Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

« Der Krieg der Bosse »

04/08

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In Frankreich bekriegen sich der Metall-Arbeitgeberverband und das übrige Arbeitgeberlager in aller Öffentlichkeit. Dabei kommen einige pikante Enthüllungen ans Tageslicht: „Schwarze Kassen“, Finanzierung rechtsradikaler Gruppierungen in den siebziger Jahren oder überhöhte Abfindungszahlungen an straffällig gewordene Arbeitgeber. Aber im Hintergrund steht eine ernsthafte strategische Auseinandersetzung um den künftigen Umgang mit den Gewerkschaften.

Zaster and Crime and Rock n’Roll: In Frankreich ist der „Krieg der Bosse“ (la guerre des patrons) ausgebrochen. (Vgl. http://www.ladepeche.fr) Die Damen und Herren an der Spitze der Arbeitgeberverbände beschimpfen sich in aller Öffentlichkeit als Lügner und Betrüger. Die Chefin des zentralen Arbeitgeberverbands Medef, Laurence Parisot, erstattete Mitte März dieses Jahres Strafanzeige wegen „Verleumdung“ gegen zwei ausscheidende Führungsmitglieder des Metall-Arbeitgeberverbands UIMM: Die letzteren beiden hatten behauptet, Parisot sei schon früher vom so genannten „Schwarze Kassen-Skandal“ bei der UIMM (Union des industries et métiers de la métallurgie) informiert gewesen, als sie selbst einräumen möchte. Noch „vor dem Sommer“ des Jahres 2007 nämlich, und nicht, wie sie selbst behauptet, „am Vorabend der Veröffentlichung durch die Tageszeitung ‚Le Figaro’“, durch welche die Affäre erstmals zum Ausbruch kam - das wäre am 25. September 2007, also nach dem Herbstanfang. „Diese Herren sind saubere Lügner“ giftete Parisot im Fernsehsender France2 öffentlich zurück, und kantete kurz darauf in einem Interview mit der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ kräftig nach.

Erst in der vergangenen Woche beruhigte sich der Konflikt allmählich, jedenfalls vorläufig, nachdem die UIMM sich bei einem Kongress (den ‚Etats généraux de la métallurgie’) in Paris am vorigen Mittwoch zu „Reformen“ an ihren Führungsstrukturen bereit erklärte und sich von schwer belastetem Personal trennte. Nun tut sich aber ein neues Konfliktfeld auf: Wohin mit dem Geld aus den mittlerweile berüchtigten „Schwarzen Kassen“ der UIMM - die Rede ist von 600 Millionen Euro -, nachdem deren Existenz nun öffentlich ruchbar geworden ist? Die Präsidentin des zentralen Arbeitgeberverbands Medef (Mouvement des entreprises de France), Laurence Parisot, drängt ihre Kollegen vom Verband der Metallindustrie, diese Summen aus der Hand zu geben. Einen Vorschlag des Staatssekretärs für Armutsbekämpfung Martin Hirsch aufgreifend, schlug Madame Parisot vor, die Gelder aus den „Schwarzen Kassen“ des Metall-Arbeitgeberverbands könnten für mildtätige, karitative Zwecke sinnvoll aufgewendet werden. Eine Provokation an die Adresse ihrer Arbeitgeberkollegen. Die UIMM war absolut nicht begeistert, machte aber gute Miene zum bösen Spiel und erklärte, man werde prüfen, „einen Teil dieser Mittel“ im vorgeschlagenen Sinne auszugeben. Hinter den Kulissen dürften die Herren wohl eher schäumen… 

Gelder für Rechtsradikale

Auf einem Nebenkriegsschauplatz, der sich gleichzeitig zu der aktuellen Auseinandersetzung im Arbeitgeberlager eröffnete, wurde in den letzten Wochen eine Reihe von Enthüllungen zum Finanzgebaren der UIMM getätigt. Wieder war es die konservative Tageszeitung ‚Le Figaro’, die am 4. März 08 zuerst mit der Information herausrückte: In den siebziger Jahren habe der Metall-Arbeitgeberverband diverse, auch anrüchige Gruppierungen finanziell unterstützt - darunter auch offen rechtsradikale. Die rechtsextremen Schlägergruppen GUD (Groupe Union - Défense), Occident und Ordre Nouveau hätten im Jahr 1974 über den Metall-Arbeitgeberverband Gelder zugesteckt bekommen, um ihre Aktivisten dazu zu animieren, Wahlplakate für den damaligen konservativ-liberalen Präsidentschaftskandidaten Valéry Giscard d’Estaing zu kleben. Im Hintergrund steht die damalige Spaltung der bürgerlichen Rechten: Die Gaullisten oder Spätgaullisten unter Jacques Chaban-Delmas, die über eine starke und durchstrukturierte Partei verfügten, standen den Rechtsliberalen unter Giscard d’Estaing als Konkurrenten gegenüber. Giscard d’Estaing verfügte nur über mitgliederschwache Honoratiorenparteien, die ohne oder gar gegen die Gaullisten kaum zu einer breiteren Mobilisierung in der Lage waren. Also griff Giscard d’Estaing auf rechtsradikale Aktivisten als Ersatztruppen zurück. 

