Guadeloupe
Alle Niedriglohn-Empfänger/innen erhalten die 200 Euro - aber nur für drei Jahre garantiert

von Bernard Schmid

04/09

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Allgemeinverbindlich-Erklärung „amputiert“ das Abkommen vom o4. März. LKP-Sprecher Elie Domota sagt „neue Streiks“ voraus.

Seit Freitag, den o3. April steht es nun fest: Das Abkommen auf der Insel Guadeloupe vom o4. März dieses Jahres, das allen Empfänger/inne/n von Niedriglöhnen 200 Euro Lohnerhöhung verspricht, wird für „allgemein verbindlich“ erklärt. Die Allgemeinverbindlich-Erklärung oder „AVE“ (französisch: ‚extension’) eines Kollektivvertrags sorgt dafür, dass er für alle Unternehmen rechtsverbindlich wirkt und auch dann Anwendung findet, wenn der jeweilige Arbeitgeber oder der Verband, dem er angehört, dem Abkommen nicht zugestimmt hat. 

Zuvor hatte es bei der Umsetzung des Abkommens geklemmt. (Vgl. http://www.labournet.de/) Am o7. März war deswegen die Prozedur zur ‚extension’ des Abkommens eingeleitet worden, aber das Verfahren - das ursprünglich am 20. März enden sollte - hatte sich verzögert. 

Nun steht fest, dass das Abkommen zwischen dem LKP („Kollektiv gegen die Ausbeutung“), der Inselregierung und der Staatsmacht vom o4. März die ‚extension’ erfährt. Doch die Aussage enthält ein ganz großes „Aber“: Ausgeschlossen von der Allgemeinverbindlich-Erklärung bleibt - nach heftigem Streit zwischen den so genannten „Sozialpartnern“, die der Nationalen Tarifkommission (Commission nationale de la négociation collective) angehörten - jene Klausel, die einen Fortbestand der Lohnerhöhung um 200 Euro über die Dauer von drei Jahren hinaus zusichert. Während dieser dreijährigen Periode übernehmen nämlich der französische Staat, die Inselregierung sowie die Sozialkassen insgesamt 150 von den 200 Euro Lohnerhöhung; die Arbeitgeber müssen ihrerseits nur 50 Euro hinzuzahlen. Aber nach Ablauf der dreijährigen Frist sollte der Anteil der öffentlichen Hand wegfallen, und die Arbeitgeber sollten auch diesen Anteil an der Lohnerhöhung übernehmen.  

Letztere Regelung fällt nun aus dem für „allgemein verbindlich“ erklärten Abkommen heraus, das damit laut Auffassung von Kritiker/inne/n an entscheidender Stelle „amputiert“ wird. Der Sprecher des LKP, Elie Domota (der sich dafür ausspricht, Druck in den einzelnen Betrieben für die Annahme des Abkommens zu entwickeln) sagt deshalb für die nähere Zukunft „viele Streiks“ in Guadeloupe voraus. 

Unterdessen hat das LKP angekündigt, die durch Präsident Sarkozy ab diesem Monat (April) angekündigte Abhaltung von „Generalständen der Überseegebiete“ (Etats-généraux de l’outre-mer) zu boykottieren. Bei den „Generalständen“ handelt es sich, in Anlehnung an die Bezeichnung der parlamentsähnlichen Ständeversammlung im monarchischen Feudalstaat vor 1789, um einen groben Kongress, an dem theoretisch alle relevanten gesellschaftlichen Akteure durch Repräsentanten teilnehmen sollen. Nicolas Sarkozy hatte solche „Generalstände“ für die französischen Überseebezirke (Guadeloupe, La Martinique, Französisch-Guyana, La Réunion) ab April angekündigt, als im Februar 2009 auf den Antillen der Generalstreik tobte. Doch das LKP verspricht sich von einer Beteiligung derzeit nichts. 

Unterdessen wurde bekannt, dass die Verhandlungen um eine Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung auf La Réunion (im Indischen Ozean, rund 800.000 Einwohner/innen) Fortschritte verzeichneten. Dort führt das, mit dem LKP vergleichbare, „zivilgesellschaftliche“ Kollektiv COSPAR („Kollektiv der sozialen, politischen und bürgerinitiativförmigen Organisationen von La Réunion“) den Sozialprotest an. Auf La Réunion wurden am Dienstag und Mittwoch vergangener Woche zwei Abkommen zur Senkung der Preise von Grundversorgungsgütern unterzeichnet, die dort ähnlich wie in anderen „Überseegebieten“ unverschämt überhöht ausfallen – da die Insel durch einen „Konsumkorridor“ (so die kritische Analyse der französischen KP) von der Metropole aus versorgt wird, statt bevorzugt Beziehungen zu ihrem geographischen Umfeld zu unterhalten. Hingegen steht ein Abkommen zur Anhebung der (unteren) Löhne, ähnlich dem auf den Antilleninseln Guadeloupe und La Martinique – wo jeweils 200 Euro Erhöhung für die Niedriglöhne herausgeholt werden konnten – bislang noch aus. (Vgl. ‚L’Humanité’ vom o6. April.)  

Auch in Französisch-Guyana finden vergleichbare Verhandlungen statt. Letzteres „Überseegebiet“ wird jedoch durch die französische Staatsmacht, gemessen am Umgang mit den anderen dreien, vergleichsweise mit Samthandschuhen angefasst: Französisch-Guyana ist der Standort der strategisch wichtigen Abschussbasis für die ‚Ariana’ und andere weitreichende Raketen, die in Kourou (bei Cayenne) stationiert ist. Auch dort müssen die Probleme des Lebensniveaus angepackt werden, doch finden sie eine vergleichsweise einvernehmliche Lösung. Schon im Herbst 2008 wurden dort nach ersten Protesten schnell die Treibstoffpreise gesenkt, und der örtliche Arbeitgeberverband MEDEF beeilte sich, entsprechende Forderungen von Gewerkschaften und Sozialinitiativen zu unterstützen. Auf anderen Gebieten haben Verhandlungen über die Frage der Lebenshaltungskosten begonnen. Zum Thema „Kaufkraft“ wurden die Verhandlungen Ende März eröffnet. (Vgl. http://www.lexpress.fr ) Auch hier vertritt ein Kollektiv namens ‚Mayouri Kont Leksplwatasyon’ (Kollektiv gegen Ausbeutung) die Teilnehmer/innen am Sozialprotest. 

Vgl. zu Guadeloupe auch: 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.