Statt eines Nachrufs: Der Mä-Mä-Märchenprinz gibt den Löffel ab
Oder: Monaco zwischen Seifenoper und Steuerparadies mit Funktion für den europäischen Kapitalismus


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on Bernhard Schmid (Paris)
04/05

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Frankreich ist ein laizistischer Staat und eine Republik, so meint man. Vorige Woche konnte man daran ernsthafte Zweifel bekommen. Wer etwa einen öffentlichen Rundfunksender einschaltete, musste meinen, aus Versehen Radio Vatikan zu hören. Rund um die Uhr raubte die endlose Inszenierung rund um das Ableben des Karol Woytila so manchem Hörer den Nerv. Der Innenminister des laizistischen Staates, Dominique de Villepin, ordnete gar an, die Fahnen der Republik auf Halbmast zu nehmen.  

Und so geriet sogar vorübergehend in den Hintergrund, dass noch ein anderer Gerontokrat in einem europäischen Zwergstaat dabei war, im Alter von 81 Jahren den Löffel abzugeben. In den Tagen zuvor hatte dessen sich rapide verschlechternder Gesundheitszustand noch die Titelblätter der Regenbogenpresse und so manche sentimentale Story in Boulevardzeitungen gefüllt. Dreieinhalb Tage nach dem des Papsts wurde dann, am Mittwoch morgen, auch sein Ableben vermeldet.  

Louis Henri Maxence Betrand Rainier Grimaldi, der hauptsächlich unter seinem letzten Vornamen bekannt war, hatte seit November 1949 als regierender Fürst den Zwergstaat Monaco geführt. Der Familienname Grimaldi verweist auf ein altes italienisches Raubrittergeschlecht, mit dem Rainier III. in Wirklichkeit gar nichts verwandt war. Sein Vater Pierre de Polignac war erst 1920 per Verordnung zum Grimaldi "erhoben" worden, da dem regierenden Clan der Nachwuchs ausgegangen war. Drei Jahre später kam dem frisch umgetauften Neo-Grimaldi dann ein Nachfolger zur Welt. Immerhin scheint auch beim seit Jahrhunderten an europaweite Inzucht gewohnten Adel im Notfall politisches Kalkül vor so genannte Blutsbande zu gehen. Ansonsten wurde Rainier Grimaldi vor allem durch seine 1956 vollzogene Hochzeit mit der US-Schauspielerin Grace Kelly prominent, die ihn in den Augen des europaweiten Publikums bunter Zeitschriften zum Märchenprinzen machte. Grace Kelly starb 1982 bei einem Autounfall, es blieben die beiden umtriebiegen Töchter.  

Doch bereits in der nächsten Generation droht das alte Problem schon wieder aufzutreten. Denn Kronprinz Albert, der am vorletzten Donnerstag ­ noch zu Lebzeiten des schwerkranken Altmonarchen ­ auf dem Operettenthron von Monaco Platz nahm, hat im Alter von 47 Jahren noch kein Interesse an Fortpflanzung an den Tag gelegt. Die französische Boulevardzeitung 'France Soir' hält ihn für zu beschäftigt, da er ein notorischer Playboy sei und außerdem Sport betreibe; Albert hat als Bobfahrer an Olympischen Winterspielen von 2002 teilgenommen. Aber das könnte auch schlicht Aristocratical Correctness in der Berichterstattung sein: Zahlreiche Beobachter halten ihn jedenfalls für schwul, aber offen schreiben scheint man es nicht zu dürfen. Nun ist der Autor dieser Zeilen ein sehr schlechter Kenner der Regenbogenpresse (französisch: "presse people") - allerdings erwecken die jüngst in Wartezimmer-Durchblätter-Käseblättern erschienenen Fotos doch unzweideutig den Eindruck, dass eher die Playboy-These zutrifft.  