Diese Information (die inzwischen von niemandem mehr ernsthaft dementiert wird) bestätigt zwar nur, was in groben Zügen spätestens seit dem Buch von Frédéric Charpier aus dem Jahr 2005 – ‚Génération Occident’, das rechtsradikale Studentengruppen der sechziger und siebziger Jahre behandelt (vgl. www.alapage.com) - öffentlich bekannt war. Aber noch nie waren die Vermutungen bezüglich einer möglichen Arbeitgeberfinanzierung solcher Gruppierungen gar so offen bestätigt worden. Und bisher hatte man auch keine direkte Verbindungslinie zum mächtigen Metall-Arbeitgeberverband UIMM gezogen, sondern eher kleinere Strukturen wie etwa die damalige arbeitgeberfinanzierte, antikommunistische Propagandazelle ‚Est-Ouest’ am Werk gesehen.

Nur an einem Punkt dürften die veröffentlichten Informationen fehl gehen: Die rechtsradikale Prügeltruppe Occident kann die UIMM kaum im Jahre 1974 finanziell gefördert haben, denn diese Vereinigung wurde im Juni 1968 gesetzlich verboten. Ihre Nachfolgegruppe wurde Ordre Nouveau (Neue Ordnung), die laut Autor Frédéric Charpin vor allem in den frühen siebziger Jahren durch hochrangige Polizeifunktionäre und Geheimdienstler im Rahmen einer „Strategie der Spannung“ indirekt unterstützt wurde. Im Unterschied zum späteren parteipolitisch strukturierten Rechtsradikalismus - besonders in Gestalt des Front National (FN) unter Jean-Marie Le Pen - verfügten diese vor allem von Jungmännern gebildeten Gruppierungen aber über keine festgefügte rassistische Ideologie, die etwa Anknüpfungspunkte zur Blut und Boden-Mythologie der Nazis besessen hätte. Vielmehr zeichneten diese, im Kontext der französischen Kolonialkriege entstandenen, Gruppen sich vor allem durch Gewalt und durch ein rudimentäres Denken - die Gegnerschaft zum „weltweiten Kommunismus“ und zur Entkolonialisierung, und die Unterstützung pro-westlicher Militärregime - aus. Deshalb konnten einige ihrer führenden Mitglieder später auch zu Konservativen oder Liberalen werden, da keine strukturierte eigene Ideologie sie daran hinderte, in deren Lager „überzulaufen“. Aus den Reihen von Occident und ihrer Nachfolgegruppen kommen etwa Alain Madelin, der in den achtziger und neunziger Jahren zeitweise als Wirtschaftsminister amtierte, oder der frühere Regionalpräsident von Lothringen, Gérard Longuet. Auch der Generalsekretär von Nicolas Sarkozys Regierungspartei UMP, Patrick Devedijan, kommt aus dieser Ecke. Dass diese Köpfe just 1974 - im Jahr des Präsidentschaftswahlkampfs Giscard d’Estaings - zur bürgerlichen Rechten stießen, war bislang schon bekannt. Dass ihr neue Aktivität als Parteimitglieder und Plakatekleber im Wahlkampf ihnen damals durch dicke Zahlungen aus Arbeitgeberkassen versüßt worden ist, galt schon seit langem als wahrscheinlich. Nun ist es aber sozusagen amtlich. 

Ein Seitenstrang der politischen Finanzaffäre besteht darin, dass Jean-Marie Le Pen seinen rechtsradikalen Konkurrenten (und früheren Chefideologen, der im Dezember 1998 von ihm geschasst wurde) Bruno Mégret am 5. März 08 im TV-Sender i-Télé beschuldigte, seinerseits in den letzten Jahren durch die UIMM finanziell unterstützt worden zu sein. Der alternde Chef des Front National - der in drei Monaten nunmehr 80 Jahre alt wird - behauptet ferner im selben Zusammenhang, „schon immer“ seien „rechtsextreme Organisationen, die dem FN Konkurrenz bereiten sollen, finanziell gefördert“ worden. Dabei habe „die UIMM die Schmutzarbeit für die jeweils amtierenden Regierungen übernommen“. Er fügte jedoch hinzu, über „keine Beweise“ zu verfügen, da es sich um Barzahlungen handele, die keine Spuren hinterlassen sollten. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/).  

