Beim zweiten Durchgang der
französischen Regionalparlamentswahlen - der Stichwahl, bei
denen die einfache Mehrheit für die Übernahme der
Regionalpräsidentschaft durch den Spitzenkandidaten der
stärksten Liste genügt - am Sonntag (21. März) konnte der
rechtsextreme Front National (FN) noch in 12 von 22 Regionen
antreten. Dabei wird Frankreich ohne die vier Überseeregionen
zur Grundlage genommen. Um in die Stichwahl einziehen zu können,
sind mindestens zehn Prozent der abgegebenen Stimmen im ersten
Wahlgang erforderlich.
Kurze Bilanz des ersten Wahlgangs
In zehn Regionen, die fast
ausschließlich in Westfrankreich liegen, war der FN deswegen am
Abend des 14. März 10 - nach dem ersten Wahlgang - aus dem
Rennen ausgeschieden. Damals hatte die extreme Rechte
frankreichweit gut 12,5 Prozent der Stimmen enthalten. Davon
entfielen rund 11,5 Prozent auf den Front National. (Die Angaben
variieren leicht, zwischen 11,4 % und 11,7 %, doch dürften diese
Varianten auf die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung
der französischen Überseegebiete außerhalb Europas im
Gesamtergebnis zurückzuführen sein. Das amtliche Endergebnis des
Pariser Innenministeriums, das die vier Regionen außerhalb des
französischen Staatsgebiets mit berücksichtigt, erkennt dem FN
11,42 % der Stimmen zu.)
Weitere 1,1 Prozent entfielen auf sonstige
rechtsextreme Listen, die jedoch nur in rund einem Drittel der
französischen Regionen - ohne Übersee - antreten konnten. Zu
ihnen zählen eine christlich-fundamentalistische Liste von
radikalen Abtreibungsgegnern wie Xavier Dor im Raum Paris (rund
0,9 Prozent), vier Listen des ,Parti de France’ (PdF,
„Partei Frankreichs“) unter dem Ex-Generalsekretär des FN Carl
Lang mit Ergebnissen zwischen 1,5 % und 3,7 Prozent der Stimmen,
und zwei Listen „Nein zu Minaretten“ in Lothringen und im
französischen Jura mit 3,0 respektive 2,5 Prozent. Auch die
,Ligue du Sud’ unter Jacques Bompard, dem Bürgermeister von
Orange (früher FN), zusammen mit dem ,Bloc identitaire’ gehört
hierher. In der südostfranzösischen Region PACA, zwischen
Marseille und Nizza, erhielt sie 2,7 Prozent der Stimmen.
Jacques Bompard kündigte Ende vergangener Woche an, die ,Ligue
du Sud’ als politische Partei aufrecht zu erhalten.
Einzug des FN in die Stichwahlen
Hingegen konnte er in fast allen
Regionen östlich einer Linie, die in Nord-Süd-Richtung von Le
Havre nach Montpellier gezogen werden kann, (mit Ausnahme des
Großraums Paris und Korsikas) an den Stichwahlen vom 21. März
teilnehmen. Traditionell ist die extreme Rechte im östlichen
Frankreich erheblich stärker als an der Atlantikseite.
Ursächlich dafür sind u.a. das stärkere Durchschlagen der
industriellen Krise in den traditionellen Industrierevieren, die
vorwiegend in diesem Landesteil liegen - der Westen war lange
Zeit agrarisch geprägt und erhielt zum Großteil erst ab den 60er
Jahre eigene Industrien -, aber auch die stärkere verbliebene
Bindewirkung des christlichen Milieus in Westfrankreich. Dessen
Abbröckeln in anderen Landesteilen wurde, im Namen der
ideologischen „Sinnstiftung“, zum Teil durch die extreme Rechte
kompensiert.
In den zwölf Regionen, wo er noch
der Stichwahl antreten konnte, gelang es dem FN ausnahmslos,
Stimmengewinne zu erzielen. Dort, wo er kandidieren konnte,
erzielte der FN im Durchschnitt 17,81 Prozent. Dies ergibt einen
nominellen nationalen Stimmenanteil von 9,4 Prozent, wenn für
die Regionen, wo er nicht antreten konnte, ein Anteil von null
Prozent einberechnet wird.
Erstmals wurde beobachtet, dass die
rechtsextreme Partei ihren Stimmenanteil im Zeitraum zwischen
dem ersten und dem zweiten Wahlgang nicht nur stabilisieren,
sondern noch erheblich steigern konnte. In der Regel gewann der
FN zwischen zwei und vier Prozent der Stimmen hinzu. Der höchste
Stimmenzuwachs wurde unterdessen im Languedoc-Roussillon, der
südfranzösischen Region rund um Montpellier, verzeichnet: von
12,67 auf 19,38 Prozent.
