Betrieb & Gewerkschaft
Schlechter Vergleich im Maultaschenfall

ein Kommentar von  Gregor für's Emmily-Solikomitee

04/10

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onlinezeitung

Am 30. März verhandelte das Landesarbeitsgericht Freiburg den "Maultaschenfall".[1] Heraus kam ein Vergleich: 25.000,- EUR Abfindung und Lohnnachzahlung bis 31.12.2009.[2] Wir kennen die gekündigte Altenpflegerin nicht und wollen nicht kritisieren, dass sie auf den Vergleich einging, das ist ihr gutes Recht.

Kritisch finden wir aber das Medienecho.  Die meisten Medien kommentierten das Ergebnis positiv: weil das Gericht die Mitnahme der Maultaschen zwar einerseits als "Diebstahl" kennzeichnete, andererseits deutliche Zweifel anmeldete, ob dies bereits zu einer fristlosen Kündigung ohne vorherige Abmahnung reichen könne.

Was ist aber an dem Ergebnis positiv?  Die Altenpflegerin war seit 17 Jahren angestellt.  Sie war bereits unkündbar.  Die Maultaschen waren übrig geblieben und für den Abfall bestimmt, die Arbeitgeberin hatte fristlos und ohne vorherige Abmahnung gekündigt, weil die Altenpflegerin sie mitgenommen hatte, obwoh es eine Arbeitsanweisung gab, die das verbietet.  Aus der Pressemitteilung der Spitalstiftung und der Stadt Konstanz nach dem Urteil erster Instanz geht klar hervor, dass man sie aus anderen Gründen los werden wollte.[3]  Bagatellkündigungen bieten dazu den notwendigen Hebel. 

Die Altenpflegerin war bereits seit einem 3/4 Jahr in Altersteilzeit.  Sie hätte nur noch zwei Jahre arbeiten müssen und wäre danach drei Jahre bezahlt in der "Freistellungsphase" gewesen.[4] Die nun ausgehandelte Abfindung liegt auf jeden Fall unterhalb dessen, was die Altenpflegerin in den drei Jahren Freistellungspahse bekommen hätte.  Darüber hinaus wird ihre Rente durch die Kündigung geschmälert.

Unter den Bedingungen von Bagatell- und Verdachtskündigungen ist der Kündigungsschutz keiner, sondern im besten Fall die Grundlage für einen erzwungenen Tauschhandel Arbeitsplatz gegen Abfindung. Auf diese Weise können sich Unternehmen von widerständigen oder teuren Beschäftigten loskaufen.

Unternehmen können mit der Drohung der Bagatellkündigung eine autoritäre Arbeitsdisziplin durchsetzen, die keinen Widerspruch duldet.  Das wird "wunderschön" deutlich in der Begründung durch das Arbeitsgericht Konstanz, das die fristlose Kündigung in erster Instanz abgesegnet hatte.[5]  Da heißt es z. B.:

,,Die grundsätzliche Entscheidung des Arbeitgebers, dem Abfall    zugedachtes Essen der Dispositionsfreiheit der Mitarbeiter zu  entziehen, haben die Arbeitnehmer zu respektieren. [...] Es    steht im Ermessen des Arbeitgebers, wie er mit seinem Eigentum    verfährt und welche Regelungen er auch trifft für die    Verwertung von Resten, selbst wenn sie letztlich nichts  Anderes als Abfall darstellen. Der Arbeitgeber hat sich auch  nicht dafür zu rechtfertigen, warum er eine solche Entscheidung trifft und es ist nicht zu diskutieren, ob es möglicherweise sinnvoller wäre, Nahrungsmittel, die ohnehin entsorgt werden, dem Personal unentgeltlich zur Verfügung zu stellen."

Das mag das Arbeitsgericht so sehen, aber ist es deswegen *unzumutbar*, die Altenpflegerin weiter zu beschäftigen?  Das Arbeitsgericht Konstanz befand, die Weiterbeschäftigung der Altenpflegerin wäre unzumutbar für das Unternehmen.  Warum wäre sie unzumutbar?  Weil das Arbeitsgericht das "Prognoseprinzip" angewandt hat:[6]

 ,,Aus der ein solches Verbot negierenden Haltung der  [Altenpflegerin] ist [...] zu folgern [...], dass die Gefahr besteht, dass die Klägerin sich auch in Zukunft eigenmächtig über dieses oder andere Verbote, deren Sinnhaftigkeit sie persönlich nicht zu erkennen vermag, hinwegsetzen wird."