Daraufhin giftete der Angegriffene, Bruno Mégret, seinerzeit öffentlich zurück: „Wenn man durch Saddam Hussein und die Moon-Sekte finanziert worden ist, sollte man sich mit solcherlei Anklagen besser zurückhalten.“ Tatsächlich rührte der Möchte-Gern-Führer Mégret damit an wunde Punkte Le Pens gegenüber der Öffentlichkeit: Die strikt antikommunistisch ausgerichtete, aus Südkorea stammende Sekte von „Reverend Moon“ unterstützte in den frühen 1980er Jahren den FN und setzte auf ihn als französisches Kettenglied ihres internationalen Kreuzzugs gegen „den Kommunismus“. Dabei flossen mutmaßlich mehrere - zig Millionen  französische Francs (o. mehrere Millionen Euro) an den FN, und die Moon-Sekte ihrerseits hatte prominente Mitglieder auf den Listen des FN zu mehreren Wahlen und Abgeordnete in den Parlamenten. Ferner hatten Jean-Marie Le Pen und die FN-Spitze in der Vergangenheit enge politische Beziehungen zum früheren irakischen Präsidenten Saddam Hussein, den Jean-Marie Le Pen im November 1990 sowie im Mai/Juni 1996 getroffen hat, und zu seinem Regime. Dass diese Connection auch finanzielle Zuwendungen der iraqischen Diktatur an die französische rechtsextreme Partei beinhaltete, ist nie bewiesen worden. Allerdings betätigte sich der FN (und insbesondere sein Anführer des parteieigenen Kleinunternehmerverbands, Jean-Michel Dubois) sich in den neunziger Jahren als Türöffner für französische mittelständische Unternehmen im Iraq; insofern liegt eine finanzielle Dimension der gegenseitigen Beziehungen doch nahe. - Infolge der losgetretenen Polemik zwischen den beiden rechtsextremen Politikern ruderte Le Pen schon eine Stunde nach dem Auftritt Mégrets, gegenüber dem Fernsehsender France2, lieber zurück. Er behauptete im Nachhinein (und wider besseren Wissens), er habe Mégret „nicht beim Namen genannt“, als er den Vorwurf der Finanzierung seiner innerrechten Rivalen durch die UIMM erhoben habe. (Vgl. http://www.lefigaro.fr )             

Hintergründe eines Finanzskandals

Durch die ganze Aufregung im Arbeitgeberlager ist für das Amüsement des Publikums gesorgt. Aber was steckt dahinter?   

Unmittelbarer Anlass für die jüngste Zuspitzung des Konflikts, in dessen Verlauf sich führende Arbeitgebervertreter öffentlich behark(t)en, ist die Gewährung einer Abfindungszahlung für den ausscheidenden UIMM-Vorständler Denis Gautier-Sauvagnac, abgekürzt ‚DGS’. Dieser war bis zum Ende des Vorjahres 2007 noch der oberste Chef des Metall-Arbeitgeberverbands, also der UIMM. Doch seit dem 26. September vergangenen Jahres wurde, zunächst durch einen ersten Enthüllungsrtikel in der konservativen Tageszeitung ‚Le Figaro’ und danach durch scheibchenweise nachkommende weitere Veröffentlichungen, ein Finanzskandal rund um die UIMM-Führung bekannt.  

In den Jahren 2000 bis 2007 hatten führende Vertreter des Verbands, unter ihnen ‚DGS’, insgesamt 19 Millionen Euro (verteilt über kleinere Summen) in Bargeld von einem Konto der UIMM abgehoben. Das weckte die Aufmerksamkeit der zu Finanzdelikten tätigen Abteilungen der französischen Polizei und wurde erstmals durch den ‚Figaro’ - eine Zeitung, die durchaus gut im Arbeitgeberlager verankert ist, publik gemacht.

