Der Grenzübergang Rafah

von Daanish Faruqi

04/09

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Kairo. Abdallah Al Ghoul war eine sichere Einreise über den ägyptischen Grenzübergang Rafah nach Gaza zugesichert worden. Der Gazastreifen ist seine Heimat. Nach drei Jahren im unfreiwilligen ägyptischen Exil (wo er gerade seine Ausbildung zum Filmer beendet), wollte er seine Familie wiedersehen. Am 6. März begleitete Abdallah eine Delegation (60 Personen), die nach Gaza einreiste. Gesponsert wurde diese Reise von 'Code Pink'. Es handelte sich um eine Solidaritätsaktion mit den Frauen von Gaza, zum Internationalen Frauentag (8. März). Es war wie ein kleines Wunder: Die ägyptischen Behörden wichen von ihrem Standardprotokoll ab und öffneten der Delegation den Übergang. Nachdem Abdallah 250 Ägyptische Pfund bezahlt hatte, wurde auch er durchgewunken. Man versprach ihm eine sichere Rückreise nach Beendigung des Heimaturlaubes.

Aber als Abdallah nach Ägypten zurückkehren wollte, bereuten die Behörden ihre Zustimmung. Sie sagten, mit seinen Papieren stimme etwas nicht. Sie wiesen ihn an, sich an Ramallah (in der Westbank) zu wenden, um seine Papiere in Ordnung bringen zu lassen und verboten die Wiedereinreise nach Ägypten. Aus diesem Grund steht der Abschluss seiner Ausbildung auf der Kippe.

Der Fall Abdallah ist frustrierend und bricht einem das Herz. Es ist so spektakulär unfair, jemandem die Wahl zu lassen, entweder sein Studium abzuschließen oder seine Lieben nach Jahren der Trennung (aufgrund der Grenzpolitik) wiederzusehen. Doch die Weigerung, Abdallah zurück nach Ägypten zu lassen, ist weit mehr als ein isolierter Einzelfall. Es wirft ein Schlaglicht auf die rein willkürliche Praxis ägyptischer Politik an der Grenze bei Rafah. Letztendlich ist Ägypten Komplize der humanitären Katastrophe in Gaza.

Die offizielle Politik der Ägyptischen Regierung heute heißt: Rafah muss hermetisch abgeriegelt bleiben. Die Gründe liegen jenseits der Kontrolle Ägyptens. Vor allem geht es um die Gefahr, "des Übergreifens des Aufstandes", sollten die Palästinenser massenhaft nach Ägypten strömen und die Ägyptische Muslimbrüderschaft (Ikhwan) radikalisieren. Wäre diese Begründung allerdings eine berechtigte Sorge, wären die Hände der Ägyptischen Regierung tatsächlich gebunden, warum wurde dann unserer Delegation freie Durchreise über Rafah nach Gaza gewährt? Von den Behörden kam kein einziger offizieller Piep. Es ist traurig, aber unsere Einreise wurde in erster Linie aus Gründen der PR genehmigt.

