Newroz in Sirnak  

Eine Bericht von N.N.
04/07

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Die Grundsituation

Sirnak ist eine Stadt von 50 000 Einwohnern in der Nähe der Berge Cudi und Gabar an der türkisch- syrisch- irakischen- Grenze. Momentan finden in der Provinz Sirnak die massivsten Konzentrationen von türkischem Militär seit Jahren statt. İn den umliegenden Bergen führt das Militaer bereits Opereationen gegen die Volksverteidigungskraefte HPG durch. Auf dem Weg von Cizre nach Sirnak begegneten uns Konvois mit ca. 50 Mercedes Unimog, mıt Maschinengewehren auf dem Dach, die Soldaten transportierten. Vertragsgemaess dürfen Deutsche Waffen nicht in den kurdischen Provinzen der Türkei eingesetzt werden. Auf der ca. 40 km langen Strecke befanden sich zahlreiche Kontrollpunkte. İn der Provinzhauptstadt der gleichnamigen Provinz Sirnak ist die kurdische Bewegung sehr stark durch zivilgesellschaftliche Organısationen und die Demokratik Toplum Partisi (DTP) vertreten. Die Bevölkerung ist täglich sehr starken Repressıonen bis hin zu sogenannten Morden unbekannter Taeter ausgesetzt. Einen Tag vor Newroz wurde z.B. ein Mensch in der naehe der Stadt Uludere (ca. 30 km von Sirnak entfernt) von ‚unbekannten Taetern’ – hoechstwahrscheinlich Dorfschützern angeschossen. Den Bewohnerİnnen der Stadt wird darüber hinaus verunmöglicht sich mehr als drei Kilometer außerhalb der Stadt aufzuhalten. Dadurch werden eine landwirtschaftliche Nutzung der vorhandenen Weideflaechen sowie Viehzucht nahezu verhindert. İmmer wieder werden Mitglieder der DTP und von zivilgellschaftlichen Organisationen aufgrund konstruierter Vorwürfe verhaftet und psychısch und koerperlich gefoltert. In der Naehe der Stadt befindet sich ein Folterzentrum, dass auch unterirdische Zellen hat. Die international regulierten und von der Türkei ratifizierten Schutzrechte der Bevölkerung sind hier zu grossen Teilen ausgehebelt. Selbst die drei Stadtparlamentsabgeordneten Frauen der DTP, können nach Sitzungen des Stadtrates oft nicht ohne Bedrohung nach Hause gehen. Die Atmosphaere in der Stadt ist entsprechend der Gesamtsituation und einer eventuell bevorstehenden grossen Militaeroperation sehr angespannt.

Newrozfeier

Das Frühjahrs und Freiheitsfest Newroz in Sirnak war ein sehr kraftvolles und eindrucksvolles Fest an dem ca. 20 000 Menschen teilnahmen. Auf Fahnen und Transparenten brachte die Bevölkerung ıhre Unterstützung der DTP und der Demokratischen freien Frauenbewegung (DÖHK) zum Ausdruck. Auf Spruchtafeln protestierten die TeilnehmerInnen gegen Militäroperationen und Krieg, sowie für die Emanzipation der Frau (Frau, Leben, Freiheit). Das Hauptmotto auf dem Banner auf der Bühne lautete: „Demokratie oder gar nichts“. In den Beiträgen thematisierten RednerInnen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, der DTP, DÖHK, den Friedensmüttern - und Weiteren - den Wunsch der kurdischen Bevölkerung nach Frieden, Demokratie, der Einhaltung der Menschenrechte und die Befreiung der Frau, sowie die Situation A. Öcalans, von dem eine Grussadresse verlesen wurde. Diesbezüglıch wird die Aufklaerung der Vergiftungserscheinungen des Politikers gefordert. Leyla Zana deklarierte beim Newrozfest in Diyabakir, dass es drei kurdische Führungsdpersönlichkeiten gıbt: Baarsanı, Talabani und A. Öcalan. Mehrere Bands spielten traditionelle Musik, Jazz und Rock. Bei den Liedern über Hoffnung, Leid, Trauer, dıe traumatischen Erfahrungen der Vergangenheit und Widerstand erzeugten die MusikerInnen und FestivalbesucherInnen eine sehr intensive und kraftvolle Athmosphäre.

