Jahresbericht über Rassismus und Antisemitismus in Frankreich
Deutliche Zunahme der Delikte, und der Beteiligung der extremen Rechten


Von Bernhard Schmid (Paris)
04/05

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Seit 1984 legt die "Nationale Beratungskommission für Menschenrechte" (CNCDH) alljährlichen einen Bericht über die Situation des Rassismus und Antisemitismus in Frankreich vor.  

Die Jahreszahl ist nicht vollständig zufällig, denn bei verschiedenen lokalen Wahlen des Jahres 1983 erzielte die rassistische extreme Rechte in Gestalt des Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen ihre ersten Durchbrüche. Ihre Verankerung als politische Kraft wurde erstmals auf landesweiter Ebene bei den Europaparlamentswahlen vom Juni 1984 bestätigt. Der Aufstieg der Le Pen-Partei ging in den frühen 80er Jahren mit einer Welle rassistischer Gewalt vor allem gegen Algerier und Marokkaner in Frankreich einher.  

Seit Beginn dieses Jahrzehnts werden antisemitisch motivierte Delikte in der Regel getrennt von den Ausdrucksformen der übrigen Typen von Rassismus aufgeführt. Das hängt natürlich damit zusammen, dass die Zahl der gegen französische Juden gerichteten Straftaten seit dem Herbst 2000 in besonderer Weise zugenommen hat. Diese separate Auswertung wird aktuell auch durch die größeren Zeitungen übernommen. (Vgl. "Libération" vom 21. März und "Le Monde" vom 22. März; in diesen Ausgaben stellen die beiden liberalen Zeitungen den CNCDH-Jahresbericht vor.)  

Die CNCDH wurde ursprünglich 1947 gegründet, ihr erster Vorsitzender war der große Jurist und antifaschistische Widerstandskämpfer René Cassin. Sie ist ein regierungsunabhängiges und nicht weisungsgebundenes Sachverständigengremium, das jedoch dem jeweils amtierenden Premierminister als beratendes Organ zuarbeitet.  

Wie nunmehr seit einer Reihe von Jahren, legte die CNCDH auch in diesem Jahr ihren jährlichen Rassismus-Report zum "Internationalen Tag gegen Rassismus" am 21. März vor. Drei Tage, nachdem er an Premierminister Jean-Pierre Raffarin sowie die Presse übergeben worden war, wurde der Bericht nun am Donnerstag auch ins Internet gestellt.  

Deutliche Zunahme der Gesamtzahl an "Hasstaten"  

Besonders in diesem Jahr weist der Bericht eine erschreckende Gesamttendenz auf: Er konstatiert einen globalen starken Anstieg der rassistisch oder antisemitisch motivierten Verbaldelikte (Propaganda mit Aufstachelung zum Hass, Beleidigung, Bedrohung) und auch der Körperverletzungs-Delikte.  

Die Gesamtzahl der registrierten Straftaten unterschiedlicher Natur kletterte von 833 (im Jahr 2003) auf 1.565 (im Berichtszeitraum 2004). Dies entspricht einem Anstieg um 88 Prozent.  

Die durch "Gewalt gegen Personen oder gegen Sachen" geprägten Delikte erreichten eine neue Rekordhöhe von 369 "Akten". Bei diesen Taten wurden insgesamt 56 Personen verletzt. Auch dies ist für französische Verhältnisse eine (traurige) "Rekordzahl", wenngleich nicht auch nur entfernt zu vergleichen mit dem Niveau der gegen Menschen gerichteten Gewalt im Deutschland der Jahre 1991 ­ 1994, also während der unseligen "Asyldebatte".  

Antisemitisch motivierte Delikte  

Die Zahl der gegen französische Juden gerichteten Verbal- und Verletzungsdelikte stieg insgesamt von 601 (im Jahr 2003) auf 970. Dies entspricht einer Zunahme um 61 Prozent.  

Der steile Anstieg hängt vor allem auch mit der Welle von Friedhofsschändungen sowie der Schändung von Denkmälern etc. zusammen, die sich seit dem Frühjahr 2004 von Ostfrankreich her über das französische Staatsgebiet ausweitete. Es begann mit der Schändung des jüdischen Friedhofs von Herrlisheim (bei Colmar) in der Nacht des 30. April 2004, die nach derzeitigem Ermittlungsstand durch rechtsextreme Täter begangen wurde. Die nachfolgende Welle ähnlicher Taten "gegen Sachen" und jüdische Einrichtungen scheint jedoch unterschiedlich motiviert zu sein, es reicht von rechtsextremen Motiven bis hin zu vollständig irrsinnigen "Mutproben" bei Nachahmungstäterschaft zu handeln. Die Welle von Friedhofsschändungen dürfte einen Großteil des Anstiegs bei den "Straftaten gegen Sachen" ausmachen.  

