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Nr. 04-04
Notausgabe
3. April 2004

9. Jahrgang online

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Wie die Globalisierung zur globalen Wirtschaftskrise fuehrt - Wirtschaftskrisen unter den Bedingungen der Globalisierung und neoliberaler Angebotstheorie

13 Thesen von Leo Mayer, Fred Schmid, Conrad Schuhler

Noch zu Beginn des Jahrtausends erklaerten Wissenschaftler, Propagandisten und Politiker des Kapitalismus triumphierend, mit dem Konjunktur- und Krisenzyklus der kapitalistischen Oekonomie sei es ein fuer alle mal vorbei. Die Wachstumslinie der Neunziger Jahre werde sich ungebrochen fortsetzen, High Tech, New Economy, weltweite Produktion und Finanzmaerkte wuerden fuer stetes und schnelles Wachstum sorgen. Dann kam der Crash an den Boersen, New und Old Economy gingen auf Krisenkurs, Profitwarnungen, Bilanzfaelschungen, Pleiten waren und sind an der Tagesordnung. Bereits 2001 steckten die Hauptmaechte der Triade - USA, Deutschland, Japan - in einer Rezession und mit ihnen die von ihnen dominierte globale Wirtschaft. Die Hoffnungen auf eine schnelle Kehrtwende haben sich laengst zerschlagen; jedermann weiß, der globalen Wirtschaft droht eine laenger anhaltende Stagnation, wenn nicht gar Deflation und Depression. Der globale Kapitalismus hat nicht nur mit seinen kriminellen Qualitaeten einen "Kulturschock" ausgeloest, wie New York Times und Sueddeutsche Zeitung formulierten, er erweist sich auch oekonomisch als laengerfristig leistungsschwach, als ein System der Krise. Diesen Charakter verdankt er seiner grundsaetzlichen Struktur, deren Krisencharakter durch die neoliberale Globalisierung noch erheblich vertieft wurde.

1.

Der kapitalistische Konjunktur- und Krisenzyklus ist durch High Tech und New Economy nicht etwa abgeschafft, er ist im Gegenteil dadurch noch ausgepraegter und gefaehrlicher geworden. Die kapitalistische Konkurrenz und das ihr innewohnende Prinzip des Maximalprofits - denn nur der mit den hoechsten Profiten kann sich gegen die Konkurrenz durchsetzen - treiben die Kapitalisten stets zur Überakkumulation, zum Aufbau von Überkapazitaeten im Verhaeltnis zur kaufkraeftigen Nachfrage. Denn waehrend die kapitalistischen Unternehmer ihren Ausstoß maximieren wollen, draengen sie auf die Minimierung ihrer Kosten, v.a. auch der Arbeitskosten, die aber am Markt die entscheidende Groeße der Nachfrage darstellen. Die Verwertungskrise wegen sinkender Profite (Überakkumulation von Kapital) und die Verwertungskrise wegen mangelnder Nachfrage (Unterkonsumtion) sind also zwei Seiten ein und der selben Medaille, wie sie schon Karl Marx im "Kapital" beschrieben hat: "Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bliebt immer die Armut und Konsumtions-beschraenkung der Massen gegenueber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkraefte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfaehigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde." Mit dem Aufbau von Überkapazitaeten entwickelt sich der Konjunkturzyklus mit den Phasen Aufschwung/Konjunktur, Hochkonjunktur (Boom), Abschwung/Krise, Rezession und ggf. Depression. Mit wachsender Bedeutung von High Tech und New Economy wird dieser Zyklus noch intensiviert. Die Informationstechnologie fuehrt zu einer so flexiblen Fertigung, dass die Produktion ohne groeßere Lagerhaltung oder Beschaeftigungsreserve der Marktnachfrage folgt, jede AEnderung des Marktes also schnell auf die Produktion durchschlaegt. Zur schnell steigenden Arbeitsproduktivitaet tritt eine steigende Kapitalproduktivitaet, d.h. mit jeder neu eingesetzten Einheit Investitionskapital kann eine groeßere Produktmenge erstellt werden. Die Folge ist eine relativ geringere Nachfrage sowohl nach Arbeitskraeften wie nach Investitionsguetern, also ein relativer Rueckgang der gesamtgesellschaftlichen Nachfrage. Mit Hig Tech und New Economy hat sich der Widerspruch zwischen Akkumulationspotential und gesellschaftlicher Nachfrage zugespitzt bis zu dem Punkt, dass selbst in Zeiten des Wirtschaftswachstums die Beschaeftigung sinken kann, was zu dem Phaenomen der "jobless growth" gefuehrt hat.

2.

