VORBEMERKUNG:
Der
zur Zeit heftig umstrittene CPE oder «Ersteinstellungsvertrag»
für die unter 26jährigen wird durch ein Gesetz eingeführt, das
bisher noch nicht in Kraft getreten ist. Es handelt sich um den
Artikel 8 des so genannten «Gesetzes für Chancengleichheit», das
als Antwort der Politik auf die Krise in den Banlieues vom
Vorjahr präsentiert wurde und angeblich die sozialen Probleme
lösen soll. Nachdem das französische Verfassungsgericht am
gestrigen Donnerstag (30. März) erklärte, die Bestimmungen
dieses Gesetzes verstieben nicht gegen Verfassungsbestimmungen,
wird aber erwartet, dass Präsident Chirac den Text noch heute
unterschreibt. Damit würde er rechtskräftig. Was natürlich die
soziale Protestbewegung nicht daran hindert, die Rücknahme des
bnereits in Kraft getretenen Gesetzes zu fordern. Das hat es in
der Vergangenheit schon gegeben. So wurde 1984 unter dem Druck
der bürgerlich-konservativen Kräfte (angeführt von Jacques
Chirac) und der extremen Rechen, die gemeinsame
Grobdemonstrationen abhielten, das bereits in Kraft getretene
Schulreformgesetz des sozialistischen Ministers Alain Savary
zurückgenommen. Dieses Gesetz hätte die Rechte und Privilegien
des katholischen Privatschulwesens zugunsten der allgemeinen,
öffentlichen Schule eingeschränkt.
Einen
Vorgeschmack darauf liefert unterdessen die Anwendung des CNE
oder «Neueinstellungsvertrag», der bereits seit dem 02. August
2005 (per Notverordnung der Regierung) eingeführt worden ist. Er
gilt für ein anders Publikum, nämlich für die abhängig
Beschäftigten, die älter als 26 sind und in
Kleinbetrieben/mittelständischen Unternehmen (mit 20
Lohnabhängige) arbeiten. Bisher sind rund 350.000 Verträge vom
Typ CNE abgeschlossen worden (Zahlen von Anfang März). Unbekannt
ist, wieviele davon in der Zwischenzeit wieder
unterbrochen, d.h. durch den Arbeitgeber aufgekündigt worden
sind: Darüber gibt es keinerlei statistische Erfassung.
In
ihrer Ausgabe vom Freitag (31. März), die in Paris am Donnerstag
nachmittag erschien, berichtet die Abendzeitung ‘Le Monde’ über
eine Serie von Prozessen, die aufgrund von Kündigungen im Rahmen
des CNE anhängig sind. Solche Kündigungen müssen ja, gemäb den
Vorschriften über den CNE (und nicht den CPE), nicht begründet
werden. Es dürfte genügen, das Originaldokument zu zitieren, um
einen Einblick in die Praxis zu bieten, die sich durch diese
Möglichkeit der begründungslosen Kündigung eröffnet.
Einige
Fälle von Lohnabhängigen, die begründungslos gekündigt worden
sind (zitiert nach ‘Le Monde’ vom 31. März 06)
Originalton ‘Le Monde’ (Fettdruck ebenfalls im Original):
«Fünf abhängig Beschäftigte, die sich an die Arbeitsgerichte
(Conseils de prud’hommes) wenden, erzählen über die Beendigung
ihres Vertrags.
‘Der
Arbeitgeber hat aufgehört, uns zu bezahlen’
Mickaël, 25 Jahre, ist von einem dreimonatigen befristeten
Vertrag (CDD) in einen Neueinstellungsvertrag (CNE)
übergegangen. Als Möbeltransporter belieferte er im
(westfranösischen) Département Maine-et-Loire die Pächter von
Geschäften. Aber sein Arbeitgeber hörte auf, ihn zu bezahlen,
und ebenso seinen Schwager Carl, der unter denselben Bedingungen
eingestellt worden war.
