Frankreich ist ein laizistischer Staat und eine Republik, so
meint man.
Vorige Woche konnte man daran ernsthafte Zweifel bekommen. Wer etwa
einen
öffentlichen Rundfunksender einschaltete, musste meinen, aus
Versehen Radio
Vatikan zu hören. Rund um die Uhr raubte die endlose Inszenierung
rund um
das Ableben des Karol Woytila so manchem Hörer den Nerv. Der
Innenminister
des laizistischen Staates, Dominique de Villepin, ordnete gar an,
die Fahnen
der Republik auf Halbmast zu nehmen.
Und so geriet sogar vorübergehend in den Hintergrund, dass noch
ein anderer
Gerontokrat in einem europäischen Zwergstaat dabei war, im Alter von
81
Jahren den Löffel abzugeben. In den Tagen zuvor hatte dessen sich
rapide
verschlechternder Gesundheitszustand noch die Titelblätter der
Regenbogenpresse und so manche sentimentale Story in
Boulevardzeitungen
gefüllt. Dreieinhalb Tage nach dem des Papsts wurde dann, am
Mittwoch
morgen, auch sein Ableben vermeldet.
Louis Henri Maxence Betrand Rainier Grimaldi, der hauptsächlich
unter seinem
letzten Vornamen bekannt war, hatte seit November 1949 als
regierender Fürst
den Zwergstaat Monaco geführt. Der Familienname Grimaldi verweist
auf ein
altes italienisches Raubrittergeschlecht, mit dem Rainier III. in
Wirklichkeit gar nichts verwandt war. Sein Vater Pierre de Polignac
war erst
1920 per Verordnung zum Grimaldi "erhoben" worden, da dem
regierenden Clan
der Nachwuchs ausgegangen war. Drei Jahre später kam dem frisch
umgetauften
Neo-Grimaldi dann ein Nachfolger zur Welt. Immerhin scheint auch
beim seit
Jahrhunderten an europaweite Inzucht gewohnten Adel im Notfall
politisches
Kalkül vor so genannte Blutsbande zu gehen. Ansonsten wurde Rainier
Grimaldi
vor allem durch seine 1956 vollzogene Hochzeit mit der
US-Schauspielerin
Grace Kelly prominent, die ihn in den Augen des europaweiten
Publikums
bunter Zeitschriften zum Märchenprinzen machte. Grace Kelly starb
1982 bei
einem Autounfall, es blieben die beiden umtriebiegen Töchter.
Doch bereits in der nächsten Generation droht das alte Problem
schon wieder
aufzutreten. Denn Kronprinz Albert, der am vorletzten Donnerstag
noch zu
Lebzeiten des schwerkranken Altmonarchen auf dem Operettenthron
von Monaco
Platz nahm, hat im Alter von 47 Jahren noch kein Interesse an
Fortpflanzung
an den Tag gelegt. Die französische Boulevardzeitung 'France Soir'
hält ihn
für zu beschäftigt, da er ein notorischer Playboy sei und außerdem
Sport
betreibe; Albert hat als Bobfahrer an Olympischen Winterspielen von
2002
teilgenommen. Aber das könnte auch schlicht Aristocratical
Correctness in
der Berichterstattung sein: Zahlreiche Beobachter halten ihn
jedenfalls für
schwul, aber offen schreiben scheint man es nicht zu dürfen. Nun ist
der
Autor dieser Zeilen ein sehr schlechter Kenner der Regenbogenpresse
(französisch: "presse people") - allerdings erwecken die jüngst in
Wartezimmer-Durchblätter-Käseblättern erschienenen Fotos doch
unzweideutig
den Eindruck, dass eher die Playboy-These zutrifft.
