Rettungsanker Gemeinwirtschaft
Peter Nowak über
Praktischer Sozialismus, Antwort auf die Krise der Gewerkschaften

04/08

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In der lebhaften Diskussion um das Jubiläum der 68er Bewegung wird Hans-Jürgen Krahl kaum erwähnt. Dabei war der 1970 bei einem Autounfall getötete Philosoph als einer der theoretischen Köpfe der 68er-Bewegung. Mit dem Hans-Jürgen-Krahl-Institut wollen alte und junge Linke das theoretische Gedankengut von Krahl für die Gegenwart und Zukunft nutzbar machen. Gleich mit ihrer ersten Schrift unter dem Titel Praktischer     Sozialismus Antwort auf die Krise der Gewerkschaften haben sie gezeigt, dass Krahls politischer Ansatz auch heute noch in der Linken als provokativ wahrgenommen wird. Zunächst sollte die knapp 40seitige Schrift als Beiheft der Zeitschrift Sozialismus erscheinen. Weil der  Redaktion der Text  zu sperrig war,  wurde  er jetzt im Pahl-Rugenstein-Verlag veröffentlicht.

Die Adressaten  sind erklärtermaßen Linke inner- und außerhalb von Parteien. für die gewerkschaftliche Arbeit und Politik im Zentrum nicht ideologischer Auseinandersetzungen, sondern Lösungsversuche realer politischer        Probleme steht. Die Autoren der Schrift greifen die Debatte über die Krise der Gewerkschaften auf, vermissen aber in der Auseinandersetzung eine theoretische Auseinandersetzung.  Mit der Schrift  leisten sie einen wichtigen Beitrag dazu. Für die Autoren ist die Einheit von Arbeitslosen und Lohnabhängigen und damit die vollständige Aufhebung der Konkurrenz unter den Proletarisierten,  die Grundlage für eine erfolgreiche Interessenvertretung. Doch gerade in diesem Punkt seien die Gewerkschaften gescheitert. Da die Gewerkschaften aber Zusammenschlüsse von Proletarisierten über die gemeinsame Eigenschaft, Arbeitskräfteverkäufer zu sein, sind, .... ist eine andere Zielvorstellung als die Vollbeschäftigung ausgeschlossen. Den Autoren könnte man vorwerfen, die Versuche einer Annäherung zwischen Erwerblosen und Gewerkschaftsmitgliedern  zuwenig zu berücksichtigen. Doch im Grundsatz haben sie auch heute noch Recht. Immer wieder beklagen Erwerbslosenaktivisten die mangelnde Unterstützung durch  die Gewerkschaften.

Die Autoren sehen in dem Ausstieg der Gewerkschaften aus der Gemeinwirtschaft einen der größten Fehler in der Gewerkschaftsgeschichte.  Ihrer Meinung nach  könnte gerade der Ausbau des gemeinwirtschaftlichen  und genossenschaftlichen Sektors ein Rettungsanker für die Gewerkschaften werden. Gemeinwirtschaftliche Betriebe  würden anders als kapitalistische Unternehmen keinen Zwang zur Rentabilität unterliegen und könnte daher Arbeitskräfte anstellen, die aus der Sicht der Wirtschaft nicht mehr profitabel sind. Das hätte für die Autoren Auswirkungen auf künftige Arbeitskämpfe. Beschäftigte bräuchten aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes nicht mehr jede Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen akzeptieren, wenn es für sie im gemeinwirtschaftlichen Sektor eine Alternative gäbe.  Eine sicher umstrittene These, die hier zu Diskussion gestellt wird.  Ist denn in der Praxis der gemeinwirtschaftliche Sektor von kapitalistischen Verwertungszwängen wirklich unabhängiger, wie es die Autoren der Broschüre nahe legen? Zeigt nicht die Krise der gemeinschaftlichen Betriebe, die eng mit Verfilzung und Korruption in Verbindung gebracht wurden, dass diese Autonomie von kapitalistischen Zwängen real gar nicht vorhanden ist? Ist nicht der Vorschlag letztlich ein weiterer Versuch, mit  dem Anspruch  einen praktischen Sozialismus umzusetzen, innerhalb der kapitalistischen Logik zu bleiben? Das sind einige kritische Fragen, die ich an die Herausgeber stellen   würde.  Es ist nur zu hoffen, dass das Angebot zur Debatte in und außerhalb der Gewerkschaften aufgegriffen wird. 


Praktischer Sozialismus.

Antwort auf die Krise der Gewerkschaften

Hrsg. Hans-Jürgen-Krahl-Institut e.V., Pahl-Rugenstein Verlag ISBN 978-3-89144-398-9, broschiert, 44 Seiten, 4,90 Euro, Bonn 2008. Die Broschüre ist auch für 5 Euro inklusive Porto (für Deutschland) beim HJKI zu bestellen.