Monaco: 1,9 Quadratkilometer Staat mit UN-Sitz  

Bleibt Albert auch weiterhin ohne männlichen Nachfolger, dann würde Monaco nach den Bestimmungen des bilateralen Vertrags von 1918 an den größeren Nachbarn fallen. Frankreich wäre um stattliche 1,9 Quadratkilometer größer und könnte einen Staat schlucken, der immerhin einen eigenen Sitz in der UN-Vollversammlung und seit dem 5. Oktober 2004 auch beim Europarat hat. Der aber de facto von Paris finanziell ausgehalten wird, denn Frankreich stellt die hohen Beamten und transferiert einen Teil der nationalen Mehrwertsteuer ­ die wesentlich höher liegt als in Monaco ­ an das Fürstentum. Dieser Anteil wird seit 30 Jahren ständig nach oben "neu berechnet" und übersteigt 120 Millionen Euro jährlich.  

Wachsen also die Annexionsbestrebungen? Der neue Fürst kann Abhilfe verschaffen, indem er ein männliches Kind aus der Verwandtschaft adoptiert. Aber muss man damit rechnen, dass den Thronerben demnächst ein mysteriöser Unfall ereilt, bevor er auf diese Weise die Dynastie verlängern konnte?  

Monacos Funktion für den französischen Kapitalismus  

Mit Bestimmtheit die Allerletzten, die daran ein Interesse hätten, sind französische Politiker. Denn die Seifenopernmonarchie spielt in ihrer jetzigen Beschaffenheit eine enorm wichtige Rolle ­ als in die nationale Ökonomie integriertes und doch aus der politischen Verantwortung Frankreichs herausfallendes Steuerparadies. Dass für Personen mit Wohnsitz in Monaco keinerlei Einkommenssteuer und auch keine Vermögenssteuer erhoben werden, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Es ist der Grund, warum Persönlichkeiten aus Jet-Set und Showbiz sich auf dem Felsen von Monaco niederlassen, von Borser Becker bis Michael Schumacher. Die wahre ökonomische Funktion des Ministaats an der Côte d¹Azur aber liegt woanders.  

Monaco hat 36.000 Einwohner, von denen freilich nur 6.000 in dem Stadtstaat geboren und aufgewachsen sind, aber über 300.000 Bankkonten. Die dortigen Einlagen sollen, nach Zahlen aus dem vorletzten Jahr, 60 Milliarden Euro betragen und alle fünf Jahren auf das Doppelte anwachsen. 49 Banken sind in Monaco ansässig, die der Kontrolle der Banque de France unterstehen und von denen 17 die Filialen französischer Banken sind. Das in Monaco angelegte Geld kommt zu 80 Prozent dem französischen Finanz- und Wirtschaftskreislauf zugute.  

Bis zu Anfang des Jahrzehnts galt die Rolle Monacos, auch wenn es nicht offen ausgesprochen wurde, der Pariser politischen Klasse als unabdingbar: Die dort getätigten Einlagen in Francs halfen den Kurs der französischen Währung zu stabilisieren. Seitdem die Euro-Einführung beschlossen wurde, hat sich diese Bedeutung ein wenig relativiert, und Kritiken durften auch mal ein wenig lauter geäußert werden. In einem parlamentarischen Untersuchungsbericht zweier sozialdemokratischer Abgeordneter von 2000 steht zu lesen, Monaco sei "einer der heuchlerischsten Staaten beim Kampf gegen die Geldwäsche", und: "Die monegassische Gesetzgebung ist ein schönes Schaufenster, aber im Hinterzimmer laufen wesentlich unfeinere Aktivitäten ab." Ein europaweit einmaliger Sonderfall ist, dass die Gründer von Aktiengesellschaften und die Herkunft ihrer Kapitaleinlagen keiner gesetzlichen Kontrolle unterliegen.  

