Antisemitismus / Rechte Gewalt
Tierrechts-Schläger auf den Spuren des "Stürmer"

von redok

04/07

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Als "Tierschützer" haben Rechtsextremisten am vergangenen Sonntag vor einem Kleinzirkus in Laupheim (Baden-Württemberg) Flugblätter verteilt und Angehörige des Zirkus tätlich angegriffen. Die Kombination aus Rechtsextremismus und gewalttätigem Tierschutz sei ein neues Phänomen, sagt das Stuttgarter Landeskriminalamt. Dabei gehörte der "Tierschutz" durchaus zur schlimmsten antisemitischen Hetzpropaganda, die das "Dritte Reich" zu bieten hatte.

Die "Tierschützer" hatten sich in einem Trupp von sechs Männern vor dem Zirkus postiert. Ihre Flugblätter "Zirkus - Amüsement auf Kosten der Tiere" sahen wie übliche Tierrechts-Rhetorik aus.

Als jedoch der Zirkuschef ein Flugblatt von den Aktivisten haben wollte, wurden die Tierfreunde rabiat: Es kam zu einer Schlägerei, die Polizei ermittelt wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung gegen die "sechs Personen, die offensichtlich Streit gesucht haben" .

Bei dem Sextett handelte es sich um "polizeibekannte Aktivisten aus der rechtsextremen Szene", erfuhr die Schwäbische Zeitung auf Nachfrage von den Ordnungshütern. Tatsächlich kamen die Anti-Zirkus-Aktivisten von den "Nationalen Sozialisten - AG Tierrecht", die laut ihrer Webseite "Stimme und Fäuste gegen die grausame Ausbeutung der Tierwelt" erheben wollen. Dem Landeskriminalamt waren solche Verbindungen bisher unbekannt: "Das Phänomen ist neu", zitiert die Zeitung einen LKA-Sprecher.

Dabei wird der Tierschutz schon geraume Zeit von Rechtsaußen bemüht, wenn man damit gegen Minderheiten hetzen kann - insbesondere gegen Juden und Zigeuner. Umweltthemen sind bei der extremen Rechten ein durchaus beliebtes Vehikel.

Für die national-ökologische Strategie der NPD und parteiloser Kameraden lautet die Formel schlicht "Umweltschutz = Heimatschutz". Waren es bisher vor allem die umweltpolitischen Agitationsfelder Atomkraft, Umwelt- und Artenschutz, so treten derzeit verstärkt globalisierungskritische und Tierschutz-Inhalte in den Vordergrund auch neonationalsozialistischer Agitation.

Dabei wird die Kritik an den Missständen mit "Blut-und-Boden-Ideologie" vermischt, und für die Propaganda gegen Castortransporte, Gen-Food und Gammelfleisch-Skandale werden rassistische und antisemitische Stereotype der NS-Zeit herangezogen. Wie in anderen Bereichen ist eine Radikalisierung der Aktivisten zu beobachten. Die in Laupheim gewalttätig gewordenen "Nationalen Sozialisten - AG Tierrecht" gewähren einen genaueren Blick auf neonationalsozialistische Tierschutz-Propaganda.
Schlachtmethode als rechtsextremes Thema

Wichtiges Thema rechtsextremer Tierschützer ist das "Schächten". Unter Schächten versteht man die rituelle Schlachtmethode des betäubungslosen Schlachtens, wie sie im Judentum und auch im Islam vorschriftsmäßig ausgeführt werden muss: Mit einem Halsschnitt werden Schlagadern, Luft- und Speiseröhre durchtrennt, was die rasche Bewusstlosigkeit des Schlachttieres und sein völliges Ausbluten gewährleistet, um dem Blutgenussverbot zu entsprechen.

In Europa wird das betäubungslose Schlachten in einigen Ländern als Ausnahme vom Betäubungsgebot der jeweiligen Tierschutzgesetze erlaubt. In Österreich hat der Verfassungsgerichtshof in einem Urteil von 1998 Schächten aus religiösen Gründen erlaubt. Auch seitens der Europäischen Union sind Ausnahmen von der Betäubungspflicht für rituelle Schlachtungen vorgesehen [1].

