Heraus zum 1. Mai 2008
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04/08

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Antifaschistisches Café Braunschweig

HERAUS ZUM 1. MAI 2008
GLOBAL KÄMPFEN STATT NATIONAL VERZICHTEN!

Glaubt man den Prognosen, Nachrichten und Politikern, geht es mit der Wirtschaft mächtig voran: Die Erwerbslosenzahlen gingen zurück, die Kaufkraft lege zu und die Unternehmen blicken positiv in die Zukunft. Die Zeit des Jammerns sei vorbei und der Aufschwung geradezu spürbar. Stellt sich nur die Frage, wer hier was zu spüren bekommt und wer hier von „Aufschwung“ spricht. Denn wer neben Schichtarbeit, Mini- oder Ein-Eurojob, Zeitarbeit, Arbeitsamt oder Schule und Uni noch die Zeit findet über sein Leben nachzudenken, wird feststellen, dass es zwar allerlei Unangenehmes zu spüren gibt, aber eine Verbesserung durch den „Aufschwung“ irgendwie nicht dabei ist.

Arbeit schützt vor Armut nicht

Die Arbeitsmarkt- und sonstigen Reformen im Rahmen der Agenda 2010 scheinen zu greifen, darin sind sich fast alle Politiker und selbst so mancher Gewerkschafter einig. 3,659 Millionen Menschen waren im Januar 2008 erwerbslos, dass ist der niedrigste Stand seit 15 Jahren, verkündet die Bundesagentur für Arbeit. Nimmt man die Zahlen genauer unter die Lupe, wird recht schnell deutlich, dass dieses „Beschäftigungswunder“ nicht existiert. Wer zu den Hunderttausenden gehört, die einen Ein-Euro-Job machen müssen, die kurzfristig durch eine Zeitarbeitsfirma eingespannt werden, eine Umschulung besuchen oder in anderen verordneten Maßnahmen stecken, ist raus aus der Statistik. Wer als Hausfrau arbeitet oder als Flüchtling hier lebt, taucht ohnehin nicht in der Statistik auf. Ebenso wenig wer sich in einem der fast 5 Millionen Billigjobs wiederfindet, wo das Einkommen hinten und vorne nicht reicht ....

Wer das zweifelhafte Glück hat, sich in einem festen statt prekären (das heißt ungesicherten, befristeten oder Teilzeit) Arbeitsverhältnis zu befinden, bekommt die derzeitige Entwicklung ebenso zu spüren. Der beschworene Aufschwung bezieht sich nämlich tatsächlich nur auf die Wirtschaft. Die Kosten haben alle Lohnabhängigen, ob mit oder ohne tariflicher Absicherung, zu tragen. Die Wirtschaft brummt eben weil die Löhne gedrückt, Arbeitszeiten verlängert und ständige Bereitschaft zu Überstunden und Flexibilität eingefordert werden. Als Druckmittel genügt der Verweis auf die vielen Erwerbslosen, Billigjobber, staatlichen Zwangsmaßnahmen oder die Gefahr der Standortverlagerung als gewaltiges Droh-Szenario.

Hier wie überall - Spaß bei der Arbeit?

Das Lohnarbeit in der Regel eine Qual und kein Segen ist, dürfte jeder von uns täglich von neuem erfahren, wenn morgens der Wecker klingelt oder Abends der Rücken schmerzt. Ob wir uns jeden Tag in die Fabrik oder ins Büro schleppen, Teile montieren oder auf Monitore starren, unterrichten oder unterrichtet werden oder aufgrund von Arbeitslosigkeit Stunden auf Ämtern zubringen, ist dabei letztlich nebensächlich. Der Grund warum wir uns das antun, ist meist nur einer: wir sind auf den Lohn oder die Sozialleistungen angewiesen oder werden gerade in der Schule darauf vorbereitet. Mit der Hoffnung eines schönen Tages aufzusteigen, im Lotto zu gewinnen oder anderweitig das Glücksversprechen dieser Gesellschaft eingelöst zu bekommen, gehen wir durchs Leben. Realität wird es nur für die allerwenigsten. Der absolute Großteil muss die eigene Arbeitskraft verkaufen, um überleben zu können. Wer dies nicht kann oder will, erhält bestenfalls staatliche Unterstützung oder muss schlimmstenfalls, in anderen Teilen der Welt, Hunger leiden.