Diese Summen hätten dazu gedient, so wörtlich, „die sozialen Beziehungen flüssiger zu machen“ (pour fluidifier les relations sociales)“ - erklärte dazu die „auf frischer Tat ertappte“ UIMM-Führung. In diesem Zusammenhang wurde daraufhin die Existenz einer „schwarzen Kasse“ beim Metall-Arbeitgeberverband, die seit dem Jahr 1972 besteht und derzeit mit 600 Millionen Euro gefüllt sein soll, bekannt. Im Klartext: Es ging darum, einerseits mögliche Streikbrecher zu finanzieren und den Unternehmensführungen Geldmittel an die Hand zu geben, um Streikperioden durchzustehen. Laut einem Bericht von ‚Le Monde’ vom vergangenen Wochenende kamen noch im Jahr 2007 mindestens drei Unternehmen  in den Genuss solcher Zahlungen. Andererseits dienten die Gelder aber auch dazu, gefügige und/oder „verhandlungswillige“ Angehörige von verschiedenen Gewerkschaften, Betriebsratsmitglieder u.ä. zu schmieren. Ähnlich wie die berühmten Betriebsratsmitglieder bei VW, die vor wenigen Jahren mit Ausflügen zu Prostituierten und ähnlichen „Vorzügen“ geschmiert worden waren. 

Ein Nebenstrang der Geschichte könnte darin bestehen, dass auch bürgerliche Politiker mit den zur Verfügung stehenden Geldern geschmiert worden wären. Jedenfalls stellt das französische linkspatriotische (naja) Wochenmagazin ‚Marianne’ in seiner Ausgabe vom 29. März 08 folgende Behauptungen auf: Im Oktober 2004 hätten konservativ-liberale, katholische und linksliberalen Senatoren Änderungsanträge zu einem Gesetzentwurf „gegen Barzahlung“ im Auftrag der UIMM ins Oberhaus des Parlaments eingebracht. Die fraglichen Anträge hatten eine Erleichterung „betriebsbedingter Kündigungen“ zum Gegenstand, aber blieben schlussendlich erfolglos und wurden von den einbringenden Parlamentariern am Ende zurückgezogen. Dazu wird ein ehemaliger parlamentarischer Mitarbeiter des Senats, Roman Tanguy, ausführlich interviewt. „Jeder“ hatte ihm zufolge damals gewusst, „dass Bargeld zirkuliert“ und hinter diesen Anträgen steckte, die mit solchen Mitteln schmackhaft gemacht worden seien. Dies ist durchaus möglich und denkbar. Es war allerdings eventuell auch vollkommen UNNÖTIG, denn aufgrund ihres gut bestückten Juristenstabs, der durchaus intelligente Strategien und Argumente auszuarbeiten vermag, vermochte die UIMM in der Vergangenheit auch ohne unmittelbare materielle Korruption auf wirtschafts- und sozialpolitische Debatten starken Einfluss (auf bürgerlicher Seite) zu nehmen. Und auch aufgrund der wirtschaftsliberalen Ideologie in den Köpfen der allermeisten bürgerlichen Senatoren – der zufolge zu erwarten ist, dass es längerfristig „Allen gut gehen wird, wenn es nur alsbald der Wirtschaft gut geht“ – könnte der Metall-Arbeitgeberverband sich eine Einflussnahme finanzieller Art möglicherweise ersparen. Nun sollte man vielleicht die Attraktivität der Korruption auf bürgerliche Politiker nicht unterschätzen, OK, mag sein. Andererseits sollte man auch nicht jeder Sensationsberichterstattung, die als Trittbrettfahrer auf den aktuellen (sehr realen) „UIMM-Skandal“ draufspringt, blindlings vertrauen. Der in ‚Marianne’ zu Wort kommende Zeuge hat jedenfalls binnen kürzester Zeit seine Aussagen schon wieder, zwar nicht dementiert, wohl aber erheblich abgeschwächt: Neinnein, er habe das alles gar nicht soooo direkt gesagt und auch nicht so gemeint, im  Endeffekt wisse er nichts Definitives. Und überhaupt erblicke er keine „Saubermann-Mission“ für sich und wolle sich nicht als „Denunziant“ sehen müssen. Lediglich ein paar „Fährten“ für die Untersuchung der Strafverfolger habe er aufzeigen mögen. (Vgl. http://www.lefigaro.fr) Dieses Zögern mag nun freilich wiederum aus Druck, der auf ihn ausgeübt wird, oder aber aus hinter den Kulissen präsentierten „verlockenden Angeboten“ resultieren. Wer weiß es schon...