In der Bundesrepublik verbietet § 4 a Tierschutzgesetz das Schlachten warmblütiger Tiere ohne vorherige Betäubung - eine Ausnahmegenehmigung darf jedoch erteilt werden, wenn es "erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen". Im Januar 2002 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass muslimische Metzger ebenso wie jüdische eine Ausnahmegenehmigung für das Schächten erhalten können [2].
Stichwortgeber aus der Schweiz

Als Vorreiter und Stichwortgeber für Rechtsextremisten zum Thema "Schächten" kann der Schweizer Erwin Kessler angesehen werden. Der 63-jährige Präsident des sogenannten "Vereins gegen Tierfabriken (VgT)" war bereits 1998 unter anderem wegen Verstoßes gegen das Antirassismusgesetz zu einer Haftstrafe von fünf Monaten verurteilt worden war. Im September 2000 wurde Kessler vom Schweizer Bundesgericht zu eineinhalb Monaten Gefängnis - erneut wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm - verurteilt. Urteilsbegründend gewertet wurden Sätze wie: "Wenn Juden massenhaft Tiere durch Schächten umbringen, dann sind sie nicht besser als ihre früheren Nazi-Henker, dann zeigen sie den gleichen Überlegenheitswahn gegenüber anderen Lebewesen und fühlen sich in gleich verwerflicher Weise berechtigt, diese brutal umzubringen".

Das Zürcher Obergericht verurteilte Kessler im November 2004 noch einmal wegen mehrfacher Rassendiskriminierung. Kessler, der mit verschiedensten Einsprüchen reagiert hatte, setzte sich jedoch vor Antritt der erneuten Haftstrafe ins Ausland ab. Auf Kesslers Webseiten wird unter Verweis auf die bezüglich des Straftatbestandes der Volksverhetzung anderslautende Gesetzgebung in Ungarn erklärt: "Es gibt deshalb auch in Europa Orte, wo man vor der neuen, jüdisch gesteuerten Inquisition geschützt ist". Am Neujahrstag 2007 - an dem Tag, an dem die Verjährung eintrat - tauchte Kessler wieder auf.
NPD-Apfel gegen "nicht einflusslose Minderheit"

Auch in der Bundesrepublik ist das Thema "Schächten" Inhalt rechtsextremistischer Propaganda. So wird das BVerfG-Urteil zur Schächterlaubnis für einen muslimischen Metzger umfassend kommentiert. Der heutige stellvertretende NPD-Parteivorsitzende Holger Apfel befürchtete im NPD-Organ Deutsche Stimme (DS), nun drohten "eigener Kulturverlust, Wucherungen fremdkultureller Versatzstücke, [...] greifbare Zukunft zu werden". Des weiteren meint Apfel, diese Ausnahmeregelungen seien "bis dato einer kleinen, aber nicht unbedingt einflußlosen Minderheit in der Bundesrepublik vorbehalten" gewesen: "Juden, denen ihre Religion vorschreibt, daß sie nur 'koscheres' Fleisch essen sollen, durften betäubungslos schlachten."

Gleichzeitig ruft Apfel zu Aktionen auf:

Vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, daß Nationaldemokraten künftig vor Schächtbetrieben gegen das Schächten demonstrieren werden, um aufzuzeigen, daß die Deutschen Tiere als schützenswerte Mitgeschöpfe ansehen, deren Schicksal sie berührt. Natürlich auch, um ein Zeichen dafür zu setzen, daß die Masse der Deutschen nicht gewillt ist, das Opfern althergebrachter eigener Sitten und Bräuche auf dem Altar des Multikulturalismus ohne gut hörbaren Protest hinzunehmen.
(Deutsche Stimme, Februar 2002)

Anfang 2007 wird das Thema "Schächten" erneut in der DS aufgegriffen: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte in einem Grundsatzurteil entschieden, dass trotz der Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz Tiere aus religiösen Gründen auch ohne vorherige Betäubung getötet werden dürften. Das Tierschutzgesetz sehe Ausnahmen für Religionsgemeinschaften vor, wenn ihnen zwingende Glaubensvorschriften den Fleischgenuss von unter Betäubung geschächteten Tieren verbieten, so die Begründung des Gerichts.