Im Zuge der Weltmarktorientierung und der Herausbildung der Transnationalen Konzerne (TNK) hat sich der Widerspruch zwischen Produktionskapazitaeten und kaufkraeftiger Nachfrage erheblich zugespitzt. Im "Wettlauf der Besten" um Weltmarktanteile werden die einzelnen Gesellschaften als "nationale Standorte" im Sinn der TNK optimiert, d.h. werden Masseneinkommen gesenkt, Sozialleistungen und Ausgaben fuer oeffentliche Daseinsvorsorge gekuerzt. Da der Weltmarkt sich aber aus den einzelnen nationalen Maerkten zusammensetzt, sinkt damit die globale Nachfrage im Verhaeltnis zur Produktionskapazitaet. Verhaftet in einzelwirtschaftlicher "Froschperspektive" propagieren neoliberale Wirtschaftstheoretiker eine Optimierung der Angebotsbedingungen als Schluessel fuer dynamisches Wirtschaftswachstum. Nicht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage oder gar die Massenkaufkraft, sondern die Verbesserung der Angebotsbedingungen durch Kostenreduzierungen, Steuersenkunkungen und Deregulierungen sind in ihrer Logik die zentrale Kategorie. Dadurch soll die internationale Konkurrenzfaehigkeit, die Weltmarktpositionierung verbessert werden. Die Folge waeren hoehere Profite, die dann zu mehr Investitionen, mehr Wachstum und Arbeitsplaetzen fuehren wuerden. Der "Weltmarkt" ist den Neoliberalen so etwas wie das "gelobte Land", das Land der scheinbar unbegrenzten (Absatz-)Moeglichkeiten, in das man die jeweiligen Produktionsueberschuesse exportieren kann. Da aber alle Industriestaaten ihr Heil auf dem Weltmarkt, sprich den addierten Binnenmaerkten der jeweils restlichen Laender suchen, wird es auf diesem immer enger, d.h. der Konkurrenz- und Verdraengungskampf nimmt an Schaerfe zu. Um so mehr, als im "Wettlauf der Besten" um Weltmarktanteile in den Industrielaendern Loehne, Sozialleistungen und Ausgaben fuer oeffentliche Daseinsvorsorge beschnitten wurden. Die Drohung bzw. Realisierung von Auslandsverlagerungen von Produktion und Entwicklung erschwert den gewerkschaftlichen Lohnkampf. Anders als bis zu den 70er Jahren wurden in den folgenden Jahrzehnten anteilige Produktivitaetsfortschritte in den meisten Industrielaendern nicht mehr an die Beschaeftigten weiter gegeben. In den USA und Deutschland zum Beispiel verharren die Realloehne auf dem Niveau von 1980. Die Massenkaufkraft und somit das Potential des "Weltmarktes" erhoehten sich dadurch nur geringfuegig. Statt propagierter Revitalisierung der kapitalistischen Wirtschaft und neuer Wachstumsdynamik, verringerten sich die Wachstumsraten in den 90er Jahren, verstaerkten sich stagnative Tendenzen. Diese Diskrepanz von Angebot und Nachfrage wird vor allem durch die Transnationalen Konzernen verstaerkt. Diese steigerten - nicht zuletzt durch Übernahmen und Fusionen - ihre Produktionskapazitaeten weit ueberdurchschnittlich im Vergleich zum Weltwirtschaftswachstum. Sie setzten als erste produktivitaetssteigernde Investitionen im IT- und Elektronikbereich ein. Auf der anderen Seite konnten sie durch den Aufbau globaler Wertschoepfungsketten (kostenguenstigste Standortwahl, globales Kostendumping), durch "Global Sourcing" (verbunden mit einem massiven Druck auf die Zulieferer) und neue Organisationsformen (Lean Production, Toyota-System, atmende Fabrik) in globalem Maßstab Kostenvorteile ausnutzen und den Anteil der Lohnkosten an ihren Umsaetzen radikal reduzieren. Insgesamt oeffnete sich dadurch die Schere zwischen Produktionsvermoegen und kaufkraeftiger Nachfrage weiter. Allerdings erreichten gerade die Transnationalen Konzerne (TNK) eine Produktionselastizitaet, die es ihnen erlaubte, den Break-even-Point weiter herabzusetzen; sie erreichen dadurch die Gewinnschwelle schon mit einer Kapazitaetsauslastung von 70 und weniger Prozent. Umgekehrt koennen sie zusaetzliche Nachfrage ohne nennenswerte Neueinstellungen von Arbeitskraeften bedienen. Ein Moment, das im Aufschwung zum Phaenomen des Jobless Growth fuehrte und die hohe Sockelarbeitslosigkeit bedingte. Zu dieser Entwicklung gab es im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts aber auch Gegentendenzen: Mit der Implosion des osteuropaeischen Realsozialismus eroeffneten sich fuer das westliche Metropolenkapital neue Expansionsfelder. In die gleiche Richtung wirkte die "Politik der Oeffnung" der VR China und Vietnam sowie das Eindringen transnationalen Kapitals in bislang abgeschotteten Maerkten wie z.B. Indien. Das eroeffnete gerade den TNK zusaetzliche Absatzmaerkte fuer ihre Waren und in Form der Direktinvestitionen neue Anlagemoeglichkeiten fuer ihr ueberschuessiges Kapital. Bereits Rosa Luxemburg hatte auf diesen imperialistischen Drang des Kapitals hingewiesen: "Zur produktiven Verwendung des realisierten Mehrwerts ist erforderlich, dass das Kapital fortschreitend immer mehr den gesamten Erdball zur Verfuegung hat, um in seinen Produktionsmitteln quantitativ und qualitativ unumschraenkte Auswahl zu haben". Mit der forcierten Privatisierung staatlicher Unternehmen und Sektoren in allen Industrie- und Schwellenlaendern in den 90er Jahren wurden ebenfalls zusaetzliche Bereiche zur Kapitalverwertung geschaffen, ebenfalls eine Expansion im "heterogenen Milieu". In den USA wurde der Boom im vergangenen Jahrzehnt getragen durch eine ueber die Jahre ungebremste Konsumkraft und Kauflust der US-Buerger, die auf hohem Niveau immer noch zulegten. Zwar wurden die realen Stundenloehne durch Tarifabstriche und zunehmend prekaere Beschaeftigungsverhaeltnisse gesenkt; die Arbeitnehmer kompensierten den Kaufkraftverlust jedoch durch Mehrarbeit bzw. durch die Ausuebung von Zwei- und Dreifach-Jobs. Den eigentlichen Treibstoff fuer die Konsumkraft lieferte jedoch die enorme Verschuldungsbereitschaft der US-Haushalte, was zu historischen Hoechststaenden in der Pro-Kopf-Verschuldung und Tiefststaenden in der Sparquote fuehrte. Der dadurch initiierte und befeuerte Boom fuehrte wiederum dazu, dass die USA mit ihrem gewaltigen oekonomischen Potential - ueber 30 Prozent der Weltwirtschaftsleistung - als Lokomotive der Weltwirtschaft die anderen Regionen der Erde ueber Waren- und Kapitalimporte mit zog, was allerdings zu den exorbitanten US-Leistungsbilanzdefiziten fuehrte. Der US-Boom war also im doppelten Sinne ein "Boom auf Pump": Über die Konsumenten- und Hypothekenkredite der US-Verbraucher und ueber die Kreditierung durch das Ausland. Die Aktien- und Boersen-Hausse ab Mitte der 90er Jahre zuendete eine zweite Stufe der US-Konjunktur-Rakete. Die glaenzenden Gewinnaussichten der US-Multis bewirkten, dass US- und auslaendische Anleger verstaerkt in Aktien investierten. Dazu kam ein weiterer Kapitalisierungsschub ueber die private Alterssicherung, was zur Expansion der Pensionsfonds fuehrte, die wiederum das Geld weitgehend in Aktien anlegten. Das Boersenfeuer wurde weiter angefacht, als infolge der Finanzkrisen in den Schwellenlaendern - Suedostasien, Russland, Brasilien - die institutionellen Anleger und Finanzkonzerne ihre Gelder aus diesen Laendern abzogen und an die Boersen der Metropolen transferierten. Dort lief die Konjunktur ja noch auf Hochtouren. Bei Privathaushalten fuehrte der allgemeine Aktienrausch dazu, dass sie ihre Spargelder vermehrt in Aktien und Investmentzertifikaten anlegten oder Aktien gar auf Kredit kauften und sich mit steigenden Kursen reich rechneten. Das bewirkte den so genannten Vermoegenseffekt: Untersuchungen und Berechnungen haben ergeben, dass Privatanleger bei einem Kursanstieg von einem Dollar zusaetzlich vier bis fuenf Cents fuer Konsum ausgeben. Gerade in den USA, wo mehr als jeder zweite Haushalt Aktien besitzt, verstaerkte das den Konsumrausch. Die Boersen-Hausse gab so der Realwirtschaft einen Extra-Kick.

3.