Tauziehen um eine (fette) Abfindung

Anfang März d. J. brach die Affäre dann wieder ganz heftig auf. Im Hinblick auf das Ausscheiden des „Hauptschuldigen“ Denis Gautier-Sauvagnac aus dem aktiven Dienst im Vorstand der UIMM, das im April dieses Jahres ansteht, wurde ihm in den letzten Februartagen eine - nun ja - äußerst großzügige „Abfindungszahlung“ gewährt. Die Rede war zunächst von 1,5 Millionen Euro, doch am vergangenen Wochenende berichtete die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’, es handele sich wahrscheinlich vielmehr um 2,6 Millionen. Darüber hatte derselbe Vorstand, dem er bisher angehört, abgestimmt. Dabei handelt es sich noch nicht einmal um einen verfrühten Abgang aufs Altenteil, da DGS im Mai dieses Jahres bereits 65 wird, womit er das gesetzliche Rentenalter (60) längst überschritten hat - nach eigenem Ermessen wollte er allerdings bis im Herbst 2009 auf seinem Vorstandssitz bleiben. Nun wird seit Wochen zwischen dem Arbeitgeberverband Medef - der diese Abfindung als skandalös bezeichnet - und dem Metall-Arbeitgerberbund UIMM darum gerungen, ob, wie oder um wie viel diese Summe im Nachhinein reduziert werden kann. Die UIMM hat sich nun doch noch dazu bereit erklärt, über ihre Verringerung zu beraten. 

Schon im Dezember 2007 hatte der UIMM-Vorstand eine Garantieerklärung abgegeben, der zufolge er alle Kosten für Gautier-Sauvagnac übernimmt, die ihm aus eventuellen Steuernachzahlungsforderungen sowie Strafverfahren aufgrund der „Schwarze Kasse-Affäre“ entstehen könnten. Das Bekanntwerden dieser „spendablen Aktion“ des edelherzigen UIMM-Vorstands, durch eine Veröffentlichung des Wochenmagazins ‚Marianne’ vom 28. Februar 08, löste eine gewisse öffentliche Empörung aus. Daraufhin ging die Chefin des zentralen Arbeitgeberverbands Medef, Madame Parisot, jedoch in die Offensive und zog noch viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf die Angelegenheit. Sie verlangte nicht nur, die Abfindungszahlung für Gautier-Sauvagnac einer „Untersuchung“ zu unterziehen, und forderte den sofortigen Rücktritt zweier verantwortlicher Vorstandsmitglieder der UIMM: Gautier-Sauvagnac sowie Daniel Dewavrin. Darüber hinaus forderte sie, die UIMM-Führung solle sämtliche Posten und Funktionen, die sie im Namen des Medef innehat, niederliegen. Dies betraf insbesondere den bisherigen Arbeitgeber-Vorsitzenden der paritätisch besetzten nationalen Arbeitslosenkasse UNEDIC, Michel de Virville. Er hat inzwischen sein Amt auch niedergelegt. Doch ansonsten möchten die Metall-Arbeitgeber die rund 100 Vorstandsposten bei „sozialen Organismen“ wie etwa speziellen Rentenlassen, die ihr Verband innehat - von insgesamt rund 950 solcher Posten für das gesamte Arbeitgeberlager - nicht kampflos räumen. Darum dreht sich ein aktuell noch anhaltender Konflikt. 

Machtkampf hinter den Kulissen

In Wirklichkeit widerspiegelt der scharf ausgetragene Konflikt auch einen ernsthaften Linienstreit innerhalb des Arbeitgeberlagers. Er verläuft nicht nur zwischen den Metall-Arbeitgebern und ihren übrigen Kollegen, sondern zusätzlich dazu auch quer durch die UIMM. Denn in ihrer Antwort auf ihre Widersacher bemühte sich Laurence Parisot ausdrücklich darum, innerhalb des Verbands zu differenzieren bzw. die UIMM taktisch zu spalten. In ihrer öffentlichen Erwiderung auf die „sauberen Lügner“ fügte sie ihren harschen Worten hinzu: „Ich sage sehr wohl , denn es geht um einige Herren und nicht um die gesamte UIMM.“ Sie stellte sich sogar ausdrücklich hinter den seit dem 20. Dezember vergangenen Jahres amtierenden neuen UIMM-Vorsitzenden, Frédéric Saint-Geours, der seinerseits ankündigte, die Konten überprüfen und „bereinigen“ zu lassen.  

Die Wirtschaftspresse, etwa die arbeitgebernahe Tageszeitung ‚Les Echos’ (die eine ähnliche Funktion einnimmt wie in Deutschland das ‚Handelsblatt’), spricht in diesem Zusammenhang von einem Krieg „der Traditionalisten gegen die Modernen“. Eine Wortwahl, die auch ‚Le Monde’ benutzt. Ein stark ideologisiertes Begriffspaar, das in den bürgerlichen Medien immer wieder aufgegriffen wird, wenn es darum geht, einen tatsächlichen oder vermeintlichen Gegensatz zu benennen und auf einen höchst simplen Nenner zu bringen. (Sind nicht die „Verteidiger des Sozialstaats“ hoffnungslos zurückgebliebene „Traditionalisten“, hingegen die Anhänger von - wirtschaftsliberalen - „Reformen“ allesamt jung-dynamisch-schicke „Modernisierer“?)  

