Am 08. Mai 2005 ist es soweit: vor
60 Jahren wurde Deutschland von den Alliierten vom NS-Faschismus
befreit. Dieser historische Tag wird vor allem in Deutschland von
bürgerlichen DemokratInnen dazu benutzt, um von Sozialabbau und
Krieg abzulenken. Verglichen mit den Grausamkeiten des NS-Regimes
erscheinen die Verbrechen in der kapitalistischen Gegenwart als
relativ harmlos. Was hier stattfindet, ist eine Relativierung
kapitalistischer Normalität durch die Dämonisierung der Besonderheit
des NS-Faschismus. Wir lehnen eine moralische Kritik am
Nationalsozialismus ab und wollen an dieser Stelle die Zusammenhänge
zwischen Kapitalismus, Krieg, Sozialabbau, bürgerlicher Demokratie
und Faschismus darstellen.
Der folgende Beitrag ist außerdem
ein Aufruf an alle revolutionären Kräfte, den 8. Mai nicht den Nazis
oder (bürgerlichen) DemokratInnen zu überlassen. Die radikale Linke
darf nicht im Schlepptau irgendeiner nationalen bzw. bürgerlichen
Kraft untergehen sondern muss den Klassenkampf gegen die herrschende
Klasse und die bestehende Ordnung propagieren. Für uns versteht es
sich dabei von selbst, dass wir den Alliierten nicht für die
Befreiung danken, weil nicht die Opfer des NS sondern gegensätzliche
imperialistische Interessen der Grund für den Kriegseintritt der
Alliierten war.
Zwei unterschiedliche Seiten
derselben Medaille
Das
Wesentliche, was den Kapitalismus auszeichnet, ist das
Privateigentum an Produktionsmitteln und der ökonomische Sachzwang,
das Kapital immer weiter zu verwerten und zu akkumulieren.
Kapitalverwertung setzt die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft
im Produktionsprozess voraus und bedeutet eine ungleiche Verteilung
des gesellschaftlichen Reichtums. Dieses unterschiedliche Interesse
zwischen Arbeit und Kapital führt immer wieder zu Konflikten und zu
revolutionären Erhebungen der lohnabhängigen Klasse. Der bürgerliche
Staat ist eine vermittelnde Instanz, die die bestehenden
Produktionsverhältnisse aufrechterhalten und den proletarischen
Klassenkampf dämpfen will. Das Proletariat soll sich mit einer
Gesellschaft, die Ausbeutung und Enteignung vom Arbeitsprodukt
bedeutet, abfinden, während die KapitalistInnen von dem durch die
Ausbeutung erzielten Mehrwert profitieren.
Grundsätzlich gibt es für den bürgerlichen Staat 2 Möglichkeiten,
auf diese Situation zu reagieren: Zuckerbrot und Peitsche. Solange
sich der Klassenkonflikt durch Zugeständnisse befrieden lässt bzw.
Zugeständnisse überhaupt möglich sind, wird der Staat
Befriedungsstrategien anwenden. Wer einmal in Geschichtsbüchern
wälzt, wird erkennen, dass diese Strategie in der Nachkriegszeit
äußerst erfolgreich war und speziell in Deutschland die einst sehr
kämpferische Klasse mit der Zeit müde und träge geworden ist und in
die BRD integriert wurde. Neben realen Zugeständnissen versucht der
Staat die Klasse auch durch die Schaffung von Identitäten (z.B.
Geschlecht, Nation etc.) zu integrieren.
Während die
bürgerliche Demokratie und der Sozialstaat zu den klassischen
Befriedungsmechanismen im Kapitalismus gehören, wird der Staat in
Zeiten kämpferischer Auseinandersetzung vor allem repressiv gegen
die Klassenkämpfe vorgehen. Faschismus ist eine besonders repressive
Herrschaftsform im Kapitalismus, die angewendet wird, wenn die
sozialen Konflikte einen Höhepunkt erreichen, besondere Maßnahmen
durchgeführt werden müssen (wie Kriege) und alle anderen Maßnahmen
zur Dämpfung des Klassenkampfes nicht mehr greifen. Faschismus wird
angewendet, um soziale und revolutionäre Bewegungen grundsätzlich zu
zerschlagen. So hat Hitler auch angekündigt, „den Marxismus
endgültig auszurotten“. Pinochet hat während des Faschismus in Chile
gesagt, dass (bürgerliche) Demokratie von Zeit zu Zeit in Blut
gebadet werden müsse. Neben der massiven Repression spielte im NS
auch die Schaffung von nationalen und patriarchalen Identitäten (der
weiße deutsche Mann) eine entscheidende Rolle.
In der
kapitalistischen Gesellschaft lassen sich Demokratie und Faschismus
nicht voneinander trennen und gehören gleichermaßen zum Repertoire
des bürgerlichen Staates. Die Übergänge sind oft fließend. Einen
grundsätzlichen Bruch gab es weder von der Weimarar Republik zum 3.