Die Privatisierung staatlicher Wirtschaftsbereiche und sozialer Sicherungssysteme eroeffneten dem transnationalen Kapital zusaetzliche Verwertungs-bereiche. Sie fuehrte aber auch zur Überakkumulation und gegenwaertigen Krise im IT-Bereich. Die von den neoliberalen Regierungen in den 80er Jahren ausgeloeste Privatisierungswelle erreichte im vergangenen Jahrzehnt ihren Scheitelpunkt. Der Verkauf oder Teilverkauf von staatlichen Telekommunikationskonzernen, Verkehrsbetrieben (Bahn, Regional- und Nahverkehr, Airlines), oeffentlichen Versorgungsunternehmen (Strom, Gas, Wasser, Abwasser), Post und anderen Infrastruktur- und Logistikeinrichtungen, Banken und Versicherungen verschaffte dem nationalen Kapital und den TNK neue Verwertungsbereiche und fuer die Finanzanleger zusaetzliche Anlage- und Spekulationsmoeglichkeiten. Die UNCTAD nannte in ihrem World Investment Report 2000 die Privatisierungstendenzen in allen Industrie- und Schwellenlaendern als wesentlichen Grund fuer das Anschwellen von Direktinvestitionen vor allem in Form laenderuebergreifender Fusionen und Übernahmen (mergers & acquisitions). Vor allem im IT-Bereich hatten Privatisierung und Deregulierung einen entscheidenden Anteil an Überakkumulation und Überkapazitaeten in diesem Bereich. Erinnert sei an den Investitions- und Übernahmerausch im Telekomsektor, an die aberwitzige Versteigerungsorgie im UMTS-Bereich, an den New-Economy-Wahn, der den schier endlosen Kombinationsmoeglichkeiten von Telekom und Internet entsprang. Getrieben von der Konkurrenz und der Aussicht auf Traumrenditen fuer Technologie- und Marktfuehrer investierten die Konzerne nahezu grenzenlos in Telekom, Mobilfunk und Internet, was wiederum die Innovationsspirale beschleunigte. Angetrieben von der IT-Euphorie und zig-Milliarden schweren Übernahmen, schossen die Boersenwerte in die Hoehe. Der Geldfluss, den die Gier an den Boersen in diese Branchen spuelte, schien niemals zu versiegen. Das Marktpotential schien unendlich, die Verbraucher zu jeder Neuerung verfuehrbar und konsumbereit. In den vergangenen Jahren wuchs die IT-Branche im Durchschnitt vier Mal so schnell wie die gesamte Volkswirtschaft. Das IT- und New-Economy-Fieber dauerte etwa drei Jahre, dann war die Gruender-Party aus. Die alte kapitalistische Krisenwirtschaft verschaffte sich erneut Geltung. Eine handfeste Überakkumulationskrise stand ins Haus. Zuerst traf es die StartUps? der New Economy, die zuhauf zusammen brachen. Doch auch die Großen der Telekom-Branche blieben nicht verschont. Im Wettlauf und Konkurrenzkampf um Branchendominanz und Marktbeherrschung hatten sie zu viel Kapital investiert, Überkapazitaeten in großem Umfang geschaffen. die noch dazu in der Endphase des Telekom- und Internetrausches und den damit verbundenen Übernahmeorgien kredit- und fremdfinanziert waren. Die Visionen um und mit UMTS erwiesen sich bislang als Science Fiction, neue Dienste und Anwendungen konnten nicht schnell genug entwickelt werden. Die Konsumenten zeigten sich nicht fuer jede verrueckte Idee manipulierbar und verweigerten sich zumindest partiell. Anderen fehlte es an Kaufkraft. Die Folgen waren Fehlallokationen en masse. Der Absturz der Boersen verschlechterte zudem die Finanzierungsmoeglichkeiten. Die Netzanbieter fanden sich ploetzlich auf einem Berg von Schulden wieder. Ihre Misere schlug auf die ganze Branche durch. Die Betreiber strichen ihre Investitionen zusammen, was wiederum zur Krise bei den Ausruestern wie Ericsson, Siemens, Alcatel, Lucent, Nokia und anderen fuehrte. In atemberaubenden Tempo rauschte die gesamte Branche vom Boom direkt in die Krise. Die Financial Times veroeffentlichte im Internet ein "Telecoms job cuts watch", wo sie gestrichene Stellen bei den einzelnen Konzernen seit Anfang 2001 auflistete. Stand am 14. Mai 2002: 539.429 vernichtete Arbeitsplaetze in der Telekom-Branche. Seitdem kamen weitere Zehntausende dazu. Deregulierung und Privatisierung haben nicht nur im Telekom-Bereich zum ungehemmten Investitionsrausch und der damit verbundenen Überakkumulation beigetragen. Eine aehnliche Situation zeichnet sich im Bereich der Energiewirtschaft und bei Versorgungsunternehmen ab, wie die Mega-Insolvenzen von Enron und Vivendi signalisieren. Auch die Energie- (Strom, Gas, Stadtwerke) und Wasserversorgung (Trink- und Abwasser) wurden in fast allen Industrielaendern dereguliert und privater Kapitalverwertung ausgeliefert. Durch die Eingliederung in die privatkapitalistische Profitwirtschaft fehlt zudem das frueher krisenstabilisierende Moment eines staatlichen Infrastruktursektors, der Ansatzpunkt staatlicher Konjunktur- und Beschaeftigungsprogramme sein koennte.

4.

Der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems Mitte der 70er Jahre beendete das System fester Wechselkurse und fuehrte in der Folge zu heftig schwankenden (volatilen) Waehrungen. Zusammen mit der Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmaerkte eroeffnete das der Finanzspekulation neue Dimensionen. Die Globalisierung von Finanzmaerkten und Spekulation wurde Realitaet. Das fuehrte dazu, dass seitdem die Realzinsen dauerhaft ueber der Wachstumsrate des Brutto-Inlandsprodukts der Industrie- und Schwellenlaender liegen. Eine Folge sind die Finanzkrisen in den Schwellenlaendern. Da die Schuldner die Zinsen nicht aus den realen Zuwaechsen, sondern aus der Substanz bezahlen muessen, schwindet der Teil von Einkommen und Vermoegen, der als effektive Nachfrage nach Investitions- oder Konsumgueter zur Verfuegung. Die Finanzspekulation gab es schon immer, neu ist ihre Dimension und ihr globales Agieren. Voraussetzung dafuer war der Übergang zu variablen Wechselkursen, Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmaerkte und die Schaffung innovativer Finanzinstrumente (z.B. Derivate). Woher aber ruehren die gewaltigen und anschwellenden Geldfluten? Sie sind das Ergebnis massiver Einkommensumverteilung zugunsten der Profit- und Vermoegenseinkommen im Rahmen neoliberalistischer Angebotspolitik. Die wachsenden Profite finden wegen der strukturellen Nachfrageschwaeche (laufende Beschneidung der Massenkaufkraft) in der realen Sphaere der Oekonomie zunehmend geringere Anlagemoeglichkeiten. Überakkumulation von Geldkapital bewirkt eine relative Entkoppelung der Finanzsphaere von der realwirtschaftlichen Entwicklung. Das ueberschuessige Geldkapital ist die Grundlage der ueberbordenden Finanzspekulation, die sich in Waehrungs- und Aktienspekulation am Deutlichsten manifestiert. Die Inflation von Finanztiteln, die gewaltigen Finanzstroeme, die taeglich um den Globus transferiert werden, die Hebelwirkungen der Hedge Fonds sind Ausdruck dieser Spekulation. Sie blaest die Werte an den Boersen zu weitgehend substanzlosen Blasen ("Bubbles") auf und vermag ganze Waehrungen in den Abgrund zu druecken. "Wenn die Realzinsen im Durchschnitt oberhalb der Wachstumsrate des BIP liegen und auch oberhalb der Profitrate auf industriell oder im Dienstleistungssektor angelegtes Kapital, dann bedeutet dies, dass Schuldner immer weniger in der Lage sind, aus den Zuwaechsen ihren Schuldendienst zu leisten, weil ja der Zins groeßer ist als der Zuwachs des BIP und wohl im Schnitt auch groeßer als die Profitrate ist. Wenn die Zinsen nicht mehr aus den realen Zuwaechsen finanziert werden koennen, dann geht das nur noch aus der Substanz. Irgendwann ist das Ende der Fahnenstange erreicht und dann bricht die Finanzkrise aus. Wenn die Geldfluesse immer von den Schuldnern zu den Glaeubigern, also zu den Geldvermoegensbesitzern einseitig erfolgen, dann heißt dies auch, dass die Ungleichheit in der Welt zunehmen muss. Wenn die einen durch den Schuldendienst immer an die anderen zahlen, bedeutet dies, dass die einen reicher und die anderen aermer werden." (Elmar Altvater, isw-report 52, S. 6). Im Ergebnis werden dabei keine neuen Werte geschaffen, sondern findet ueber Zinsen und Spekulationsgewinnen aus Aktien- und Devisenspekulation eine Umverteilung von Vermoegenswerten zugunsten der großen Finanzanleger und Geldkapitalbesitzer statt. Hauptakteur auf den Finanzmaerkten und dem Feld der Spekulation ist das internationale Geldkapital in Form internationaler Geschaefts- und Investmentbanken sowie institutioneller Anleger: Investment- und Pensionsfonds und Versicherungen. Durch die internationale Großspekulation in Verbindung mit der Vernetzung der Finanzmaerkte erhoeht sich das Risikopotenzial der Finanzmaerkte, nimmt ihre innere Labilitaet zu. Platzen die spekulativen Blasen, reißen die Kreditketten, ergeben sich auch Risiken und Schocks fuer die Realwirtschaft. Das zeigte sich in Japan, als 1989/90 die Aktien- und Immobilienblase platzte und auf den Banken seitdem ein Gebirge fauler Kredite lastet. Das zinstragende und spekulative Kapital hat sich zwar relativ verselbstaendigt, ist aber von der realen Sphaere nicht voellig losgeloest. Es dominiert und diktiert zunehmend diese Sphaere: Das zeigt sich in der Macht der Institutionellen Anleger gegenueber Konzernen der Realwirtschaft und im Diktat der Shareholder-Value-Orientierung. Das wird deutlich im Renditediktat des internationalen Geldkapitals gegenueber Schwellenlaendern, aber auch in der Finanz- und Haushaltspolitik von Industrielaendern, die zunehmend dem "Urteil der Maerkte" ausgesetzt wird. Mobilitaet und Reaktionsgeschwindigkeit internationaler Anleger hat sich durch die Deregulierung der Finanzmaerkte und in Verbindung mit neuen Kommunikationstechniken gewaltig erhoeht. Internationale Geldhaeuser und Institutionelle Anleger koennen so rund um den Globus und around the clock spekulieren. Das kann bei einer Verschlechterung der Geschaeftssituation bzw. der wirtschaftlichen Lage eines Landes zu schnellem Kapitalentzug in gewaltigem Ausmaß fuehren. Das erschwert die Investitions- und Finanzplanung von Konzernen und Staaten, birgt das Risiko von Finanz- und Liquiditaetsengpaessen. Über die Devisen- und Waehrungsspekulation wirkte so das internationale Finanzkapital in den suedostasiatischen Tigeroekonomien und in lateinamerikanischen Schwellenlaendern krisenausloesend. Die Ursache auch von Finanz- oder Waehrungskrisen liegen nach wie vor in den "fundamentals", den so genannten fundamentalen oekonomischen Daten von Konzernen und Volkswirtschaften. Die Bewegungen der Finanzmaerkte, und zugespitzt dann die Finanzspekulation, setzen an diesen Ungleichgewichten und Trends an und verstaerken deren Schwankungen. Hohe Volatilitaet (Schwankungsintensitaet der Kurse im Zeitverlauf), "Overshootings" (spekulative Übersteigerungen), bedingt durch die Finanzmassen der Fonds und Großspekulanten ("Trendsetter2) sind die Folgen. Finanzspekulation und globale Verschuldung sind unter diesen Bedingungen zusaetzliche globale Krisenfaktoren.