Da sich der Kapitalismus weltweit durchgesetzt hat, bringt er auch überall ähnliche Probleme hervor (wenn auch im unterschiedlichen Ausmaß). In welcher Form dies geschieht, hängt vor allem von den jeweiligen Nationalstaaten und deren Rolle im globalen System ab. Die Staaten garantieren die Herrschaft des Kapitals und schaffen die nötigen Rahmenbedingungen zur funktionierenden Verwertung. Das bedeutet zum einen, die nötige Infrastruktur zu stellen, und zum anderen bei Konflikten zu vermitteln, um das gesamte System zu stabilisieren. Dies kann auch bedeuten, Unternehmen Grenzen bei der Vernutzung von Arbeitskräften zu setzten, wenn z.B. der Lohn weit unter das Existenzminimum gedrückt wurde, wie sich in den Debatten um den Mindestlohn zeigt. Der Staat organisiert den sicheren Verlauf der kapitalistischen Produktion im Ganzen und nicht bloß für einzelne Unternehmen oder Lobbys. Die weltweite Konkurrenz unter Unternehmen und um Standort setzen dem jeweiligen Nationalstaat allerdings Grenzen und geben seine Entwicklungsmöglichkeiten vor. Andere Institutionen auf europäischer oder internationaler Ebene bekommen daher zunehmend eine ähnliche Aufgabe. Nach der ökonomischen wird verstärkt auch die politische Macht internationaler.

Die Grundlagen des Kapitalismus sind letztlich überall die Gleichen: Über Produktionsmittel (also Maschinen, Rohstoffe etc.) verfügen nur wenige und die meisten Menschen haben diese Vorzüge nicht und müssen Tag für Tag ihre Arbeitskraft gegen Lohn verkaufen. Durch Verträge zwischen Unternehmen und ArbeiterInnen wird festgeschrieben, wie lange und zu welchen Bedingungen die ArbeiterInnen ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, um das Kapital des jeweiligen Unternehmens zu vermehren. Das ist der Grund, warum Unternehmen überhaupt Leute einstellen. Schließlich kann sich Kapital nur vermehren, wenn an ihm gearbeitet wird. Die ArbeiterInnen setzen dem Kapital durch ihre Arbeitsleistung Wert zu, bezahlt bekommen sie aber nicht ihre gesamte geleistete Arbeit, sondern nur den Wert ihrer Arbeitskraft. Diese Summe ist ungefähr das, was sie zum Leben brauchen (wobei das ein durchaus umkämpftes Gebiet ist). Es bleibt also ein Wert übrig, der sich bei den ArbeiterInnen auf dem Kontoauszug des jeweiligen Monats nicht zeigt. Dieser Wert, der erarbeitet wird, aber nicht an die ArbeiterInnen ausgezahlt wurde, nennt sich Mehrwert. Darin besteht die Ausbeutung der ArbeiterInnen im Kapitalismus und nicht erst bei schlechten Löhnen und miesen Arbeitsbedingungen. Wenn das Unternehmen nun die hergestellten Produkte, egal ob Gebrauchsgegenstände oder Dienstleistungen, als Waren auf dem Markt verkauft, realisiert sich der Mehrwert in Form von Profit. Die Vermehrung des eingesetzten Kapitals in Form von Profit ist der wesentliche Antrieb der kapitalistischen Produktionsweise. Nach der erfolgreichen Verwertung geht der ganze Prozess von vorne los.

