Den Sozialfall unter Kontrolle halten
Eine Buchbesprechung

von
Peter Nowak
04/06

trend
onlinezeitung

FALZ (Hg.): Arbeitsdienst - wieder salonfähig! Autoritärer Staat,
Arbeitszwang und Widerstand. Berlin 2005, 136 Seiten, 9 Euro,
ISBN:3-936065-57-8

„Meister, gib uns die Papiere,
Meister, gibt uns unser Geld,
denn das Stempeln ist uns lieber,
als das Schuften auf der Welt“

So lautete ein beliebter Gassenhauer, der Ende der 20er Jahre vor Stempelstellen gesungen wurde. Wieder ausgegraben hat ihn der Erwerbslosenaktivist Harald Rein, der einen interessanten Beitrag über den Widerstand von Erwerbslosen im historischen Kontext geleistet hat.

Nachzulesen ist es in einem kleinen Büchlein, dass vom Frankfurter Arbeitslosenzentrum (FALZ) herausgegeben wurde und mehr Beachtung verdient. Schon wegen Reins Überblick über die Geschichte der Erwerbslosenproteste, die auch in der linken Historienschreibung immer noch gerne unter die Rubrik Geschichte der Arbeiterbewegung subsumiert werden. Dabei war das Verhältnis nie reibungslos, wie Rein an zahlreichen Beispielen zeigt. So verschafften sich Erwerbslose nach 1918 Gehör, in dem sie Arbeitslosenräte gründeten, schon mal beim Betriebsrätekongress intervenierten und auch Fabriken besetzten, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Während der Weltwirtschaftskrise am Ende der Weimarer Republik ging es mehr um das nackte Überleben. Zwangsräumungen von Erwerbslosen, die ihre Miete nicht mehr zahlen konnten, wurden verhindert. Zur Sicherstellung der Ernährung wurde Brachland zu Ackerland umgewandelt. In Zeiten von Hartz IV heißen solche Aktionsformen Gardening und „Keine Zwangsräumung wegen Hartz“.

Die Aktualität ist gewünscht. Denn die Autorinnen und Autoren sind alle in der aktuellen Erwerbslosenbewegung aktiv und verstehen ihr Büchlein als Denkanstoss für die aktuelle Bewegung. Dabei macht Anne Allex deutlich, dass Erwerbslosenproteste heute noch immer vor ähnlichen Schwierigkeiten stehen, wie in der Weimarer Zeit. „Es geht hauptsächlich darum,...die wichtigsten Lebensinteressen Essen, Wohnen, Kleiden, zu befriedigen“. Allex  hält es für wichtig lokale Zentren zu schaffen, wo sich die Betroffenen Rat und Unterstützung holen können. Denn im Gegensatz zu den 20 und 30 er Jahren, ist ein solidarisches Milieu vor den Stempelstellen und in den Stadtteilen im Zeitalter von Ich-AGs und individueller Fallmanager nicht mehr so ohne weiteres vorhanden.

Anderseits gibt es bei den staatlichen Maßnahmen erschreckende Parallelen, die in dem Buch herausgearbeitet werden. Es sind die verschiedenen Methoden, mit denen Erwerbslose zur Annahme von Arbeiten mit geringsten Lohn gezwungen werden sollen. So weist Martin Bongards darauf hin, dass in Wirtschaftskreisen schon offen über die Ausdehnung von Zivildienst auf Erwerbslose nachgedacht wird. So schlägt der Nürnberger Wirtschaftsprofessor Herman Scherl vor: „Die Verteilung der zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehenden Hilfeempfänger auf einzelne Arbeitsgelegenheiten könnte durch besondere lokale Agenturen erfolgen, die neben den bisherigen Zivildienstplätzen noch über weitere Arbeitsgelegenheiten verfügen sollen.“

Was Betroffene, die sich diesen Zumutungen verweigern, droht zeigt Babara Nohr an Hand von Justizentscheidungen. Die Gelder können bis auf ein Minimum gekürzt werden. Nur verhungern soll niemand müssen. „Den Sozialfall unter Kontrolle halten“, heißt es im Amtsdeutsch. Vielleicht kann das gut lesbare Büchlein einige Handreichungen liefern, wie sich Betroffene den Kontrollen entziehen oder diese doch wenigstens lockern können.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor am 3.4.2006