5.

Ein zunehmender Teil des gesamten Wirtschaftens, aber auch des wirtschaftlichen Verhaltens von Privathaushalten ist heute von den Schwankungen der Boersen abhaengig. Dies wirkt zyklusverstaerkend, im Boom wie in der Krise. Transnationale Konzerne finanzieren sich heute weitgehend ueber die Kapitalmaerkte, insbesondere durch Aktienemissionen. Im Zuge der Fusionitis der vergangenen Jahre wurden die Aktien zur "Akquisitionswaehrung", Fusionen und Übernahmen wurden weitgehend durch Aktientausch finanziert. Das trieb den Aktienkurs nach oben, heizte das Boersenfieber an. Mit dem Absturz der Boersen versiegten diese Finanzierungsquellen weitgehend. Die TNK mussten zur Finanzierung auf Unternehmensanleihen umsteigen, wodurch ihre Verschuldung steil nach oben ging. Allein die europaeischen Telekom-Betreiber waren Mitte 2002 mit 400 Milliarden Euro verschuldet und sind jetzt gezwungen, ihre Investitionsplaene stark zurueck zu fahren. Kosteneinsparungen bewirken sie in erster Linie ueber einen massiven Stellenabbau. Aufgrund der Verschlechterung und Aushoehlung der gesetzlichen Alterssicherung mussten Privathaushalte zusaetzlich kapitalgedeckte Altersvorsorge treffen: in Form von Lebensversicherungen, Betriebsrenten und Pensionsfonds (insbesondere in den angelsaechsischen Laendern). Im Zuge des Aktienbooms investierten Lebensversicherungen, Fonds und betriebliche Rentenkassen ihre Praemienueberschuesse zunehmend an der Boerse. Der Gesetzgeber hatte die Hoechstgrenzen der Aktiendeckung von Lebensversicherungen und betrieblichen Pensionsfonds mehrmals heraufgesetzt. Jetzt in der Baisse geraten die Lebensversicherungen selbst in Lebensgefahr: Bei einer Reihe von privaten Versicherungen und betrieblichen Pensionsfonds tun sich Milliarden große Deckungsluecken auf. Einige Versicherungen koennen zum Jahresende den Garantiezins von 3,25 Prozent auf Lebensversicherungs-Policen nicht mehr bezahlen. Bei US-Firmenpleiten wie Enron und Worldcom loesten sich die betrieblichen Pensionsfonds weitgehend in Luft auf. Versicherungen und andere Institutionelle Anleger fliehen jetzt in großer Hektik aus den Aktien und druecken damit den Aktienkurs weiter nach unten. Mit der Boersen-Baisse verschlechterte sich auch die finanzielle Situation zahlreicher Privathaushalte. Mit dem Boersenboom war die Zahl der privaten Aktienbesitzer und Zeichner von Investment-Zertifikaten sprunghaft angestiegen. Gerade Spaeteinsteiger und Aktienkaeufer auf Kredit verloren jetzt einen Großteil ihres Vermoegens bzw. sind verschuldet. Insgesamt loest die gigantische Vernichtung von Aktien- und Papiervermoegen jetzt einen negativen "Vermoegenseffekt" in die umgekehrte Richtung aus. Oekonomen rechnen in den kommenden Monaten mit erheblichen Einbußen bei den Konsumausgaben der Privathaushalte. Nach einer Studie im Auftrag der OECD schrumpft der Konsum bei einem Kurssturz von zehn Prozent an der Boerse in den USA um 0,45 bis 0,75 Prozent, um 0,5 Prozent in Großbritannien und um 0,2 Prozent in Deutschland. Die niedrigere so genannte Cash-Burning-Rate in Deutschland im Vergleich zu den angelsaechsischen Laendern resultiert daraus, dass hier zu Lande erst jeder vierte Haushalt Aktien besitzt, in den USA dagegen mehr als die Haelfte.

6.

Unter der Dominanz von institutionellen Anlegern und Investmentbanken werden die Konzerne krisenanfaelliger. Transnationale Konzerne werden heute groeßtenteils beherrscht von nationalen und internationalen Institutionellen Anlegern. Bei diesen steht das unbedingte Eigentuemerinteresse im Vordergrund; es wird durchgesetzt ohne Ruecksichtnahme auf Arbeitnehmer- und soziale Interessen, auf oekologische und gesellschaftliche Folgen. Zielgroeße ist die Maximierung des Shareholder Values in Form von Steigerung des Aktienkurses, Dividendenausschuettung und Bezugsrechten. Über Benchmarking (Vergleich mit den weltweit Besten der Branche) setzen die Institutionellen in den Konzernen Renditevorstellungen durch, die sich an globalen Spitzenwerten orientieren. Vorstaende und Management, durch Aktienoptionen ebenfalls in diese Richtung stimuliert, geben den Druck an die Belegschaften weiter. Durch Konzentration auf das so genannte Kerngeschaeft soll moeglichst schnell ein Spitzenplatz in der Welt-Rankingliste der betreffenden Branche erreicht werden. Weniger profitable Konzernbereiche werden abgestoßen, eine Quersubventionierung ist nicht mehr erlaubt. Durch Zukaeufe, Übernahmen und Fusionen soll eine marktbeherrschende Stellung in einer Branche erreicht werden und damit die Faehigkeit zur Monopolpreissetzung. Das alles macht jedoch die Konzerne krisenanfaelliger: Monokulturen machen bei Strukturkrisen einer Branche einen Risikoausgleich unmoeglich. Bedingungslose Fusionitis zur Erlangung einer Monopolstellung birgt die Gefahr einer Überschuldung, wie dies an den Telekom-Konzernen, aber auch an Teilen der Automobilbranche deutlich wurde. Diese Konzerne werden zur totalen Beute des zinstragenden Geldkapitals. Die zunehmende Finanzierung von TNK ueber die Finanzmaerkte macht die Konzerne auch abhaengiger von den Schwankungen dieser Maerkte. Das zeigt sich bei der gegenwaertigen Baisse-Situation mit der Entwertung der Akquisitionswaehrung "Aktie".

7.

