Betrieb & Gewerkschaft

Führungswechsel bei ‚Le Monde’ wird fortgeführt
100 Beschäftigte fliegen raus, Wirtschaftskonzerne treten ein

von Bernard Schmid

04/08

trend
onlinezeitung

Beinahe müsste die Pariser Abendzeitung Le Monde dem jetzigen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy dankbar sein: Wie die liberale Zeitung Mitte März dieses Jahres berichtete, stieg die Auflage aller größeren französischen Printmedien – auch die eigene – im Vorjahr 2007, nach Jahren des scheinbar unaufhaltsamen Niedergangs der Verkaufszahlen. Die letztjährige Präsidentschaftswahl, vor allem aber die damalige Polarisierung um die Frage „für oder gegen Sarkozy?“ verschafften ihnen zumindest einen Aufschub gegenüber der Dauerkrise, die aus dem Bedeutungsgewinn des Internet als Informationsquelle vieler Bürger, der zunehmenden Präsenz von Gratistagszeitungen sowie der schwindenden Zahl von Kiosken resultiert. Die wirtschaftliche Bedrohung lastet jedoch weiterhin auf dem Zeitungsmarkt. Erst im vergangenen Monat gab die konservative Tageszeitung Le Figaro, die sich bester Kontakte zur Wirtschaft und einer viel gelesenen Ökonomie-Beilage erfreut, die Entlassung von 60 Mitarbeitern „aufgrund von Einsparerfordernissen wegen roter Zahlen“ bekannt.  

Nun hat es auch Le Monde erwischt: Am Freitag, den 14. März o8 stellte der neue Vorstandsvorsitzende des gleichnamigen Pressekonzerns – das ein Dachunternehmen für die Pariser Abendzeitung, mehrere Regionalblätter und Zeitschriften (unter ihnen die viel gelesene Télérama) bildet - , Eric Fottorino,  im Aufsichtsrat einen „Aktionsplan 2008 bis 2010“ vor. Noch sind nähere Einzelheiten dazu noch nicht publik geworden, insbesondere ist nicht bekannt, wie viele Arbeitsplätze demnach gestrichen werden sollen. Die Nachrichtenagentur AFP spricht jedoch von 100 Stellen, die voraussichtlich verschwinden sollten. Der Pressekonzern zählt insgesamt 1.600 Beschäftigte. Am selben Tag wurden neue Personenbesetzungen im Vorstand bekannt. Dort hält nunmehr ein gewisser Guillaume Sarkozy seinen Einzug. Er ist niemand anders als der Bruder des amtierenden Staatspräsidenten, und selbst der ehemalige Chef des Textil-Unternehmerverbands UIT. Im Aufsichtsrats des Medienunternehmers wird er die „äußeren Aktionäre“ aus der Privatwirtschaft repräsentieren. Neben dem ebenfalls neu benannten Vorständler Pierre Leroy – einem Führungsmitglied des Medien- und Rüstungskonzerns Lagardère, der dort den bislang persönlich im Vorstand sitzenden Chef seines Konzerns, Arnaud Lagardère, einen Duzfreund Nicolas Sarkozys, ablöst. 

Die Familie Sarkozys lässt Le Monde also nicht los, auch wenn die Zeitung voriges Jahr offen dessen rechtssozialdemokratische Gegenkandidatin – Ségolène Royal – unterstützte, nachdem sie zuvor deren politische Karriere massiv mit  aufgebaut hatte. Mit den eigenen Chefs, zumindest, hat die Abendzeitung unterdessen kein Glück. Zwei mal hintereinander haben sich in jüngster Zeit zwei Angehörige ihrer Führung an ihre Sessel gekrallt, obwohl sie zuvor klare Abstimmungsniederlagen kassiert hatten. Im Sommer 2007 weigerte sich zunächst der damalige Vorstandsvorsitzende Jean-Marie Colombani wochenlang, zu gehen und zuzugeben, dass er verloren hatte. Dann machte im Januar und Februar dieses Jahres der damalige Chef des Aufsichtsrats, der wirtschaftsliberale Intellektuelle und frühere Regierungsberater Alain Minc (Autor eines schrecklich, aber unheimlich modisch daherkommenden Büchleins unter dem Titel „Capialisme.com“), erhebliche Schwierigkeiten, seinen Abgang zu akzeptieren.  