‘November ist im Dezember bezahlt worden, und Dezember ist
niemals bezahlt worden’, sagt er. ‘Der Arbeitgeber hatte kein
Geld mehr und hat von uns verlangt, dass wir von selbst
kündigen’, erzählt Mickaël. (ANM. B.S.: In diesem Falle verliert
der abhängig Beschäftigte i .d.R. seinen Anspruch auf
Arbeitslosengeld.) Da sie sich weigerten, haben beide am 13.
Februar einen Kündigungsbrief erhalten. ‘Keine Angabe von
Gründe, der Patron (Boss) sagte mir nur, dass er andere Dinge
als unsere Löhne zu bezahlen habe’, fügt er hinzu.
‘Ich
habe Freizeitausgleich für meine Überstunden verlangt’
Brice,
Kältetechniker, 23, ist durch einen Kleinbetrieb im Département
Cantal (Anm.: in der Auvergne) per CNE eingestellt worden, im
August (2005). ‘Der Patron/Boss benötigte vor allem, dass ich
ihm ein paar Wochen lang aushelfe’, erzählt der junge Mann, der
sich an die -zig Kilometer erinnert, die er jeden Tag abfuhr.
‘Am Anfang achtet man nicht darauf’, erklärt er. ‘Als ich mich
zu beuruhigen anfing, hat er mir gesagt, dass ich an einem
ruhigeren Moment einen Freizeitausgleich für meine 84
geleisteten Überstunden nehmen könne.’
Als
Brice den Freizeitausgleich verlangt, schlägt sein Patron ihm
vor, eine Woche Freizeitausgleich zu nehmen, also 35
Arbeitsstunden. ‘Und als ich nach den übrigen Stunden gefragt
habe, hat er mir einen Einschreibebrief geschickt, in dem er mir
sagte, dass er das Vertragsverhältnis beendige’, fügt Brice
hinzu, der entshlossen ist, vor das Arbeitsgericht zu ziehen.
‘Ich habe einen
Elternschaftsurlaub genommen’
In
Nizza (Département Meeralpen) hat Patrick es geschafft, auf
gütlicher Basis mit seinem Arbeitgeber zu verhandeln. Dieser
29jährige Verkäufer, der sich auf Kleidung spezialisiert hat,
hat in einem Geschäft für Prêt-à-Porter der Luxusklasse mit
einem befristeten Vertrag (CDD) von drei Monaten begonnen. Am
01. Februar schlägt sein Patron ihm den Abschluss eines CNE vor.
Als (frisch gebackener) Vater eines Töchterns namens Paloma
verlangt/erbittet (Anm.: auf französisch heibt beides ‘demande’,
da der Ton die Musik macht...) Patrick einen, vom Gesetz
vorgesehenen, 14tägigen Vaterschaftsurlaub. ‘Mein Patron hat mir
gesagt, ich solle ihn im Februar nehmen, weil in dieser Periode
nicht viel los ist, das hätte für ihn gepasst’, erzählt Patrick.
Das Urlaubsdatum wird auf den 11. Februar festgelegt. Am 22.
erhält der Beschäftigte einen Einschreibebrief, der den Vertrag
beendigt. ‘Er bezahlte mir die Kündigungsfrist’, sagt Patrick.
Keine Erklärung, auber dem ‘Hinweis’, dass Patrick ‘zu teuer’
war.
‘Der
Patron behandelte uns als Faulenzer’
Vanessa, 21, ist als Verkäuferin in einem Dekorationsgeschäft in
Douarnenez (Bretagne) angestellt worden. «Wir haben zahlreiche
Arbeitsstunden abgeleistet, 220 statt (vorgesehenen) 130»
erinnert sich die junge Frau. ‘Der Patron bezeichnete uns als
inkompetent, als Faulenzer, es war wirklich Mobbing.’ Vanessa
ist am 05. Januar ohne Begründung entlassen worden. Manche ihrer
Kolleginnen hatten bereits von sich aus gekündigt.
