Buchbesprechung

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04/06

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Patrick Symmes
Reiseziel Che Guevara - Mit dem Motorrad durch Lateinamerika
Edition Nautilus, Hamburg 2005
382 Seiten, 19,90 EURO
ISBN 3-89401-464-4

REISEZIEL CHE GUEVARA

Was für ein Depp!, denkt der erfahrene Biker gleich auf den ersten Seiten, auf denen ein offensichtliches Bike-Greenhorn sich auf das Abenteuer einer mehr als 16.000 Kilometer langen Reise durch das Herz Südamerikas macht. Schon nach ein paar Kilometern hinter der argentinischen Hauptstadt Buneos Aires hängt der moderne Don Quichotte auf seiner gebraucht erstandenen deutschen Rosinante BMW R80 G/S mitten in der Pampa fest, weil ihm der Sprit ausgegangen ist. Auf die Idee, sich in tanktechnisch unsicherem  Terrain, unterwegs mit einem ungewohnten Motorrad, einen Reservekanister aufzuschnallen, kam der US-amerikanische Journalist offenbar nicht. Patrick Symmes fuhr drauflos, mit einem stümperhaft zusammengestellten Equipment, jeder Menge naivem Optimismus und zwei Büchern im Gepäck.

"Ich hatte (...) mein gebrauchtes Motorrad nur zwei Wochen bevor ich es  nach Buenos Aires verschiffte, mit Kreditkarte gekauft. Ich wußte gerade einmal, wie man das Ding volltankt ..." (S. 62)

Im Jahre 1952 hatte sich Ernesto Guevara (de la) Serna, ein selbst an  Asthma leidender Medizinstudent aus verarmter hochadeliger Familie, zusammen mit seinem um einige Jahre älteren marxistischen Freund Alberto Granado auf eine Motorradreise durch Südamerika begeben. Die beiden suchten politische Erfahrungen und das Abenteuer auf einer hoffnungslos überladenen NORTON 500, Baujahr 1939 - somit damals 13 Jahre alt, nicht
wirklich alt für ein Motorrad - die sie "La Poderosa", die Kraftvolle,  nannten. Im Gegensatz zu den Spötteleien des technischen Nullcheckers Symmes, war die Maschine 1952 mit ihren 500 cc durchaus nicht schwach auf der Brust (mehr Hubraum gab es kaum), aber natürlich alles andere als ein den "Straßen" Südamerikas entsprechendes Geländemotorrad. In den 50er Jahren sind ganze europäische Familien (Vater-Mutter-Kind) sogar mit 10 PS
"starken" 250er-Motorrädern mit Beiwagen (!) auf die Reise z.B. über die  Alpen gegangen. Die NORTON war absolut keine schwächelnde Maschine, es sei denn vom technischen Zustand her.

Che, wie Guevara sich später nannte, hatte schon 1951 auf seinem Fahrrad mit angebautem Hilfsmotor eine monatelange Reise durch Nordargentinien unternommen. Mit dem schweren Motorrad seines Freundes ergaben sich nun größere Reichweiten. Es sollte der Anfang einer nicht enden wollenden Reise werden.

Nachdem Symmes Reise schon beinahe am Anfang ihr Ende gefunden hätte, weil der Sprit alle war (Guevara und Granado waren immerhin bis Chile gekommen, bis ihr Motorrad Schrott war), ihm ein Köter auf der Suche nach dem Stoff der Kraft die Zähne in die Hacke geschlagen und Symmes sich infolge beinah die Eier an dem Stacheldraht aufgerissen hätte, über den er gerade kletterte, kommt Quichote auch ohne klugen Sancho Pansa doch noch vom Fleck. Im Verlauf der Reise dürfen wir jedoch noch öfters über bodenlos  leichtsinnige Eskapaden staunen, die den PS-Ritter mehrfach in Gefahr um  Leib und Leben bringen.