Im DS-Artikel beklagt der Verfasser, es gelte nun, "was unserer Kultur und Tradition, Sittlichkeit und Volkscharakter frech widerstreitet", nicht ohne zu betonen, dass das geltende Tierschutzgesetz "im Kern von den 'Nazis'" stamme: "Das darin enthaltene strenge Verbot des Schächtens halten wir dem Gesetz unumwunden zugute [...]." Am 1. April 1933 war im Deutschen Reich die rituelle Schlachtung von Tieren verboten worden - mit dem Ziel, den jüdischen Teil der Bevölkerung in seinen religiösen Empfindungen und Gebräuchen zu verletzen, wie auch das BVerfG 2002 in seinem Urteil festhält.

Flankiert wird der DS-Artikel von einem Leserbrief in der aktuellen Ausgabe vom März 2007 des NPD-Organs, in der der Leserbriefschreiber mit Verweis auf die Herkunft des muslimischen Klägers betont: "Abgesehen davon hat sich wohl stets der Gast nach den Gepflogenheiten, Gesetzen und Bräuchen des Gastgebers zu richten und in einer Demokratie die Minderheit nach der Mehrheit". Und die NPD Brandenburg stellte unter Missachtung jeglicher Fakten die rhetorische Frage, ob es möglich sei, "die Dönerbuden zu kennzeichnen, in denen Fleisch von geschächteten Tieren verarbeitet und verkauft wird oder wäre das dann übelste Boykotthetze?"
"Tierrechtler" in der Tradition des Julius Streicher

Angesichts des historisch vorbelasteten Themas "Schächten" überrascht es nicht, dass beispielsweise der neonazistische Wikinger-Versand aus dem niederbayerischen Geiselhöring T-Shirts und Buttons mit dem Aufdruck "Schächten ist Tierquälerei" anbietet. Die auch antisemitische Stoßrichtung wird mit einem weiteren Angebot deutlich, einem Button, der die Aufschrift "100% unkoscher" trägt.

Noch deutlicher aber wird eben jene Gruppierung, die für den Überfall auf den Zirkus in Laupheim verantwortlich ist. Unter den Zielen der "Nationalen Sozialisten - AG Tierrecht" werde unter anderem das "Verbot des religiösen Schächtens" und ein "Importverbot für koscheres Fleisch" angegeben, Kontaktadresse sei ein Postfach in Baden-Württemberg, so die Schwäbische Zeitung. Die auf dem Flugblatt angegebene Internet-Adresse ließe keinen Zweifel am rechtsextremen Hintergrund der "Nationalen Sozialisten - AG Tierrecht". Die Webseite dieser Gruppierung ergebe den Anfangsverdacht auf verfassungsfeindliche Taten, das Amt werde Ermittlungen gegen die Betreiber einleiten. Allerdings werde es schwierig sein, die Homepage zu verbieten, weil sie nicht aus Deutschland stamme.

Tatsächlich macht die Webseite der "Nationalen Sozialisten - AG Tierrecht", die im Februar online ging, mit einer Grafik aus dem nationalsozialistischen Machwerk "Der Giftpilz" auf. Das "Kinderbuch" "Der Giftpilz: ein Stürmerbuch für Jung und Alt" wurde 1938 von Ernst Hiemer, der 1938 - 1941 Hauptschriftleiter im "Stürmer" war, herausgegeben. Die Abbildung zeigt eine Gruppe unansehnlicher und unsympathisch dargestellter Männer, die eine angstvoll blickende Kuh schlachten. Das entsprechende Kapitel heißt "Wie die Juden Tiere quälen", der zum Bild gehörige Text lautet: "Wieder stürzt das Tier zu Boden. Langsam stirbt es. Die Juden aber stehen herum und lachen dazu." [3]

Im Hetzblatt "Der Stürmer" zählten Berichte über angebliche "jüdische Ritualmorde" und das Schächten von Tieren zu den bevorzugten Themen. Die Titelseiten wurden mit Karikaturen von "Fips" (Philipp Rupprecht) gestaltet. Auch die Zeichnungen im "Giftpilz" stammen von Philipp Rupprecht. "Der Giftpilz" zählte zum Beweismaterial in den Nürnberger Prozessen gegen den "Stürmer"-Begründer Julius Streicher, der 1946 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt wurde.
"Fahrendes Volk" als Angriffsziel

