Kirgisistan
Revolution stürzt Regierung

von Simon Hardy

04/10

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Eine Revolution auf den Straßen von Kirgisistan hat die unbeliebte Regierung von Präsident Kurmanbek Bakijew gestürzt. Bakijew ist aus der Hauptstadt Bischkek geflohen, nachdem DemonstrantInnen, einige von ihnen bewaffnet, die Kontrolle über Polizeistationen und Regierungsgebäude übernommen hatten.

Die Proteste gegen die Regierung begannen am 6. April in Talas, einer Stadt im Westen Kirgisistans. Die Leute dort waren wütend über die gestiegenen Benzin- und Gaspreise, die sich in den letzten paar Tagen vervierfacht hatten, und über die chronischen Wirtschaftsprobleme des Landes. Kirgisistan ist bitterarm; zwei Drittel seiner Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.

Ein Protest in Bischkek wurde von der Polizei brutal angegriffen, die in die Menge feuerte und viele Menschen tötete und verwundete. Die erzürnten DemonstrantInnen schlugen zurück und vertrieben die Polizisten nach gewaltsamen Zusammenstößen von der Straße. Die Ereignisse in Bischkek blieben nicht isoliert. Im ganzen Land wurden örtliche und zentrale Behördengebäude gestürmt. Das alte Regime zerbröckelte im Angesicht des Zorns der ArbeiterInnen und armen Massen.

Rosa Otunbajewa wurde zur Führerin einer provisorischen „Volksregierung“ ernannt. Otunbajewa ist führendes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Kirgisistans, die in Opposition zur amtierenden Regierung stand. Sie erklärte, die Regierungsgewalt zu übernehmen, um die „Sicherheit“ wiederherzustellen, sei die wichtigste Tagesaufgabe. Dies zeigt die Furcht der Kapitalistenklasse des Landes vor der Dynamik der Proteste bis zum Sturz nicht nur der Regierung, sondern der gesamten Gesellschaftsordnung.

Diese Furcht wurde von den bürgerlichen Medien in aller Welt geteilt. Sie warnten vor einer gewaltsamen Revolution und deren Ausdehnung über die Landesgrenzen. Nicht, dass sie prinzipielle Vorbehalte gegen ein Blutbad hätten - doch sie wollen eher eine „friedliche Revolution“ wie die „Farben- und Blumenrevolutionen“, die in den Staaten des ehemaligen Sowjetblocks verlässlich dafür sorgten, dass der kapitalistische Staat, seine Armee und Polizei unbehelligt blieben und als Hüter für das Eigentum der herrschenden Klasse in Erscheinung traten.

Die Sozialdemokratische Partei Kirgisistans wird nun Überstunden einlegen bei der Abwiegelung der Proteste, wird sie entwaffnen und der Polizei die Rückkehr auf die Straßen ermöglichen. Der Staat war vorübergehend von der revolutionären Welle überrollt worden. Er war unfähig, die Ordnung wiederherzustellen. Die Armee wirkte gelähmt und ihre Soldaten waren nicht willens, auf ihre Landsleute zu schießen.

Nun besteht die Gefahr, dass das revolutionäre Vermögen in den kommenden Tagen verloren geht und die Massen um die Früchte ihres Sieges betrogen werden.

Das Vermächtnis der Tulpenrevolution

Bakijew selbst ist keineswegs unbewandert in Sachen „Revolution“. Er kam 2005 auf dem Rücken der „Tulpenrevolution“ zur Macht, die den unpopulären Präsidenten Askar Akajew stürzte, einen neoliberalen Politiker, der für Privatisierungen eintrat und an seinem Amtssessel klebte. Verdacht auf Wahlfälschungen und Vetternwirtschaft führten zu massenhaften Demonstrationen gegen Akajews Herrschaft.

Die Sozialdemokratische Partei Kirgisistans trat bei den jüngsten Machtkämpfen stark in den Vordergrund. Sie spielte eine Schlüsselrolle bei der Tulpenrevolution von 2005, die die vorhergehende Regierung stürzte, und besetzte einige Kernressorts in der vorläufigen Nachfolgeregierung.

Viele Beobachter führen die revolutionären Ereignisse auf den Mangel an bürgerlicher Demokratie zurück, als ob eine westlich geprägte Verfassung alle Probleme lösen würde. Der wahre Grund für den Aufstand der kirgisischen Massen mit solch revolutionärer Wucht liegt nicht in demokratischen Mängeln, sondern in der chronischer Armut und dem Elend im Land.

Die Gesellschaftskrise in Kirgisistan

Kirgisistan ist ein armes Land, aber es verfügt über reiche Bodenschätze an Gas und Öl. Doch das Industrialisierungsniveau ist niedrig. Wie im übrigen Mittelasien sank die Wirtschaftskraft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus in den 90er Jahren dramatisch. Ohne ausländische Investitionen ist der Staat außerstande, seine Bodenschätze zu nutzen. Russland stellt zwar gern Geld und Maschinen hierfür bereit, will aber auch den Löwenanteil an Profiten daraus einstreichen. Dieses tragische Los trifft nahezu alle früheren Teilrepubliken der ehemaligen Sowjetunion unter den neuen kapitalistischen Verhältnissen.