In Wirklichkeit gibt es mehrere Bruchlinien, die unter dem stark vereinfachenden Widerspruch „Traditionalisten versus Modernisierer des französischen Patronats“ zusammengefasst werden. Tatsächlich gibt es dabei in Teilen der UIMM einen Aspekt der „Traditionsverhaftetheit“ - im Sinne des Verharrens in einer (Vorstellungs-)Welt des patriarchalisch, vom Boss persönlich oder seiner Familie, geleiteten Industriebetriebs, dort, wo die Wirtschaft mehrheitlich längst durch weitaus anonymere Kapitalstrukturen dominiert wird. Darüber hinaus treffen wir auf eine weitere Bruchlinie, die (grobschlächtig dargestellt) zwischen dem Industriekapital einerseits und dem Dienstleistungs-, Banken- und Versicherungskapital andererseits verläuft. Die seit Juli 2005 amtierende, neue Chefin des Arbeitgeberverbands MEDEF - Laurence Parisot - personifiziert in hohem Maße die letztgenannten Kapitalfraktionen: Sie leitet in eigener Person seit 1990 das Meinungsforschungsinstitut IFOP, an dem sie selbst 75 Prozent der Kapitalanteile hält (und damit einen wichtigen Dienstleistungsbetrieb, der darüber hinaus eine bedeutende Rolle als ideologischer Machtapparat spielt), und ist ferner seit 2006 Vorstandsmitglied der führenden französischen Geschäftsbank BNP-Paribas. Ihr Vorgänger hingegen, Ernest-Antoine Seillière, der im Juli 2005 auf den Chefsessel beim europäischen Arbeitgeberverband UNICE - inzwischen umbenannt in „BusinessEurope“ - in Brüssel - wechselte, verkörperte noch überwiegend das Industriekapital: Er war der Haupterbe der französischen Stahlfabrikantenfamilie der Barone de Wendel (die in Wirklichkeit keine „echten“ Barone sind, sondern dem „falschen“ Adel angehören). Drittens aber dreht sich der Konflikt auch um eine Auseinandersetzung um den Stellenwert, den die Kapitalverbände den unterschiedlichen Gewerkschaften einräumen möchten.  

Diese Auseinandersetzung muss sicherlich vor dem Hintergrund der jeweils unterschiedlichen Erfahrungen, welche die Stahl- und sonstige Metall verarbeitende Industrie einerseits und der tertiäre Sektor anderseits mit Gewerkschaften und Arbeitskämpfen machen konnten, betrachtet und interpretiert werden.  

In der Metallindustrie mit ihrer Großbetrieben, die hohe Beschäftigtenkonzentrationen sowie (zumindest in der Vergangenheit) starke und zum Teil kämpferische Gewerkschaften aufwiesen, war es Jahrzehnte lang gang und gäbe, gezielt „kleinere“ Gewerkschaften finanziell zu fördern. Vor allem, um die „übermächtige“ und (damals) „kommunistische“ CGT bei Verhandlungen umgehen und „an ihr vorbei kommen“ zu können. Diese Förderung betrifft kleinere „freie“, meistens christliche oder rechte, Gewerkschaften. Daneben konnte es sich auch anbieten, für den Notfall die eine oder andere rechte Schlägertruppe auszuhalten, die bei Zuspitzungen eingreifen könnte - daher manche, auch finanziellen, Verbindungen zu rechtsextremen Gruppierungen in der Vergangenheit. Noch in den achtziger Jahren war es in manchen Wirtschaftssektoren gang und gäbe, dass deren Mitglieder etwa, dauerhaft oder vorübergehend, für den Werksschutz angeheuert wurden und gegebenenfalls rabiat „durchgriffen“. Heute gehören solche Praktiken hingegen eher der Vergangenheit an, da es dermaßen zugespitzte soziale Konflikte wie in den zwei Jahrzehnten nach 1968 in der französischen Privatwirtschaft nur noch sehr selten gibt.

Dagegen stellt sich die Aufgabe des „sozialen Dialogs“ im tertiären Sektor anders dar, da es hier von vornherein oftmals nur schwache Gewerkschaften gibt. Zudem sind, insbesondere in den kleinen und mittleren Betrieben des Dienstleistungssektors, oftmals nur eine oder zwei der größeren Gewerkschaften (etwa die sozialdemokratische CFDT und die heute „postkommunistische“ CGT) vertreten, und nicht die ganze Palette der unterschiedlichen Richtungsgewerkschaften wie in den dicken Industriebetrieben.  