Reich noch vom 3. Reich zur BRD. Es sei auch darauf hingewiesen,
dass es in Deutschland eine massenhafte Verfolgung von
Oppositionellen und das ungestrafte Morden von Nazibanden bereits
vor 1933 gab, von den Nazis allerdings wesentlich konsequenter
fortgeführt wurde. Auch die BRD hat beispielsweise im Deutschen
Herbst 1977 bewiesen, dass sie lediglich ein taktisches Verhältnis
zum so genannten „Rechtsstaat“ hat. Notverordnungen sind in der
BRD-Verfassung ebenfalls vorgesehen.
Die Ideologie des Antifaschismus
Die bürgerlichen
AntifaschistInnen streiten den Zusammenhang von Demokratie und
Faschismus generell ab. Sie können die Ursachen für Hitlers
Machtergreifung in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht
begreifen und sehen im NS-Faschismus einen Betriebsunfall. Ihnen
erscheint der Faschismus als etwas besonders teuflisches, dem sie
dann ihre bürgerliche, „freiheitliche“ Demokratie entgegenstellen.
Wer unfähig ist, eine materialistische Faschismusanalyse zu
betreiben, kann den Nationalsozialismus nur moralisch dämonisieren.
Faschismus ist
aber kein Betriebsunfall oder eine Verschwörung von bösen Menschen,
sondern eine Herrschaftsform, die den Kapitalismus und die
Kapitalverwertung in einer bestimmten Situation sichern soll.
Mit der
Gegenüberstellung von Faschismus und Demokratie klappt es immer
wieder die Menschen aufzufordern, ihre sozialen Interessen
zurückzustellen, um in einer Volksfront mit den etablierten Parteien
und anderen kapitalistischen Kräften gemeinsam gegen das Böse
vorzugehen. Dabei wird mit den Bildern von Auschwitz moralischer
Druck auf die Menschen aufgebaut, unbedingt die Demokratie zu
verteidigen. Somit wird auch eine Identifizierung mit der
bürgerlichen Demokratie geschaffen. Für uns verläuft die
Trennungslinie nicht zwischen Faschismus und Demokratie sondern
zwischen KapitalistInnen und Lohnabhängigen.
Der
Antifaschismus dient auch dazu, von der Politik der etablierten
Parteien abzulenken. Das Schlimme der kapitalistischen Normalität
wird ausgeblendet, indem immer auf den noch schlimmeren Faschismus
verwiesen wird. Die Kriege eines Schröder-Fischer-Regimes
beispielsweise erscheinen lächerlich gegen das Morden der Wehrmacht
in Jugoslawien. Die Arbeitsbedingungen in der BRD erscheinen human,
verglichen mit den Vernichtungslagern in Auschwitz.
Im Moment
empören sich wieder bürgerliche PolitikerInnen über rassistische,
antisemitische, sozialdarwinistische oder geschichtsrevisionistische
Nazi-Äußerungen. Hiermit kann exzellent von der rassistischen
BRD-Flüchtlingspolitik, dem Treiben der Bundeswehr in Afghanistan,
dem Antisemitismus in Deutschland oder dem Sozialabbau abgelenkt
werden. Nazis brauchen bei ihren Provokationen gar nicht die
bürgerliche Diskursebene zu verlassen. Sie können bestehende
Diskurse aufgreifen und im bürgerlichen Sinne vorantreiben.
Durch die
Bindung der lohnabhängigen Bevölkerung an den bürgerlichen Staat und
an staatstragende Organisationen und das Verzichten auf eine eigene
Klassenposition wird ein wirksamer Kampf gegen Faschismus letztlich
verhindert. Statt kampffähige Strukturen bereits in der Weimarer
Republik aufzubauen und dann militant gegen die Machtergreifung
Hitlers vorzugehen, oder den bewaffneten Kampf gegen Franco in
Spanien fortzusetzen haben das Volksfront-Konzept und die
Unterordnung unter demokratisch-bürgerliche Regierungen in der
Geschichte immer zur Kapitulation vor dem faschistischen
Machtwechsel im bürgerlichen Staat geführt.
Die Illusion eines „revolutionären“
Antifaschismus
Viele Linke
begründen ihren „Antikapitalismus“ damit, dass die „Vernichtung des
Nazismus mit all seinen Wurzeln“ das Ziel sei (Schwur von
Buchenwald). Und die Wurzel ist eben der Kapitalismus.
Solch eine
Kapitalismuskritik wird nicht mehr mit einem (sozialen)
Klasseninteresse, sondern rein moralisch mit dem Appellieren an gute
Menschen begründet. Dabei werden bürgerliche und staatstragende
Kräfte oft unreflektiert in einer Volksfront gegen den Faschismus
eingebunden, teilweise sogar die eigene revolutionäre Position aus
taktischen Gründen in den Hintergrund gestellt. Damit begeben sich
radikale Linke aber unweigerlich auf das Terrain der bürgerlichen
Ideologie.