Rahmenbedingungen des Newrozfestes:

Der ursprünglich von den Anmeldenden vorgesehene Festplatz wurde nicht genehmigt. Der mitten in der Stadt gelegene, genehmigte zentrale Platz war unserer Einschätzung nach zu klein um einen problemlosen Ablauf der Feierlichkeiten zu gewährleisten. Zusätzlich dazu war der Platz umringt von Häusern auf deren Dächern Polizisten, Spezialeinheiten und Militär postiert waren. Auf einem Dach saßen Militärs die Phasenweise mit Gewehren auf die Bühne anlegten. Es gab drei Eingangsmöglichkeiten, die von Polizei an Absperrgittern kontrolliert wurden. An einem fuchtelte permanent ein Mann in Zivilbekleidung (vermutlich ein Dorfschützer oder ein Polizist in zivil) mit einem Maschinengewehr herum und legte dabei zum Teil auch auf die feiernden Menschen an. An einem weiteren Eingang wurden insgesamt vier Menschen festgenommen da sie Grün Gelb Rote Tücher oder nicht erlaubte Fotos bei sich hatten (eine Frau, drei Männer). Auf Druck der DTP, sowie Nachfragen unserer Delegation wurden sie nach einigen Stunden wieder freigelassen. In ca. ein bis drei Monaten sollen sie sich vor Gericht verantworten. Vor dem Eingang an dem Festnahmen durchgeführt wurden, waren mehrere Panzerfahrzeuge und Sondereinheiten von Polizei, Jandarma und Militär in Kampfuniformen postiert.

Auf dem Festplatz konnten wir ein massives Aufgebot von Zivilpolizisten erkennen. Besonders perfide ist die Praxis der Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Polizei und Spezialeinheiten, die uns staendig folgten guckten was wir filmten, fotografierten und sprachen. Zwischenzeitlich gingen sie immer wieder zu den „Sicherheitskräften“ und erstatteten Bericht. Die Jungen wirkten sehr gebrochen und reagierten auf unsere freundliche, direkte Ansprache verunsichert, setzten ihre Beobachtungen jedoch nach Rücksprache mit den Sicherheitskraeften fort. Einer der Jungen schlug zwischenzeitlich einen kleinen Jungen, den er zuvor gefragt hatte ob er kurdisch spreche. Eine aehnliche Praxis wird in den Schulen von nationalistischen Lehrern von ‚ausgewaelten’ Schülern verlangt. Die sichtbar gebrochenen Erscheinungen der Jungen sind deutliche Anzeichen der Assimilationspolitik des türkischen Staates gegenüber der kurdischen Bevölkerung. Eine derartige Instrumentalisierung von Kindern stellt eine mit den Menschenrechten nicht vereinbare Praxis dar und ist unserer Meinung nach ein klares Anzeichen von Barbarei.

Der Forderung nach einer demokratischen und friedlichen Zukunft der Region begegnen die verantwortlichen türkischen Politiker mit einer unreflkektierten und instrumentellen ‚Terrorzuweisung’ an die kurdische Bewegung jenseits der Anerkennung der historischen Begebenheiten und etwaiger Lösungsmöglichkeiten. Weiterhın dominiert das Militaer die staatliche Politik. Trotz derartigem Vorgehen und den unwürdigen Repressionen laesst sich die Bevölkerung Sirnaks nicht einschüchtern und vom Feiern und Leben abhalten.
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir YEK-KOM und BIRATI e.V,  An der Weide 27, 28197 Bremen