Deshalb läuft die Strategie des Kapitals in diesen Sektoren weitaus eher darauf hinaus, einerseits die (gewöhnlich ausgesprochen verhandlungswillige) CFDT zu stärken und anderseits die (als etwas radikaler geltende) CGT einzubinden und zu einem „konstruktiven, unideologischen Verhalten“ zu bewegen. Beide Ziele werden aber vorwiegend durch den Ausbau des „sozialen Dialogs“ und der Vertragspolitik (in Gestalt einer Zunahme von „betriebsnahen“ Tarifverhandlungen und Abschlüssen) erreicht. Und nicht durch die klandestine Übergabe gefüllter Geldkoffer, die dazu dienen, „gelbe“ Mickergewerkschaften oder auch rechte Schlägertruppen am Leben zu halten wie in so manchem Industriebetrieb - woraus die „Schwarzen Kassen“ der UIMM ursprünglich resultierten. - Was freilich nicht ausschließt, auch in diesen „modernen“ Sektoren mitunter mit gezielten finanziellen Unterstützungsmaßnahmen zu operieren - die CFDT-Sektion im Handel (commerce) etwa war, wie 1999 enthüllt wurde, jahrelang für eine Finanzierung durch die Arbeitgeberseite „recht offen“.  

Bei der aktuell laufenden Verhandlungsrunde über die „Repräsentativität der sozialen Interessenverbände“ dürfte dieses Thema, indirekt, ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Ursprünglich war geplant, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände „bis Ende März“  -- auf Aufforderung der Regierung hin, die im Falle des Nichtzustandekommens einer Einigung selbst gesetzgeberisch aktiv zu werden ankündigte -- sich auf neue Regelungen zur „Repräsentativität“ (Vertretungsfähigkeit, Abschlussfähigkeit für Kollektivverträge) der Gewerkschaftsverbände einigen sollten. Eine Frage dabei lautet, ob diese Qualität den kleineren Gewerkschaften, d.h. den eher rechten Verbänden - FO, CFTC, und die Standesgewerkschaft der höheren und leitenden Angestellten CGC - weiterhin vom Gesetzgeber automatisch zuerkannt wird wie bisher. Aber auch, ob oder unter welchen Bedingungen gewerkschaftlichen Neugründungen (wie die weitaus progressiveren Basisgewerkschaften SUD/Solidaires) sich ihre „Repräsentativität“ vor Gericht anerkennen lassen können. 

Dabei gibt es unterschiedliche Möglichkeiten für die „Sozialpartner“ und/oder für den Gesetzgeber. Eine davon lautet, künftig die „Repräsentativität“ (Abschlussfähigkeit) an eine minimale Untergrenze der Wahlergebnisse bei Betriebswahlen zu koppeln. Dies würde die größeren Gewerkschaften, allen voran die CFDT und die CGT, begünstigen - und gleichzeitig manchen kleineren, vom Gesetzgeber künstlich „tariffähig“ gehaltenen Gewerkschaften (etwa Mitgliedsorganisationen von FO, oder der CFTC) einen empfindlichen Schlag versetzen. Eine solche Weichenstellung wäre also ganz im Sinne der neuen „Achse CFDT - CGT“, die Teile des jeweiligen Apparats beider Gewerkschaftsverbände, aber auch der „modernisierungswillige“ oder „aufgeklärte“ Flügel des Kapitals - bei gleichzeitiger Verpflichtung der CGT auf eine „konstruktive“ Politik - fördern möchten. Eine gegenläufige Richtungsentscheidung läge darin, alles beim Alten zu belassen. Und eine dritte Lösung, als möglicher Kompromiss zwischen beiden „Linien“, läge darin, die großen Organisationen (CFDT und CGT) auf bestimmten Gebieten - etwa bei der Finanzierung - zu begünstigen, aber dennoch zugleich den kleineren Gewerkschaften ihre Abschlussfähigkeit bei Kollektivverträgen beizubehalten. Nunmehr wird sich die Verhandlungsführung möglicherweise ein wenig verkomplizieren, da nunmehr ein Teil des Arbeitgeberlagers aufgrund des UIMM-Skandals angeschlagen ist. (Was möglicherweise der Linie der „Modernisierer“, die eher für eine bevorzugte Einbindung der CFDT und eine stärkere Berücksichtigung der CGT - deren „Kompromissbereitschaft“ vorausgesetzt - plädieren, zugute kommen dürfte.)

