Die Grundsituation
Sirnak ist eine Stadt von 50 000 Einwohnern in der Nähe der
Berge Cudi und Gabar an der türkisch- syrisch- irakischen-
Grenze. Momentan finden in der Provinz Sirnak die massivsten
Konzentrationen von türkischem Militär seit Jahren statt. İn
den umliegenden Bergen führt das Militaer bereits Opereationen
gegen die Volksverteidigungskraefte HPG durch. Auf dem Weg von
Cizre nach Sirnak begegneten uns Konvois mit ca. 50 Mercedes
Unimog, mıt Maschinengewehren auf dem Dach, die Soldaten
transportierten. Vertragsgemaess dürfen Deutsche Waffen nicht
in den kurdischen Provinzen der Türkei eingesetzt werden. Auf
der ca. 40 km langen Strecke befanden sich zahlreiche
Kontrollpunkte. İn der Provinzhauptstadt der gleichnamigen
Provinz Sirnak ist die kurdische Bewegung sehr stark durch
zivilgesellschaftliche Organısationen und die Demokratik
Toplum Partisi (DTP) vertreten. Die Bevölkerung ist täglich
sehr starken Repressıonen bis hin zu sogenannten Morden
unbekannter Taeter ausgesetzt. Einen Tag vor Newroz wurde z.B.
ein Mensch in der naehe der Stadt Uludere (ca. 30 km von
Sirnak entfernt) von ‚unbekannten Taetern’ –
hoechstwahrscheinlich Dorfschützern angeschossen. Den
Bewohnerİnnen der Stadt wird darüber hinaus verunmöglicht sich
mehr als drei Kilometer außerhalb der Stadt aufzuhalten.
Dadurch werden eine landwirtschaftliche Nutzung der
vorhandenen Weideflaechen sowie Viehzucht nahezu verhindert.
İmmer wieder werden Mitglieder der DTP und von
zivilgellschaftlichen Organisationen aufgrund konstruierter
Vorwürfe verhaftet und psychısch und koerperlich gefoltert. In
der Naehe der Stadt befindet sich ein Folterzentrum, dass auch
unterirdische Zellen hat. Die international regulierten und
von der Türkei ratifizierten Schutzrechte der Bevölkerung sind
hier zu grossen Teilen ausgehebelt. Selbst die drei
Stadtparlamentsabgeordneten Frauen der DTP, können nach
Sitzungen des Stadtrates oft nicht ohne Bedrohung nach Hause
gehen. Die Atmosphaere in der Stadt ist entsprechend der
Gesamtsituation und einer eventuell bevorstehenden grossen
Militaeroperation sehr angespannt.
Newrozfeier
Das Frühjahrs und Freiheitsfest Newroz in Sirnak war ein sehr
kraftvolles und eindrucksvolles Fest an dem ca. 20 000
Menschen teilnahmen. Auf Fahnen und Transparenten brachte die
Bevölkerung ıhre Unterstützung der DTP und der Demokratischen
freien Frauenbewegung (DÖHK) zum Ausdruck. Auf Spruchtafeln
protestierten die TeilnehmerInnen gegen Militäroperationen und
Krieg, sowie für die Emanzipation der Frau (Frau, Leben,
Freiheit). Das Hauptmotto auf dem Banner auf der Bühne
lautete: „Demokratie oder gar nichts“. In den Beiträgen
thematisierten RednerInnen von zivilgesellschaftlichen
Organisationen, der DTP, DÖHK, den Friedensmüttern - und
Weiteren - den Wunsch der kurdischen Bevölkerung nach Frieden,
Demokratie, der Einhaltung der Menschenrechte und die
Befreiung der Frau, sowie die Situation A. Öcalans, von dem
eine Grussadresse verlesen wurde. Diesbezüglıch wird die
Aufklaerung der Vergiftungserscheinungen des Politikers
gefordert. Leyla Zana deklarierte beim Newrozfest in Diyabakir,
dass es drei kurdische Führungsdpersönlichkeiten gıbt:
Baarsanı, Talabani und A. Öcalan. Mehrere Bands spielten
traditionelle Musik, Jazz und Rock. Bei den Liedern über
Hoffnung, Leid, Trauer, dıe traumatischen Erfahrungen der
Vergangenheit und Widerstand erzeugten die MusikerInnen und
FestivalbesucherInnen eine sehr intensive und kraftvolle
Athmosphäre.