Im Zuge der Globalisierung hat die handels- und kapitalmaeßige Verflechtung der Wirtschaftsraeume stark zugenommen. In dieser oekonomisch zusammengewachsenen Welt bewegen sich die einzelnen Volkswirtschaften immer mehr im konjunkturellen Gleichschritt. Entscheidend ist dabei das Gewicht der US-Oekonomie: Kommt es in den USA zu einer handfesten Rezession, dann bedeutet das im Effekt zugleich eine Weltwirtschaftskrise, eine Krise des globalen Kapitalismus. Die Weltboersen schwingen fast synchron im Rhythmus von Wallstreet. Jeder Krach dort loest ein Beben an den europaeischen und asiatischen Boersen aus. Eine Studie des IWF belegt eine hohe Korrelation der US- und EU-Aktienmaerkte: der Korrelationsfaktor ist in den 90er Jahren von 0,4 auf 0,8 gestiegen. Die hohe Abhaengigkeit der restlichen Weltboersen ergibt sich schon aus dem Gewicht von Wallstreet, an der alle fuehrenden TNK notiert sind. Die Boersenkapitalisierung von NYSE und Nasdaq zusammen ist groeßer als das addierte Aktienkapital an den restlichen Boersen der Welt. Die Verzahnung der Finanzmaerkte hat ihre gueterwirtschaftliche Entsprechung!!. Der Welthandel steht und faellt weitgehend mit den US-Importen, etwa ein Viertel der gesamten Weltimporte. Gerade die Exporte der Regionen Lateinamerika, Rest-NAFTA und Suedostasien haengen stark von der Aufnahmefaehikeit des US-Marktes ab. Aber auch der Extra-Blockhandel der EU mit den USA (und dem gesamten Dollar-Raum) waechst weit schneller als der Intra-Block-Handel der EU. Insgesamt hatten die USA in den 90er Jahren fuer die Weltkonjunktur eine Lokomotivfunktion. Ein sinkender Supertanker USA wuerde umgekehrt die Weltwirtschaft in den Abgrund reißen. Gewichtiger als die handelsmaeßige Verflechtung der Weltwirtschaft im allgemeinen und von USA und EU im besonderen ist jedoch die gegenseitige kapitalmaeßige Durchdringung der Triade-Regionen. Waehrend das Welt-BIP von 1990 bis 2000 um 25 Prozent stieg, die Weltexporte in der gleichen Zeit um 85 Prozent zunahmen, versechsfachten sich die Direktinvestitionen im Jahr 2000 gegenueber 1990. In der Triade sind die Wirtschaftsraeume Nordamerika und EU dominierend: Sie erbrachten im Jahr 2000 fast zwei Drittel der Weltwirtschaftsleistung und 87 Prozent der ausfließenden Direktinvestitionen. Die gegenseitige kapitalmaeßige Verflechtung und Durchdringung dieser beiden Bloecke ist in den 90er Jahren stark gestiegen und hat weitgehend den Charakter eines transatlantischen Wirtschaftsraumes angenommen. Die USA als groeßter Einzelinvestor der Welt haben im vergangenen Jahrzehnt ziemlich genau eine Billion Dollar (997) in Form von Direktinvestitionen im Ausland angelegt; davon mehr als die Haelfte (55 Prozent) in der EU. Bei den EU-Direktinvestitionen von 1990 bis 1998 in Hoehe von 1,6 Billionen Dollar, hielten sich Intra-Block-DI und Extra-Block-DI in etwa die Waage. Von den Extra-EU-DI wurden ebenfalls 55 Prozent in den USA investiert. Die staerkere Verzahnung der beiden nordatlantischen Wirtschaftsraeume fuehrt zu groeßeren Auswirkungen auf den Verlauf des Konjunktur- und Krisenzyklus bei diesen Giganten der Weltwirtschaft, als es die Verflechtung ueber die Handelsstroeme widerspiegelt. Die Umsaetze von US-Tochtergesellschaften in Deutschland beispielsweise ueberstiegen bereits vor fuenf Jahren die US-Exporte nach Deutschland um das Vierfache. Umgekehrt betrugen auch die Umsaetze der Tochterunternehmen deutscher TNK in den USA fast das Vierfache deutscher Exporte dorthin, bei britischen US-Toechtern gar das Fuenfeinhalbfache britischer US-Exporte. Brechen deren Umsaetze und Gewinne in den USA wegen dortiger Konjunkturschwaecheein, hat das Rueckwirkungen auf Profite und Investitionen im Mutterkonzern. Und umgekehrt. Konjunkturelle Schwankungen in den einzelnen Laendern schlagen damit unmittelbar auf die jeweiligen TNK durch.

8.

Anders als bei der Weltwirtschaftskrise 1929 ist bei heutigen Krisen ein Rueckfall der oekonomischen Hauptmaechte in Protektionismus nicht zu erwarten. Der Stand der Internationalisierung und globalen Vernetzung des Kapitals duerfte heute den Versuch einer Abschottung weitgehend zum Scheitern verurteilen. In jeder Krise sind die schwaecheren Kapitalien die ersten Opfer im Vernichtungs- und Verdraengungskampf. Das wurde und wird deutlich bei den Krisen in den Oekonomien der Schwellenlaender - Suedostasien 1997, Brasilien 1998, Argentinien 2000/01, Tuerkei 2000/01, Brasilien 2002 - deren Aufstieg zur Weltliga des Kapitals weitgehend auf Pump finanziert war und die bei enger werdenden Maerkten letztlich gegen die Konkurrenz der Multis keine Chance hatten. Im Ergebnis der Krise und mit dem Hebel von IWF/Weltbank wurden die - teilweise noch abgeschotteten - Oekonomien aufgebrochen und der Expansion des transnationalen Kapitals zugaenglich gemacht. Im Rahmen der den Schwellenlaendern vom IWF verordneten "Anpassungsprogramme" mussten staatliche Betriebe und Infrastrukturbereiche privatisiert werden und konnten von TNK uebernommen werden. Angeschlagene heimische Konzerne wurden so haeufig zu Schnaeppchen der TNK. Die Durchdringung der Welt durch das transnationale Kapital bekam im Gefolge der Krisen neue Schuebe. Selbst die "Festung Japan" schottete sich im Rahmen der japanischen Dauerkrise in den 90er Jahren nicht weiter ab, sondern wurde weitgehend geschleift. Die japanische Autoindustrie z.B. ist heute zum großen Teil in der Hand auslaendischer Multis. Auch bei der sich seit eineinhalb Jahren vollziehenden Weltrezession mit dem jetzigen "double dip" sind Schritte der Metropolen zu einschneidendem Protektionismus nicht zu erkennen. Darueber koennen auch gelegentliche handelspolitische Scharmuetzel wie im Stahlstreit und und in den Agrar- bzw. Farmer-"Kriegen" nicht hinwegtaeuschen. Weitgehende Ausnahmeregelungen gegenueber der EU und Japan machten den "Stahlkrieg" zudem zu einem Schießen mit Platzpatronen. Anders als bei der rein handelsmaeßigen Internationalisierung der Weltwirtschaft am Vorabend der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 basiert die heutige Globalisierung in erster Linie auf einer kapitalmaeßigen Vernetzung. Die Errichtung von Schutzzoellen und Handelsbarrieren wie damals waere heute bei der weltumspannenden Verflechtung von Mutter- und Tochtergesellschaften relativ wirkungslos. Das gesamte Netz von handels-, kapital- und finanzmaeßiger Durchdringung ist heute so eng geknuepft, dass kein Industrieland bei Strafe existenzieller oekonomischer Bedrohung mehr ausscheren kann. Die Multis haben zudem eine Groeßenordnung erreicht, die den gesamten Globus als ihren Verwertungsraum unabdingbar macht. Selbst die USA, das Land mit dem weltgroeßten Binnenmarkt, haetten heute enorme Probleme, sich auf die Position einer "splendid isolation", auf Autarkie und Protektionismus zurueck zu ziehen. Die Weltwirtschaft wuerde im Chaos versinken, wuerden die USA beispielsweise die Handels- und Finanzstroeme von und zu ihrem Land oder die Transaktionen zwischen den US-Multis und den deren 8.000 Tochterunternehmen rund um den Globus kappen. Auch die USA werden deshalb weiter darauf hinarbeiten, die nationalen Maerkte zu einem integrierten und weitgehend einheitlichen Weltmarkt zu machen.