Ein hoher Anteil der Straftaten gegen jüdische Personen findet hingegen im schulischen Milieu oder unter dem Einfluss von Jugendbanden statt, oft auch von Jugendlichen mit arabischstämmigem Migrationshintergrund (rund die Hälfte der ermittelten Tatverdächtigen: 104 von 209 Festgenommenen) ausgehend. Dabei handelt es sich um ein historisch neues Phänomen, das sich vor allem dem Wiederaufflammen des Nahostkonflikts jüngeres Datum (im Herbst 2000) in Windeseile ausbreitete.  

Eine Verbindung zu dem anderswo stattfindenden, realen politischen Konflikt ist aber weitgehend abgerissen, und die gegen den jüdischen Bevölkerungsteil gerichteten Anfeindungen haben sich als eigenes Phänomen verselbständigt, wie auch die CNDCH notiert (die eine Gefahr "dauerhafter Verankerung auf hohem statistischem Niveau" feststellt). Nur noch ein "harter Kern" von mit dem Nahost-Konflikt verbundenen Auseinandersetzungen kann im engeren Sinne als politisch bezeichnet werden. Das gilt etwa für (mitunter militante) Zusammenstöße zwischen pro-palästinensischen Gruppen und den beiden rechtsgerichteten pro-israelischen Verbänden, dem paramilitärischen Bétar und der Ligue de défense juive (LDJ, Ableger der rassistischen Kach-Bewegung in Frankreich). Der Löwenanteil der gegen französische Juden oder jüdische Einrichtungen gerichteten Delikte oder Gewalt hat jedoch heutzutage nichts mit diesem politischen Konflikt im engeren Sinne zu tun. Vor allem richtet sich ein beträchtlicher Teil der Aggression gegen Kinder und Jugendliche, oftmals von anderen Jugendlichen begangen.  

Dabei stehen sich in den letzten Jahren häufig Angehörige von Minderheiten innerhalb der französischen Gesellschaft auf beiden Seiten gegenüber. Insofern hängt die hohe Zahl antijüdischer Straftaten nur noch partiell mit dem "Hass aus der Mitte der Gesellschaft" oder der klassischen extremen Rechten zusammen. Letztere hat sich aber im Jahr 2004 in höherem Maße wieder "eingeschaltet", vor allem seit dem Beginn der Welle von Friedhofsschändungen. Bei 163 antisemitisch motivierten Straftaten konnte jedenfalls eine Täterschaft von Aktivisten aus dem rechtsextremen Milieu nachgewiesen werden.  

Jüngstes Beispiel  

 

Auch im Jahr 2005 gehen solche Taten weiter. Die letzte bisher gemeldete stammt vom Mittwoch, 23. März 05: In der (sozial eher besser gestellten) Pariser Vorstadt Levallois wurde gegen 19 Uhr abends ein schwerbehinderter 31jähriger angegriffen. Er wurde unter anderem mit den Worten "Dreckiger Jude, wir werden Euch aus Levallois vertreiben" beschimpft, mit dem Tode bedroht und geschlagen. Bereits vor 14 Tagen war er attackiert worden, möglicherweise von (teilweise) denselben Tätern. Diese werden in der Presse als "eine Bande von an die 10 Jugendlichen" beschrieben, über nähere Hintergründe ist bisher noch nichts bekannt. (Vgl. ausführlicher: "Le Parisien" vom 25. März 05) Der junge Mann ist schwer behindert, weil er 1982 beim Bombenattentat in der rue Marbeuf verletzt wurde; damals hatte eine nicht näher bekannte nahöstliche Gruppe einen Anschlag auf eine pro-irakische Zeitung in Paris verübt.  

Sonstige Rassistische Delikte: Vor allem gegen Nordafrikaner und Moslems  

Die übrigen rassistischen Straftaten (ohne die gesondert behandelten antisemitischen Taten) richten sich zum Großteil, mit 81 Prozent, gegen nordafrikanischen Einwanderer oder gegen als "islamisch" ausgemachte Einrichtungen. Darunter fallen in jüngerer Zeit vor allem auch Anschläge gegen Moscheen, deren Zahl seit 2003 deutlich zugenommen hat.  