Es wird nicht
untersucht wie Kapitalismus funktioniert, um dann die Ausbeutung in
der Produktionsphäre zu kritisieren, die die Grundlage
kapitalistischer Produktionsverhältnisse darstellt. Auch die
Unterdrückungsmechanismen Rassismus und Patriarchat, die sich der
kapitalistischen Entwicklung weitestgehend angepasst haben, werden
nicht grundsätzlich kritisiert.
Lediglich die
negativen Symptome der bürgerlichen Gesellschaft wie bestimmte
rassistische, patriarchale oder antisemitische Verhaltensweisen,
Nationalismus und Sozialabbau werden nur einer moralischen Kritik
unterzogen. Dabei wird Kapitalismus oftmals an seinen eigenen,
bürgerlichen Freiheitsidealen (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
und dem Grundgesetz) gemessen, statt die Widersinnigkeit der
bürgerlichen Aufklärung und die Funktion von Gesetzen und Gerichten
aufzuzeigen. Die Kritik am Kapitalismus verbleibt auf einer
oberflächlichen Ebene, und der propagierte Antikapitalismus wird zur
hohlen Phrase. Der Antikapitalismus wird dem Antifaschismus
untergeordnet.
Der Weg zum
bürgerlichen Antifaschismus, der stets die Demokratie (und damit den
Status quo) verteidigen will bzw. lediglich einen besseren
Kapitalismus anstrebt, ist nicht mehr sehr weit.
Kein Dankeschön an die alliierten Imperialisten
Es ist in der
Linken zur unangenehmen Mode geworden, den Alliierten für die
Befreiung vom Hitler-Faschismus zu danken. Danken kann mensch aber
nur für die Erfüllung eines vorher gesteckten Zieles. Die Befreiung
vom Faschismus durch die Alliierten war aber eher ein glücklicher
Zufall, praktisch ein Nebenprodukt, als das eigentliche Ziel. Als
Hitler an die Macht kam, wurde dies in den Westmächten mit großer
Zustimmung aufgenommen. Auch die repressive Innenpolitik der
Nationalsozialisten wurde von den Regierungen der Westmächte nicht
kritisiert. Die Zerschlagung kommunistischer Organisationen und der
ArbeiterInnenbewegung wurde bejubelt und galt als Warnung an alle
ArbeiterInnen in Europa. Die Appeasement-Politik zielte darauf ab,
einen Verbündeten gegen das Stalin-Regime zu finden. Erst als der
deutsche Imperialismus zu mächtig wurde und die Interessen der
anderen imperialistischen Mächte gefährdete, begannen die Westmächte
1939 mit dem Kriegseintritt. Von der Judenvernichtung in Auschwitz
haben alle Alliierten gewusst, verhindert wurde sie dennoch nicht
(z.B. durch Bombenangriffe). Stattdessen wurden sogar jüdische
Menschen z.B. von den Engländern wieder nach Deutschland in den Tod
zurückgeschickt.
Der
Antifaschismus diente auch den DemokratInnen der Alliierten nur als
Alibi, um ebenfalls ein Stück vom Kuchen des Weltmarktes
abzubekommen und ihre Außenpolitik moralisch zu legitimieren. Hätte
Deutschland zu dieser Zeit keine Juden vernichtet und eine
bürgerlich-demokratische Regierung gehabt, hätten die Alliierten
sicherlich eine moralisch nicht so einfache Rechtfertigung für den
Kriegseintritt gefunden.
Klassenkampf statt Volksfront
Die
revolutionäre Linke darf sich nicht auf den bürgerlichen Diskurs
„Faschismus oder Demokratie“ einlassen. Diese Frage hat sich in der
Praxis so nie gestellt. Denn wenn sich die Mehrheit der
kapitalistischen Klasse und der Staat einmal für den Faschismus
entschieden haben wie 1933 in Deutschland oder 1938 in Spanien oder
1973 in Chile usw., dann steht die bürgerliche Demokratie gar nicht
mehr zur Debatte. Dann kann es nur noch heißen: Sozialismus oder
Barbarei!
Wenn am 8.
Mai Neonazis, bürgerliche PolitikerInnen und die bürgerliche Linke
parallel auf die Straße gehen, um unterschiedliche Varianten der
kapitalistischen Herrschaft – mit den zugehörigen Nationalfahnen –
zu propagieren, darf sich die radikale Linke nicht in diesen
Faschingszug einreihen.
Wir müssen mit
einer eigenen Position deutlich machen, dass wir jede dieser 3
Seiten ablehnen und dass ein besseres Leben nur jenseits
kapitalistischer Verwertungslogik möglich ist.
Die einzige
Antwort auf Sozialabbau und Krieg, auf Faschismus oder bürgerliche
Demokratie und auf Volksfrontkonzepte kann nur die soziale
Weltrevolution sein!
Wir sollten dies
am 8. Mai z.B. mit dem Motto „Befreit sind wir noch lange nicht –
Kapitalismus zerschlagen!“ deutlich machen.
Editorische
Anmerkungen
Der Artikel wurde uns von seinem
Autor am 24.4.2005 zu Veröffentlichung überlassen.
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