Als die Leiterin der Hilfsorganisation Ägyptischer Roter Halbmond (ERC), Suzanne Mubarak, von unserer Mission der Solidarität mit den Frauen von Gaza erfuhr, beeilte sie sich, unsere Ankunft und die sichere Einreise über Rafah zu erleichtern. Wir wissen es zu schätzen, wie sehr sich Frau Mubarak mit unserer Sache identfiziert hat. Allerdings fragen wir uns, ob unser Alternativplan, an der Grenze zu protestieren, falls man uns die Einreise verweigert hätte, zu ihrer Entscheidung beigetragen hat oder nicht. Eine Gruppe Demonstranten, die gegen den ägyptischen Staates demonstrieren, weil dieser sie am Internationalen Frauentag nicht die Frauen in Gaza unterstützen lässt, wäre sicher schlechte Propaganda. Angesichts der aktuellen Position Ägyptens gegenüber den USA wäre weitere schlechte Public Relations das Letzte, was Ägypten gebrauchen könnte.
Die Tatsache, dass wir nach Gaza einreisen durften, beweist, dass die ägyptischen Behörden die volle Oberhohheit über die Grenze von Rafah haben - obwohl sie das Gegenteil behaupten. Daher ist Ägypten auch voll verantwortlich, wenn es darum geht, dass nur sehr wenige Versorgungsgüter nach Gaza durch die flaschenhalsähnliche Verengung gelangen. Ein ganzes Stadion voller humanitärer und medizinischer Güter - Spenden aus dem Ausland für die Menschen in Gaza - hängt in Ägypten fest. Diese Güter kochen in der Sonne und nützen niemandem etwas. Als Folge davon wird in den Kliniken des Gazastreifens um das Leben sterbender Patienten gekämpft. Die Bauleute, die den Wiederaufbau leisten, sind schlecht ausgestattet, und es fehlt ihnen an Beton, um die beschädigten Gebäude zu reparieren. Durchschnittsbürger in Gaza können sich nicht einmal das nötige Kochgas sichern. Zurecht könnten sie die Ägyptische Regierung für ihre aktuelle Notlage verantwortlich machen.

Was die Situation besonders frustrierend macht, ist, dass die Rafah-Politik der Ägyptischen Regierung in krassem Gegensatz zu der öffentlichen Haltung in Ägypten steht. Ganz normale Ägypter, die von unserer Mission, den Frauen in Gaza zu helfen, erfuhren, öffneten uns und unserer Sache ihre Herzen in sehr großzügiger Weise. Geschäftsleute bestanden darauf, uns die Versorgungsgüter, die wir einkauften, zu Schnäppchenpreisen zu überlassen, als Geste des guten Willens. Das Busunternehmen, das uns nach Gaza fuhr, verzichtete auf die Bezahlung, nachdem sie unsere Pressekonferenz in Kairo gehört hatten. Wir mussten nicht einmal das Benzin zahlen. Die Ägypten zeigen klare Sympathien für Gazas humanitäre Notlage. Das macht die Abriegelung des Grenzübergangs Rafah umso unerträglicher.

Am Montag erklärten die ägyptischen Behörden, der Grenzübergang Rafah werde für zwei Tage geöffnet, damit Studenten und Kranke, die in Ägypten festsitzen, nach Gaza heimkehren könnten. Mit dieser Ankündigung macht man es sich leicht, sie sagt nichts über das Schicksal von Menschen wie Abdallah, die auf der palästinensischen Seite der Grenze festsitzen. Wir hoffen sehr, dass Abdallah während des zweitägigen Waffenstillstandes sichere Durchreise nach Ägypten gewährt werden wird. Aber selbst wenn es zu dieser Geste des guten Willens käme, bedeutete dies noch nicht den sicheren Durchtransport humanitärer Güter, die derzeit unter ägyptischer Verwaltung stehen. Die Lieferung dieser Güter steht im Moment im Zentrum der Unzufriedenheit der Menschen in Gaza - und der in Ägypten. Mit vielen Gesten hat Ägypten einen Beitrag zum Frieden zwischen Israel und Gaza beigetragen. Doch in einem Bereich, über den es volle Jurisdiktion hat, nämlich bei der Kontrolle seiner Grenze, hat Ägypten elendiglich versagt. Falls Ägypten erwartet, als Schiedsrichter in der Region auch nur ein wenig ernstgenommen zu werden, muss es die Grenze bei Rafah umgehend öffnen.
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien am 28.03.2009 bei Lebanon Daily Star  und  ZNet. Wir spiegelten von dort. Übersetzt von: Andrea Noll.

Daanish Faruqi
arbeitet als Ägyptenexperte für Voices for a Democratic Egypt mit Sitz in Washington ( www.democtraticegypt.org ). Als Teil einer von Code Pink ( Women for Peace www.codepink4peace.org ) finanzierten Fact-finding-Delegation reiste er vor kurzem durch Gaza. Sie erreichen ihn unter daanish@democraticegypt.org