NATO-Gipfel in Strasbourg
Zur vollständigen Rückkehr Frankreichs in die militärischen Kommandostrukturen der Nordatlantik-Allianz

von Bernard Schmid

04/09

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Neben den Personalentscheidungen, insbesondere der Wahl von Aders Fogh Rasmussen zum neuen Generalsekretär des Militärbündnisses (vgl. nebenstehenden Artikel), besiegelt der NATO-Gipfel von Strasbourg auch die vollständige Rückkehr Frankreichs in das gemeinsame Oberkommando der Nordatlantik-Allianz.

Der damalige Präsident Charles de Gaulle, der auf den Erhalt eines eigenständigen Großmachtstatus Frankreich und eine gewisse Distanz zu den USA –ja eine, jedenfalls formale und verbal bekundete, Äquidistanz zu USA und UdSSR – bedacht war, hatte 1966 den Rückzug seines Landes verkündet. Nicht dessen Austritt aus der NATO, aber jenen aus dem „integrierten militärischen Oberkommando“. Im selben Jahr hatte er sich in seiner berühmten „Rede von Phnom Penh“ vom massenmörderischen Krieg der USA in Vietnam abgesetzt. Damals, 1966, wurden die US-Militärbasis in Châteauroux und der Luftwaffenstützpunkt in Chaumont geschlossen.

Doch schon Ende 1995 vollzog der seinerzeitige französische Präsident Jacques Chirac eine vollständige Annäherung der französischen Militär- an die NATO-Strategie, die sich u.a. auch in der Umwandlung der französischen Armee von einer Wehrpflichtigen- zu einer „eingreifsfähigen“ Berufsarmee niederschlug. Im Jahr 2000/01 verrichteten die letzten wehrpflichtigen französischen Soldaten ihren Dienst., seitdem gibt es nur noch Berufsmilitärs, ähnlich wie in den USA. Es blieb, dass Frankreich nicht in einigen führenden Gremien der NATO vertreten war.

Laut jüngsten Enthüllungen und Insiderberichten wurde die Entscheidung zur Rückkehr Frankreichs dorthin schon Ende Juli 2007 im Büro von Präsident Nicolas Sarkozy, kaum zwei Monate im Amt, getroffen, wenngleich sie erst ein Jahr später offiziell verkündet worden ist. Anlässlich des „privaten“ Besuchs von Sarkozy bei US-Präsident George W. Bush in seiner Sommerresidenz in Kennebunkport im Bundesstaat Maine, Mitte August 2007, wurden demnach die letzten Weichen gestellt. (Vgl. http://globe.blogs. ) Aufgrund der extremen Unpopularität der Bush-Administration beschloss man jedoch in Paris, die offizielle Rückkehr erst anlässlich des „Jubiläumsgipfels“ von April 2009 zum 60. Jahrestag der NATO-Gründung, also nach der Präsidentschaftswahl in den USA, zu vollziehen.

Als „Gegenleistung“ erhielt Frankreich zwei NATO-Kommandos zugeschanzt, ein „operatives“ Kommando in Norfolk sowie das Oberkommando über di ein Lissabon stationierte „Reaktionskraft“ für Krisenfälle. Letztere ist allerdings kaum operationsfähig und kam bislang nur ein einziges Mal, bei der Krisenhilfe für Erdbebenopfer in Pakistan, zum Einsatz. Kritiker/innen innerhalb des politischen Establishments Frankreichs, etwa der neogaullistische Ex-Premierminister Dominique de Villepin (Regierungschef von 2005 bis 07 und damals groer Rivale Sarkozys im bürgerlichen Lager), sprechen deshalb von einer „Anpassung an die USA ohne veritable Gegenleistung für Frankreich“.

Abweichende Stimmen innerhalb des bürgerlichen Lagers wurden durch die Staatsspitze jedoch zum Schweigen gebracht: Anlässlich der NATO-Debatte in der französischen Nationalversammlung am 17. März 09 verknüpfte die Regierung unter Sarkozys Premierminister François Fillon die Sachdebatte mit der Vertrauensfrage für seine Regierung. Die Abstimmung zwang so (fast) alle Abgeordneten des bürgerlichen Lagers, mit „ihrer“ Regierung zu stimmen, während die Sozialdemokratie als die veritable Opposition zur neuen Militärstrategie Frankreichs dastand. In Wirklichkeit hat allerdings die französische Sozialdemokratie eine wesentlich „atlantizistischere“ Tradition als der Gaullismus, und auf der Rechten wie auf der Linken gab und gibt es erhebliche Widerstände gegen die Neudefinition der französischen Militär- und Bündnispolitik. Allerdings geht die Staatsspitze um Nicolas Sarkozy definitiv davon aus, dass die Rolle Frankreichs in der Welt auf Dauer nur im engst möglichen Bündnis mit der US-Administration, und nicht mehr durch den Versuch eigenständiger internationaler Profilierung (wie zuletzt vor dem Iraqfeldzug Anfang 2003), zu bewahren sei.

Einem einzigen Gremium des Militärbündnisses bleibt Frankreich jetzt noch fern: der „Nuklearen Planungsgruppe“ der NATO. Denn nach wie vor wacht man im offiziellen Paris eifersüchtig über den eigenen „Finger am atomaren Drücker“.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.