Ihre Gesamtzahl stieg von 232 (im Jahr 2003) auf 595, das entspricht einer Zunahme auf das Zweieinhalbfache. Damit wird der bisher gemessene, absolute "Rekordwert" aus dem Jahr 1995 (526) überschritten. Besonders hervorgehoben wird die Zunahme der als "gravierend" eingestuften Straftaten: "Körperliche Aggressionen, Brand- und andere Anschläge auf Gebäude". An Straftaten dieser Art wurden 169 (in 2004) registriert, gegenüber 92 im Vorjahr 2003. Das entspricht einem Anstieg um 83 Prozent.  

Besonders markant war die Zunahme der rassistischen Straftaten auf der Mittelmeerinsel Korsika, wo tatsächlich seit ein bis zwei Jahren eine explosionsartige Zunahme des (immer schon latent vorhandenen) antiarabischen Rassismus konstatiert wird.  

Insgesamt war der rechtsextreme Anteil an den rassistischen, vor allem gegen "Araber" gerichteten Taten besonders hoch. 292 (von insgesamt 595) der in diesem Bereich verübten Taten können auf Aktivisten faschistischer Gruppierungen, meist aus dem militanten Spektrum am Rande oder außerhalb der Wahlpartei Front National, zurückgeführt werden.  

Aktuelles Beispiel  

Eines der Beispiele, das in jüngster Zeit seiner Aufklärung näher zu rücken scheint, betrifft den Anschlag auf zwei Moscheen bzw. moslemische Gebetshäuser im ostfranzösischen Annecy vom Frühjahr 2004. Der Verdacht gegen die drei am 10. Februar 05 festgenommenen Tatverdächtigen hat sich erhärtet. Alle drei gehören der rechtsextremen Szene an, einer der zwischen 23 und 27 Jahre alten Männer ist Berufsmilitär bei dem in Annecy stationierten Gebirgjägerbataillon.  

Der Anteil der extremen Rechten  

Insgesamt ist der Anteil der von Mitgliedern und Sympathisanten der extremen Rechten verübten Straftaten (der in den frühen 90er Jahren noch den Großteil der rassistischen und antisemitischen Delikte ausmachte, bis zu 90 Prozent) wieder stärker angestiegen.  

Zwischenzeitlich war er durch die Explosion der "inter-kommunitären", also zwischen Minderheiten der Gesamtgesellschaft ausgetragenen, Gewalt von seinem "Rang" verdrängt worden. Oder wie es Sophie Klein ausdrückt, die im französischen Bildungswesen ein Programm für den Schulunterricht über die Shoah sowie über den Algerienkrieg entwickelt hat: "Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Kämpfe zwischen Banden um ein Territorium, grundlose Beschimpfungen vor dem Hintergrund anderer Ressentimens ­ die Grenzen verwischen sich. Die soziale Krise und die Segregationstendenzen gegenüber den Armen haben ein Wiederauftauchen von alten Formen der Unterschichten-Gewalt befördert, die mit allen möglichen Formen (sozialer) Pathologien einher gehen."  

Der Anteil von Delikten mit militant rechtsextremem Tathintergrund beträgt aktuell 30 Prozent; im Jahr 2002 betrug er noch nur 14 Prozent. Dies bezieht sich auf Aktivisten der extremen Rechten, in der Regel von ultrafaschistischen Splittergruppen (neben der Großpartei FN). Daneben stieg auch die Anzahl der durch Personen, die als "Sympathisanten der extremen Rechten" (d.h. wohl Anhängern ihrer Wahlparteien) verübten rassistischen Delikte von 28 (im Jahr 2003) auf jetzt 65 im Jahr 2004.  

Die Zahl von festgenommenen Tatverdächtigen aus dem rechtsextremen Bereich beträgt 77. Nach wie vor will Innenminister Dominique de Villepin mehrere der ultrafaschistischen Splittergruppen, deren Gesamt-Mitgliederzahl mit 2.500 bis 3.500 angegeben wird, verbieten. Das ursprünglich für Ende Februar erwartete Verbotsdekret wurde aber bisher nicht erlassen. Dies hängt nach Angaben des Ministeriums mit Schwierigkeiten bei der Aufnahme sämtlicher Beweismittel zusammen und mit dem Wunsch, eine alsbaldige Neugründung unter verändertem Namen von vornherein zu verhindern.  

Von einem eventuellen Verbot wäre die Wahlpartei FN auf jeden Fall nicht betroffen; der FN dient vielen (vor allem jüngeren) rechten Aktivisten als "Durchlauferhitzer" oder wird als legales Schutzschild benutzt.  

Was steht hinter den Zahlen? Anmerkungen zur methodischen Vorsicht  

Es stellt sich die Frage nach dem, was hinter diesen nüchternen Zahlen steckt, und (vor allem) wie die Zunahme interpretiert werden kann. Dabei ist in mehrerlei Hinsicht methodische Vorsicht geboten.  

