliefern, dann wäre die Welt des modernen Kapitalismus, von Lohnarbeit und Kapital, garantiert wieder sozial wärmer. Dafür würde es schon reichen, wenn der Staat „den Reichen durch Schließung der Steueroasen“ die (Steuer)Schlupflöcher versperren würde, in die sie sich verstecken, um dem „Teilen“ zu entgehen. Dann hätte er endlich wieder ein bisschen mehr Geld, für seinen vorstellig gemachten Zweck, den auch von Attac offenbar als Naturkonstante unterstellten „Schwachen“ zu helfen:

Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme auf der Basis der gesamten Wertschöpfung, also durch Arbeits-, und Kapitaleinkommen“.

Zuerst ein bisschen Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital und danach einvernehmliche Aufteilung „der gesamten Wertschöpfung“? Wäre das nicht eine eigenartige Veranstaltung, zuerst den Leuten einen Lohn zu zahlen, von dem sie nicht leben können, sie auf die Strasse zu setzen, wenn ihre Arbeit nicht genug Profit abwirft, um mit ihnen dann den produzierten Reichtum zu teilen? Aber so war der großkotzige Aufruf „Teilen wir uns den Reichtum“ halt auch nie gemeint. Ein echter Sozialkritiker kennt eben den unantastbaren Unterschied von denen, die den Reichtum mit ihrer Arbeit schaffen und denen, die damit ihr Eigentum vermehren. Worum er sich sorgt, das ist der Umstand, dass jeder nach seinem Stand und seiner Klassenzugehörigkeit bedient wird: „Jeder Mensch hat ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum“, weshalb der eine seinen „tarifvertraglichen Mindestlohn“ und der andere sein „wertgeschöpftes Kapitaleinkommen“ zu erhalten hat.

So radikal wie Attac seine Kritik anhebt: „Es ist genug für alle da!“, so „realistisch“ klein und lächerlich, sind also Attac’s „Alternativen“, wie das „genug“ denn zu haben wäre. Für die „Armen, Alten und Erwerbslosen“ gibt es die vom Staat vorher zwangsweise eingesammelten Almosen, – selbstverständlich „ungekürzt“ –, für die auch der „sozial verantwortliche Unternehmer“ seine Spende abliefert. Und für den bodenständigen Kapitalisten, der den deutschen „lokalen Markt“ und echte deutsche Qualitätsarbeit noch zu schätzen weiß, gibt es „nationale Schutzgesetze“ gegen die böse ausländische Konkurrenz.

So finden auf der Demo mit den Gewerkschaften, den Sozialverbänden und Attac schon die richtigen Aufständischen gegen den „Sozialkahlschlag“ zueinander: Die einen, die mit wehmütiger Erinnerung an die Zeiten „echter Sozialpartnerschaft“ zurückdenken, wo noch jede fleißige Hand für den Aufschwung gebraucht wurde. Die anderen, mit dem weiten Blick in „eine andere Welt, in der ein anderes Leben wirklich werden kann.“ Wahrscheinlich eines „ohne soziale Kälte und harte Ellenbogen“. Und dafür soll man auf die Strasse gehen?

(Alle Zitate, kursiv gedruckt, aus den Aufrufen des EGB, des DGB und von Attac zu den Aktionstagen am 2./3. April)

 


Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von http://www.landplage.de/texte/sozialkahlschlag.html

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