Beider Argumentation ähnelte einander bis in den Wortlaut hinein: Zwar habe die Société des Rédacteurs - die Mitarbeitergesellschaft, die bis jetzt laut den Statuten als gewichtigste Aktionärin (43 % der Stimmenanteile, die zusammen mit den anderen Mitarbeitergesellschaften einen Mehrheitsblock bilden) firmieren muss, auch wenn ihr nicht die Mehrheit der Kapitalanteile gehört – gegen sie votiert. Gleichzeitig hätten sie jedoch die Unterstützung der Aktionäre aus der Privatwirtschaft. Dadurch entstand im Falle von Alain Minc eine scheinbare Pattsituation, da es 10 gegen 10 Stimmen stand – die Repräsentanten der Mitarbeiter votierten gegen ihn, die Aktionärsvertreter für ihn. Laut den Statuten war es jedoch klar, dass für einen Abstimmungssieg mindestens 11 Stimmen erforderlich waren, was Minc jedoch beharrlich anzuerkennen verweigerte. Dieses Votum (zu seinen Ungunsten) sei – so Minc, ähnlich wie vor ihm schon Colombani – im Kern unvernünftig, blockiere die Zukunft, und „so wird das Unternehmen kein neues Geld akquirieren“. Kurz, wirtschaftliche Erpressung diente als Argument, um sich am Sessel festzuklammern, im Namen einer „Vernunft“, kraft derer man allein wissen könne, was gut für die Zeitung sei. (Eine Form von Markt-Stalinismus, haben Sie gesagt...?) 

Bislang noch garantiert eine ziemlich einmalige juristische Konstruktion der Zeitung ihre redaktionelle Unabhängigkeit. Die Beschäftigten sind in mehreren Mitarbeitergesellschaften organisiert, die notwendig bestimmte Stimmenblöcke im Aufsichtsrat halten müssen. An vorderster Front stehen dabei die Redakteure. Doch dieses Modell ist unter Druck geraten, seitdem Colombani das Presseunternehmen ab 2003 tief in die roten Zahlen gefahren hat. Just im Namen der „Verteidigung unserer journalistischen Unabhängigkeit gegenüber dem Zugriff mächtiger Wirtschaftsinteressen“ hatte er den ehemaligen Kleinbetrieb Le Monde zum Multikonzern ausgebaut. Nach dem Motto „friss, um nicht gefressen zu werden“ kaufte er mehrere Regionalzeitungen und kleinere Presseverlage zusammen. Dabei hatte er jedoch die wirtschaftliche Kraft des Unternehmens „überdehnt“ und einen Schuldenberg in dreistelliger Millionenhöhe aufgehäuft. Nun erfolgte dann doch  noch der Ruf nach dem Eintritt von Großkonzernen als Aktionäre in das Eigenkapital von Le Monde, um das Unternehmen wirtschaftlich zu retten. Mit der bis dahin viel beschworenen „journalistischen Unabhängigkeit als oberste(r) Leitlinie“ dürfte es aber in naher Zukunft vorbei sein. 

Colombani dürfte der letzte (von seiner beruflichen Herkunft her) „pure Journalist“ gewesen sein, der es leitete. Sein Ende Januar – nach mehrmonatiger, tiefer Führungskrise – bestellter Nachfolger an der Spitze des Vorstands, Eric Fottorino, gilt zwar ebenfalls als Vertreter des Journalistenberufs in den Leitungsstrukturen des Konzerns. Doch ursprünglich trat er, vor zwanzig Jahren, als „Spezialist für Rohstoffe und für Afrika“ in die Redaktion ein, spricht: als Experte für wirtschaftliche Interessen, und dies gerade auf dem Kontinent, wo Frankreichs Ökonomie besonders skrupellos waltet. Inzwischen hat  Fottorino zwar auch, mit seiner Kurzrubrik auf der letzten Seite, ein echtes journalistisches Talent bewiesen. Doch dies wird nicht die wichtigste Qualität sein, die er in seinem neuen Amt unter Beweis stellen dürfte. Im Aufsichtsrat wiederum trat, am 11. Februar, der frühere Renault-Chef Louis Schweitzer an die Stelle des nun endlich doch noch geschassten Alain Minc. Schweitzer ist offenkundig ein langjähriger Vertreter der Privatwirtschaft, gilt jedoch auch gegenüber Politik und „Zivilgesellschaft“ als relativ „konsensfähig“, da er seit 2004 eine französische Antidiskriminierungs-Behörde namens HALDE leitete. 