Der FN konnte seine beiden
unterschiedlichen Wählerschaft wieder an sich binden
Der niedrigste Stimmenanteil für den FN in
einer Region liegt bei 13,5 Prozent in der, ländlich geprägten,
Region „Zentrum“ rund um Orléans. Die höchsten Stimmenanteile
liegen in der südostfranzösischen Region PACA
(Provence-Alpes-Côte d’Azur), wo Jean-Marie Le Pen die Liste
anführte, mit 22,87 Prozent und für die Liste unter Marine Le
Pen im früheren Bergbaurevier Nord-Pas de Calais nahe der
belgischen Grenze mit 22,20 Prozent. Die soziale Zusammensetzung
der Wählerschaft ist dabei unterschiedlich. In Südostfrankreich
zwischen Marseille und Nizza, wo der FN schon seit den achtziger
Jahren traditionell stark verankert ist, wählen traditionell
eher wohlhabende Rentner, die sich im französischen
„Sonnengürtel“ niederließen, die Partei. Hinzu kommen frühere
Algeriensiedler (Pieds Noirs) - die nach der
Entkolonialisierung in Nordafrika 1962 Algerien verließen und in
den französischen Mittelmeerregionen ein teilweise von
Revanchismus geprägtes „Vertriebenen“milieu bilden. Hingegen
weist der FN im Nord-Pas de Calais, wo ihm erst seit den
neunziger Jahren schrittweise der Durchbruch glückte und ihm
noch in den letzten Jahren Zuwächse gelangen, eine
ausgesprochene Arbeiterwählerschaft auf.
Dem FN ist es also gelungen, die beiden
auseinanderstrebenden Pole seiner früheren Wählerschaft, die er
vor den Präsidentschaftswahlen im April 2007 aufwies, wieder
zusammenzubringen. In den Jahren 2007/08 war es der
konservativen Rechten unter Nicolas Sarkozy zeitweilig gelungen,
den stärker „bürgerlichen“ Teil der FN-Wählerschaft - unter ihm
auch das postkolonial geprägte Pieds Noirs-Milieu -
abzuwerben. Die massivsten Verluste hatte die extreme Rechte
damals in PACA und in Elsass hinnehmen müssen. Damals war dem
FN, der vorübergehend bis auf 4,3 Prozent der Stimmen (bei den
Parlamentswahlen im Juni 2007) abstürzte, vor allem der aus den
Unterklassen stammende Teil seiner Anhängerschaft etwa im
Nord-Pas de Calais verblieben. Nunmehr ist die Krise des FN
zumindest als Wahlpartei überwunden, auch wenn es auf der
Mitgliederebene (vor der ersten größeren Parteispaltung 1998:
42.000 eingeschriebene Mitglieder, derzeit zwischen 5.000 und
10.000) noch Spuren zurückliegender Krisen zu verzeichnen gibt.
In Südostfrankreich (PACA) konnte
der FN in etwa sein Regionalwahlergebnis von 2004 wiederholen.
Damals hatte er 22,95 Prozent im ersten Wahlgang, aber noch 21
Prozent in der Stichwahl erhalten. Diesmal erzielte er, im
Gegenteil, ein höheres Ergebnis im zweiten Durchgang als im
ersten (plus 2,48 %). Hingegen konnte er im industriellen
Krisenrevier des Nord-Pas de Calais erhebliche Zuwächse
gegenüber 2004 verzeichnen; damals erhielt er dort 19,73 Prozent
in der Stichwahl, das waren mehr als im ersten Wahlgang.
Auch in der Picardie, einer anderen
Region, in welcher der FN unter anderem von der industriellen
und sozialen Krise profitiert, bleibt sein Ergebnis - wenn auch
bei leichten Verlusten - auf hoher Ebene. 2004 erhielt er dort
22,94 % im ersten Durchgang, und weniger im zweiten. Dieses Mal
steigert er sich zwischen beiden Wahlgängen von 15,81 auf 19,30
Prozent. Insgesamt ist die FN-Wählerschaft in der Picardie
jedoch eine Gemengelage aus Angehörigen der sozialen
Unterklassen (eher im Norden der Region) einerseits, und
früheren Algeriensiedlern sowie in Nordafrika dienenden Militärs
(eher im Süden der Region, im Département Oise) auf der anderen
Seite. Überwiegend mit der Krise und der Arbeitslosigkeit
zusammenzuhängen scheint das Stimmenergebnis des in der
ostfranzösischen Region Lothringen, die einen starken Niedergang
ihrer früher charakteristischen Industrien erlebt hat. Dort
wuchs der FN-Anteil von 14,87 % im ersten auf 18,44 Prozent im
zweiten Durchgang (zum Vergleich 2004: 17,59 Prozent für den
höheren Anteil). In dieser Region wurde im ersten Wahlgang ein
Spitzenergebnis für die extreme Rechte von 61 Prozent im Dorf
Roppeviller verzeichnet, davon entfielen 51 Prozent auf den
Front National und 10,2 Prozent auf die von rechtsextremen
Splittergruppen - drei Abspaltungen des FN - gebildete Liste
„Nein zu Minaretten“.
