Die arbeitenden Schwestern
und der Maoismus

Zwei Bücher werfen einen denkbar unterschiedlichen Blick auf maoistische Theorie und Praxis

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ine Doppelrezension
von Peter Nowak

04/09

trend
onlinezeitung

 „Kurz vor Mittag näherte sich eine schwarze Limousine. Der Vater und Freunde aus seinem Dorf vermuteten,  es sei das Auto des Fabrikdirektors. Sie gingen auf das Auto zu und hielten es an. Ein Mann steigt aus, schaute sie von oben herab gleichgültig an und beschimpfte diese alten Leute, die schon den ganzen Vormittag gewartet hatten.“ Diese frühkapitalistisch anmutende Szene hat sich im Jahr 2001 in China abgespielt. Nachzulesen ist die Episode in dem Buch „Dagongmei“. Mit diesem chinesischen Wort, das sich mit arbeitenden Schwestern  übersetzen lässt, werden die Wanderarbeiterinnen bezeichnet, die aus den chinesischen Dörfer in die Weltmarktfabriken ziehen, die das Rückgrat  des chinesischen Wirtschaftswunders sind.     

In dem Buch werden 12 Gesichten dieser arbeitenden Schwestern vorgestellt. Aufgenommen wurden die Gespräche von der Pekinger Sozialwissenschaftlerin Pun Ngai und der Hongkonger Arbeiteraktivistin Li Wanwei.

Die Berichte werfen ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Arbeitswelt der aufstrebenden  Weltmacht China. Hier erzählt eine Frau, dass sie kurz nach Arbeitsbeginn einen Finger verlor, weil sie nicht richtig in den Umgang mit den gefährlichen Maschinen eingewiesen worden war. Frauen erkranken schwer, weil sie ohne jeglichen Schutz mit gefährlichem Klebstoff arbeiten müssen und über die Ursachen ihrer Krankheiten im Unklarheiten gelassen werden. Da findet sich auch die Geschichte von Chunmei, die an Überarbeitung starb und deren Eltern verjagt wurden, als sie vor dem Fabriktor Aufklärung über die Arbeitsumstände ihrer Tochter verlangten.

Doch es sind nicht nur Opfergeschichten, die uns hier präsentiert werden. Die Dagongmei. werden auch als selbstbewusste Frauen vorgestellt, die der Enge des Dorflebens entfliehen, um in der Stadt ihr eigenes Leben zu beginnen. Darunter ist auch die 50jährige Cuiyi, die als Dagongmei Geld zum Überleben von Mann und Kindern nach Hause schickte, darauf sehr stolz war und dann doch wieder ins ungeliebte Dorf zurück musste, nachdem die Schwiegertochter schwanger geworden war.

Das Buch handelt auch von erfolgreicher Auflehnung. Da kämpfte eine ganze Schicht erfolgreich darum, bei der monotonen Arbeit, Radio hören zu dürfen. Als ein Meister ein Verbot aussprach, traten sie kollektiv in den Bummelstreik. Die letzte im Buch dokumentierte Geschichte handelt von Weizhen, die sich in einen Arbeiterinnen-Netzwerk engagiert, und erfolgreich Widerstand gegen niedrigen Lohn und Arbeitshetze organisiert. Dabei beruft sie sich auf die maoistischen Gleichheitsvorstellungen, mit denen sie aufgewachsen ist. Leider werden die Diskussionen über ein neues Arbeitsrecht, die in den letzten Jahren unter Beteiligung internationaler Arbeitsrechtler von der chinesischen Regierung  geführt wurden, nur am Rande erwähnt.  Dass sich im Skandal um den giftigen Klebstoff die offizielle Frauenorganisation einschaltete und auch für die Behandlung der Opfer sorgte scheint auch hier auf ein gewachsenes Problembewusstsein hinzudeuten. Allerdings wird wohl auch in Zukunft der  Druck auch der arbeitenden Schwestern nötig sein. Zumal die aktuelle Wirtschaftskrise auch in China schon Folgen gezeigt hat. Viele Tausend LeiharbeiterInnen sind mittlerweile entlassen worden.

Das Buch kann dabei helfen, dass sie auch in  Deutschland bekannter werden und die Produzentinnen der vielen chinesischen Exportprodukte ein Gesicht bekommen. Auf der   www.gongchao.org  sind weitere Geschichten und Hintergründe veröffentlicht. Dort finden sich  auch Beiträge über ArbeiterInnenunruhen in China.  

Die Geschichte des Maoismus

Daneben lädt das Buch ein über den Charakter des Maoismus genauer nachzudenken.. Gerade die Kulturrevolution wurde von linken TheoretikerInnen auch im Westen  als egalitäre,  linkskommunistische Variante des Kommunismus diskutiert.  Wohl nicht ganz zu unrecht,   wie Henning Böke in seiner leicht zu lesenden Einführung in den Maoismus nahe legt. Tatsächlich enthält die maoistische Ideologie Elemente einer Gleichheitsideologie. Gerade in der maoistischen Ideologie spielte die Erkenntnis eine große Rolle, dass man mit der Ideologie der kapitalistischen Sachzwänge und des Expertentums keinen Sozialismus aufbauen kann. Spätestens seit 25 Jahren aber triumphiert in China genau jene Politik, die der Maoismus einmal abgelehnt hatte. Bökes in der heutigen Zeit außergewöhnlich seltene Sicht auf den Maoismus, die aber durchaus nicht unkritisch ist, sollte man sich nicht entgehen lassen. Beide Bücher, die einen denkbar unterschiedlichen Blick auf die maoistischen Theorie und Praxis werfen, lohnen nicht nur eine gründliche Lektüre sondern auch eine ausführliche Diskussion.                                               


 

Pun Ngai/Li Wanwei
Dagongmei.
Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen.
Assoziation A
Hamburg und Berlin 2008,
260 Seiten, 18 Euro

Henning Böke
Maoismus.

China und die Linke - Bilanz und Perspektive
2007. 215 Seiten,
Buchreihe theorie.org
Broschiert,
10.00 EUR.
ISBN 3-89657-596-1