Erstens ist das Zahlenmaterial grundsätzlich teilweise unvollständig. So werden nur diejenigen Taten registriert, die vom Innenministerium signalisiert werden. Dies aber setzt wiederum voraus, dass die Straftaten zur Anzeige gebracht wurden. Wenn die Opfer das aber als sinnlos betrachten oder gar Angst haben, ein Kommissariat zu betreten (vielleicht, weil sie auch mit Repressalien seitens der Ordnungskräften Negativerfahrungen gemacht haben, etwa in "sozialen Brennpunkten" mit hohem Migranten-Anteil), dann findet auch keine Zählung statt ­ eine statische Erfassung "erübrigt" sich also. Umgekehrt gehen Schwankungen in der Statistik also möglicherweise auch auf eine erhöhte Anzeigebereitschaft zurück.  

Im schulischen Bereich (wo besonders viele der gegen jüdische Jugendliche gerichteten Straftaten stattfinden) ist seit dem Schuljahr 2001/02 ein eigenes Computerprogramm namens "Sigma" installiert, das diese Taten gesondert erfasst. Damit ist einerseits eine Aufschlüsselung dieser Beleidigungs- und Körperverletzungs-Taten in besonderer Weise erleichtert. Andererseits aber gibt auch "Sigma" nur her, was die Schulleitungen vorher eingegeben haben. Vor allem in "krisenhaften" oder "angespannten" Zeiten können manche Schuldirektoren aber besondere Zurückhaltung an den Tag dabei legen, Gewalttaten unter Jugendlichen in die entsprechende Datei einzuspeisen ­ da ansonsten sich das Image der gesamten Schule verschlimmern könnte. In einem solchen Fall wird befürchtet, dass eine Schule ein entsprechendes Image als "Brennpunkt" angeheftet bekommen und sich die Lage folglich nur noch verschlimmern könnte. Aus diesem Grund ist auch in diesem Bereich von einer gewissen "Dunkelziffer" auszugehen. Auf der anderen Seite ist es mitunter schwierig, bei bandenförmig ausgetragenen Konflikten unter Jugendlichen den genauen Anteil, den die jeweilige Herkunft dabei spielen mag, auszumachen. Insofern ist andererseits vorsichtig mit der Einstufung der Motivation einer Gewalttat unter Jugendlichen zu verfahren.  

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Auflistung im Jahresbericht der CNCDH nicht die Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt und bei der Arbeitssuche erfasst. Aber diese sind in der französischen Gesellschaft vielerorts flagrant, vor allem gegen die Inhaber "arabischer" oder "afrikanischer Namen": So ist die Arbeitslosigkeit der Universitätsabsolventen nicht-europäischer Herkunft drei mal so hoch wie jene der Hochschulabgänger französischer oder auch "ausländischer, aber europäischer" Herkunft. Insofern ist eine größere Grauzone, in der Diskriminierung sich im Alltagsleben besonders auswirkt, gar nicht erfasst. Jedoch wird dieser Bereich der Diskriminierungen auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt durch eigene Berichte der Organisation SOS Racisme behandelt. Ein solcher Bericht wurde, ebenfalls am 21. März, dem neuen Vorsitzenden der durch Präsident Chirac eingerichteten Behörde zur Diskriminierungsbekämpfung (in Gestalt des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Renault, Louis Schweitzer) überreicht. Ob es was hilft, wird sich erweisen müssen.  

Propagandadelikte und Auschwitzleugnung im Internet  

Der CNCDH-Jahresbericht notiert ferner für 2004 das Anwachsen eines "geschichtsrevisionistischen Missionarismus", der vor allem "die schulischen und universitären Milieus" berührt habe. Dabei lässt sich vor allem an die wiederholten Skandale an der Universität Lyon-III denken, wo man seitens der Hochschulverwaltung aber jetzt wohl erstmals ernsthaft gegen die Auschwitzleugner (französisch: Negationisten) vorzugehen beginnt, wie der fünfjährige Ausschluss des rechtsextremen Politikers Bruno Gollnisch vom Professorendient wegen Infragestellung und Relativierung des Holocaust zu belegen scheint.  

Ein wichtiger Vektor für die Propaganda der Auschwitzleugner stellt ferner das Internet dar, dem die CNCDH ein eigenes Kapitel in ihrem Bericht widmet. Nach wie vor bildet das Internet ein Medium, über das rassistische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Propaganda bzw. Lügen verbreitet werden.  