Symmes hakt nach Che s "Motorcycle Diaries", die kürzlich verfilmt wurden, und Granados Tagebuch "With El Che across South America" die Stationen der Reise der beiden Helden ab, die sich als "reisende Lepraärzte" (Granado hatte tätsächlich als Lepra-Arzt Erfahrung) durch halb Südamerika schnorrten. Besonders der spätere Che (in Südamerika werden offenbar alle Argentinier "Che" genannt - warum wird nirgendwo erklärt; in Mapuche-Indio  -Sprache heißt Che allerdings Mensch - mir wurde versichert dort stamme das Wort her), also gerade Ernesto war offenbar ein Wunder an Kreativität, wenn es darum ging, Leuten Geld, Verpflegung und Schlafplätze aus den Rippen zu leiern. Hierbei half ihm wohl sein natürlicher Charme, seine Wortgewandtheit und sein den Damen gefälliges Aussehen. Dabei muß er ein ausgesprochen wasserscheuer Schmutzfink gewesen sein, der es sich geradezu
zum sportlichen Prinzip gemacht hatte, auf anderer Leute Kosten zu leben  und sich möglichst wenig zu waschen.

Symmes, ausgestattet mit einem dünnen Reiseetat, eifert dem jungen Guevara  zunehmend und nach Kräften nach, bleibt aber jenem gegenüber ein Stümper. Immerhin gelingt es ihm auf seiner Reise durch Argentinien und Chile mit System und durch Zufall verschiedene Leute aufzutreiben, die Guevara auf  seiner Reise getroffen hatten. Sogar dessen ehemalige Flamme und avisierte Braut Chichina (natürlich aus erster argentinischer Familie) ließ sich
widerwillig zu einem Interview breitschlagen. Das Bild des jungen Mannes, der später Che genannt wird, verdichtet sich mit Symmes Etappen und es erschließt sich uns in historischen Excursionen die Zeit, die zwischen 1952 und dem Zeitpunkt der Symmes-Reise 1996 liegt. Die Klammer bildet die Suche nach Che s handabgehackten, verscharrten Kadaver in den bolivianischen Bergen, die den Endpunkt der Tour bilden. Das letzte,  nachträgliche Ende der Reise wird in Havanna liegen, wo Symmes Che s Kumpel Granado besucht und tags drauf verkatert mit Massen von herbeizitierten JubelkubanerInnen an den pompösen Beisetzungsfeierlichkeiten von Che s aufgefundenen sterblichen Überresten im Mausetotoleum teilnimmt. Drauf steht Che als Koloss von Kuba.  Allerdings ist Che lange vorher eine Ikone, die uns schon auf dem Buchumschlag als riesige Wanddeko entgegenprangt.

Aber Che ist nicht nur eine Ikone, wie Symmes unterwegs feststellt,  sondern ist eine legendenhafte christusgleiche Erlöserfigur der kleinen Leute in einem Südamerika der Ausgeplünderten, Verschleppten und Ermordeten geworden. Alle möglichen Leute erzählen über ihn Geschichten von denen die wenigsten halbwegs stimmen, aber alle der Hoffnung auf
Gerechtigkeit und Befreiung Ausdruck geben.

Begleitend dazu dekonstruiert Symmes den Mythos und führt ihn auf die  nackten Tatsachen zurück. Guevara als junger Waffennarr, Meerschweinchen- Experimentator und späterer Gewaltapostel (S. 334 ff), der die Lösung in den zielstrebig zum antiimperialistischen revolutionären Endkampf verschärften Verhältnissen sieht. Ein Mann, der als Che keine Kompromisse kennen wird, sich persönlich keineswegs schont und auch die dreckige
Arbeit des Liquidierens von "Verrätern" und "Feiglingen" selbst übernimmt.  In Kuba wird er zum "Obersten Ankläger" der kein Pardon gibt (S. 333). Guevara ist konsequent in dem was er glaubt und tut. Es wird jedoch deutlich, daß er, der die eigene Arroganz und die Forderung nach unbedingtem Gehorsam mit Verbindlichkeit und Charme kompensierte, keineswegs zum antiautoritären Helden taugt. Che war ein Machtmensch mit guten Absichten, einer der letzten brachialen Ritter.

Die Exkurse von Symmes über die historischen Begleitumstände füllen viele  Seiten im Reisebericht, sind aber journalistisch geschickt aufbereitet und geben dem Buch den Charakter einer Reportage. Ob es sich um die CIA- gefeaturete Pinochet-Diktatur in Chile handelt, den Militärputsch in Argentinien, die Hintergründe in Bolivien, Nicaragua oder Guatemala - immer zieht Symmes die Verbindungslinien zu Ché, Kuba und USA/CIA. Einzig
sein viel zu lang ausgewalzter Besuch eines verarmten von-Puttkamer-Nachfahren (deutscher Hochadel), bei dessen Familie (damals noch reich) die Freunde auf ihrer Motorradtour übernachtet hatten, wirft Fragen auf. Hier werden die bekannten Biografien deutscher Nazi-Verbrecher (Eichmann, Barbie, Priebke) seitenlang ausgebreitet ohne jedoch die wichtigere Frage zu stellen, wie sich dieses gefährliche Pack so lange in Argentinien versteckt halten konnte. Statt dessen gleicht das Geschreibe etwas einer Reinwaschung von Argentiniendeutschen.