Klasse gegen Klasse

Dass sich die gegensätzlichen Interessen von Kapital und ArbeiterInnen immer wieder offen zeigen, bestätigen einige Streiks der letzten Jahre. Ob bei Opel-Bochum, Bosch-Siemens in Berlin, AEG in Nürnberg, im Einzelhandel oder zuletzt beim Lokführerstreik: Auseinandersetzungen um Kapital und Arbeit sind wieder sichtbarer. Meistens handelt es sich allerdings um Kämpfe mit dem Rücken zur Wand, beispielsweise gegen Werksschließungen und die Verlagerung der Produktion in andere Länder. Seltener geht es um höhere Löhne und noch seltener um bessere Arbeitsbedingungen. Die Auseinandersetzungen bewegen sich in der Regel auf Grundlage der kapitalistischen Geschäftsordnung und verlassen keineswegs den Rahmen der Lohnform und Unterordnung unter das Kapital. Sondern indem um einen „gerechten Lohn“ gestritten wird, erscheint die spezielle Form der (Lohn)Arbeit als einzig mögliche. Der Begriff des Arbeitslohns, der suggeriert, es werde der Wert der geleisteten Arbeit „entlohnt“ und nicht allein der Wert der Arbeitskraft, verschleiert die besondere Form der Ausbeutung im Kapitalismus. Dass diese Rechtsvorstellungen und der zugrunde liegende Gerechtigkeitsglauben zunächst den Verlauf der Klassenkämpfe bestimmen, bedeutet aber nicht, dass dieser Rahmen nicht verlassen werden kann.

Allerdings sind es oftmals gerade die Gewerkschaften die die Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen drosseln, sich als Ordnungsmacht aufspielen und auf Biegen und Brechen die Sozialpartnerschaft mit den Unternehmen aufrecht erhalten. Das aber viele Beschäftigte die Schnauze voll haben und nicht jede Verschlechterung hinnehmen wollen, machen die jüngsten Arbeitskämpfe deutlich, auch wenn sich die Forderungen in der Regel im Rahmen des mit dem Unternehmen geschlossenen Arbeitsvertrages bewegen. Hoffnung macht, dass sie dabei nicht immer bereit sind, auf die Gewerkschaftsführung zu hören und stattdessen neue Formen des Widerstands finden. Als beispielsweise im letzten Jahr die Fahrrad-Produktion bei „Bike-Systems“ in Nordhausen eingestellt werden sollte, führten die ArbeiterInnen kurzerhand die Produktion in Eigenregie weiter. Statt Fahrrädern die dem Unternehmen gehören, stellten sie ein eigenes „Strike-Bike“ her, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Selbstverständlich läuft das nicht widerspruchsfrei ab. In einer warenproduzierenden Gesellschaft, die sich über Wert und Markt vermittelt, kann auch ein selbstverwalteter Betrieb diese Grenzen nicht sprengen. Zu mal die ArbeiterInnen bei „Bike-Systems“ die Hoffnung auf einen neuen Investor hatten, also auf neues Kapital für das sie arbeiten müssen. Trotzdem können die neuen Arten der Zusammenarbeit, ganz ohne Chefs und Vorgesetzte, die während der Eigenproduktion erprobt wurden, den bisherigen Blick auf Hierarchien, Besitzverhältnisse und die gesamte Gesellschaft verändern.

Dass die geführten Abwehrkämpfe auch in viele fragwürdige Richtungen weisen können, wurde zuletzt beim Handyhersteller NOKIA deutlich, der eindrucksvoll zeigte, wie die Logik des Kapitals funktioniert. Obwohl das Werk in Bochum Profite brachte, wurde es geschlossen und an einem neuen Standort in Rumänien eröffnet, wo die Lohnkosten billiger sind. Was für die von Erwerbslosigkeit bedrohten KollegInnen in Bochum sicherlich ein schwerer Schlag war, wurde von allerlei Politikern zum Anlass genommen, sich für den Erhalt des Standortes stark zu machen. Das Problem sahen diese vor allem im ausländischen Kapital, das hier der schnellen Profite wegen mal eben alles abgrast und dann weiter zieht. Dass dies nun wahrlich keine Besonderheit des finnischen Handyherstellers ist, hat z.B. die Hannoveraner Firma Continental wenige Wochen zuvor mit dem gleichen Vorgehen in Mexiko bewiesen. Dort wurde ebenfalls kurzerhand der Standort aus Unzufriedenheit über die Lohnkosten verlagert. Der Aufschrei á la NOKIA blieb allerdings aus, weil es sich hier schließlich um das „eigene“ Kapital drehte. Es ist überall das Gleiche: Die Erpressung der Beschäftigten durch Werksverlagerung soll zu jedem Verzicht bereit machen und eröffnet eine ständige Konkurrenz um niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Und viele stimmen aus Angst um ihren Job in den Standortnationalismus mit ein, wenn es nur zum Erhalt der Arbeitsplätze beiträgt. Dass es mitunter auch die eigene Situation verbessert, wenn anderswo erfolgreich gestreikt wird, wird leider viel zu selten gesehen.

