"Die Arbeitsplätze der internationalen Monopole sind in unserem Land nur Tropfen im Meer"
Interview mit P. K. Murthy, Mitglied der CPI/ML (Kommunistische Partei Indiens/Marxisten-Leninisten)
04/05

trend onlinezeitung

P.K. Murthy studierte in den 1960er Jahren in Paris. Als er nach Indien zurückkehrte, arbeitete er sechs Jahre als Bergmann in der Provinz Andhra Pradesh und organisierte dort den All-Indischen Gewerkschaftsbund AIFTU, dessen Präsident er ist. Zugleich ist er Mitglied in der CPI/ML und fördert den Vereinigungsprozess marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen in Indien. Die "Rote Fahne" sprach mit ihm anlässlich eines Besuches in Deutschland.

Modernste Arbeitsplätze werden nach Indien verlagert. Wie wirkt sich das in Indien aus?

Unsere Regierung hat den Menschen erzählt, Indien sei jetzt auf dem Weg der Entwicklung, Indien blühe, weil aus aller Welt hierher Arbeitsplätze verlagert werden. Technologie, vor allem IT- und Call-Center kommen nach Indien. Aber dies schafft nur Inseln, nur Tropfen im Meer, die die Masse der Bevölkerung gar nicht erreichen. Die Verlagerungen betreffen bei uns nur 0,04 Prozent der Arbeitsplätze.

Doch die Folgen sind gravierend. Früher gab es in der staatlichen und privaten Industrie gewerkschaftliche Rechte. In den neuen Fabriken gibt es sie nicht. Die so genannte "Globalisierung" schafft keine Arbeitsplätze, sondern die Menschen werden ihres Jobs beraubt. Die kleinen Fabriken, mehr als 30000 Fabriken wurden geschlossen. Die ganze Industrie rund um die neuen Industriegebiete sollte weg. Aber die Arbeiter wurden nicht genommen. Die internationalen Monopole erhielten diese Standorte und zugleich Möglichkeiten wie: keine Steuern, niedrigere Wassergebühren, Landkonzessionen.

Es gibt eine Krise auf Grund der Marktöffnung und Liberalisierung mit Fabrikschließungen und Bergwerksschließungen und eine Welle der Arbeitslosigkeit, sowohl in den Städten wie auf dem Land.

Bauern begehen Selbstmord

In der Landwirtschaft gab es viele Tote. Viele Plantagen wurden geschlossen und die Plantagenarbeiter erhielten keinen Lohn mehr. Viele Bauern konnten ihre Schulden nicht bezahlen und begingen Selbstmord.

Jetzt führen internationale Agrarmonopole ihr Gen-Saatgut wegen dessen angeblich hoher Fruchtbarkeit ein. Aber dieses eignet sich nicht für den indischen Boden. Wenn man es kauft, dann hat man Pflanzen ohne Samen. Die Bauern werden gezwungen, Saatgut von außen zu kaufen, sie können es nicht mehr selbst herstellen. Das gilt für Baumwolle, Weizen, Sojabohnen, Reis. Die Bauern müssen dafür Darlehen aufnehmen. Für das Saatgut brauchen sie aber mehr Wasser und mehr Düngemittel. Mehr Wasser heißt: man braucht Elektrizität, die es auf dem Land nicht gibt. So gibt es so gut wie keine Ernte. Die Bauern können ihre Darlehen nicht zurückzahlen.

Die Verlagerungen betreffen bei und nur 0,04 Prozent der Arbeitsplätze

Warum benützen die Bauern ihr eigenes Saatgut nicht weiterhin?

Die Regierung machte zusammen mit großen Agrarmonopolen und Banken eine Kampagne: Jeder, der das Saatgut kauft, soll einen reichen Posten erhalten, so werden die Bauern dafür gewonnen. Aber einmal drin in der Mühle von Schulden und Erntelosigkeit, kommen sie nicht mehr heraus.

Kannst du etwas zu der unlängst gewählten Congress-Regierung sagen?

Die Menschen wollten eine andere Regierung. Denn nachdem die BJP (religiös-fanatische Hindu-Partei, Redaktion RF) an die Regierung kam, hat sie zusammen mit einer Allianz von 23 Parteien den indischen Markt den internationalen Monopolen geöffnet. Die Congress-Partei erreichte ein Viertel der Sitze, 140 von 442. Einige regionale Parteien unterstützen die Congress-Partei. Die Hauptunterstützung kommt aber von den revisionistischen Parteien der CPI (Kommunistische Partei Indiens) und der CPI (M) (Kommunistische Partei Indien-Marxisten), die zusammen über 64 Sitze verfügen.