Am Mittwoch und Donnerstag, den 9. und 10. April sollen die Verhandlungen über die Neufestlegung von Regeln über die „Repräsentativität“ (Vertretungsqualität, Vertretungsfähigkeit) der Gewerkschaften jetzt in ihre entscheidende letzte Runde gehen. Die zweitletzte Verhandlungsrunde fand in der vorletzten Märzwoche statt; derzeit verhandeln die Gesprächsführer beider Seiten über einen Text zur „Repräsentativität“ der Gewerkschaften, der durch die Arbeitgeberseite vorgelegt wurde.  Am Ende soll der Abschluss eines landesweit gültigen Abkommens der „Sozialpartner“ zum Thema stehen. Darauf insistiert auch die konservative Regierung, die erheblichen Druck auf den Abschluss einer Einigung entfaltet - ähnlich wie beim Abschluss vom 11./18. Januar 2008 über die „Modernisierung des Arbeitsmarkts“, über Kündigungsfristen und Probezeiten mit der Drohung, ansonsten (also bei Nichteinigung der „Sozialpartner“) selbst gesetzgeberisch aktiv zu werden. Deshalb hängt das Damoklesschwert einer Gesetzesinitiative, die überhaupt nicht in ihrem Sinne ausfallen könnte, drohend über den Häuptern der Gewerkschaften - für den Fall, dass sie sich mit den Arbeitgebern nicht einig werden. „Verhandlungen mit dem Revolver auf der Schläfe“, haben Sie gesagt…?

Das zu erwartende künftige Abkommen wird erheblichen Einfluss auch darauf nehmen, ob und in welchem Ausmaß neue gewerkschaftliche Akteure wie etwa die SUD (linken Basisgewerkschaften) oder auch kleinere, „reformistische“, ja „gelbe“ Gewerkschaften künftig eine Chance haben, am sozialpolitischen Geschehen teilzuhaben.

Machtkampf hinter den Kulissen

All diese realen, strategischen oder historisch bedingten, Konflikte aber werden derzeit zusätzlich noch von einem offenen Machtkampf im Arbeitgeberblock überlagert. Die UIMM, mächtigster Einzelverband innerhalb der organisierten Arbeitgeberschaft – mit 45.000 Mitgliedsunternehmen, die insgesamt rund 1,8 Millionen abhängig Beschäftigte zählen – ist dennoch in jüngerer Zeit geschwächt worden. Etwa durch die Produktionsverlagerungen in “ihren” Industrien (etwa im Stahlsektor) ins Ausland, und insbesondere nach China. Bislang konzentrierte der Metall-Arbeitgeberverband eine innerhebliche Macht innerhalb der organisierten Kapitalstrukturen, und wies mit 200 hauptamtlichen Mitarbeitern eine höhere Zahl von eigenen Festangestellten auf als der branchenübergreifende Arbeitgeberverband Medef (mit 180 Hauptamtlichen). Zudem weist die UIMM, in deren Einflussbereich schon seit längerem nicht n u r – obwohl bisweilen “auch” - mit der Eisenstange “sozialer Dialog” betrieben wird, eine langjährige anerkannte Expertise im Bereich des Arbeitsrechts auf. Die renommierten “UIMM-Hefte zur Rechtsprechung” sind eine wichtige Quelle, um die Aktivität der Gerichte im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts und die Ausarbeitung von Strategien der Arbeitgeberseite auf diesem Gebiet zu verfolgen.

Andere Fraktionen innerhalb des zentralen Arbeitgeberverbands Medef versuchen nun, diese langjährige Dominanz der Metallindustriellen in ihren Strukturen “endlich” abzuschütteln. Der aktuelle Finanzskandal rund um die UIMM kommt da just wie gerufen. Dabei schart Laurence Parisot all jene Unzufriedenen um sich, die gar zu gerne die Vorherrschaftsstukturen innerhalb des Arbeitgeberverbands ändern oder “umwälzen” möchten. Die Frontlinien verlaufen dabei teilweise quer zu den Branchenzugehörigkeiten und Wirtschaftssektoren: Eine der wichtigsten Unterstützerinnen Parisots ist aktuell Anne Lauvargeon, eine der führenden Unternehmerinnen im Lande und “Boss” des französischen Nuklearkonzerns AREVA, Kernstück der bislang noch mehrheitlich vom Staat geleiteten Atomindustrie – dessen Privatisierung in den kommenden Monaten eingeleitet werden könnte. Die Feminisierung der Direktionsposten dient den “Modernisierern” als Ausweis ihrer Strategie, auch gegenüber den “alten Männern” in der (alten) UIMM-Führung. „Sanfter” gehen diesen mächtigen Frauen freilich keineswegs an ihre Gegner und Konkurrenten heran.

Editorische Anmerkungen

Den Aufsatz erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.