Dabei stellt man seitens der Antirassismus-Organisation MRAP, deren Mitglieder Gérard Kerforn und Sylvain Tirreau Co-Autoren des Rassismusberichts für 2004 sind, jedoch einen Formwandel fest: Die Tendenz gehe weg von offenen Foren, in denen sich jede/r "auskotzen" und sich virtuell in den Hass hineinsteigern kann, da die Beteiligten dort zunehmend Angst vor Emittlungen und Strafverfolgung bekommen hätten. "Die Beteiligung nimmt ab. Die feigen unter den Rassisten fürchten die strafrechtliche Sanktion. Es bleibt der harte Kern. Die Internetforen verwandeln sich in private Diskussionsplattformen, zu denen das Publikum keinen Zugang mehr hat", mit diesen Worten wird Gérard Kerforn in der linksliberalen Pariser Tageszeigung <Libération> (die dem CNCDH-Bericht ihr Titelthema und vier Seiten widmete) wiedergegeben. Sein Mitstreiter Sylvain Tirreau fügt hinzu, die wirklichen "Profis" in Sachen Hass würden nunmehr systematisch nach verstärkter Anonymität suchen: "Sie nehmen ein Pseudonym an und verändern auch die elektronische Kennziffern an ihrem Computer", um ihre Identifizierung zu erschweren. Tirreau wird ferner mit den Worten zitiert: "Internet erlaubt denjenigen, die in kleineren Städten leben, die isoliert sind, sich (virtuell) zu versammeln. Die Rassisten benutzen Internet allein zu diesem Zweck." Dabei ließen die Betreffenden "sich weit mehr hinreißen, als (sie sich) im wirklichen Leben" unter normalen Umständen trauen würden.  

Der CNCDH-Jahresbericht 2004 konstatiert, dass die bekannten Internet-"Bewegung" um "SOS Racaille" ("SOS Gesocks", eine vor allem anti-arabische rassistische Internetplattform, die um die 10 Webpages unterhielt) im Niedergang befindlich sei. Ursächlich dafür seien wahrscheinlich "effiziente Strafverfolgungs-Maßnahmen" geworden. Dagegen seien die ultrafaschistischen Aktivisten der "identitären Bewegung" (rund um die seit 2002 verbotene Unité Radicale und ihre Nachfolgeorganisation, den Bloc identitaire) nach wie vor massiv im Internet präsent.  

Seitens derjenigen islamistischen Homepages, auf denen deutlich antisemitische Propaganda betrieben wird oder wurde, können ebenfalls Abschaltungen verbucht werden. So musste die in Belgien ansässige Webpage Assabyle.com mittlerweile vom Netz gehen. Dagegen ist vor allem die ähnlich ausgerichtete Website von "Qibla" nach wie vor aktiv.  

Bei den Geschichtsrevisionisten bzw. Negationisten hat derzeit die wohl bekannsteste Internetplattform massiven Ärger: Die bisher in den USA auf drei Webpages beherbergte Plattform "AAARGH" (französische Abkürzung für: Vereinigung ehemaliger Liebhaber von Holocaust- und Kriegsgeschichten) stand im Laufe des Monats März 2005 in Frankreich im Mittelpunkt eines Gerichtsprozess. Die US-amerikanischen Server, bei denen die u.a. von den bekannten französischen Auschwitzleugnern Serge Thion und Robert Faurisson genutzte AARGH-Seite untergebracht war, hatten diese nicht (wie von ihnen gefordert worden war) vom Netz genommen. In Nordamerika können sie nicht belangt werden, da der Schutz der Meinungsfreiheit durch die US-Verfassung nach dort herrschendem Rechtsverständnis auch für solchen Web-Inhalte gilt. Nunmehr waren jedoch diverse in Frankreich ansässige oder tätige Provider wie France Télécom, T-Online und AOL angeklagt, mit dem Ziel, sie zum "Filtern" bzw. zum Blockieren des Zugangs zu der einschlägigen Webpage zu zwingen. Kläger waren insgesamt acht Antirassismus- und Menschenrechtsvereinigungen. Dies ist in Frankreich seit einem neuen Gesetz zur Regulierung des Internet vom 21. Juni 2004 rechtlich möglich.  

Eine erste gerichtliche Anhörung in Paris dazu fand am 14. März statt. Die Urteilsverkündung wurde damals auf den vorigen Freitag, 25. März angesetzt. Momentan ist das Urteil zwar noch nirgendwo publiziert worden. Tatsache ist aber, dass seit kurzem die Internetadresse www.aaargh-international.com  nicht mehr erreichbar ist.

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text am 28.03. 2005 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung zur Verfügung.