9.
Die Funktion der Krise ist die massenhafte Vernichtung von Kapital und damit der Überkapazitaeten und die Wiederherstellung des Gleichgewichts von Produktionsmoeglichkeit und kaufkraeftiger Nachfrage auf niedrigerer Ebene. Die augenfaelligste Vernichtung von Kapital fand bei der 2001 beginnenden Weltrezession im New-Economy-Bereich statt. Überkapazitaeten werden platt gemacht, lukrative bzw. gewinnversprechende Unternehmungen von Großkonzernen eingesackt. Von den 9000 Punkten des Nemax 50 blieben heute gerade noch gut 300 Zaehler uebrig; jetzt wird der "Neue Markt" ganz beerdigt. Die Kapitalintensitaet dieser dotcom- und e- und @-Firmen ist jedoch gering, die Kapitalvernichtung somit volkswirtschaftlich kaum relevant. In großem Ausmaß begann die Kapitalstilllegung im High-Tech-Bereich, insbesondere im Telekom-Sektor, wo sie noch in vollem Gange ist. Eine verdeckte Kapitalvernichtung findet zudem gegenwaertig in zahlreichen Branchen durch Nicht-Auslastung und Abbau von Kapazitaeten, also durch Nicht-Produktion statt. In allen kapitalistischen Industrielaendern ist weiterhin ein Ansteigen der Pleitewelle zu verzeichnen, die zunehmend - gerade in den USA - groeßere Unternehmen und Großkonzerne erfasst. In Deutschland wird in diesem Jahr die groeßte Pleitewelle aller Zeiten registriert. Insolvenzen wie Holzmann, KirchMedia?, Babcock und Fairchild Dornier zeigen, dass auch mittlere und Großkonzerne nicht verschont bleiben. Und mit jeder Pleite werden Hunderte und Tausende von Arbeitsplaetzen vernichtet. Mit der Pleitewelle ist auch der Fortgang des Fusionsprozesses vorprogrammiert: Die Überlebenden werden die Pleitekandidaten uebernehmen und ausschlachten. Der Kreis der Firmen wird kleiner, die Giganten werden noch groeßer und maechtiger herauskommen. In der Telekom-Branche z.B. sind dann die staatlichen Monopolanbieter durch private Teklekom-Konzerne ersetzt.

10.

Die Moeglichkeiten staatlicher Konjunkturpolitik wurden im Gefolge des Neoliberalismus amputiert. Den neoliberalen Angebotspolitikern und ihrer Klientel, den Geldvermoegenden, sind Geldwertstabilitaet wichtiger als stabile Beschaeftigung. Selbst angesichts des sich abzeichnenden erneuten Eintauchens in eine Rezession (double dip) halten die EU-Regierungen am "Stabilitaetspakt" fest. Die verbliebenen Konjunktur-Instrumente waren 2000/01 in den USA schnell ausgereizt: Fast monatliche Zins-Senkungen - mit dreizehn ein neuer Rekord - der US-Notenbank und umfangreiche Steuergeschenke der Bush-Administration. Sie stimulierten zwar weiterhin den Konsum der US-Buerger und verhinderten moeglicherweise ein Reißen der Kreditketten. Sie entfachten jedoch nur ein vorueber gehendes Strohfeuer. Fuer einen dauerhaften konjunkturellen Aufschwung, insbesondere im Bereich der Investitionen, erwiesen sich die Impulse als zu schwach. Die Niedrig-Zinspolitik koennte sogar zum Entstehen einer weiteren Spekulations-Blase, naemlich auf dem Immobilien-Sektor, beigetragen haben. Moeglicherweise sucht jetzt die Bush-Administration einen reaktionaeren Ausweg und Ausbruch aus dem Krisen-Dilemma ueber Ruestungs-Keynesianismus und Fortfuehrung des "Krieges gegen den Terror" durch einen Angriffskrieg auf den Irak. Die Regierungen der Euro-Zone haben sich mit ihrem "Stabilitaetspakt" konjunkturpolitisch noch staerker die Haende gebunden. Ein (europaeisches) Beschaeftigungsprogramm etwa ueber den Weg des "deficit spending", eine antizyklische Konjunkturpolitik, verbietet sich unter dem Dogma der Haushaltskonsolidierung. Diesen Kurs verfolgt auch die wiedergewaehlte Bundesregierung. Statt die Reichen ueber eine effektive Erbschaftsteuer und Wiedereinfuehrung der Vermoegensteuer zur Kasse zu bitten, verfolgt sie einen Einsparkurs zu Lasten der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfaenger und durch weitere Kuerzung oeffentlicher Investitionen und Dienstleistungen. Bruening laesst grueßen. Der damalige Reichskanzler (1930 bis 1932) hatte durch seine brutale Notverordnungs- und prozyklische Deflationspolitik die damalige Wirtschaftskrise mit angeheizt.

11.

Bedingt durch die Globalisierung droht heute die Rueckkehr des gefuerchteten Krisentyps der Deflation, jenes Teufelskreises aus Lohnkuerzungen, Preissenkungen und sprunghafter Anstieg der Massenarbeitslosigkeit, der letztlich in die Depression einmuendet. Deflation und in deren Gefolge Depression war frueher der klassische Fall einer Wirtschaftskrise, die ab 1825 im Kapitalismus mit ziemlicher Regelmaeßigkeit zyklisch auftrat. Die letzte - damals bereits globale - Depression war die Weltwirtschaftskrise 1929. Der ersten Phase einer mehr oder weniger "normalen" Überproduktionskrise folgte das eigentliche Krisendrama mit einem Boersenkrach und der sich anschließenden Abwaertsspirale: deflationierende Vermoegenswerte, zusammenbrechende Inlandsnachfrage, fallende Preise auf breiter Front, Kuerzungen der Loehne und Entlassungen, versiegende Gewinne und Investitionen. Verbraucher und Unternehmen geraten in die Schuldenfalle, Unternehmenskonkurse und in der Folge Bank-Bankrotte, sprunghafter Anstieg der Massenarbeitslosigkeit, damals von drei auf sechs Millionen in Deutschland. Der Staat reagierte auf die sinkenden Staatseinnahmen mit rigider Sparpolitik - die Brueningsche Austeritaetspolitik - und beschleunigte damit die Abwaertsspirale.
Seitdem hat es keine Deflation mehr gegeben. Die Krisen der Nachkriegszeit waren von anderen Erscheinungen gepraegt!!!: Trotz Absatzrueckgang und Überproduktion stiegen die Preise munter weiter. In der Krise 1974/75 z.B. erhoehten die Auto-Konzerne sogar mehrmals ihre Preise - obwohl Hunderttausende von Fahrzeugen auf Halde standen. Die Konzerne konnten in relativ geschlossenen Maerkten den mit einem Absatzrueckgang "normalerweise" verbundenen Profitverfall durch Preiserhoehungen abwenden. Eine Erscheinung, die als "Stagflation" (Stagnation plus Inflation) sich einen Namen machte. Waehrend die Gewinne der kleineren und mittleren Firmen zurueckgingen, registrierten 15 der 20 groeßten Industriekonzerne bedeutende Gewinnerhoehungen. Das monopolistische Kapital war in der Lage, die Kosten der Kapitalvernichtung so abzuwaelzen, dass die Krise nur fuer die nicht monopolistischen Teile des Kapitals zu einer Krise des Profits wurde.
Die Gefahren fuer ein erneutes Auftauchen der Deflation erwachsen aus der Globalisierung und dem damit verbundenen internationalen Konkurrenzkampf der TNK. Anders als die nationalen Monopole besitzen die TNK , mit wenigen Ausnahmen, eine relativ geringe Preissetzungsmacht. Zur Verbesserung ihrer "internationalen Wettbewerbsfaehigkeit" erfolgt ein permanenter Druck auf die Lohnstueckkosten, werden in einem Standort-Wettlauf alle Standards gedumpt. Bei stockendem Absatz birgt das die Gefahr von "Lohnsenkungswettlaeufen". Zunehmende Globalisierung der Volkswirtschaften und damit verbunden eine Vernetzung, Oeffnung und Deregulierung von Gueter- und Kapitalmaerkten, koennen dazu fuehren, dass infolge des verstaerkten internationalen Konkurrenzkampfes derartige Kostensenkungswettlaeufe in Preiskriege muenden. Ausloeser der Deflation koennten die Überkapazitaeten sein, die Firmen in den vergangenen Jahren aufgebaut haben und die nun auf die Preise druecken. Deflatorische Tendenzen zeichneten sich in den vergangenen Jahren zunehmend in der japanischen Dauerkrise ab. Sie traten auch in Schwellenlaendern, z.B. in der suedostasiatischen Tigerkrise in einem Abwertungs- und damit verbundenen Preissenkungswettlauf von Exportguetern auf. Als Gegenargumentwird angefuehrt, dass die heutigen Kapital- und Produktionsstrukturen andere seien. Trotz Globalisierung und damit verbundener Zunahme der Konkurrenz weisen die TNK eine neue Qualitaet oekonomischer Machtkonzentration auf. Diese erlaubt es ihnen, in Krisenzeiten den Druck auf Zulieferer und Absatzorganisationen zu erhoehen und so ihre Profite zu sichern. Zudem haben sie ihre Produktionselastizitaet so weit erhoeht, dass sie bei wesentlich niedrigeren Kapazitaetsauslastungen als frueher in die Gewinnzone kommen.