Im Elsass wiederum bleibt der FN auf
einem, im Vergleich zu früheren Ergebnissen, relativ
bescheidenen Niveau mit 13,49 Prozent im ersten und 14,57
Prozent im zweiten Wahlgang (2004 waren es noch 22 Prozent).
Dies dürfte allerdings auch mit der Besonderheit zusammenhängen,
dass die bürgerliche Rechte in dieser Region als einer von
wenigen überhaupt noch Chancen hatte, sich in der Stichwahl um
die Regionalpräsidentschaft zu behaupten - tatsächlich bleibt
das Elsass nach diesem Sonntag als einzige Region (abgesehen von
Überseeregionen) konservativ regiert. Im ersten Wahlgang hatte
neben dem FN auch eine rechtsextrem-regionalistische Liste unter
dem Namen ,Alsace d’abord’ (Elsass zuerst) kandidiert. Sie
erhielt 4,98 Prozent. Auch 2004 war sie angetreten und hatte
damals sogar 9,42 Prozent erzielt, was jedoch nicht für eine
Vertretung im Regionalparlament ausreichte, die sie knapp
verfehlt hatte.
Laut ersten Auswertungen gelang es
dem FN insbesondere, einen erheblichen Teil der gestiegenen
Stimmenthaltung zwischen beiden Wahlgängen zu seinen Gunsten
umzulenken. Die Wahlenthaltung hatte frankreichweit im
Durchschnitt 53,6 Prozent im ersten Wahlgang, aber „nur“ noch 49
Prozent im zweiten betragen.
Rivalisierende rechtsextreme
Listen riefen nicht zur Wahl des FN auf
Die übrigen rechtsextremen Listen,
die meistens aus „Dissidenten“ und Abspaltungen des FN
bestandne, hatten in aller Regel nicht zu dessen Gunsten für die
Stichwahl aufgerufen. Im Nord-Pas de Calais, wo Marine Le Pen
antrat, erhielt eine Liste von FN-„Dissidenten“ unter François
Dubout im ersten Durchgang drei Prozent. Doch ihre Anführer
riefen zur Stichwahl zur Stimmabgabe für die konservative
Regierungspartei UMP auf. In Lothringen lancierte die Liste
„Nein zu Minaretten“ (die aus den drei rechtsextremen
Kleinparteien MNR, PdF und NDP bestand) zur Stichwahl einen
Aufruf zum Stimmboykott, da der Front National nicht entschieden
genug gegen das „Vordringen des Islam“ und gegen den Minarettbau
eintrete.
Erste Ausblicke
Am Wahlabend sprach Marine Le Pen
von einem „Frühling des FN“. Die Partei werde sich nun
entschlossen auf die kommende Präsidentschaftswahl im Jahr 2012
vorbereiten. Bis dahin möchte sie ihren alternden
VaterJean-Marie Le Pen - er wird im Juni dieses Jahres 82 -
abgelöst haben. Auch ließ sie im Vorfeld der jüngsten
Regionalparlamentswahlen durchblicken, nach dessen Ablösung an
der Spitze könne über eine Änderung des Parteinamens diskutiert
werden. Für den Herbst 2010, kommenden Winter oder Anfang 2011
wird ein Parteikongress erwartet, auf dem die Änderung an der
Spitze abgesegnet werden könnte. Doch Jean-Marie Le Pen fiel am
Sonntag Abend JournalistInnen ins Wort, die von seinem „letzten
Wahlkampf“ gesprochen hatte, und verneinte dies ausdrücklich:
„Das hätten Sie gerne so, denn es stört Sie, was ich sage. Und
sei es nur, um es Ihnen nicht Recht zu machen, könnte ich
weitermachen.“ Er wies darauf hin, dass die frühere
Gesundheitsministerin Simone Veil, die soeben als Mitglied in
der altehrwürdigen Académie française ernannt wurde, „im selben
Alter“ sei wie er selbst.
Editorische
Anmerkungen
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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