‘Der Leiter der
Konditorei sagte <schmutziger Araber> zu mir’
Nach
einem dreimonatigen befristeten Vertrag (CDD) wurde Rafik Anfang
Oktober der Abschluss eines CNE angeboten. ‘Mein Leiter der
Konditoreiabteilung mochte die Leute maghrebinischer Herkunft
nicht, er beschimpfte mich als <dreckigen Araber>’, erklärt er.
Das Verhältnis verschlechterte sich derart, dass der Patron
(Eigentümer der Bäckerei) den 25jährigen jungen Mann im März
vorlud, um ihn seine Entlassung anzukündigen. Rafik erklärt ihm
den Rassismus, dessen Opfer er geworden ist. ‘Ich ziehe es vor,
Dich zu entlassen. Der Andere (Anm.: der Oberkonditor, sein
Vorgesetzter) mit seinen 5 Dienstjahren würde mich (Anm.: im
Kündigungsfall) zu teuer kommen» habe ihm sein Arbeitgeber
erklärt. »
(Ende
des Beitrags aus ‘Le Monde’)
Das
Justizministerium erteilt Anweisung an die Justizbehörden zum
(politisch richtigen) Umgang mit Arbeitsgerichtsprozessen
Vor
dem beschriebenen Hintergrund liegt es nahe, dass es in naher
Zukunft zu einer gröberen Zahl von Arbeitsgerichtsprozessen vor
den ‘Conseils de prud’hommes’ kommen wird. Aber nur, wenn das
Vorliegen grundsätzlicher rechtswidriger Kündigungsgründe
(rassistische Diskriminierung etwa, oder das bewusste Umgehen
bestehender arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften etwa zu
Überstunden durch den Arbeitgeber) zumindest als «begründeter
Verdacht» durch den entlassenen Lohnabhängigen nachgewiesen
werden kann, hat er Aussicht auf Erfolg. Dies wird dadurch
verkompliziert, dass der Arbeitgeber in anderen Fällen – wo eine
schriftliche Begründung der Kündigung erforderlich ist – an die
von ihm im Kündigungsbrief genannten Motive gebunden ist. Das
bedeutet, dass er für den Fall, dass die anfänglich genannten
Kündigungsgründe sich als nicht rechtswirksam, nicht
tragfähig oder nicht haltbar erweisen, keinerlei anders
gearteten Gründe mehr im Prozess nachschieben kann. Anders steht
es in den Fällen, wo Kündigungen ohne anfängliche Begründung
ausgesprochen werden können: Dort kann der Arbeitgeber, falls es
denn zum Prozess kommt, sich vor dem und während des Prozesses
ausführlich mit seinem Anwalt/seiner Anwältin beraten und
erzählen, was je nach Prozessverlauf opportun erscheint. Da der
entlassene Ex-Beschäftigte als Partei, auf deren Verlangen der
Prozess eröffnet wurde, zuerst sprechen muss, können der
Arbeitgeber und sein Rechtsbeistand so die Argumente der
Gegenseite abwarten, bevor sie sich zur Sache äubern.
Unmittelbar in den Ablauf der Arbeitsgerichtsprozesse
einzugreifen versucht hat nun der amtierende Justizminister,
Pascal Clément. (Ein Mann vom rechten Flügel der Konservativen;
historischer Befürworter der Todesstrafe, die er anlässlich
ihrer Abschaffung 1981 im Parlament als Wortführer ihrer
Anhänger verteidigte.)
Unter
der Überschrift «Die Staatsanwaltschaften sind aufgefordert,
gemeinsame Sache mit den Patrons zu machen» berichtet darüber
die Tageszeitung ‘Libération’ in ihrer Ausgabe vom Montag (27.
März). Und sie zitiert ein ministerielles Rundschreiben vom 08.
März, das vom Pariser Justizministerium aus an die
Oberstaatsanwälte im Lande geschickt wurde. Auf drei Seiten wird
darin eine politische Linie für den Umgang mit Entlassungen im
Rahmen des CNE vorgegeben.