„Die Ära der Journalisten geht bei geht bei Le Monde zu Ende, und jene der Manager beginnt“ schätzt der Publizist Jacques Bertoin, unter Bezugnahme auf die Zusammensetzung der Führungsspitze. „Warten auf Lagardère“ umschreibt die medienkritische Initiative Acrimed (vgl. http://www.acrimed.org) die neue Situation kurz und knapp. Der Medien- und Rüstungskonzern Lagardère, derzeit der größte Zeitschriftenverleger im Lande, hält im Augenblick 17 Prozent der Kapitalanteile an Le Monde. Über ein Geflecht von strategischen Allianzen arbeitet der Konzern jedoch daran, zusammen mit der spanischen Mediengruppe Prisa – ebenfalls einer der Hauptaktionäre von Le Monde - die Kontrolle über das Presseunternehmen zu übernehmen. Das Ganze spielt sich im Kontext einer fortschreitenden Konzentration im Pressesektor ab: Drei Mischkonzernen gehören heute über zwei  Drittel des französischen Pressemarkts. Das wären neben Lagardère auch der Flugzeug- und Rüstungskonzern Dassault (welcher u.a. Le Figaro herausgibt, nachdem er 2003 das frühere Hersant-Imperium Socpresse übernommen hatte, von dem er Teile inzwischen weiter veräußerte) sowie die Bolloré-Gruppe – die einen Gutteil des französischen neokolonialen Afrikahandels kontrolliert und etwa Eigentümerin wichtiger Häfen in Westafrika. Lagardère selbst hält sogar einen Minderheitsanteil an der kommunistischen Tageszeitung L’Humanité, die seit 2001 ihr Eigenkapital Aktionären aus der Privatwirtschaft öffnen musste, um nicht bankrott zu gehen. 

 Vor diesem Hintergrund konnte es aus Sicht der wirtschaftlichen Entscheidungsträger nicht angehen, dass ausgerechnet Le Monde ein weißer Fleck auf der Landkarte der Großkonzerne bleibt (bzw. versucht, ihnen durch eine Expansionsstrategie mit ihren eigenen Mitteln Konkurrenz zu machen, ohne ihnen einen Anteil am Kuchen zu gewähren). Denn einerseits ist die linksliberale ausgerichtete Qualitätszeitung, die sich mit dem konservativen Figaro um den Platz des auflagenstärksten Blatts – wenn man die Sportzeitungen ausnimmt – streitet, auf nationaler und internationaler Ebene „das“ Flaggschiff der französischen Presse. Ihren Informationen wird Glauben geschenkt, und ihre Themensetzung am frühen Nachmittag – wenn die Abendzeitung in der Hauptstadt erscheint – entscheidet oft über die Gewichtung der Schlagzeilen in den Abendnachrichten des französischen Fernsehens. Ihre Redaktion kann also Agenda-setting auch für andere Medien betreiben. Zudem ist Le Monde andererseits, obwohl selbst eine „Bezahlzeitung“, auch auf dem expandierenden Markt der Gratiszeitungen präsent. Dort unterhält die Abendzeitung zusammen mit dem Bolloré-Konzern eine eigene Filiale in Gestalt der am frühen Morgen erscheinenden kostenlosen Zeitung Direct Matin, die das qualitätsvollste unter den Gratisblättern darstellt. Auf den ersten Blick erscheint es zwar absurd, dass eine kostenpflichtige Zeitung selbst eine Gratiszeitung aushält. Aber Le Monde ging es darum, potenziellen Konkurrenten auf diesem Markt das Wasser abzugraben und das Geld aus den anfallenden Werbeannoncen lieber sich selbst zuzuführen. 

Alain Minc wird nachgesagt, er habe monatelang die im vergangenen Sommer mit dem Abgang Colombanis ausgebrochene – und durch seine eigene Verweigerung bzw. Hinauszögerung eines Rücktritts, trotz Abstimmungsniederlage, verlängerte – Krise in der Führung von Le Monde am Kochen gehalten, um am Schluss dann Lagardère als „Retter aus der Not“ präsentieren zu können. Die Lösung laut Minc hätte demnach darin bestanden, dass Lagardère seine Anteile am Zeitungskapital stark erhöht. (Vgl. www.marianne2.fr/l) Durch die  - vorläufige oder gelungene? -  Auflösung der Krisensituation und die Übernahme des Ruders durch das Führungsduo E. Schweitzer (Aufsichtsrat) scheint dieser brüske Plan nun vorerst nicht aufgegangen zu sein. Aber auf sanfterem Wege dürfte Lagardère seinen Weg zur, schrittweisen, Kontrolle über Le Monde alsbald noch finden.

Editorische Anmerkungen

Den Aufsatz erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.