Russland trägt in der Tat die Schuld an der Wendung von einer schwierigen zur unhaltbaren Lage für Bakijew. Anfang April unterbanden die russischen Behörden die Lieferung von leichtem Mineralöl von Russland nach Kirgisistan, was dort zu einem steilen Anstieg der Gas- und Ölpreise führte. Dies bedeutete nach 2007 (44%) und der heftigen Verteuerung des Gases aus Usbekistan 2008 (von 55 auf 145 Dollar für 1.000 Kubikmeter) erneut eine drastische Preiserhöhung.

Als Folge der hohen Gaskosten konnten die Menschen weniger kochen und heizen - in einem Land mit strengen Wintern. Heruntergefahrene Stromversorgung in den Städten verdüsterte das Leben der BewohnerInnen.
Dies wird von einer allgemeinen Inflationsrate von mehr als 30% in den letzten 3 Jahren, einer hohen Erwerbslosigkeit und dem Druck der Weltwirtschaftskrise, die 2009 eine staatliche Ausgabendrosselung und Devisenknappheit verursachte, eingerahmt.

Auch die geopolitischen Verwicklungen, in die Kirgisistan bei dem neuen großen Machtspiel in der Region verstrickt ist, ähneln der Konkurrenz zwischen dem britischen und russischen Reich im 19. Jahrhundert wegen der strategischen Wege nach Indien. Diesmal geht der Wettlauf um den Zugang zu Energievorkommen und -leitungen sowie Rohstoffen und Handelswegen. Außerdem brauchen die USA und die NATO Nachschublinien für ihre Besatzungstruppen in Afghanistan. China hat ebenfalls wachsendes Interesse angemeldet.

Der Luftstützpunkt Manas ist eine Schlüsselstelle für das US-Militär, besonders nach der Schließung der K2-Basis, als sich der damalige US-Präsident Bush 2005 mit dem usbekischen Diktator Karimow überwarf. Auch Spannungen zwischen Moskau und Washington spielten eine Rolle, als der russische Präsident Putin erkannte, dass die USA im Begriff war, Langzeitstützpunkte im - nach russischem Verständnis - eigenen Hinterland einzurichten. Bakijew versuchte, Moskau gegen Washington auszuspielen, um die Staatseinkünfte für den Manas-Stützpunkt erhöhen zu können. Nach einem hohen russischen Hilfsangebot Anfang 2009 drohte der kirgisische Präsident mit der Schließung der Militärbasis, aber die USA handelten unter Obama eine Verlängerung aus.

Dieser Zusammenhang von sozialer und politischer Krise, die weder Otunbajewa noch irgendein anderer kapitalistischer Politiker lösen kann, ist das Problem. So lange Kirgisistan befangen ist in dem kapitalistischen Albtraum, umlungert von hungrigen imperialistischen Wölfen wie USA und Russland, wird es nicht in der Lage sein, seine Bevölkerung aus der Armut herauszumanövrieren.

Den kirgisischen Massen mangelt es nicht an Begeisterung für den revolutionären Kampf, vielmehr fehlt ihnen eine sozialistische Arbeiterpartei, die die Arbeiterklasse zur Macht führen kann. Ohne eine solche Organisation setzen sich meist bürgerliche Kräfte an die Spitze solcher Massenerhebungen und lenken deren Zorn in Richtung eines Regierungswechsels und tauschen dabei in Wirklichkeit nur einen Flügel der korrupten Kapitalistenklasse gegen einen anderen, derzeit weniger belasteten aus.

Eine revolutionäre Partei würde auch die Kontrolle über die Banken übernehmen, die Schlüsselfiguren des Staatsapparats, Polizeichefs und Armeegeneräle festsetzen. Sie würde Aktionsräte mit demokratisch gewählten Abordnungen aus den Reihen der ArbeiterInnen und Bauern fördern, die die revolutionäre Machteroberung koordinieren. Solche Organe wären die Grundlage einer wahrhaften Arbeiterregierung, die die Wirtschaftsplanung und die Enteignung der Kapitalisten organisieren kann.

Eine Lösung bietet nur der revolutionäre Weg. Keine Farben- oder Blumenrevolution kann wirklich den kapitalistischen Staat zerschmettern und die Macht in die Hände der ArbeiterInnen und der Armut übergeben. Eine sozialistische Revolution ist notwendig, um die Krise zu lösen. Das muss das Ziel der Arbeiterklasse, der Jugend und der verarmten Massen in den kommenden Monaten sein.
 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel durch

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 478
12. April 2010


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