Raus aus dem Kapitalismus!?

Die aktuellen Arbeitskämpfe haben keine grundlegend antikapitalistische Richtung. Ein kollektiver, über Ländergrenzen hinweg geführter Klassenkampf scheint meilenweit entfernt. Dennoch machen die derzeitigen Auseinandersetzungen deutlich, dass es einen Interessenkonflikt gibt und sie können zeigen, dass es sich lohnen kann, sich zu wehren. Ohne diese Risse im Netz der kapitalistischen Herrschaft und ohne die Räume, die diese Kämpfe für Gedanken über die bestehende Ordnung hinaus aufmachen, kommt eine revolutionäre Linke nicht aus. Eine Perspektive erhalten die Klassenkämpfe, die sich zunächst innerhalb des Kapitalismus abspielen, wenn sie den Tellerrand des eigenen Betriebs und nationaler Grenzen verlassen und sich aufeinander beziehen. Der Begriff der Klasse ist hierzulande beinahe völlig aus dem Wortschatz verschwunden, aber gerade die Betonung der Gemeinsamkeit der Lohnabhängigen in der ganzen Welt, aller zweifelsohne verschiedenen Lebenslagen zum Trotz, kann der Spaltung und dem gegeneinander Ausspielen von ArbeiterInnen und Erwerbslosen, von „Inländischen“ und „Ausländischen“ und von „Produktiven“ und „Unproduktiven“ entgegengestellt werden.

Dass die Wahrnehmung gesellschaftlicher Klassen noch nichts über den Grad von revolutionärem Bewusstsein aussagt und andere Unterdrückungsformen wie Sexismus und Rassismus ebenso bekämpft werden müssen, ist klar. Das Verständnis über gemeinsame Interessen aller Lohnabhängigen und die Notwendigkeit einer globalen Bewegung, die ihre Kämpfe zusammenführt, ist aber eine wichtige Voraussetzung. Die verstreut auf der Welt stattfindenden Auseinandersetzungen, nicht nur im Betrieb, sondern in sämtlichen Bereichen, haben trotz der unterschiedlichen konkreten Situationen die selbe Ursache. Wenn die Kämpfe über die Fabriken, Büros, heimische Schreibtische oder Schulen und Unis hinausgehen, ihre Gemeinsamkeiten erkennen und in der Gesellschaft ausgetragen werden, können sie eine Perspektive jenseits des Kapitalismus aufzeigen. In der Dynamik der Kämpfe besteht eine Chance für Lernprozesse, in denen Lohnarbeit und Kapital grundsätzlich in Zweifel gezogen werden können. Denn was Staat und Wirtschaft als Sachzwang aufgrund der Globalisierung darstellen, ist letztlich nichts anderes als die Auswirkung der profitorientierten Produktionsweise. Es ist keine Naturnotwendigkeit, dass sich Produktionsmittel unter privater Verfügungsgewalt befinden und sich alle Güter in zum Verkauf bestimmte Waren verwandeln. Allein im Kapitalismus ist der Sinn und Zweck der Produktion die Verwertung von Kapital und müssen sich Menschen als Arbeitskräfte in Konkurrenz zueinander befinden.

Der 1. Mai ist weltweiter Kampftag der ArbeiterInnen. Auch wenn die Gewerkschaften (gerade in der BRD) ihn zu einer handzahmen Veranstaltung haben verkommen lassen, so sind in vielen anderen Ländern Millionen Menschen auf den Straßen, um ihrer Ablehnung des Kapitalismus Ausdruck zu verleihen. Gerade dieser internationale Anspruch verdeutlicht die gemeinsamen Interessen der Lohnabhängigen in der ganzen Welt. Es gilt dem Standortwettbewerb und der weltweiten Konkurrenz eine Absage zu erteilen. Wir alle sind von ein und dem selben System betroffen! Während die Verwertung des Kapitals längst länderübergreifend funktioniert, sind die internationale Solidarität und das gemeinsame Handeln aller Lohnabhängigen kaum vorhanden. Doch genau das kann der 1. Mai verkörpern: Ein globaler Kampf gegen den Kapitalismus ist notwendig!