12.

Die Krisen vergroeßern rasant die soziale Ungleichheit in der Welt: Sie vertiefen die Kluft zwischen den kapitalistischen Metropolen und der Peripherie; sie verschaerfen die Polarisierung innerhalb der Industrielaender.Die sozialen und volkswirtschaftlichen Kosten werden von Krisenzyklus zu Krisenzyklus hoeher. Diese Art des Wirtschaftens kommt der Natur und der Menschheit zu teuer. Mit dem Platzen von Spekulations- und Boersenblasen wird kein Kapital vernichtet, sondern es "verbrennen" Papierwerte. Es erfolgt eine Wiederanpassung inflationierter Vermoegenswerte an die realen Unternehmenswerte. Das Nachsehen haben in der Regel die Spaeteinsteiger-Kleinanleger, die, angelockt vom vermeintlich ewig waehrenden Boersenboom, ebenfalls den schnellen Euro machen wollten. Sie kauften zu Hoch- und Hoechstkursen und erfahren nun, dass Aktienkurse auch ruecklaeufig sein koennen. Sie sind die eigentlichen Verlierer der Aktienspekulation. Bei einer Verdoppelung der Aktionaere und Fondsbesitzer binnen drei Jahren allein in Deutschland sind das nicht wenige. Ihr Geld ist nicht weg oder vernichtet - es ist nur in den Taschen anderer. In der Regel ist es auf dem Konto einer Bank, eines Fonds oder anderer Spekulanten. Aktiencrashs fuehren im Ergebnis immer zu einer Umverteilung von Geldvermoegen. Durch Shortselling/Leerverkaeufe verdienen Hedge-Fonds-Spekulanten und ihre Klientel, die Geldvermoegens-Multi-Millionaere, auch oder gerade an Baissen. Der parasitaere Charakter des Systems ist auf die Spitze getrieben. Aber nicht nur die Kleinanleger tragen bei Crashs und Krisen die Kosten. Die Rechnung begleichen auch die Steuerzahler, die fuer die zig-Milliarden aufkommen muessen, mit denen der IWF bei seinen "Rettungsaktionen" die internationalen Banken und Fonds aus den Schwellenlaendern herauspaukt; die Steuerzahler in Form von Steuerausfaellen, wenn die Banken ihre Problemkredite und "Hilfsaktionen" zur Rettung von Hedge-Fonds (LTCM) und anderen institutionellen Anlegern abschreiben; die Bevoelkerung der Dritten Welt, die ueber Kuerzung der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsausgaben und verschaerfter Ausbeutung fuer den Schuldendienst ihres Staates an das internationale Finanzkapital bluten muss; Belegschaften, die wie z.B. im Falle Enron, Worldcom, Siemens- und Daimler-Pensionsfonds um ihre Betriebsrenten bangen muessen. Die Zeichner von Pensionsfonds und Lebensversicherungs-Policen, deren Alterssicherung gefaehrdet ist. Die Krisen in Suedostasien, Lateinamerika und in anderen Schwellenlaendern machen zudem klar: Eine nachholende Entwicklung ist unter Bedingungen kapitalistischer Globalisierung nicht mehr moeglich. Diese Staaten wurden jeweils an der Schwelle zum Club der Industrielaender wieder zurueckgestoßen. Die Herrschaft der TNK ist global und total. Nur "Produktivitaetsinseln" koennen sich in den Laendern der Peripherie noch aus dem Meer an Armut und Elend erheben, werden in das transnationale Verwertungsnetz der TNK eingesponnen. Ansonsten verschaerft sich die "globale Apartheid". Aber auch in den Industrielaendern nimmt die Polarisierung in Arm und Reich mit jedem Boersencrash und jeder Rezession beschleunigt zu. Immer mehr Privat- und staatliche Haushalte, aber auch zunehmend produktive Konzerne muessen sich ueberschulden, werden zur Beute der Geldkapitalisten. Beim Abgleiten in eine Rezession, aber schon bei einem konjunkturellen Abschwung mit Verlangsamung des Wachstums steigt die Zahl der Arbeitslosen wieder an. Das koennen auch keine Teilzeitjobs und kosmetische Korrekturen an der Arbeitslosenstatistik vertuschen. Aufgrund des Produktivitaetsfortschritts und dessen einseitige Aneignung durch die Eigentuemer der TNK (Institutionelle Anleger) werden immer weniger Menschen fuer die Schaffung der volkswirtschaftlichen Werte gebraucht. Den Menschen werden in globalen Dimensionen Wuerde, Schoepferkraft und die Moeglichkeit zur Selbstverwirklichung genommen.

13.
 

Welche Chancen gibt es, gegen die TNK und den globalen Kapitalismus die Lebensinteressen der Menschen zu verteidigen, Wirtschaftspolitik im Interesse der Menschen zu betreiben und gegen die Kriegsmaschine des Imperialismus vorzugehen?

a)
Es ist eine Illusion, "nationale Sonderwege" gegen das global agierende Kapital in Rechnung zu stellen, wenn man darunter versteht, daß das "nationale" Großkapital sich gegen das von den USA dominierte globale Kapital wenden koennte. Die 100 groeßten TNK aus USA, EU und Japan erzielen mehr als die Haelfte ihrer Umsaetze im Ausland, die USA sind fuer sie der groeßte Einzelmarkt und New York fuer die meisten ihr wichtigster Finanzplatz. Das Großkapital - TNK und Finanzkapital - ist nicht mehr national, sondern global strukturiert. So ist es auch falsch, von einer "europaeischen Struktur" des EU-Kapitals und einem eventuellen "europaeischen Sonderweg" auszugehen. Der groeßere Teil der Exporte an Guetern und Kapital aus Laendern der EU geht in den Dollarraum, wie dies auch umgekehrt in wachsendem Maß fuer die USA gilt. Wir beobachten => eine wachsende Integration des globalen Kapitals, insbesondere des transatlantischen Komplexes USA/EU, mit dem "natuerlichen" Schwerpunkt USA, wo ein Drittel des Weltsozialprodukts erstellt wird. Sich von der menschenfeindlichen Logik des neoliberalen globalen Kapitalismus abzukoppeln, kann deshalb nur im Kampf gegen die jeweilige nationale Abteilung des globalen Kapitals gelingen.