Und was passiert dann schlimmes?

 ,,[...] wird zugestanden, dieses Verbot unterlaufen zu können, würde dies den Umgang mit Resten aus der Bewohnerverpflegung einer gewissen Beliebigkeit öffnen."

Aber Moment!  War da nicht was?  So eine Urteilsbegründung nach dem bundesweiten Aufschrei in der Folge der Urteile gegen Emmely? Alles am Arbeitsgericht Konstanz vorbei gegangen?  Aber nein, im Rahmen der Interessenabwägung -- die wie immer lesenswert ist -- geht das Arbeitsgericht Konstanz ausdrücklich auf diese
Diskussion ein:

,,Andererseits darf nicht verkannt werden, dass seit einigen  Monaten eine - auch in der Öffentlichkeit und nicht nur in juristischen Kreisen - breit angelegte Diskussion über die Frage geführt wird, ob unter Umständen auch geringwertige Vermögensdelikte ordentliche oder außerordentliche Kündigungen (immer noch) rechtfertigen können. Eine Sensibilisierung für die Thematik als solche ist daher an sich von jedem Arbeitnehmer zu erwarten und auch eine innere Überprüfung seiner bisherigen Haltung in Ansehung etwa im Betrieb bestehender Gebote oder Verbote."

Offensichtlich ist eine ,,innere Überprüfung" ihrer Rechtsprechung durch die Arbeitsgerichte zumindest ein sehr schleppender Vorgang.  Weil es Gerichte gibt, die solche Urteile sprechen, treten wir für die Abschaffung von Verdachtskündigungen und Bagatellkündigungen ohne vorherige Abmahnung ein.  Der Umstand, dass die Gerichte schon heute nicht so urteilen müssen, reicht offenbar nicht.

Die Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Freiburg ist bezüglich der ,,inneren Überprüfung" der Arbeitsgerichte ein kleiner Lichtblick, da heißt es:

,,Im ,Maultaschenfall' gab es besondere Umstände, die trotz des unbestrittenen Diebstahls der Maultaschen durch die
   Klägerin eine fristlose Kündigung nicht ohne weiteres gerechtfertigt erscheinen lassen. Neben der langen   Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter der Klägerin war das die Tatsache, dass bei der beklagten Arbeitgeberin das übrig gebliebene Essen - auch die gestohlenen Maultaschen - als Abfall entsorgt wird, zu beachten. Der beklagten Arbeitgeberin ist durch den Diebstahl kein messbarer Schaden entstanden. Das ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 16. Dezember 2004 - 2 ABR 7/04) ein Umstand, der in der Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers zu  berücksichtigen ist. Das bedeutet nicht, dass ein solches Verhalten erlaubt ist. Es ist aber nicht ,automatisch' ein Grund für eine fristlose Kündigung."[7]

Das ist aus unserer Sicht das einzig positive an dem Ergebnis im Maultaschenfall.  Wir wünschen der uns unbekannten
Altenpflegerin, dass sie nach der ganzen Aufregung wenigstens wiirklich Ruhe findet.

Fußnoten

[1] Eine Altenpflegerin aus Konstanz wurde wegen 3-6 (die genaue Menge ist umstritten) Maultaschen fristlos gefeuert.  Das Arbeitsgericht Konstanz bestätigte die Kündigung.

[2] Die Abfindung orientiert sich an § 1a KSchG Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung.  Der Lohn
wird bis zum Ende der fiktiven Kündigungsfrist gezahlt.  Die ist fiktiv, weil die ltnepflegerin unkündbar war.  Die Arbeitgeberin, die Spitalstiftung Konstanz, hat noch Bedenkzeit.  Wenn sie es sich anders überlegt, wird am 3. Mai ein Urteil verkündet.

[3] http://www.konstanz.de/rathaus/medienportal/mitteilungen/00889/index.html

[4] In der Freistellungsphase zahlt der Arbeitgeber einen Teil des Lohns, es gibt einen Zuschuss vom Arbeitsamt.  Der
Berechnungsmodus ist kompliziert.

[5] http://www.arbg-loerrach.de/servlet/PB/show/1246875/4-Ca-248-09.pdf

[6] Eine Erfindung des Bundesarbeitsgerichts.  Seitdem werden alle deutschen Arbeitsgerichte mit Kristallkugeln ausgestattet.

[7] http://arbg-pforzheim.de/servlet/PB/menu/1252533/index.html?ROOT=1149275

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Kommentrag über:

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