Die Congress-Regierung setzt die Politik des Neoliberalismus fort

Die Congress-Partei versprach vor den Wahlen, dass sie die Politik der BJP nicht fortsetzen werde. Aber sie setzt dieselbe Politik des Neoliberalismus fort. Sie war nur aus einem Grunde gegen die BJP, nämlich wegen deren religiöser Hetze und Pogrome.

CPI und CPI(M) kritisieren die Politik der Congress-Partei. Aber sie bleiben in der Regierung. Sie sagen: BJP macht eine religiöse Hass- und Spaltungspolitik. Aber sie sprechen nicht darüber, dass das wirtschaftliche Programm von Congress und BJP das gleiche ist.

Wie verändert sich die soziale Situation, das tägliche Leben in Indien unter dieser Politik?

In Indien ist alles davon betroffen, die Minen, die Stahl- und Textilfabriken. Hinzu kommt das Erziehungswesen und die Grundversorgung. Früher gab es eine Grundversorgung mit Weizen und Reis für alle zu subventionierten Preisen. Doch Weltbank und IWF erlegten der Regierung auf, alle Subventionen für Produkte, die die Massen brauchen, zu stoppen. Sie begannen mit dem Erziehungswesen, dann kam das Gesundheitswesen. Früher waren alle Krankenhäuser frei zugänglich. Jetzt muss man Geld zahlen. Grundlegende Medikamente müssen gekauft werden. In ein Krankenhaus aufgenommen zu werden, ist sehr teuer geworden. Die Grundbedarfsmittel Weizen, Reis, Öl sind doppelt so teuer geworden. Die Zucker-Preisunterstützung ist beendet.

"Die kämpferischen Organisationen sind noch zu klein"

Heute gibt es viele spontane Kämpfe dagegen, die oft lokal sind. Es gab auch große Streiks, so waren 5 Millionen Arbeiter im Streik im Februar 2004. Da es keine starke linke oder kommunistische Opposition gibt, werden die Menschen von anderen Parteien in die Irre geführt. Die Massen gehen auf die Straße, sie kämpfen. Aber sie haben keine Führung. Und der Druck ist so groß, dass sie den Kampf nicht zu Ende führen können. Die kämpferischen Organisationen sind noch zu klein. Zwei der größten Gewerkschaften tendieren zu den größten rechten Parteien: BJP und Congress. Die revisionistische Linke, selbst wenn sie zum Streik aufruft, erlaubt den Menschen nicht, zu viel Initiative zu ergreifen. Sie folgen derselben Politik des Neoliberalismus wie die Congress-Partei. 80 Prozent der Arbeiter sind nicht in Gewerkschaften organisiert, weil sie in lokaler Industrie arbeiten.

Wir wollen der Arbeit im Proletariat mehr Gewicht geben

Indien ist ein Land mit über 60 Prozent Bauern. Wie kann dennoch die Führung der Arbeiterklasse im Kampf um nationale und soziale Befreiung verwirklicht werden?

Es fällt ins Auge, dass in den ländlichen Gebieten mehr Kämpfe stattfinden als in den großen Städten. Dem liegt mit zu Grunde, dass die meisten marxistisch-leninistischen Organisationen sich auf ländliche Gebiete konzentrieren. Langsam neigen einige dieser Organisationen dazu, die Arbeit mehr auf die Arbeiterklasse zu verlagern. Aber das ist ein langer Prozess.

Die meisten indischen marxistisch-leninistischen Organisationen haben der Arbeiterklasse nicht die Bedeutung beigemessen, die ihr zukommt, und haben die Arbeiterklasse nicht organisiert, obwohl sie den Anspruch haben, vom proletarischen Klassenstandpunkt auszugehen. Aber die Parteien bestehen meist nicht genügend aus Arbeiterkadern, sondern in der Regel aus Angehörigen der Zwischenschichten oder aus Bauern. Es muss einen Bruch mit dieser Praxis geben - mit der Konzentration nur auf die ländlichen, rückständigen Regionen seitens einiger Organisationen, anstatt auf die Städte und die Industrie. Das wird in vielen Organisationen diskutiert. Wir wollen die Arbeit neu gewichten, zwischen der Arbeit auf dem Land und in der Stadt, unter den Arbeitern. Wir wollen der Arbeit im Proletariat mehr Gewicht geben.

Ich möchte noch etwas über meine Erwartungen sagen: Wir erwarten von der MLPD, dass wir nun beginnen, mehr zusammen zu arbeiten und unsere Erfahrungen austauschen. Obwohl das Bewusstsein und die Entwicklung unserer Länder unterschiedlich ist, denke ich, dass die Praxis in der Hauptsache gleich sein kann, nämlich zu den Massen zu gehen.

Vielen Dank für das Gespräch. Viel Erfolg, besonders beim weiteren Parteiaufbau in Indien.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde der ROTEN FAHNE Nr.12/05 24.3.2005 entnommen und ist eine Spiegelung von http://www.mlpd.de/rf0512/rfart8.htm