Monaco wird verdächtigt, eine wichtige Rolle bei der Geldwäsche in Bereichen wie Drogen- und Waffenhandel zu spielen. Seit fünf Jahren steht Monaco auch bei der OECD auf der Liste der "nicht kooperationswilligen Finanzparadiese". Damals startete die OECD, im Namen der (fiskalen) Interessen ihrer Mitgliedsstaaten, eine kleine Offensive gegen Finanz- und Steuerparadiese: 35 von ihnen kamen auf eine Liste, wobei 30 von ihnen als "kooperationswillig" eingestuft wurden. Fünf blieben auf der Liste der uneinsichtigen Sünder, darunter Monaco.  

Dass die OECD-Kampagne wirklich ernsthafte Konsequenzen haben würde, war jedoch zunächst nicht zu befürchten. Dagegen sträubte sich, vor allem in der Anfangsphase, die US-Administration Bush mit Händen und Füßen: Diese betrachtete Steuerflucht ziemlich unverhohlen als normale Sache - da sie nur ausdrücke, dass eben in den betroffenen Industrieländern "die Steuern zu hoch" seien.  

Ein paar Reförmchen  

Nach dem 11. September 2001 änderte sie zwar ihren Standpunkt grundsätzlich nicht, doch stellte sie ihm nun noch die Forderung hinzu, unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten eine Abdichtung des internationalen Finanzsystems gegenüber Investitionen von Al-Qaïda zu gewährleisten. Von einer generellen Austrocknung der Steuerparadiese war freilich keinerlei Rede.  

Zum Glück für das Fürstentum stellte sich heraus, dass es auch nach Überprüfung dabei blieb, dass (aller Wahrscheinlichkeit nach) Al-Qaïda nicht in Monaco investiert hat. So konnte es bei kosmetischen Reformen bleiben, die in Absprache mit der EU-Kommission mit Brüssel vorgenommen wurden, der die Rolle zukam, ab und zu mal ein bisschen auf Beseitigung der gröbsten Missstände zu drängeln.  

Künftig sollen etwa Spielgewinne des berühmten Casinos von Monaco besser auf ihre Versteuerung hin kontrolliert werden. Das berührt freilich den Großteil der in Monaco ruhenden Kapitalmasse nicht. Ansonsten wurde beschlossen, "das Bankgeheimnis zu besteuern, statt es abzuschaffen" (so die treffende Formulierung des französischen Wirtschaftsatlas "Atlaséco 2004"): Es bleibt also bei der Undurchsichtigkeit bezüglich der in Monacos Banken einlagerenden Summen; aber auf die Spareinlagen werden künftig 15 Prozent Quellensteuer erhoben, von denen der monegassische "Staat" drei Viertel an die Herkunftsländer der ausländischen Anleger überweisen wird. Dabei bleibt jedoch im Dunkeln, wem wieviel Geld im Bankensystem gehört und (vor allem) aus welchen Quellen die Einkünfte stammen. Die Herkunftsländer profitieren nunmehr also auch ein bisschen mit, sollen ansonsten aber weggucken.  

"Die monegassischen Banken haben davon weit weniger zu befürchten als von der Amnestie für Steuerhinterziehung, die durch die Berlusconi-Regierung beschlossen wurde", lautet dazu der knappe Kommentar des "Atlaséco 2004": Die Fiskal-Amnestie könnte nämlich dazu führen, dass einst zwecks Steuerhinterziehung ins Ausland abgeflossene Kapitalien nunmehr ganz legal nach Italien zurück gebracht werden dürfen. In Frankreich hat die Raffarin-Regierung im Juli 2004 übrigens ebenfalls eine partielle Amnestie für Steuerhinterzieher beschlossen.  

Prinzipiell also läuft der Betrieb munter weiter. Ähnlich wie in Liechtenstein (das eine ähnliche Funktion für Österreich hat), Luxemburg (das vor allem für Gesellschafts-Holdings aus Deutschland oder Belgien von Interesse ist) oder auf den Cayman Islands.   

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text am 10.4. 2005 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung zur Verfügung. Eine Kurzfassung erschien in "Jungle World" vom 6. April 05.