b)
Dieser Kampf stuetzt sich in erster Linie auf die Arbeiter und Angestellten, die im "nationalen Wettbewerbsstandort" Opfer der neoliberalen Politik sind, sowie auf eine wachsende Zahl von Menschen, die ueber die eigene prekaere Lage hinaus die weltweiten "Kosten" des Neoliberalismus - Hunger, Armut, Rassismus, Krieg - nicht hinnehmen wollen. Buendnispartner in diesem Kampf koennte der "Mittelstand" sein, jene Selbstaendigen und Unternehmer, die weitgehend von nationalen und regionalen Maerkten abhaengen. Der Kampf dieser Klassen und Gruppen muß von zwei Grundsaetzen ausgehen: Der reformerische Spielraum im neoliberalen System ist außerordentlich eng. Inmitten der neoliberalen Globalisierung gewinnt die politische Auseinandersetzung alsogleich eine prinzipielle Dimension, geht es doch bei allen Fragen sofort um den Kern: Wirtschaft und Gesellschaft als Manoevriermasse fuer optimale Weltmarktpositionierung zu behandeln oder als Raum, der zu nutzen ist fuer die Menschen, die hier leben und arbeiten. Jede relevante Forderung gegen das neoliberale System wird auf den entschlossenen Widerstand des neoliberalen Großkapitals stoßen, das die Wirtschaft und das Gros der Parteien und Medien beherrscht. Über die etablierten Parteien, Hochschulen, Medien usw ist der Kampf also nur bedingt zu fuehren, die Bewegung gegen den Neoliberalismus muß eigenstaendige Organisations- und Mobilisierungsformen entwickeln und reformerische Bewegungen wie die Gewerkschaften muessen ihre Position in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung prinzipiell ueberpruefen und neu bestimmen. Dies ist selbstverstaendlich keine akademische Angelegenheit, sondern selbst ein Ergebnis der anstehenden Kaempfe. Die globale Verwobenheit des Kapitals sorgt dafuer, daß der Widerstand in einem Land sofort auf die Repressionskraft des globalen Kapitals stoeßt. Ein isolierter, langfristig erfolgreicher "nationaler Durchbruch" ist deshalb ausgeschlossen. Dennoch ist es richtig, in globaler Partnerschaft mit dem inzwischen weltweiten Widerstand nationale und regionale Spielraeume zu nutzen und auszuweiten. Wie die britische Organisation "Global Resistance" es formuliert: "Globalise Resistance - Regime Change begins at Home". Jeder nationale Fortschritt verbessert die Bedingungen anderswo und ist seinerseits abhaengig von Fortschritten in anderen Laendern. In Brasilien haben die Aktivitaeten der Gegner des Neoliberalismus zum Wahlsieg von Lula gefuehrt, was den Widerstand des ganzen Kontinents gegen die US-Plaene eines einzigen, von den USA dominierten amerikanischen Wirtschaftsraums kraeftigen wird. Andererseits wird Lula eine wirklich anti-neoliberale Politik nur in dem Maß machen koennen, in dem der brasilianische Widerstand internationale Rueckendeckung erhaelt. Diese Abhaengigkeit nationalen und internationalen Fortschritts ist natuerlich um so groeßer, je enger nationale Gesellschaften wie z.B. in der EU supranational zusammengefaßt sind.

c)
Der notwendig prinzipielle und globale Charakter des Widerstands gegen den Neoliberalismus zeigt sich in seiner klarsten Form in der Frage des Krieges. Die globale Ausbeutung durch die TNK und das Finanzkapital verlangt heute staendig den militaerischen Knueppel, da und in so weit die Komplizenschaft mit den einheimischen Eliten in der Armen Welt nicht mehr funktioniert. Die politischen Partner des globalen Kapitals haben den Großteil ihres Kredits bei der Bevoelkerung ihrer Laender verspielt oder stehen vor diesem politischen Bankrott. Der Zugriff auf die knapper werdenden Ressourcen erhaelt deshalb einen immer ausgepraegteren militaerischen Charakter - in Form von Kriegen, Protektoraten usw. Die neue Ausrichtung des Militaers hin zu global mobilen Verbaenden und entsprechenden Waffen-systemen entspricht dieser Logik. Gerade in der Frage des Krieges aber sind die nationalen und regionalen Spielraeume der Friedensbewegung relativ groß und auch oft unterschiedlich. Groß sind sie deswegen, weil bei der Frage Krieg/Frieden der Gegensatz zwischen den Lebensentwuerfen und Interessen normaler Menschen und der ruchlosen Strategie des globalen Kapitals und seiner Regierungen auch fuer die Menschen in den Metropolen am Augenfaelligsten wird. Unterschiedlich groß ist der Spielraum in den einzelnen Gesellschaften, weil das Interesse der nationalen Abteilung des globalen Kapitals an der jeweiligen kriegerischen Aktion unterschiedlich groß sein kann, die Risiken fuer die Nationen groeßer oder klein und die historisch gepraegte Haltung der Gesellschaft zum Krieg im Allgemeinen und zu dem speziellen Krieg im Besonderen verschieden sein koennen. Diese unterschiedlichen Spielraeume muessen die nationalen Widerstandsbewegungen nutzen, ohne das Entscheidende - naemlich die internationale Abstimmung und Gemeinsamkeit des Friedenskampfes - aus dem Auge zu verlieren. Die Kritiker der neoliberalen Globalisierung muessen erkennen, daß Militarisierung und Krieg die aktuelle politische Form des globalen Kapitals ist, der Kampf um Frieden also eine Auseinandersetzung buchstaeblich auf Leben und Tod mit diesem globalen Kapital ist.

 


Editorische Anmerkungen


Die 13 Thesen erschienen beim ISW und sind eine Spieglung aus dem COFORUM.

Wer oder was ist das ISW?

isw - institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung e.V.

Im Juni 1990 gründeten kritische WirtschaftswissenschaftlerInnen zusammen mit Gewerkschaftern in München das isw - institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung e.V. Das isw versteht sich als alternatives Wirtschaftsforschungs-Institut, das mit Analysen, Argumenten und Fakten unmittelbar in die politischen und sozialen Auseinandersetzungen eingreift. Unser Anspruch ist, Wirtschaftswissenschaft in verständlicher Form und anschaulich aufbereitet darzustellen. Deshalb sind isw-Publikationen geeignet für Unterricht und Schulungsarbeit, als Grundlage für Referate und Ausarbeitungen. Die meisten unserer LeserInnen, AbonnentInnen und Förder-Mitglieder sind Menschen, die sich in Bewegungen engagieren, GewerkschafterInnen und LehrerInnen.

In den elf Jahren seines Bestehens hat das isw fast hundert Publikationen zu aktuellen und grundsätzlichen Fragen von Wirtschaft, Ökologie und Sozialpolitik herausgebracht. Schwerpunkte waren dabei

  • Globalisierung des Kapitals und Rolle des Weltmarktes
  • Transnationale Konzerne und internationales Finanzkapital
  • Verteilungsfragen, Einkommen- und Vermögensverteilung, Profitentwicklungen, Steuer- und Sozialsystem
  • Nachhaltigkeit der Entwicklung und Umweltökonomie
  • Europäischer Integrationsprozeß
  • Rüstungsökonomie und Militärstrategien

Auf Veranstaltungen und jährlich stattfindenden isw-foren werden Erfahrungen ausgetauscht, Gegenstrategien diskutiert und Alternativen erarbeitet.

Ein Alternativ-Projekt wie isw ist auf die aktive Mitarbeit und auf die finanzielle Unterstützung von Freunden und SympathisantInnen angewiesen. Wir freuen uns über Mithilfe bei der Verbreitung, Vorschläge und Anregungen, aber auch über solidarische Kritik.

Der überwiegende Teil der Arbeit, die in unserem Projekt steckt, wird ehrenamtlich geleistet. Durch den Verkauf unserer Publikationen, unsere AbonnentInnen und v.a. unsere FörderInnen sind wir finanziell völlig unabhängig.

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