Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen antikapitalistisch?

von Wal Buchenberg

04/09

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Eine recht bunte Mischung von Sozialreformern trägt und befürwortet die Forderung nach einem bedingungslose Grundeinkommen aus ganz unterschiedlichen Zielsetzungen, die alle nicht über den Kapitalismus hinausreichen.

Nun gibt es radikale Linke, die sagen: Das Grundeinkommen sei ein Fortschritt für die Lohnarbeiterklasse. Das Grundeinkommen sei ein Schritt zur Überwindung des Kapitalismus.

Um das zu klären, darf und muss man alle Zweifel an der Machbarkeit eines menschenwürdigen Einkommens für alle im Kapitalismus beiseite stellen. Es geht dann nur um die Zielvorstellung, nicht um deren Realisierbarkeit.

Unterstellen wir die Einführung eines menschenwürdigen und bedingungslosen Grundeinkommens für alle, so wäre das sichtbarste Ärgernis des Kapitalismus, nämlich die Schicht der Ärmsten, die nicht einmal ihre Arbeitskraft verkaufen können, aus der Welt geschaffen, Gleichzeitig bleibt der Zwang zur Lohnarbeit grundsätzlich bestehen.
Die Ausbeutung der einheimischen Lohnarbeiter bleibt bestehen, wenn auch ihre Zahl auf ein Minimum reduziert wird. Die Ausbeutung der Lohnarbeiter im Ausland bleibt möglichweise unberührt, aller Voraussicht nach wird die Ausbeutung im Ausland in jeder Hinsicht verstärkt.

In diesem Fall wäre für die passiven Versorgungsempfänger im Inland eine Lage geschaffen, die der des Römischen Proletariats gleicht: Das Römische Proletariat wurde durch staatliche Fürsorge an der Ausbeutung der von Rom unterworfenen Welt beteiligt und damit weitgehend von eigener Arbeit befreit.

Daraus ziehe ich die Schlussfolgerungen:

Die Realisierung des bedingungslosen Grundeinkommens würde Macht und Einfluss der Staatsbürokratie vergrößern, die dann noch größere und noch wichtigere Transferzahlungen verwaltet als heute schon;  Die Realisierung des bedingungslosen Grundeinkommens würde einen Großteil der Gesellschaftsmitglieder zu passiven Versorgungsempfängern
machen;  Die Realisierung des bedingungslosen Grundeinkommens würde die kollektive Kampfposition der Lohnarbeiter gegenüber den Kapitalisten schwächen. Bezeichnenderweise sollen auch mit Realisierung des Grundeinkommens alle Arbeiterschutzrechte (Kündigungsschutz etc.) entfallen.

Einen Weg zur Emanzipation von Lohnarbeit und Kapital sehe ich da nicht, ganz im Gegenteil.

Über Malthus schrieb Karl Marx: "Seine höchste Hoffnung - die er selbst als mehr oder weniger utopisch bezeichnet - ist, dass die Masse der Mittelklasse wächst und das Proletariat (das arbeitende) einen immer verhältnismäßig kleineren Teil der Gesamtpopulation bildet (wenn es auch absolut wächst). Dies ist in der Tat der Gang der
Bourgeoisgesellschaft". MEW 26-3, 57.

Die Zahl der aktiven Arbeiter relativ zu reduzieren, aber gleichzeitig die Arbeitslast für diese aktiven Arbeiter ständig auszuweiten und zu vergrößern, das ist in der Tat der kapitalistische Gang in Deutschland seit rund 20 Jahren. Diese Entwicklung ist typisch für kapitalistische Regionen, wo die allgemeine Profitrate tatsächlich sinkt. Diese kapitalistische Tendenz wollen die Befürworter des Grundeinkommens auf die Spitze treiben.

Dazu meinte Karl Marx: "Es ist immer der Wunsch, den möglichst kleinen Teil der Gesellschaft zur Sklaverei der Arbeit, zur Zwangsarbeit zu verdammen. Dies ist das Höchste, wozu es auf dem kapitalistischen Standpunkt gebracht wird." Karl Marx, MEW 26-3, 253.

Dieser kapitalistische Standpunkt, die Zahl der Lohnarbeiter zu reduzieren, den Zwang zur Lohnarbeit aber bestehen zu lassen, das wird von radikal-linken GE-Vertretern als im Interesse der Lohnarbeiter hingestellt. Das kann nicht überzeugen. Karl Marx und Friedrich Engels hatten eine ganz andere Zielvorstellung einer nachkapitalistischen, emanzipierten Gesellschaft. Karl Marx und Friedrich Engels wollten nicht wie unsere radikalen Sozialreformer die Zahl der produktiven Arbeiter möglichst beschränken, um die Bevölkerungsmehrheit zu passiven Staats-Rentnern zu machen, ganz im Gegenteil bezeichneten sie den Kommunismus als eine Gesellschaft, in der alle zu produktiven Arbeitern werden:

„... Die Gesellschaft (konnte) doch niemals ohne eine Klasse von Produzenten leben. Diese Klasse ist also unter allen Umständen notwendig – wenn auch die Zeit kommen muss, in der sie nicht länger eine Klasse sein, sondern die ganze Gesellschaft umfassen wird.“ F. Engels, Gesellschaftsklassen, MEW 19, 287.

„Einmal die Arbeit emanzipiert, so wird jeder Mensch ein Arbeiter, und produktive Arbeit hört auf, eine Klasseneigenschaft zu sein.“ K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 342.

Die Entwicklungsrichtung hin zu einer selbst bestimmten Gesellschaft, die
Marx (und Engels) sahen, ist den Bestrebungen des Grundeinkommens genau
entgegengesetzt.

Unsere Existenz-Bedürfnisse und erst recht unsere Bedürfnisse nach einem schöneren Leben, erfordern unter allen gesellschaftlichen Bedingungen produktive Arbeit. Dieser Zwang zur Arbeit soll nicht auf wenige Unglückliche konzentiert werden, sondern durch Verteilung auf alle Gesellschaftsmitglieder auf ein Minimum für jeden Einzelnen reduziert
werden.

„Erst die durch die große Industrie erreichte ungeheure Steigerung der Produktivkräfte erlaubt, die Arbeit auf alle Gesellschaftsmitglieder ohne Ausnahme zu verteilen und dadurch die Arbeitszeit eines jeden so zu beschränken, dass für alle hinreichend freie Zeit bleibt, um sich an den allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft – theoretischen wie
praktischen - zu beteiligen.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 169.

"Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen Produktion notwendige Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags umso kürzer, der für freie, geistige und gesellschaftlicher Betätigung der Individuen eroberte Zeitteil also umso größer, je gleichmäßiger die Arbeit unter alle werkfähigen Glieder der Gesellschaft verteilt ist, je weniger eine Gesellschaftsschicht die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab- und einer anderen Schicht zuwälzen kann.

Die absolute Grenze für die Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der Arbeit." K. Marx, Kapital I, MEW 23,

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor am 28.3.09. Er geht zurück auf eine Diskussion im Karl-Marx-Forum ,die von AgneS angestoßen wurde.