Widerwillig -Namen für Bikes findet er blöde- hat Symmes inzwischen sein  Motorrad "La Cucaracha" getauft, aus dem im Laufe der Reise ein geradezu liebevolles "Kooky" wird (auch der zapatistische Subkommandante Marcos, der zur Zeit mit der Anderen Kampagne Mexico bereist, hat seine Enduro getauft: "Sombraluz" - Schattenlicht).

Den Song aus der Mexikanischen Revolution singt der lonsome rider nämlich  während der Fahrt immer vor sich hin. Das "non puede caminar" (kann nicht weiterreisen) holt ihn noch einige Male ein. Sei es die wundersame Entdeckung verrußter Zündkerzen in der Werkstatt (worauf man auch selbst hätte kommen können), die schwächelnde Batterie oder geplatzte Reifen (wegen eines nicht entfernten Nagels im Reifenmantel mit wiederholter Beinahe-Todesfolge durch Talsturz). Mitten im Cucaracha-Geträllere legt sich der Biker schon davor in Chile in den Graben und hat wiedermal, abgesehen vom Rippenbruch, mehr Glück als Verstand. So ähnlich war "La Poderosa" zwischen Felsen geendet, mit dem nicht weniger glücklichen Guevara am Lenker und Granado hinten drauf.

Wie ein Ami-Millionär sich Ökologie vorstellt, stellt uns Symmes in seiner  Rippenbruch-Zwangspause in Chile vor. Sein Besuch in PUMALIN, einer Region Bergwald am Meer, die der erfolgreiche Manager-Aussteiger Tompkins (Esprit, North Face) gekauft hat, um sie vor der Umweltzerstörung durch Abholzung zu schützen, führt ihm eine Art freundlicher Öko-Dikatur vor Augen, der die Einheimischen soweit zuarbeiten wie der Lohn und das Auge  ihres patrón reicht. Außer Sichtweite hören die pittoresken  Inselmusikanten, die der Geldgrande anfahren ließ, auf ihren Transisterradios lieber RAP. Kulturcrossover läßt sich eben nicht verbieten und Tradition nicht künstlich konservieren. Das Privatparadies,
in das Tompkins nach Belieben ein- und ausfliegt, wird ansonsten künstlich  von der Welt abgeschottet - ein idealer Ruheort für einen verletzten Biker. Das hindert diesen aber nicht daran, sich dort noch einen Satz "blaue Flecken und Dornen" einzuhandeln, als er ohne auf das Hereinbrechen der Dämmerung zu achten, alleine in einem reißenden Wildbach fischt. Auch hier ersäuft er nicht, bricht sich nicht Bein oder Hals, sondern kommt von dem "magischen Ort" mit den erwähnten Blessuren glücklich heim.

Als Ami-Journalisten repariert ihm in Chile s Hauptstadt Santiago sogar die ebenfalls mit BMWs ausgestattete Präsidentengarde die Mühle, die als exotisches deutsches Motorrad unterwegs immer wieder Gegenstand der Bewunderung ist. Ein mittleres Wunder.
Auf 16.000 Kilometern lernt man unzweifelhaft Motorradfahren (das Schrauben offenbar nicht unbedingt), selbst wenn man vorher nicht besonders gut fahren konnte. So stellt sich auf Dauer auch Biker-Romantik ein:

"Jeder Moment einer Reise auf dem Motorrad ist unbeschwert und wichtig,  ein agiler Verweis auf ein Leben, das nur an einem Ort stattfindet. Die rohe Kraft der Maschine wird nicht unter der Motorhaube unter Verschluß gehalten, sondern brummt und surrt immer ein paar Zentimeter oberhalb der Knie, und erinnert einen ständig an die unbändige Energie. Der Fahrer eines Autos hingegen, eingesperrt hinter seiner Windschutzscheibe, durch Klimaanlage und Soundsystem isoliert, spürt weder die Windrichtungen, den Einfall des Sonnenlichts noch die Temparaturschwankungen zwischen Berg und Tal, die durch unterschiedliche Straßenbeläge hervorgerufenen Geräusche oder die säuerlichen oder süßlichen Gerüche der gedüngten Felder oder vorbeiziehenden Pinienwälder. Ein Fahrer, der mit seinen zwei Rädern in der Gegenwart balanciert, ist mit all seinen Sinnen dabei und kann Momente erleben, da er mit der Straße eine Einheit bildet." (S. 78-79)