Rahmenbedingungen des Newrozfestes:
Der ursprünglich von den Anmeldenden vorgesehene Festplatz
wurde nicht genehmigt. Der mitten in der Stadt gelegene,
genehmigte zentrale Platz war unserer Einschätzung nach zu
klein um einen problemlosen Ablauf der Feierlichkeiten zu
gewährleisten. Zusätzlich dazu war der Platz umringt von
Häusern auf deren Dächern Polizisten, Spezialeinheiten und
Militär postiert waren. Auf einem Dach saßen Militärs die
Phasenweise mit Gewehren auf die Bühne anlegten. Es gab drei
Eingangsmöglichkeiten, die von Polizei an Absperrgittern
kontrolliert wurden. An einem fuchtelte permanent ein Mann in
Zivilbekleidung (vermutlich ein Dorfschützer oder ein Polizist
in zivil) mit einem Maschinengewehr herum und legte dabei zum
Teil auch auf die feiernden Menschen an. An einem weiteren
Eingang wurden insgesamt vier Menschen festgenommen da sie
Grün Gelb Rote Tücher oder nicht erlaubte Fotos bei sich
hatten (eine Frau, drei Männer). Auf Druck der DTP, sowie
Nachfragen unserer Delegation wurden sie nach einigen Stunden
wieder freigelassen. In ca. ein bis drei Monaten sollen sie
sich vor Gericht verantworten. Vor dem Eingang an dem
Festnahmen durchgeführt wurden, waren mehrere Panzerfahrzeuge
und Sondereinheiten von Polizei, Jandarma und Militär in
Kampfuniformen postiert.
Auf dem Festplatz konnten wir ein massives Aufgebot von
Zivilpolizisten erkennen. Besonders perfide ist die Praxis der
Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen durch
Polizei und Spezialeinheiten, die uns staendig folgten guckten
was wir filmten, fotografierten und sprachen. Zwischenzeitlich
gingen sie immer wieder zu den „Sicherheitskräften“ und
erstatteten Bericht. Die Jungen wirkten sehr gebrochen und
reagierten auf unsere freundliche, direkte Ansprache
verunsichert, setzten ihre Beobachtungen jedoch nach
Rücksprache mit den Sicherheitskraeften fort. Einer der Jungen
schlug zwischenzeitlich einen kleinen Jungen, den er zuvor
gefragt hatte ob er kurdisch spreche. Eine aehnliche Praxis
wird in den Schulen von nationalistischen Lehrern von ‚ausgewaelten’
Schülern verlangt. Die sichtbar gebrochenen Erscheinungen der
Jungen sind deutliche Anzeichen der Assimilationspolitik des
türkischen Staates gegenüber der kurdischen Bevölkerung. Eine
derartige Instrumentalisierung von Kindern stellt eine mit den
Menschenrechten nicht vereinbare Praxis dar und ist unserer
Meinung nach ein klares Anzeichen von Barbarei.
Der Forderung nach einer demokratischen und friedlichen
Zukunft der Region begegnen die verantwortlichen türkischen
Politiker mit einer unreflkektierten und instrumentellen
‚Terrorzuweisung’ an die kurdische Bewegung jenseits der
Anerkennung der historischen Begebenheiten und etwaiger
Lösungsmöglichkeiten. Weiterhın dominiert das Militaer die
staatliche Politik. Trotz derartigem Vorgehen und den
unwürdigen Repressionen laesst sich die Bevölkerung Sirnaks
nicht einschüchtern und vom Feiern und Leben abhalten.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel
erhielten wir
YEK-KOM und BIRATI e.V, An der Weide 27, 28197 Bremen