Monaco: 1,9 Quadratkilometer Staat mit UN-Sitz
Bleibt Albert auch weiterhin ohne männlichen Nachfolger, dann
würde Monaco
nach den Bestimmungen des bilateralen Vertrags von 1918 an den
größeren
Nachbarn fallen. Frankreich wäre um stattliche 1,9 Quadratkilometer
größer
und könnte einen Staat schlucken, der immerhin einen eigenen Sitz in
der
UN-Vollversammlung und seit dem 5. Oktober 2004 auch beim Europarat
hat. Der
aber de facto von Paris finanziell ausgehalten wird, denn Frankreich
stellt
die hohen Beamten und transferiert einen Teil der nationalen
Mehrwertsteuer
die wesentlich höher liegt als in Monaco an das Fürstentum.
Dieser
Anteil wird seit 30 Jahren ständig nach oben "neu berechnet" und
übersteigt
120 Millionen Euro jährlich.
Wachsen also die Annexionsbestrebungen? Der neue Fürst kann
Abhilfe
verschaffen, indem er ein männliches Kind aus der Verwandtschaft
adoptiert.
Aber muss man damit rechnen, dass den Thronerben demnächst ein
mysteriöser
Unfall ereilt, bevor er auf diese Weise die Dynastie verlängern
konnte?
Monacos Funktion für den französischen Kapitalismus
Mit Bestimmtheit die Allerletzten, die daran ein Interesse
hätten, sind
französische Politiker. Denn die Seifenopernmonarchie spielt in
ihrer
jetzigen Beschaffenheit eine enorm wichtige Rolle als in die
nationale
Ökonomie integriertes und doch aus der politischen Verantwortung
Frankreichs
herausfallendes Steuerparadies. Dass für Personen mit Wohnsitz in
Monaco
keinerlei Einkommenssteuer und auch keine Vermögenssteuer erhoben
werden,
ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Es ist der Grund, warum
Persönlichkeiten aus Jet-Set und Showbiz sich auf dem Felsen von
Monaco
niederlassen, von Borser Becker bis Michael Schumacher. Die wahre
ökonomische Funktion des Ministaats an der Côte d¹Azur aber liegt
woanders.
Monaco hat 36.000 Einwohner, von denen freilich nur 6.000 in dem
Stadtstaat
geboren und aufgewachsen sind, aber über 300.000 Bankkonten. Die
dortigen
Einlagen sollen, nach Zahlen aus dem vorletzten Jahr, 60 Milliarden
Euro
betragen und alle fünf Jahren auf das Doppelte anwachsen. 49 Banken
sind in
Monaco ansässig, die der Kontrolle der Banque de France unterstehen
und von
denen 17 die Filialen französischer Banken sind. Das in Monaco
angelegte
Geld kommt zu 80 Prozent dem französischen Finanz- und
Wirtschaftskreislauf
zugute.
Bis zu Anfang des Jahrzehnts galt die Rolle Monacos, auch wenn es
nicht
offen ausgesprochen wurde, der Pariser politischen Klasse als
unabdingbar:
Die dort getätigten Einlagen in Francs halfen den Kurs der
französischen
Währung zu stabilisieren. Seitdem die Euro-Einführung beschlossen
wurde, hat
sich diese Bedeutung ein wenig relativiert, und Kritiken durften
auch mal
ein wenig lauter geäußert werden. In einem parlamentarischen
Untersuchungsbericht zweier sozialdemokratischer Abgeordneter von
2000 steht
zu lesen, Monaco sei "einer der heuchlerischsten Staaten beim Kampf
gegen
die Geldwäsche", und: "Die monegassische Gesetzgebung ist ein
schönes
Schaufenster, aber im Hinterzimmer laufen wesentlich unfeinere
Aktivitäten
ab." Ein europaweit einmaliger Sonderfall ist, dass die Gründer von
Aktiengesellschaften und die Herkunft ihrer Kapitaleinlagen keiner
gesetzlichen Kontrolle unterliegen.
Monaco wird verdächtigt, eine wichtige Rolle bei der Geldwäsche
in Bereichen
wie Drogen- und Waffenhandel zu spielen. Seit fünf Jahren steht
Monaco auch
bei der OECD auf der Liste der "nicht kooperationswilligen
Finanzparadiese".