Auffallend ist, dass der aktuelle Übergriff durch rechtsextreme "Tierrechtler" der "Nationalen Sozialisten - AG Tierrecht" in Laupheim nicht wie die beispielsweise von Holger Apfel propagierten Aktivitäten vor einer "Tier-" oder "Schächtfabrik" stattfand, sondern die Mitglieder eines Zirkus betraf. Erst im vergangenen August hatte in Triebel im sächsischen Vogtland eine Horde Jugendlicher einen Zirkus überfallen, dabei sollen rechtsradikale Parolen gerufen worden sein. Einem Bericht der Chemnitzer Morgenpost zufolge sei die 15-jährige Tochter des Zirkusbetreibers mit einem Messer bedroht, der 16-jährige Sohn mit Gewalt aus einem Jugendclub vertrieben worden. In der darauffolgenden Nacht wurden das Zirkuszelt sowie die Kulissen zerstört, es entstand ein Schaden von 13.000 Euro. Die Staatsanwaltschaft Zwickau habe nun gegen sechs Jugendliche Anklage vor dem Jugendschöffengericht Plauen erhoben. Anwohner hätten gehört, wie Jugendliche die Zirkus-Mitglieder als "Kanaken" und "Zigeunerschweine" beschimpft hätten, Hinweise "auf ein rechtsradikales Motiv der Taten" hätten sich aber nicht ergeben.

Die Berichterstattung über den Überfall in Triebel scheint jedoch rassistische und antiziganistische Vorurteile der Täter zu belegen. Dass diese auf Zirkus-Angehörige angewandt wurden, macht die Komplexität solcher Stereotype deutlich: Jemanden aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Zirkus als "Zigeuner" oder "Kanaken" zu bezeichnen, bedeutet, von einer Beschäftigung (Tätigkeit beim Zirkus) auf eine Lebensform ("Fahrende") zu schließen und von dieser eine Gruppen- oder ethnische Zugehörigkeit ("Kanaken" und "Zigeunerschweine") abzuleiten. Der Junior-Chef des Zirkus in Laupheim bringt es in der Schwäbischen Zeitung auf den Punkt: "Wir sind zwar keine Sinti und Roma, aber wir sind fahrendes Volk und mit unserer Familie reisen viele Nicht-Deutsche, die für uns arbeiten." Dass diesen "Fahrenden" kein sachgerechter Umgang mit Tieren zugebilligt wird, versteht sich spätestens seit der nationalsozialistischen Untermensch-Propaganda von selbst.

Der aktuelle Vorfall in Laupheim hat seinen Hintergrund in der bereits beschriebenen nationalsozialistischen Propaganda der "Nationalen Sozialisten - AG Tierrecht". Deutlich wird die Verknüpfung verschiedener - in diesen Fällen vor allem antisemitischer, antiziganistischer und rassistischer - Vorurteile, ebenso die zunehmende ideologische Radikalisierung solcher "Umweltaktivisten" durch die Heranziehung originärer NS-Quellen und -Zitate. Dass diese mit der zunehmenden Radikalisierung der Tat korrespondiert, ist nicht zuletzt auf die Hetze eines Erwin Kessler oder Holger Apfel zurückzuführen.

Anmerkungen:

[1] Richtlinie 93/119/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung.

[2] BVerfG, 1 BvR 1783/99 vom 15.1.2002, Absatz-Nr. (1 - 61)

[3] s. hierzu die Webseiten des "German Propaganda Archive"

Literaturhinweise:

Daniel Jütte: Tierschutz und Nationalsozialismus. Die Entstehung und die Auswirkungen des nationalsozialistischen Reichstierschutzgesetzes von 1933. PDF-Dokument auf den Webseiten des Instituts für Didaktik der Biologie, 2002

Der Nürnberger Prozeß. Das Protokoll des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof / 14. November 1945 - 1. Oktober 1946. Mit einer Einführung von Christian Zentner. Directmedia, Berlin 1999, Digitale Bibliothek Band 20

Editorische Anmerkungen

Den Artikel ist eine Spiegelung von REDOK .