Die Haftbedingungen gegen Mustafa Atalay sind schlimmer als  die gegen RAF-Gefangene in den 70er Jahren

04/09

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Peter O. Chotjewitz hat sich als Schriftsteller einen Namen gemacht. 2007 hat er mit dem Roman „Mein Freund Klaus“ an den leider weitgehenden vergessenen Rechtsanwalt und Verteidiger mehrerer RAF-Gefangenen Klaus Croissant ein literarisches Denkmal gesetzt. Croissant kam in den 70er Jahren als entschiedener Verteidiger seiner Mandanten ins Visier des Staates, der damals die ganze Palette von Repression, Haft, Verleumdung gegen ihn auffahren ließ. Zur damaligen Zeit war auch Peter Chotjewitz, was viele nicht wissen, kurze Zeit Rechtsanwalt. Er verteidigte Andreas Baader und Peter Paul Zahl, danach hängte er den Rechtsanwaltsberuf an den Nagel. Darüber schrieb er 1977 das damals viel gelesene Buch „Die Herren des Morgengrauens“. Warum Peter Chotjewitz vor kurzem wieder nach Stuttgart-Stammhein ging, erzählt er in dem Gespräch.

Warum haben Sie kürzlich Mustafa Atalay in der JVA Stuttgart-Stammheim besucht?

 P.C.: Weil er einer von fünf türkischen Genossen ist, die nach dem neuen Paragraphen 129 b angeklagt sind. Ihnen wird Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Türkei vorgeworfen. Ich halte das ganze Verfahren für eine Farce.

Woran machen Sie diese Beurteilung fest?

 P.C.: Der Hauptbelastungszeuge in dem Verfahren ist ein psychopathischer Doppelagent, der für den türkischen Geheimdienst und das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz gearbeitet hat. Eine Marionette. Er beschuldigt die Angeklagten fälschlich, in einen Waffentransport verwickelt zu sein. Seine Aussagen sind widersprüchlich und verworren. Ich vermute, dass der türkische Staat hier mit Hilfe der deutschen Justiz mit politischen Gegnern abrechnen will.

Welche Gruppierung sollen die Angeklagten unterstützt haben?

P.C.: Die DHKP/C, eine marxistisch-leninistische Partei. Ihre Vorgängerin war Dev Sol, die 1981 nach dem Militärputsch in der Türkei verboten wurde. Die DHKP/C ist seit 1998 auch in Deutschland verboten und steht auf den schwarzen Listen von USA und EU. Gegen ihre Sympathisanten finden in Deutschland regelmäßig Hetzjagden statt.

Wie ist die Situation von Mustafa Atalay in der Haft?
P.C.:
Ihm geht es gesundheitlich sehr schlecht. Er war mehrere Jahre in der Türkei inhaftiert, weil er angeblich Kontakt zu Dev Sol hatte, und wurde dort gefoltert. An den Folgen leidet er noch heute. Er wurde 2006 drei Wochen nach einer schweren Herzoperation aus einer deutschen Rehabilitationsklinik verschleppt, verhaftet und sitzt seit längerer Zeit in der berüchtigten Haftanstalt Stuttgart-Stammheim, wo im Prozeßbunker auch das Strafverfahren über die Bühne geht. Seine Verteidiger halten ihn für haftunfähig und nicht für verhandlungsfähig. Er müßte wegen seiner defekten Herzkranzgefäße dringend weiter behandelt werden, wird aber nur medikamentös auf den Beinen gehalten.

Sie haben als Rechtsanwalt in den 70er Jahren Andreas Baader verteidigt. Sehen Sie Parallelen zu diesen Verfahren?

P.C.: Die sind vorhanden. Genau wie bei dem Verfahren gegen Meinhof, Baader u.a. wurde in dem aktuellen Verfahren ein „Hilfssenat“ eingesetzt, der nach Prozessende wieder aufgelöst wird. Also ein Sondergericht an der kurzen Leine der Staatsschutzbehörden. Die Haftbedingungen und die Art der Prozeßführung ähneln sich stark. Die Schikanen gegen Besucher sind ähnlich. Die anwaltlichen Rechte sind beschnitten.

Welche Parallelen gibt es bei den Haftbedingungen?

P.C.: Teilweise sind die heutigen Angeklagten schlechter daran, als die Gefangenen in den 70er Jahren. Sie haben keinen Umschluss und müssen 23 Stunden allein in der Zelle oder wie Mustafa Atalay in der Krankenstation verbringen. Sie können also keine Verteidigungslinie bestimmen und drohen seelisch und intellektuell zu verkümmern. Da sie keine politischen Schriften erhalten, ist es für sie schwierig, sich über aktuelle Probleme zu informieren oder an Auseinandersetzungen teilzunehmen.

Planen Sie die Wiederholung des Besuchs?

P.C.: Atalay ist Journalist und Sozialist, kein Terrorist. Er schreibt auch Gedichte und plant einen Roman. Er ist also ein Kollege, und ich möchte mich deshalb öfter mit ihm unterhalten – möglichst nicht, wie bisher, mit einem Beamten des BKA im Nacken und ohne Trennscheibe. Da Mustafa aber nur zwei Stunden monatlich Besuch empfangen darf, muss er sich gut überlegen, wen er einlädt.
 

Editorische Anmerkungen

Den  Text erhielten wir von Peter Nowak für diese Ausgabe.