Damals startete die OECD, im Namen der (fiskalen) Interessen ihrer
Mitgliedsstaaten, eine kleine Offensive gegen Finanz- und
Steuerparadiese:
35 von ihnen kamen auf eine Liste, wobei 30 von ihnen als
"kooperationswillig" eingestuft wurden. Fünf blieben auf der Liste
der
uneinsichtigen Sünder, darunter Monaco.
Dass die OECD-Kampagne wirklich ernsthafte Konsequenzen haben
würde, war
jedoch zunächst nicht zu befürchten. Dagegen sträubte sich, vor
allem in der
Anfangsphase, die US-Administration Bush mit Händen und Füßen: Diese
betrachtete Steuerflucht ziemlich unverhohlen als normale Sache - da
sie nur
ausdrücke, dass eben in den betroffenen Industrieländern "die
Steuern zu
hoch" seien.
Ein paar Reförmchen
Nach dem 11. September 2001 änderte sie zwar ihren Standpunkt
grundsätzlich
nicht, doch stellte sie ihm nun noch die Forderung hinzu, unter
sicherheitspolitischen Gesichtspunkten eine Abdichtung des
internationalen
Finanzsystems gegenüber Investitionen von Al-Qaïda zu gewährleisten.
Von
einer generellen Austrocknung der Steuerparadiese war freilich
keinerlei
Rede.
Zum Glück für das Fürstentum stellte sich heraus, dass es auch
nach
Überprüfung dabei blieb, dass (aller Wahrscheinlichkeit nach)
Al-Qaïda nicht
in Monaco investiert hat. So konnte es bei kosmetischen Reformen
bleiben,
die in Absprache mit der EU-Kommission mit Brüssel vorgenommen
wurden, der
die Rolle zukam, ab und zu mal ein bisschen auf Beseitigung der
gröbsten
Missstände zu drängeln.
Künftig sollen etwa Spielgewinne des berühmten Casinos von Monaco
besser auf
ihre Versteuerung hin kontrolliert werden. Das berührt freilich den
Großteil
der in Monaco ruhenden Kapitalmasse nicht. Ansonsten wurde
beschlossen, "das
Bankgeheimnis zu besteuern, statt es abzuschaffen" (so die treffende
Formulierung des französischen Wirtschaftsatlas "Atlaséco 2004"): Es
bleibt
also bei der Undurchsichtigkeit bezüglich der in Monacos Banken
einlagerenden Summen; aber auf die Spareinlagen werden künftig 15
Prozent
Quellensteuer erhoben, von denen der monegassische "Staat" drei
Viertel an
die Herkunftsländer der ausländischen Anleger überweisen wird. Dabei
bleibt
jedoch im Dunkeln, wem wieviel Geld im Bankensystem gehört und (vor
allem)
aus welchen Quellen die Einkünfte stammen. Die Herkunftsländer
profitieren
nunmehr also auch ein bisschen mit, sollen ansonsten aber weggucken.
"Die monegassischen Banken haben davon weit weniger zu befürchten
als von
der Amnestie für Steuerhinterziehung, die durch die
Berlusconi-Regierung
beschlossen wurde", lautet dazu der knappe Kommentar des "Atlaséco
2004":
Die Fiskal-Amnestie könnte nämlich dazu führen, dass einst zwecks
Steuerhinterziehung ins Ausland abgeflossene Kapitalien nunmehr ganz
legal
nach Italien zurück gebracht werden dürfen. In Frankreich hat die
Raffarin-Regierung im Juli 2004 übrigens ebenfalls eine partielle
Amnestie
für Steuerhinterzieher beschlossen.
Prinzipiell also läuft der Betrieb munter weiter. Ähnlich wie in
Liechtenstein (das eine ähnliche Funktion für Österreich hat),
Luxemburg
(das vor allem für Gesellschafts-Holdings aus Deutschland oder
Belgien von
Interesse ist) oder auf den Cayman Islands.
Editorische
Anmerkungen
Der Autor stellte uns seinen Text
am 10.4. 2005 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung zur Verfügung.
Eine Kurzfassung erschien in "Jungle World" vom 6. April 05.
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