Zeitweise freihändig, gar die Hände in den Jackentaschen, fährt Symmes -  wieder einmal in einem Anfall von Selbstüberschätzung - mit seiner bepackten BMW durch die Atacama, die Trockenwüste Chiles. Freihändig macht er ein paar Fotos. Und dann regnet es sogar wo es sonst nie regnet.

Wir erleben Symmes bei seinen Besuch in den Kupferminen Chiles, dem  Reichtum des Landes. Guevara und Garnado waren ebenfalls dort und fragten nach den Opfern der Silikose, der Staublunge. Dann besuchen wir mit Symmes die Salpeterminen, die in der Pinochet-Zeit 1970 auch als KZ für Linke gedient haben. In Chaucilla, schon in Peru, übernachtet unser Biker in einem alten Inka-Gräberfeld und träumt dort von Motorradersatzteilen. Später stehen wir mit ihm in der Lepra-Station in Lima wo Che war und
besuchen eine Landbesetzung deren Aktivisten zur legalisierten  Privatisierung überredet werden sollen.

Eingebaut in die Tour ist auch der Jahre vor Symmes Reise niedergeschriebene journalistische Besuch desselben im Canto-Grande-Gefängnis für Guerrilla-KämpferInnen des maoistischen "Sendereo Luminoso" (Leuchtender Pfad) in Peru. Zwar hat dieser interessante Bericht nichts mit der Reise direkt zu tun, illustriert aber das Terrain durch das Symmes sich bewegt. Die Anden waren vielleicht der aufschlußreichste und gefährlichste Teil der Reise (die zuvor Guevara nicht mehr auf dem Motorrad machte, sondern per Autostop).

Zwischen Fakten, Reisebericht und Spekulationen über Werden und Wesen von  Che finden sich überraschend feinfühlig geschriebene Passagen von dichterischer Schönheit wie diese hier in den peruanischen Anden:

"Es sollte ein Fahrt durch flüssiges Licht sein. In dieser Höhe strahlte  selbst der Regen Licht aus, und auf den höheren Gipfeln gelangte man in Wolken, die im Sonnenlicht glühten, jedes Tröpfchen Nebel ein winziger Mond, der das durch die dünne Atmosphäre fallende Licht einfing und reflektierte. Wenn es aufhörte zu regnen, bildeten sich Regenbogen, einer
nach dem anderen, manchmal doppelt und einmal sogar dreifach, die drei  Bogen von vertikalen, farbigen Lichtsäulen getrennt, die sich mit absoluter Perfektion in den Äther erhoben." (S. 296-297)

Hinter den Anden am Ort von Che s letztem Gefecht in Bolivien angekommen, schlägt Symmes die Abgestandenheit einer Revolutionshoffnung zusammen mit der kleinen Hoffnung des Dörfchens La Higuera auf etwas kassenaufbessernden Revolutionstourismus entgegen. Che hat ihnen immerhin die Elektrifizierung gebracht: der ausländischen Presse wegen. Die
Menschen der Gegend sind so abgeschnitten, daß sie und die revolutionären  Bergarbeiter Boliviens, damals als Che dort auftauchte, nicht einmal wußten wer er, der große Guerrillero und weltbekannte Held, war. Che wurde ignoriert, übervorteilt, als Störenfried empfunden, denunziert. Che hingegen bastelte schon an seinem Mythos. Seine tölpelhafte  Selbstgefälligkeit lieferte die von ihm gemachten Guerillafotos in die  Hände der Aufstandsbekämpfungsspezialisten. Von seinen Getreuen liefen die  Bolivianer, die verlorene Sache verloren sehend, zum Militär über. Nur drei Guerrilleros konnten dem Gemetzel entkommen, einer davon, Benigno, dann Leibwächter Castros, wird Jahrzehnte später als Dissident Kuba verlassen. Che, verwundet gefangen genommen, wird auf CIA-Weisung abgeschossen wie ein Schlachtschwein, seine Hände zur Identifizierung abgehackt.

