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Nr. 04-04
Notausgabe
3. April 2004

9. Jahrgang online

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Eine »billige« Lösung

von Birgit Rommelspacher

Viele Frauen leben in Deutschland in einem rechtsfreien Raum: Sie werden zur Heirat und Prostitution gezwungen, sie werden verschleppt und beschnitten. Viele Mädchen dürfen beim Schulunterricht an bestimmten Fächern nicht teilnehmen und das Haus nicht alleine verlassen. Diese extremen Formen sexistischer Gewalt erfordern alle Anstrengungen des Rechtsstaates, um mit den gegebenen Mitteln dagegen vorzugehen. Aber was soll das Ganze mit dem islamischen Kopftuch zu tun haben? Der  offene Brief von Halina Bendkowski und ihren MitstreiterInnen unterstellt, dass hier ein Zusammenhang bestehe, als ob das Kopftuch ein Symbol für diese Gewalt wäre. Aber was hat das Kopftuch z.B. mit der Zwangsprostitution zu tun? Würde diese etwa verhindert, wenn das Kopftuch verboten würde?

Die AutorInnen des offenen Briefes schlagen eine andere Lösung vor, die, wie sie sagen, vor allem »billig und leicht umzusetzen« sei, nämlich den EinwanderInnen, die nicht bereit sind, den Gleichberechtigungsgrundsatz zu unterschreiben, das Aufenthaltsrecht zu entziehen. Das ist in der Tat eine »billige« Lösung, denn aus der Position der ange«stammten« Deutschen ist es eben ein »Leichtes«, anderen mit dem Entzug ihrer Rechte zu drohen. Es ist eine Strategie, die mit der Sympathie vieler Deutscher rechnen kann, kommt ihnen doch alles gelegen, was die Position von EinwanderInnen unterhöhlt.

Die AutorInnen stellen sich in eine fatale deutsche Tradition: Es gibt in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eine Unzahl von Regelungen und Bestimmungen, die das Aufenthaltsrecht für EinwanderInnen prekär machen. Und wie oft waren politische, volkswirtschaftliche, kulturelle und nicht zuletzt »völkische« Gesichtspunkte entscheidend, um den »Anderen« ein Eintrittsbillet für diese Gesellschaft zu verweigern. Nun tritt das Postulat des Feminismus hinzu.

Auch die gute Absicht muss den Kontext berücksichtigen, in dem sie vertreten wird, kann sie sich doch leicht in ihr Gegenteil verkehren. So ist in der Geschichte des Westens oft genug im Namen von Freiheit und Gleichheit Herrschaft etabliert und legitimiert worden. Auch das Motiv der »Befreiung der islamischen Frau« steht in einer langen Herrschaftstradition: So waren bereits die Kreuzritter ausgezogen, um die Sarazenenprinzessin zu befreien. In Zeiten des Kolonialismus haben englische Kolonialherren in Ägypten oder die französischen Eroberer in Algerien versucht, den dortigen Frauen den Schleier zu verbieten und ihnen direkt vom Kopf zu reißen – ganz im Sinne eines kolonialen »Feminismus«.

Die Pose der Hausherrin, die den Anderen den Zutritt verwehrt, wenn sie nicht ihren Vorstellungen entsprechen, ist verführerisch, weil sie auf so einfache Weise Probleme zu lösen scheint, die sonst im Alltag unendlich mühsam anzugehen sind. Damit werden diese Probleme jedoch nicht gelöst, sondern nur auf eine andere Ebene verschoben. Auf eine Ebene, die bestehende Machtverhältnisse noch weiter verschärft und so dem Gedanken von Gleichberechtigung und Emanzipation direkt zuwider läuft.

Der Vorschlag, dass alle EinwanderInnen aus Ländern, in denen Männer rechtlich privilegiert sind, unterschreiben sollen, dass sie das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes anerkennen, unterstellt zudem, dass diese Einwanderinnen nicht wüssten, welches Recht hier gilt. Eine kühne These, wissen doch die MigrantInnen in der Regel, dass sie mit dem neuen Land auch einen anderen Rechtsraum betreten.

Viele sind ja genau aus diesem Grund aus ihrem Land geflohen. Zudem gibt es inzwischen in allen Ländern der Welt eine Frauenbewegung und gerade im arabischen-islamischen Raum kämpfen Frauen seit über hundert Jahren um ihre Rechte. Sollte das den Menschen, die von dort kommen, völlig entgangen sein?

Mit einer solchen Forderung werden alle EinwanderInnen unter den Generalverdacht der Unwissenheit oder aber des vorsätzlichen Rechtsbruchs gestellt. Bei den genannten Beispielen für Frauenunterdrückung geht es aber zum einen um Extremisten innerhalb des politisierten Islam und im Falle der Zwangsprostitution um Geschäftemacher aus allen Kulturkreisen, die damit in erster Linie die Männer des christlichen Abendlandes bedienen. Indem jedoch diese unterschiedlichen Formen sexistischer Gewalt allen EinwanderInnen angelastet werden, die – und das legt der Bezug zum Kopftuch nahe – aus dem islamischen Kulturkreis kommen, stärkt man die derzeitige antiislamische Stimmung. Frauen, die sonst als widerständig gelten, schwenken auf den deutschen Mainstream ein und befinden sich damit in der Gesellschaft derer, die am Stammtisch auf so wunderbare Weise zu Feministen mutieren, wenn es gegen »die Ausländer« geht.

Ist den BriefeschreiberInnen denn nicht klar, dass sie mit ihren Forderungen nicht nur antiislamische Ressentiments bedienen, sondern auch den betroffenen Mädchen und Frauen selbst einen Bärendienst erweisen, in dem sie ihnen die Teilhabe an dieser Gesellschaft erschweren, wenn nicht gar ganz verbieten? Gerade das Beispiel des Kopftuchverbots zeigt die Paradoxie, im Namen von Emanzipation Frauen und Mädchen den Zugang zu Schule und Beruf zu verstellen.

Es ist mit aller Entschiedenheit gegen Zwang und Gewalt gegenüber Mädchen und Frauen anzugehen, auch gegen den Zwang, ein Kopftuch zu tragen. Was aber, wenn das Kopftuch von vielen Frauen freiwillig getragen wird und Ausdruck von Widerstand gegen die Assimilationsforderungen der Mehrheitsgesellschaft, also eine Form der Emanzipation gegenüber christlich westlicher Dominanz wäre, die genau deshalb so provoziert, weil sie gegen einen selbst gerichtet ist? Diese Dominanz zeigt sich eben gerade darin, dass mit unterschiedlichem Maß gemessen wird, auch wenn es um Werte von Gleichheit und Freiheit geht. Denn wer würde all die deutschen christlichen Männer und Frauen ausbürgern, die gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen?

 


Editorische Anmerkungen

Birgit Rommelspacher ist Professorin für Psychologie an der Alice Salomon Hochschule Berlin und Autorin von Anerkennung und Ausgrenzung. Deutschland als multikulturelle Gesellschaft, Frankfurt 2002.
Der Artikel ist eine Spiegelung von http://www.iz3w.org/iz3w/261-280/276/s07.htm

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