Es ist
bereits nahezu einmalig, dass das Justizministerium überhaupt
unmittelbare Vorgaben an die Staatsanwälte für den Ablauf von
Arbeitsgerichtsprozessen heraus gibt. Aber der Inhalt hat es
erst recht in sich.
Zunächst wird lapidar daran erinnert, dass ein Rechtsmissbrauch
(‘abus de droit’, d.h. ein rechtswidriger Gebrauch des Rechts
auf jederzeitigen Abbruch des Arbeitsverhältnisses, das dem
Arbeitgeber grundsätzlich zuerkannt wird)
vorliege, falls die Aufkündigung eines CNE «in Verkennung der
Bestimmungen erfolgt, die diskriminatorische Mabnahmen
verbieten». Dazu folgt aber nichts Weiteres mehr, obwohl das
französische Arbeitsgesetzbuch (im Artikel L. 122-45)
detaillierte Bestimmungen zu 15 Formen rechtswidriger
Diskriminierung enthält, zu denen man nähere Details oder
Auslegungsregeln hätte in dem Rundschreiben darlegen können.
Hinterher schreibt der Verfasser des ministeriellen
Rundschreibens (Pascal Guillaume, Direktor für zivilrechtliche
Angelegenheit im Justizministerium) ausdrücklich, dass der
Arbeitsrichter «allein dazu angehalten ist, zu untersuchen, dass
die Kündigung nicht einen Rechtsmissbrauch (vgl. oben) darstellt
oder nicht auf einem diskriminatorischen Grund beruht.» Die
Betonung liegt wohl auf «allein». Denn man liest ebenfalls, dass
der Arbeitsrichter «nicht damit beauftragt ist,
festzustellen/einzuschätzen, ob die im Verlauf der ersten beiden
Jahre (des CNE) erfolgte Kündigung auf einem
rechtswirksamen/zulässigen Grund beruht.» (Denn es geht ja
schlieblich bei der Schaffung des CNE/CPE darum, genau diese
Erfordernis auszuhebeln !)
Ferner
heibt es, dass es die Aufgabe der Staatsanwälte und
Staatsanwältinnen sei, «im Prozess sich zu Wort zu
melden/einzugreifen (Anm.: ‘intervenir’ hat im Französischen
beide Sinnbedeutungen), um den genauen Inhalt der
Regierungsverordnung vom 02. August 2005 in Erinnerung zu
rufen». Dies bedeutet nichts anderes, als dass im
Arbeitsgerichtsprozess darüber zu wachen ist, dass dem Willen
der Regierung zum Abbau des Kündigungsschutzs- der sich in der
Notverordnung vom 02. August 05 ausdrückt – Rechnung getragen
wird, und dass nicht etwa die Rechtsprechung zusätzliche
Schutzgarantien einbaut.
Die
Rolle der Oberstaatsanwälte wiederum sei es, so heibt es in
derselben Passage, «darauf zu achten, dass die
Staatsanwaltschaft Berufung (Anm.: vor einer Cour d’appel, also
dem Revisionsgericht in zweiter Instanz) einlegt, nachdem die
Entscheidungs der Arbeitsgerichte analysiert worden sind.» Das
kann im konkret gegebenen Kontext nur bedeuten, dass die
Staatsanwaltschaft systematisch in Berufung gehen und damit den
Prozess verlängern und verteuern soll, falls die Entscheidung
nicht arbeitgeberfreundlich genug ausfällt. Aufgehängt wird
diese vermeintliche Erfordernis daran, dass genau darauf zu
achten sei, dass die Bestimmungen der Verordnung vom 02. August
präzise angewandt und eingehalten werden. Sobald also ein Komma
nicht übereinstimmt, könnte dies Anlass zur Revision von Staats
wegen liefern...
Editorische Anmerkungen
Den Artikel
erhielten wir am 1.4.2006 vom Autor.
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