Dort herumkurvend wo Che die letzte Konsequenz ereilte, kommt der Symmes wie eine Vision auf der Bergstaße entgegen. Es ist seine Karikatur, ein Holländer mit Che-Mütze und -T-Shirt, der hierhin gepilgert ist und nun einfach die ungeschminkte Trostlosigkeit der abgeschiedenen Gegend erlebt. Konfrontiert damit, läßt er dem von Kuba bezahlten Dorfarzt 50 Dollar da und weint.

Wenn man einen Heros entblättert und unter der dicken Schicht der Mythen  und Symbole der wirklichen Person näher kommt, müssen sich zwangsläufig Enttäuschungen einstellen. Es kommt darauf an, sie zu heilbaren und fruchtbaren Enttäuschungen werden zu lassen. Patrik Symmes ist offenbar hin- und hergerissen. Hingerissen von den sympathischen Seiten dieses außergewöhnlichen, intelligenten und willensstarken Menschen, der Che genannt wurde und herabgerissen von den fatalen Irrtümern und unsympathischen Schwächen des selben.

Zehntausende, vielleicht Hunderttausende vor allem blutjunger Menschen haben sich seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Christus (jener für Südamerika so wichtigen Symbolfigur) auf die Spur und in die Nachfolge des vermeintlichen neuen Christus Che begeben und sind blutig gescheitert, weil die wirkliche Welt die der Heldensagen an Grausamkeit und Härte bei weitem überflügelt. Auch in D-Land hat dies zu fatalen Sackgassen von politisch Agierenden geführt: die RAF und andere waren  ebenso Anhänger der guevaristischen Focus-Theorie (einen Guerilla-Herd aufmachen) und des "Konzept Stadtguerilla" von Marighella. Die Verhältnisse sind verschärft worden, aber es sind keineswegs die Bedingungen für eine erfolgreiche soziale Revolution dadurch geschaffen worden. Wie fragwürdig gewaltsame "Revolution" als Wert an sich ist, ist an einer Unmenge von traurigen Beispielen unschwer ersichtlich.

Symmes scheint sich letztendlich eher auf die Seite der aufgeklärten Demokratie zu schlagen und verachtet nicht die Verhältnisse, die diese generiert. Er ist sich über faschistoide Tendenzen und verdeckte, ins Totalitäre weisende Machtstrukturen des westlichen gesellschaftlichen Systems durchaus im Klaren, kann aber offenbar auch angenehme Seiten an der "westlichen Freiheit" entdecken - der US-Amerikaner schlägt immer wieder durch. Seine Sympathie gehört zwar den Armen und Unterdrückten und ohne zu agitieren ergreift er ihre Partei, indem er einfach ihre miserablen Lebensumstände beschreibt, aber er sieht auch ihre Schwächen, die teils tödliche Naivität und verbreitete Dummheit, die das Heil in einfachen Rezepten und Führern sucht. Symmes begreift und beschreibt die Notwendigkeit der Veränderung, aber bleibt offenbar Teil des Systems das
er ablehnt - vielleicht mangels einer besseren Alternative. Seine  Recherchen in Sachen Che und Südamerika haben ihm gezeigt, daß es mit gutem Willen alleine nicht getan ist und daß gut Gemeintes die Verhältnisse durchaus verschlechtern kann und es bisher vielfach tat.

So bleibt am Ende der Reise neben der Kenntlichmachung der aufgeblasenen  und anscheinend beliebig vermarktbaren Ikone Che die menschliche Erfahrung einer außergewöhnlichen Reise auf den Spuren eines Idols von Millionen und die menschliche Zurückgewinnung desselben.

Gleichzeitig ist "Reiseziel Che Guevara" ein lehr- und faktenreiches Buch,  das auf eine unaufdringliche und spannend lesbare Weise vor allem jüngeren LeserInnen Kernwissen um die unmittelbare Vergangenheit vermittelt und die vielschichtige Gegenwart des südamerikanischen Kontinents mit einem Motorradreisebericht im Grenzbereich von Selbsterfahrung, sozialer Erfahrung und moderner Abenteuertour verbindet.

Vor Nachahmung wird übrigens gewarnt: nicht jeder hat so viel Dussel wie  Patrick Symmes und die Chancen ohne gewachsene Erfahrung auf einem solchen Solo-Trip draufzugehen stehen nicht schlecht!
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 25.3.2006 vom Autor.
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